Die Strategie scheint so einfach wie erfolgversprechend. Der politisch stark unter Druck stehenden Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Berlin jetzt schnell den nächsten Volksentscheid um die Ohren hauen und damit zeigen wie man wirklich erfolgreiche Politik für den Fahrradverkehr in Berlin umsetzt. Nebenbei würde man den handelnden Politikern wiederholt ihre zunehmende Unfähigkeit spiegeln – wir sind das Volk! Punkt.
Ganz prinzipiell gesehen ist der BUND ein großer Sympathisant davon, wenn Bürger/innen Dinge auch selbst in die Hand nehmen. Die entscheidende Frage an dieser Stelle lautet jedoch für uns: Ist das Verfahren “Volksbegehren – Volksentscheid” in diesem Falle der richtige Weg? Zweifelsohne, die Initiatoren des Volksentscheides Fahrrad werden die in einer ersten Stufe benötigten 20.000 Unterschriften für einen Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens locker zusammen bekommen. Selbst die zweite Stufe (ca. 175.000 Unterschriften = 7% der Berliner Wahlberechtigten) dürfte sicherlich auch noch zu schaffen sein, so dass man vermutlich davon ausgehen kann, dass es in letzter Konsequenz auch den angestrebten Volksentscheid geben könnte. Die spannende Frage lautet aber: Was dann?
Seit seiner Gründung Anfang der 1980er Jahre setzt sich der BUND Berlin e.V. im Mobilitätsbereich Berlins selbst sehr stark für Verbesserungen im Berliner Radverkehr ein. Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen sind dabei in berlinweit wie auch auf Bezirksebene agierenden Gremien (den sog. “Fahr-Räten”) vertreten, wo konkrete Umsetzungsmaßnahmen für den Berliner Radverkehr besprochen und beschlossen werden. Da haben sich in den letzten Jahren durchaus gute Dinge getan! Wir wissen aber auch nur allzu gut, was es bedeutet, wenn in Berlin über Fahrradpolitik gesprochen wird. Wie lang sich Prozesse mitunter hinziehen und welch quälendes Gefühl die Macher/innen des Volksentscheides Fahrrad umtreibt, wenn sie mit ihrer Initiative (etwas überspitzt formuliert) der Stadt förmlich entgegen schreien: Warum ändert sich hier in Berlin nichts für den Fahrradverkehr?
Natürlich, mit einem Prozess, der am Ende auf einen Volksentscheid hinausläuft, lässt sich der Druck auf die Berliner Politik weiter erhöhen, vielleicht auch mehr Handlungsgeschwindigkeit in bestimmte Themen hinein bringen. Denn: Wenn das Volk ein Gesetz beschließt, dann ist das etwas “Heiliges” und dann MUSS die Politik auch danach handeln. Und schließlich: Es gibt ja genug gute Beispiele, wo Mitbestimmung durch die Berliner/innen zum Erfolg geführt hat. Sind Volksbegehren/Volksentscheide damit nun immer zwingend automatisch das gesetzte Mittel der Wahl? Nur weil man hiermit in der Politik vielleicht (!) schnellere Erfolge erzielen kann?
Würde ein Gesetz, dass der Flughafen BER jetzt schnell fertig gebaut werden muss, tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen?
Ja, obwohl wir eigentlich beim Thema “Radverkehr” sind, kann man sich zwischen drin tatsächlich doch mal selbst diese Kontrollfrage stellen und zu beantworten versuchen (JA-Antworten und insbesondere deren Begründungen würden uns unten in den Kommentaren sehr interessieren!): Würde es tatsächlich etwas bringen, ein Gesetz zu beschließen, das vorschreibt, dass der Flughafen BER jetzt sofort fertig werden müsse?! Mit der Frage sind wir dann auch schließlich im Bauchschmerz-Bereich des BUND Berlin e.V. zum Volksentscheid Fahrrad angelangt. Der Ansatz, Verbesserungen für den Fahrradverkehr herbeizuführen/-zwingen ist ja durchaus löblich. Nachvollziehbar auch die Sichtweise, dass der Ausbau(not-)stand von Berlins Rad-Infrastruktur ähnlich katastrophal ist wie die Baufortschritte bei Berlins neuem Großflughafen sind. Trotzdem befürchten wir, ist ein Ansatz, der unserer bestehenden (politischen) Stadtstruktur Verbesserungen für den Radverkehr über den Weg eines per Volksentscheids abgestimmten Gesetzes überstülpen will, zum Scheitern verurteilt. Warum sehen wir das nun so kritisch, wenn doch auch wir beim BUND Verbesserungen des Radverkehrs unbedingt wünschen?
