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Städtisches Leben mit dem Waschbär

Neubürger in der Großstadt

© by Derk Ehlert; Waschbär Alex 2009 in der Tiefgarage eines Hotels am Alexanderplatz

„Terror-Waschbär macht Regierungsviertel unsicher”, „Invasion der Waschbären”, „Ausbreitung der Waschbären bedroht andere Arten“ – kaum ein Monat vergeht ohne Schlagzeilen dieser Art. In den Medien werden Waschbären als Aliens aus dem Wald gehandelt. Doch müssen wir uns von ihnen wirklich bedroht fühlen? Dieser und weiteren Fragen gingen wir im Januar in der Offenen Gesprächsrunde Stadtnaturschutz mit dem Wildtierexperten der Senatsverwaltung (UVK), Derk Ehlert nach.

Waschbären sind Neusiedler aus Nordamerika, im Fachjargon auch Neozoen genannt, und gehören damit zu den Arten, die erst nach 1492 nach Deutschland gelangten. Genau genommen fanden die ersten Waschbären ihr Glück als freie Bürger in Berlin erst am Ende des zweiten Weltkrieges. Weil ein Pelztierfarmbetreiber bei Strausberg seine Tiere nicht mehr füttern konnte, entließ er alle Waschbären in die Freiheit. Zwei weitere Pärchen wurden 1934 bei Kassel von einem Forstamtsleiter gezielt ausgewildert, um die heimische Fauna zu erweitern.

Wie viele Waschbären in Berlin vorkommen, kann niemand genau sagen

Angeblich rechnete sich der hessische Forstamtsleiter damals aus, dass er zehn Jahre später seinen ersten Pelzmantel zusammenhätte. Wie viele Mäntel es heute wären, soll hier aus Pietätsgründen nicht weiter ausgeführt werden. Aber davon einmal abgesehen ist eine Einschätzung gar nicht möglich, denn niemand weiß, wie viele Tiere es heute tatsächlich sind. Was wir wissen, ist, dass in den Jahren 2017/2018 170.000 Waschbären von Jäger*innen erlegt oder tot aufgefunden wurden. Da die Tiere, abgesehen von ein paar Ausnahmen, kaum in Erscheinung treten, lassen sich daraus aber noch keine Rückschlüsse ziehen, mit wie vielen lebenden Exemplaren wir es in Deutschland und im Speziellen in Berlin zu tun haben.

Waschbären polarisieren

Eine dieser Ausnahmen war Waschbär Alex, der sich 2009 in der Tiefgarage eines Hotels am Alexanderplatz einquartiert hatte. Ganze zwei Jahre hielt er sich dort unten auf, was zeigt, dass auch die obskursten, urbanen Orte kein Hindernis für Waschbären darstellen. Viele Berliner*innen verfolgten damals gespannt das Treiben des kleinen Vierbeiners, welches in der Reihe „Neues von Alex“ über Fernsehen und Radio in regelmäßigen Abständen übertragen wurde.

Ansonsten stehen viele Menschen den Wildtieren eher skeptisch gegenüber. Waschbären lieben gedämmte Dachböden und verursachen dort, meist über Monate hinweg unbemerkt, viel Schaden und hohe Kosten. Zudem plündern sie auch mal Mülltonnen, fangen Streitereien mit Katzen an, kratzen an Baumstämmen, verwüsten Gärten und graben den Rasen um.

Vor all diesen Unannehmlichkeiten kann man sich heute jedoch prima schützen, beruhigt Derk Ehlert. Um Waschbären von Gebäuden fernzuhalten, hat eine Kasseler Firma effektive Schutzvorrichtungen entwickelt, die an Regenrinnen angebracht werden können. Und auch für Bäume gibt es sichere Stammschutzvorrichtungen. Mit ein bisschen Kreativität lässt sich darüber hinaus der Müll vor Plünderung schützen und Katzen können Waschbären ohnehin nicht gefährlich werden.

Zu einer Herausforderung werden Waschbären aber zunehmend für den Artenschutz. Auf ihrem Speiseplan stehen zu fast 70 % Vögel, kleine Fische, Reptilien, Amphibien und Insekten. Passend zu ihrer banditenbrillenartigen Zeichnung im Gesicht, plündern sie Gelege von Wiesenbrütern. Gut gemeinte Krötenschutzzäune und –eimer werden zum kostenlosen drive-in für Waschbären. Im Gegensatz zu Nordamerika, wo der harte Winter natürlicher Feind der Tiere ist, gibt es in Deutschland – ausgenommen vom Menschen – keinerlei ernst zu nehmende Gegenspieler. Was also tun?

Die Jagd auf Waschbären bewirkt das reine Gegenteil

Die Hessische Regierung wurde aktiv, indem sie die Jagd-Schonzeit für Waschbären aufhob und mit Fangprämien den Jagddruck auf die Population noch zusätzlich erhöhte. Das Ergebnis: Die Reproduktionsrate der Tiere stieg. Heute wissen Exepert*innen, dass Waschbären unter Jagddruck mehr Nachkommen zeugen; vorausgesetzt, die anderen lebenswichtigen Rahmenbedingungen stimmen. Zudem steuern sie mithilfe ihrer Hormone das Geschlecht. Ist die Population gefährdet, werden mehr Rüden geboren, die ihrem natürlichen Instinkt folgend das Revier verlassen und anderenorts neue Nachkommen zeugen. Trotz dieser Erkenntnisse forderte die FDP bundesweit die schonungslose Jagd von Waschbären auch in Naturschutzgebieten, wie einigen Zeitungsberichten im Januar und Februar zu entnehmen war.

Derk Ehlert macht in der Offenen Gesprächsrunde Stadtnaturschutz vor allem eines deutlich: Bisher gibt es noch keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass Waschbären allein Schuld am Aussterben bestimmter Arten sind. Zersiedelung der Landschaft, die Ausweitung der industriellen Landwirtschaft mitsamt des Einsatzes von Pestiziden und Dünger, Monokulturen in der Forstwirtschaft und neuerdings auch der Klimawandel tragen dazu bei, dass Lebensräume zerstört werden und Arten verschwinden. Gäbe es noch ausreichend unberührte Natur, in der sich Tiere und Pflanzen entwickeln und verstecken könnten, würde der Waschbär auch keine Bedrohung für sie darstellen.

Wie das Beispiel aus Hessen zeigt, ist es für einen wirkungsvollen Eingriff zur Dezimierung der Waschbärpopulation ohnehin schon viel zu spät. Vielmehr sollten wir uns mit unseren Neubürgern arrangieren und mal ein Korrektiv zwischen Ursache- (Mensch) und Wirkungsgefüge (Waschbär) vornehmen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen – anders als es dieser Tage leider viel zu oft geschieht.

 

Unsere Termine für die Offene Gesprächsrunde Stadtnaturschutz finden sie hier

 

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