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Die Umgestaltung des Weigandufers – ein Lehrstück für die Zukunft

© by BUND Berlin

Wie so oft in Berlin ist bei der Planung der Umgestaltung des Weigandufers so einiges schiefgegangen.

Lange Zeit blieben die Wegeinfrastruktur und das begleitende Strauchgrün entlang des Neuköllner Schifffahrtskanals zwischen Inn- und Fuldastraße vom Straßen- und Grünflächenamt aus Mangel an Geld und Personal ungepflegt. Müll, von innen verkahlte Sträucher, überwucherte Gehwegpassagen und holpriger Boden dominieren das Bild. Reich an Vögeln und Insekten ist dieser Teil Neuköllns dennoch und vor allem wunderbar grün. Mit Geldern aus dem Städtebauförderungsprogramm „Aktive Zentren“ möchte der Bezirk das Weigandufer erneuern und einen barrierefreien Uferweg, Fahrradständer und neue Sitzgelegenheiten errichten. Wegebegleitende Versickerungsmulden als Maßnahme des dezentralen Regenwassermanagements sollen zudem verhindern, dass Niederschlagswasser ungefiltert über den neuen (asphaltierten) Weg in den Neuköllner Schifffahrtskanal abfließen kann. Dieser Maßnahme muss die komplette Strauchhecke weichen. Der erste Bauteil A zwischen Inn- und Wildenbruchstraße befindet sich bereits im Bau. Die Arbeiten im restlichen Teil bis zur Fuldastraße (Abschnitt B) sollen ab Oktober beginnen und voraussichtlich im Herbst 2020 abgeschlossen werden.

Anfang 2019, als der Auftrag bereits erteilt war, wurde eine größere Gruppe von Anwohner*innen auf die geplanten Rodungen aufmerksam. Sie informierten den BUND und fingen an, gegen das Vorhaben entschieden zu protestieren.

Völlig zurecht, denn auf einer Gesamtlänge von ca. 630 m finden Sträucher hier ein jähes Ende. Die Beseitigung solcher Strukturen hat in vielen Städten Deutschlands bereits zu einem dramatischen und irreversiblen Einbruch der Hausperlingsrate geführt. Spatzen überleben als Gruppe und geben Sträucher von Generation zu Generation weiter. Verschwinden solche Gehölze und ist kein strukturreicher Ausweichort in der Nähe, verlieren die Vögel ihre Ruhe- und Versammlungsorte und sind Witterungseinflüssen und Beutegreifern schutzlos ausgeliefert. Aber auch viele andere Vogelarten und Insekten sind von diesen Lebensstätten abhängig.

Von Denkmalschutz über Angsträume, Anpassung an den demographischen Wandel, Herstellung von Sichtbeziehungen und Rattenbefall schwappt dem BUND vom Bezirk mal das eine und mal das andere Argument für die Beseitigung des Grüns entgegen. Überzeugen all diese Argumente nicht, nennt das Amt zunehmend auch Versickerungsanlagen als Grund dafür, dass Gehölze weichen müssen.

Blaue und grüne Infrastruktur muss kein Widerspruch sein

Tastsächlich ist das System des dezentralen Regenwassermanagements lange überfällig. In Berlin erreichen laut Senatsverwaltung nur ca. ein Prozent der Gewässer einen guten ökologischen und chemischen Zustand bzw. (bei stark veränderten Gewässern wie dem Neuköllner Schifffahrtskanal) ein gutes Potential. Das liegt unter anderem daran, dass bei Starkregenereignissen verunreinigtes Abwasser aus der Kanalisation, von Straßen und Bürgersteigen in großer Menge in die Kanäle und Seen läuft. Hierbei sterben jedes Mal zahlreiche Fische. Diese Starkregenereignisse haben in den letzten Jahren zugenommen und werden durch den Klimawandel vermutlich noch häufiger vorkommen. Mit dem Vorhaben, Regenwasser ortsnah zu versickern und damit die sog. blaue Infrastruktur zu stärken, wird Grundwasser angereichert, die Kanalisation und die Oberflächengewässer entlastet und das Hochwasserrisiko minimiert. Gleichzeitig sorgt Niederschlagswasser, das im Siedlungsraum gehalten und dort in Teilen verdunsten kann, für eine angenehme Kühlung insbesondere an heißen Tagen.