In erster Linie finden wir, dass der reine Fokus nur “über den Fahrradlenker geschaut” hier zu kurz greift. Fahrradfahrer sind nicht allein in der Stadt unterwegs – sie müssen sich den öffentlichen Raum teilen mit Fußgängern, mit öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und – ob’s uns nun passt oder nicht – auch mit Autofahrern. Auch Themen wie Barrierefreiheit oder Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum werden vom Volksentscheid Fahrrad nur sehr indirekt adressiert. Wenn man sich die Forderungen zum Volksentscheid Fahrrad genauer ansieht, stellt man zudem fest, dass sie gar nicht im grundsätzlichen Konflikt zur Senatspolitik stehen, sondern nur einige Punkte der bestehenden (!) Berliner Radverkehrsstrategie mit griffigen Zielen unterlegen. Schaut man sich wiederum die Ziele genauer an, kommt man schnell zur Erkenntnis, dass sich diese aus unterschiedlichen Gründen in Umfang und Ausgestaltung in der Realität größtenteils gar nicht umsetzen lassen. Die formulierten Ziele sind im Einzelnen nicht einklagbar, außerdem müsste jede im Volksentscheid Fahrrad genannte Einzelmaßnahme auch in Berlins Bezirken mit Überzeugung durchgesetzt/abgestimmt werden, d.h. gegenüber Anwohnern, Gewerbetreibenden und Autofahrern, aber eben auch gegenüber politischen Vertretern in den jew. Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) vertreten werden, wo teilweise ganz andere politische Bündnisse agieren als auf Senatsebene. Hier hätte der Senat, an den sich der Volksentscheid ja eigentlich richtet, gar keine Durchgriffsmöglichkeiten. Und zuguterletzt, wenn man schon eine gewisse Ahnung hat, auf welche strukturellen Schwierigkeiten Berlins man in einer solchen Angelegenheit treffen wird (Stichworte: Personal- und Planungskapazitäten der Verwaltung, Politik-Kuddelmuddel zwischen Senat und Bezirken) , eines ist doch relativ sicher: Insbesondere auf Bezirksebene fehlt bislang der klare politische Wille, dem Autoverkehr in Berlin Platz wegzunehmen und seine beherrschende Stellung in dieser Stadt in Frage zu stellen. Nur dann hätten strukturelle Verbesserungen für Radverkehr (aber eben auch für Fußgänger und ÖPNV) eine realistische Chance. D.h., wir müssten zunächst eine grundsätzlich andere Diskussion führen, nämlich: Wie soll eigentlich der Verkehr der Zukunft in Berlin aussehen? Können/wollen wir weiter bei der autogerechten Stadt bleiben oder nicht?
Aus unserer Sicht braucht’s hier weiterhin ein grundsätzliches Umdenken, denn klar ist: Eine lebenswerte, gesunde und klimafreundliche Stadt Berlin wird es nur mit weniger fahrenden und stehenden Autos und dementsprechend mehr Raum für Radfahrer, Fußgänger und ÖPNV geben.
Wie sehen Sie/seht Ihr das? Hier das Thema mit uns im Blog diskutieren!
Downlad:
BUND-Position zum Radvolksbegehren
Ähnliche Fragen habe ich mir auch schon gestellt. Das Positive: Radverkehrspolitik wird nicht mehr unter “Vermischtes” abgehandelt.
Ich finde es schon etwas peinlich, dass der BUND sich sträubt, diese sehr lobenswerte Aktion zu unterstützen. Natürlich wird es nicht leicht werden, dem Durchschnittsautofahrer zu vermitteln, dass es SO nicht weitergeht. Aber auch das gehört zu den Zielen des Volksentscheides, nämlich die breite Öffentlichkeit mit gezielten Kampagnen zu sensibilisieren. In der gesamten Senatspolitik der letzten 20 Jahre fehlt mir einfach der wirkliche Wille, der “Ruck”, das sich etwas grundlegend ändert. Der Volksentscheid könnte das bringen.
Wenn ich glauben könnte, dass es diesen Ruck mit dem Volksbegehren gäbe, wäre ich voll dabei.
Zwei Anregungen zu eurem Statement:
Natürlich müssen die Maßnahmen (insb. die Fahrradstraßen) bei der Umsetzung auch mit den Anwohnern abgestimmt werden. Ohne Frage. Aber mit dem Entscheid ist das Ziel klar festgelegt. Keiner kann dann behaupten, dass da wieder irgendetwas durchgedrückt werden soll, wenn es ein Volksgesetz ist.
Und dann ist der Adressat eines Gesetzes das gesamte Land Berlin. Da kann sich keine BVV darüber hinweg stellen. Rechtswidrige Beschlüsse würde das Bezirksamt im Rahmen der Rechtsprüfung kassieren.
