Das Tempelhofer Feld scheint für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein magisches Feld zu sein. Vor zwei Jahren war es die entscheidende Fläche, um den Wohnungsmangel zu beheben. Ohne Bebauung schien nichts mehr zu gehen. Heute muss es herhalten, um die Flüchtlinge vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Ob das Feld das alles kann, scheint mehr als fraglich. Aber was es auf jeden Fall kann ist, als Projektionsfläche und Polarisationspunkt zu dienen. Helfen tut das nicht.
Im ersten Aufschlag hatte die Senatsverwaltung die Randbebauung am Tempelhofer Damm und an der Oderstraße für Flüchtlingsunterkünfte geplant. Im wochenlangen zähen Prozess wurde nun das Gesetz geändert, um zwei versiegelte Flächen für Flüchtlingsunterkünfte begrenzt auf maximal drei Jahre nutzen zu können. Kaum eine Gesetzesvorlage wurde so stark verändert.
Mit oder ohne diese beiden Flächen entwickelt sich der Flughafen Tempelhof mit seinem Vorfeld zur größten Unterkunft für Flüchtlinge Deutschlands. Perspektivisch sollen dort 7000 Menschen Unterkunft finden, die meisten sollen nur kurz dort verbleiben. Und das wird für die Senatsverwaltung eine extrem große Herausforderung. Ein Großteil der Geflüchteten soll nur zur Erstunterbringung im Flughafen bleiben. Nur auf den beiden Flächen sollen mobile Unterkünfte aufgestellt werden, in denen die Geflüchteten dann länger wohnen und das auch nur wie gesagt für maximal die nächsten drei Jahre. Das bedeutet, der Senat hat sich zwar ein ganz klein wenig Luft verschafft, muss aber nun auch liefern. In drei Jahren müssen andere Unterkünfte/Wohnungen für ca. 2000 Menschen gefunden sein.
Der Fall Tempelhof zeigt ganz deutlich, unter welchem Druck die Verwaltung steht. In der ganzen Stadt müssen Unterkünfte für die dauerhafte Unterbringung gefunden oder gebaut werden. Fieberhaft werden Standorte gesucht. Was bisher fehlt, ist ein Gesamtkonzept und die Berliner Bevölkerung mit einzubinden.
Das wäre allerdings dringend nötig, um eine zukunftsfähige Entwicklung Berlins nicht zu gefährden und die Integration der hier ankommenden Menschen zu ermöglichen.
Es müssen zügig geeignete, integrierte Standorte für temporären und dauerhaften Wohnraum entwickelt werden. Die Bebauung wertvoller Frei- und Grünflächen muss ebenso vermieden werden wie abgeschottete Ansiedlungen von Geflüchteten oder die Überlastung der sozialen Infrastruktur einzelner Quartiere. Mit einer Transparenz- und Dialogoffensive muss der Senat das Engagement und das Expertenwissen der Berlinerinnen und Berliner für zügigen, stadtverträglichen Wohnungsbau nutzen, um gemeinsam zielführende und stadtverträgliche Lösungen zu entwickeln.
Auch als Umwelt- und Naturschutzverband engagieren wir uns für zügige Planungen unter Beachtung von ökologischen und stadtentwicklungspolitischen Zielen. Dieses Engagement zeigen ebenso viele andere Verbände, Initiativen und Berlinerinnen und Berliner. Wir verzweifeln aber zunehmend daran, dass Senat und Bezirke nach ihrem eigenen Bekunden zwar alle Optionen prüfen, eine gezielte, ressortübergreifende und zeitlich gestaffelte Handlungsstrategie jedoch mangels strukturierter Information nicht erkennbar ist. Ohne ausreichende Informationsgrundlagen ist jedoch keine konstruktive Auseinandersetzung möglich. Kein Wunder, dass aktuell bei der Diskussion einzelner Standorte vor Ort immer wieder die alternative Nutzung von Ferienwohnungen, leerstehender Immobilien und anderer Standorte gefordert wird. Ohne Gesamtübersicht, welche tatsächlich geeigneten Standorte in welchem Zeitraum realisierbar sind, wird eine zielführende Diskussion nicht möglich sein.
Leider hat der Senat mit seinem kurzatmigen Notfallmanagement bei der Unterbringung von Flüchtlingen schon viel Porzellan zerschlagen. Bei vielen ist das Vertrauen in seine Problemlösungsfähigkeit verspielt. Statt in langwierigen Verwaltungsschleifen intern Konzepte und Standorte abzustimmen, die irgendwann der Öffentlichkeit als alternativlos präsentiert werden, müssten Senat und Bezirke endlich frühzeitig die Bürgerinnen und Bürger einbinden. Und gute Bürgerbeteiligung heißt nicht, endlos zu diskutieren, sondern in einem strukturierten und transparenten Planungsprozess unter Abwägung aller Argumente zügig zu entscheiden. Je frühzeitiger eine Einbindung erfolgt, desto schneller lässt sich feststellen, welche Standorte und Baukonzepte grundsätzlich sinnvoll sind, wo vertiefter Diskussionsbedarf besteht und welche Vorschläge nicht weiterverfolgt werden sollten. Je weniger Vorfestlegungen es gibt, desto besser können die jeweiligen Planungen an die Bedingungen vor Ort angepasst werden.
Das würde auch wieder Vertrauen schaffen und viele Konflikte vermeiden. Viele Berlinerinnen und Berliner wollen sich für eine gute Unterbringung von Flüchtlingen und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum einsetzen und sich konstruktiv, durchaus aber auch kritisch und mit alternativen Lösungsvorschlägen in die Entwicklung eines sinnvollen Gesamtkonzeptes einbringen. Inwieweit die vom Senat beauftragte Unternehmensberatungsfirma das bei ihrem Integrationskonzept berücksichtigt, ist noch völlig unklar.
Wenn der Senat dieses Angebot nicht endlich aufgreift, müssen wir mehr Druck machen und eine Volksinitiative starten. Dann muss das Abgeordnetenhaus klären, warum entgegen aller vollmundigen Ankündigungen zentrale Entscheidungen zur Entwicklung der Stadt nicht unter Einbindung der Bürgerinnen und Bürger erfolgen sollen.
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