Leider werden die blaue und grüne Infrastruktur immer noch als Zielkonflikt behandelt. Dies müsste gar nicht so sein. Ganz im Gegenteil haben Untersuchungen des Fachbereiches Wasserwirtschaft der Senatsverwaltung ergeben, dass die Koppelung von grüner und blauer Infrastruktur, also von Versickerungsmulden und Rigolenelementen mit Gehölzen, große Potentiale bergen. Bäume in einer Mulde litten deutlich weniger unter Trockenstress als ihre Artgenossen auf einem normalen Grünstreifen. Sie bildeten reichlichere Blüten, banden mehr Schadstoffe aus der Luft und sorgten durch höhere Verdunstung für ein angenehmeres Klima.

Grünes Upcycling sollte bei allen Planungen das Credo sein

Auf hohen Druck der Anwohner*innen und des BUND pflanzt das Grünflächenamt nun insgesamt 300 Sträucher nach. Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Auftrag für die Umgestaltung an die entsprechenden ausführenden Firmen schon erteilt ist, ein großer Erfolg. Letztlich kann dieses Entgegenkommen aber nur als eine Maßnahme der Schadensbegrenzung gewertet werden; insbesondere was die Pläne für den Abschnitt B betrifft. Hier wären weitaus mehr Sträucher nötig, um die ursprüngliche ökologische Funktion wieder herstellen zu können.

Grundsätzlich sieht gute Planung anders aus: Straucherhalt geht vor Strauchersatz. So hätte der Bezirk ganz zu Beginn seiner Planung eine Kartierung des vorhandenen Grüns vornehmen müssen, um zu schauen, welche Strauchbereiche in die Planung integrierbar sind. Denn entgegen der Behauptung des Amtes, alle Sträucher seien durch mangelnde Pflege nicht mehr erhaltungswürdig, stimmt so nicht. Davon abgesehen stellt sich die Frage, wieso Sträucher in einem Zustand sind, der nur noch eine Rodung als letzte Maßnahme zulassen soll – und dies zu allem Überfluss unter der Verwendung von Fördergeldern. Nur dort, wo ein Erhalt der ursprünglichen natürlichen Lebensräume nicht möglich ist, darf und muss ersetzt werden und dieser Ersatz sollte früh genug mit den Anwohner*innen vor Ort ausgehandelt werden. Bei Bauabschnitt B, bei dem eine Rodung erst ab Oktober beginnt, gibt es noch immer die Möglichkeit, einzelne, vitale Sträucher in die Planung zu integrieren. So sah das auch die Neuköllner LINKE, die einen Antrag gegen die flächigen Rodungen am Weigandufer stellte. Bedauerlicherweise wurde dieser gestern in der Neuköllner BVV abgelehnt. Wichtig ist nun, dass neben der Aufstockung von Sträuchbeständen am Weigandufer auch direkt angrenzende Bereiche zügig ökologisch aufgewertet werden. Sowohl im Wildenbruchpark als auch auf dem Weichselpatz müssen Gehölze so gepflanzt werden, dass sie zusätzlich als ökologische Nischen für Vögel und Insekten fungieren können.

Es ist zu wünschen, dass sich ein Planungsprozess, wie er sich am Weigandufer ereignet hat, so nie wieder vorkommt und die zuständigen Ämter endlich verantwortungsvoller mit dem öffentlichen Raum umgehen: Natur-, Umweltschutz und echte soziale Teilhabe müssen von Anfang an fundamentale Bestandteile einer jeden Planung werden.

4 Kommentare

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  1. Die ziehen ihre Pläne durch und lügen so krass, das ist nicht demokratisch. Es entsteht das Gefühl vom autoritären Staat in der Hand von kapitalistischen Raubrittern. Die Natur kann das nicht überleben, deswegen ist es existenziell, sich zu wehren. Denn: die kleinen Vögel sind ja nur die Anzeiger für die Menschen, ob eine tödliche Katastrophe im Anmarsch ist. das wurde früher auch so gehandhabt. Und nun ist es schon real: denn : eine Studie zeigte auf, dass in Berlin in 2018 die Sterberate sich durch die Hitze erhöht hat, die alten Menschen sterben auch schon mal daran, dass ihr Weg sich so aufheizt, wie z.B, der sanierte Weg am Ufer. Dann zu sagen: das stimme nicht, Schatten von Gehölzen + Bäumen hätte gar nicht die klimatische Wirkung, wie sie im Umweltatlas des Senates als höchst schützenswert ausgewiesen war, es wäre noch viel mehr Abkühlung durch die Wasserfläche: das ist totale Verarschung ! Ihr habt es gut beschrieben, das ist Kooperation in der Natur und jeder Mensch ist Experte der eigenen Erfahrungen, da sollte mensch sich nicht was einreden lassen!