@René
Soweit ich die BUND-Position verstehe, wird an den Forderungen der Initiative kritisiert, dass sie größtenteils der Realität in Berlin nicht standhalten und schlichtweg gar nicht umzusetzen sind. Und ob ein “Auftrag” durch Volksentscheid an das Land Berlin durch den Senat gegenüber den Bezirken wirklich so ohne weiteres durchgesetzt werden könnte, ist eben keine ausgemachte Sache. Die Zuständigkeiten beim Berliner Straßenverkehr sind da relativ eindeutig verteilt:
– um den fließenden Verkehr auf dem Berliner Hauptstraßennetz kümmert sich auf Landesebene die sog. Verkehrslenkung Berlin (VLB)
– ruhender Verkehr (–> Parken) und Verkehr auf Nebenstraßen fallen tatsächlich in den Zuständigkeitsbereich der Bezirke
Siehe: Aufgaben der Straßenverkehrsbehörden
Sprich, wenn es später mal darum gehen würde, zur Umsetzung der Forderungen der Initiative Platz auf den Straßen frei zu räumen, werden die Bezirke ein gehöriges Wörtchen mitsprechen – und die politischen Interessenlagen sind da nicht allzu häufig “pro Rad” aufgestellt. Eher im Gegenteil. Leider.
Der Entscheidung des BUND ist offenbar ein längerer Abwägungsprozess vorangegangen. Ich kann mir vorstellen dass das keine leichte Entscheidung ist. Mich würde interessieren, habt ihr den Dialog mit der Initiative Volksentscheid Fahrrad gesucht (ich vermute: ja)? Was waren die strittigen Punkte über die ihr euch nicht einigen konntet?
Die Entscheidung gegen eine Beteiligung finde ich letztlich aber zu sehr realpolitisch. Klar gibt es die Fahrrad-Räte und eine enge Beteiligung der Berliner Zivilgesellschaft. Dennoch: die Berliner Politik braucht verkehrspolitisch kühnere Ziele. Das bedeutet: Mehr Personal in der Verwaltung, mehr Geld für Radverkehr. Und insgesamt eine Neupriorisierung des nicht-motorisierten Verkehrs. Das geht über die aktuelle Realpolitik viel zu langsam.
Ein Volksentscheid kann für eine öffentliche Debatte in diesem Zusammenhang sorgen. Da sich nun auch der ADFC der Initiative anschließt, kann man vielleicht davon ausgehen, dass auch für die verwaltungsrechtlichen (und realpolitischen) Aspekte gesorgt sein wird. Vielleicht sollte es sich der BUND nun doch nochmal überlegen? Eure Expertise kann sehr hilfreich sein.
Wir werden uns lieber weiterhin darum kümmern…
– Tempo 30 auf den Hauptverkehrsstraßen einzuklagen, wo es noch keine Radverkehrsanlagen gibt. (Wie auf dem Nordabschnitt der Berliner Allee)
– die Kampagne zu Fuß und mit dem Rad zur Schule zu organisieren
– dass fußgängerfeindliche Ampeln neu programmiert werden
– die Berliner Bezirke bei der Umsetzung von Fahrradstraßen im Nebennetz zu unterstützen
– den 17. Bauabschnitt der A100 zu verhindern
– den Ausbau der Straßenbahn in ganz Berlin voran zu bringen
Zwar glaube ich gern, dass es sich der BUND mit der Position nicht leicht gemacht hat. Mit der Begründung allerdings hat er sich´s aus meiner Sicht sehr leicht gemacht. Sie ist nicht nachvollziehbar. Welche der Forderungen soll den aus welchem Grund nicht umsetzbar sein? Mit seiner Positionsbeschreibung bleibt der BUND die Antwort schuldig. Wir alle, die wir Berliner Verwaltung, ihren Aufbau und ihre Eigenarten kennen, wissen, wie schwierig es hier ist, etwas durchzusetzen. Ein Grund, nichts zu tun, war das noch nie. Adressat der Initiative ist die Verwaltung des Landes Berlin, dessen Bezirke keine eigenen Rechtspersönlichkeiten sind und nur begrenzt eigene Rechte innerhalb des Landes haben. Man könnte sicher einen noch besser auf die Berliner Besonderheiten ausgerichteten Text für einen Volksentscheid Fahrrad formulieren. Ob er dann aber tatsächlich auch besser umgesetzt wird, dürfte zweifelhaft sein. ich habe eher den Eindruck, dass es stärker auf das zeichen ankommt, dass mit einem Volksentscheid gesetzt wird, ob später eine engagierte Umsetzung folgt oder eben nicht. In diesem Sinne wünsche auch ich mir mehr Unterstützung für die Initiative.
Ich kann das Fahrrad-Volksbegehren nur dann unterstützen, wenn naturverträgliche Fahrradwege gebaut werden.
Das heißt: keine Zerstörung von Natur !
So geschehen in der Schönholzer Heide, wo eine Fahrradtrasse mitten durch den Wald geteert wurde, obwohl direkt neben dem Wald ein bestehender Weg existiert, den man leicht hätte teeren können, wenn das denn unbedingt erforderlich war.