  2. Danke für den Einsatz, es besteht jetzt Handlungsbedarf: Nach EU Recht (Vogelschutzrichtlinie) und § 44 BNatSchG sind die Lebensstätten europ. Vogelarten besonders geschützt. Es bedeutet, dass nie sämtliche Strukturen eines regelmäßig genutzten Reviers gerodet werden dürfen, denn der Bruterfolg darf nicht gefährdet werden. Wenn es unerlässlich ist, im Zuge von Infrastrukturmaßnahmen, müssen schon vor Rodungsbeginn funktionierende Ausgleichsmaßnahmen zur Verfügung stehen, damit der Funktionserhalt der Lebensstätten im räumlichen Zusammenhang gewährleistet wird.

    Tatsächlich haben bereits massive Schnitt- und Fällmaßnahmen im direkten Umfeld die Lebensräume von geschützten Vogelarten maßgeblich beeinträchtigt und reduziert – für die Rodung am 1. Uferabschnitt wurden keine Kompensationsaßnahmen vorgenommen bisher.

    Für eine Grünanlagenbehörde ist es die Aufgabe, die Vitalität von Stadtgrün zu erhalten, Sträucher können durch Rankpflanzen tatsächlich absterben. Die naturschutzfachliche Argumentation bezieht sich aber darauf, dass es nicht nur um Stadtgrün geht, sondern um Artenschutz. Es gilt bei der Bewertung dieses Konflikts im Hinblick auf die Haussperlingspopulation am Weigandufer, welche Lebensraumansprüche hier und heute erfüllt sein müssen, damit eine Kolonie nicht zusammenbricht. Beim Lebensstättenschutz kommt es auf die fortwährende ökologische Funktionalität bestehender Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang an.

    Aus Sicht des Artenschutzes gehören Sträucher, Hecken, Büsche zu notwendigen Strukturen im Naturhaushalt gehören, auf die bestimmte Vogelarten wie zum Beispiel Haussperlinge oder Amseln für ihr Überleben zwingend angewiesen sind, wenn sie diese regelmäßig als Niststätten, Ruhe- und Sammelplätze nutzen. Der Verlust der gemeinsam genutzten Schutzgehölze kann eine Kolonie zum Erlöschen bringen.

    (U.Westphal, Ornithologe in Mehr Platz für den Spatz, Darmstadt: https://pala-verlag.de/buecher/mehr-platz-fuer-den-spatz/). Haussperlinge sind zum Überleben auf das Zusammenleben in hochkomplexen sozialen Gruppen angewiesen. Hierzu: Cord Riechelmann: https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/teil-3-das-leben-der-spatzen-in-grossstaedten-15065546.html. Hierzu auch Prof. Weisser (TU München)/ Dr. Hauck (Uni Kassel) Animal Aided Design, Kritische Standortfaktoren für Haussperlinge: „Haussperlinge benötigen in direkter Umgebung zum Brutplatz Schutz- Schlaf und Ruheplätze in dichtem Gebüsch.“ In der Brutzeit muss die Nahrungsquelle in näherer Umgebung zum Brutplatz sein, kleiner 50 Meter. Quelle, S. 45, Download: http://bln-berlin.de/wp-content/uploads/2016/04/Animal-Aided-Design-Broschuere.pdf. Und: Prof. Weisser, TU München, Terrestrische Ökologie: „…Spatzen sind schreckhaft“, erklärt Weisser. „Die brauchen bei der Brut alles Lebensnotwendige im Umkreis von circa 50 bis 100 Metern, auch Schutzgehölze.“: https://www.fr.de/panorama/platz-spatz-12764284.html. Und viele andere Fachquellen mehr.

  3. Die Anwohner*innen, die sich zum Thema Weigandufer engagieren, freuen sich, dass der BUND mit diesem Blog Artikel Stellung bezieht und sich damit hinter ihre Forderungen stellt. Die Anwohner*innen haben von Anfang an auf die ökologische Funktion des Grünstreifens hingewiesen und deren Erhalt gefordert. Dass hier vieles schiefgegangen ist, ist aber eigentlich eine Untertreibung für die Verweigerungshaltung, die uns Bürgern vonseiten des Bezirksamts, den Grünen und der SPD entgegengebracht worden ist.
    Der Vertreter des BUND stufte die Gehölze als überwiegend vital und erhaltenswert ein und konstatierte von Anfang an den Zielkonflikt zwischen Grünerhalt einerseits und dem Bau von Versickerungsmulden mit notwendiger Rodung andererseits. Zur Lösung dieses Zielkonfliktes waren die Anwohner*innen auf sich alleingestellt.
    Nach langer anstrengender Vorarbeit haben die Anwohner*innen einen Vorschlag vorgelegt, wie Straucherhalt, Barrierefreiheit und verbesserte Verkehrssicherheit mit den Anforderungen eines dezentralen Regenwassermanagements in Übereinstimmung gebracht werden können. Dieses Gegenkonzept lag zur BVV Sitzung allen Fraktionen am 25.9.2019 vor. Unser Angebot an die Grünen, unseren Vorschlag in allen technischen Details zu diskutieren, wurde von ihnen nicht angenommen. Sie stimmten zusammen mit der SPD für die Rodungspläne des Bezirksamts.
    Es wäre sehr zu wünschen gewesen, dass dieser Blog Artikel schon früher, nämlich vor der BVV Sitzung erschienen wäre, so dass die Grünen Anlass gehabt hätten, ihre zustimmende Haltung zur Rodung noch einmal zu überprüfen. Stattdessen wurden sie in dem falschen Glauben gewiegt, die neuesten Planungen seien mit dem BUND abgestimmt gewesen. Noch in der BVV Sitzung hat Bürgermeister Hikel (SPD) diese falsche Behauptung des Bezirksamts wiederholt aufgetischt. Auch in dieser Frage hätten wir uns vom BUND bereits vor der BVV Sitzung eine Richtigstellung gewünscht.
    Nichtsdestotrotz sind wir Anwohner*innen froh, den BUND nun auf unserer Seite zu wissen. Solange im Bauabschnitt West kein Strauch gerodet worden ist, bestehen immer noch Chancen, etwas zum Positiven zu wenden. Wir kämpfen z.B. noch um den Erhalt einer Sperlingspopulation, für welche die dortigen Sträucher einen existentiellen Lebens- und Ruheraum darstellen. Es gibt keine Ausweichmöglichkeit für die Sperlinge. Somit gilt ein besonderer Schutz nach EU Recht (Vogelschutzrichtlinie) und § 44 Bundesnaturschutzgesetz. Die Grünen in Neukölln interessiert auch das bislang nicht. Wir suchen daher dringend anderweitige Unterstützung. Gerne auch vom BUND! Wir würden uns sehr über eine erneute Kontaktaufnahme freuen (Kontaktdaten liegen vor).

  4. Nachdem der tatenlose Nabu-Berlin gestern eine Klage auf einstweilige Anordnug abgelehnt und der Berliner BUND sich überhaupt nicht mehr gerührt hat, ist heute Morgen in aller Frühe um 7 Uhr mit den Rodungen im Weigandufer begonnen worden. Innerhalb einer Stunde waren mehr als die Hälfte der Sträucher gerodet. Die Sträucher, in denen sich die Sperlinge hauptsächlich aufhielten, waren als erste dran. Nach den Sträuchern wurde auch der letzte Zufluchtsort der Sperlinge – der schöne, gesunde, vielstämmige, hochgewachsene Baum beim Café Zimt und Mehl mit der Kettensäge niedergemetzelt. Es ist jetzt alles niedergemacht worden. Die gerodeteten Gehölze liegen auf dem abgegesperrten Uferweg. Die Spatzen fliegen darin hin und her.
    Da NABU Berlin und BUND nicht zur Verfügung standen, erklärte sich zuguterletzt ein Ornithologe des NABU Leipzig (!) bereit zu einem Vor-Ort Termin. Er bestätigte die existentielle Gefährdung der ansässigen Sperlinge. Auf sein Angebot zu einem gemeinsamen Vor-Ort Termin mit Vertretren des Neuköllner Strassen und Grünflächenamtes, der Neuköllner Umweltbehörde und der Senatsverwaltung für Umwelt ist niemand eingegangen. Anstatt zu argumentieren hat man nun wieder vollendete Tatsachen geschaffen. Diese Vorgehensweise kennen wir ja bereits aus der Bürgerbeteiligung.
    Es gibt jetzt einiges aufzuarbeiten….

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