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Sieben Tonnen am Tag

Wie Kliniken helfen können, die Verpackungsflut in Deutschland zu stoppen

Laut Umweltbundesamt fielen in Deutschland im Jahr 2017 insgesamt 18,72 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an. Das entspricht dem Gewicht von 1.800 Eiffeltürmen, dem Wahrzeichen der Stadt der Liebe, Revolution und La Bohème. Seit gut vier Jahren steht die französische Hauptstadt auch für Hoffnung, denn im Dezember 2015 einigten sich 195 Länder erstmals auf ein allgemeines, rechtsverbindliches internationales Klimaschutzabkommen. Das Abkommen von Paris erwirkte auf EU-Ebene die Festlegung, Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Was viele nicht wissen: Verpackungen machen 1,5 – 2,0 Prozent des durchschnittlichen CO2-Fußabdrucks eines europäischen Konsumenten aus und können somit einen erheblichen Beitrag zum Kampf gegen klimaschädliche Emissionen leisten. Das funktioniert allerdings nur, wenn sie nicht im Restmüll enden und stofflich verwertbar bleiben. Die guten Nachrichten vorweg: Seit 1990 sank die Restabfallmenge privater Haushalte um mehr als die Hälfte. Gleichzeitig stieg das Volumen an getrennt gesammelten Wertstoffen (Leichtverpackungen, Papier, Pappe und Karton, Glas) um beinahe das Vierfache. Zudem erfolgt sowohl im Privaten als auch im öffentlichen Sektor ein deutliches Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit. Doch die Verpackungswelle wächst stetig an und droht, solche Fortschritte wegzuschwemmen.

Warum Kliniken?

Mit 4,8 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr gelten Krankenhäuser als der fünftgrößte Müllproduzent in Deutschland und als der ressourcenintensivste Verbraucher im Sektor Dienstleistung. Pro Krankenhausbett und Patient fallen jeden Tag bis zu 20 Kilogramm Müll an – Das ergibt sieben bis acht Tonnen je Klinik. Allein in Berlin gibt es 83 Krankenhäuser, die jährlich bis zu 212.065 Tonnen Abfall produzieren. Damit entsteht in Kliniken eine besonders kritische Dimension, die ein effizientes und grünes Ressourcenmanagement verlangt.

Das Abfallspektrum in Kliniken

In Kliniken türmen sich nicht nur quantitativ, sondern auch stofflich wesentlich problematischere Müllberge als in Haushalten. In erster Linie unterscheidet Krankenhauspersonal zwischen infektiösem und nicht infektiösem Abfall.Eine Vereinbarung der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) benennt folgende fünf Abfallgruppen.

Verpackungen zählen in Kliniken zur mengenmäßig größten Abfallgruppe, dem Hausmüll, der erhebliches Einsparpotenzial besitzt. Sie interagieren mit einem breiten stofflichen Spektrum, bevor sie im Müll landen und öffnen Türen in alle Abfallbereiche.

Entsorgungswege

Abfallbeauftragte in Kliniken stehen vor der enormen Herausforderung, den Überblick über mindestens 100 Abfallarten zu behalten. Diese Materialien gehen komplizierte Entsorgungswege. Generell lassen sich jedoch drei grundsätzliche Ausgangspunkte für den weiteren Verlauf nennen: Die Entsorgung von krankenhausspezifischem Siedlungsabfall (1) und Sonderabfall (2) erfolgt entsprechend gültiger Richtlinien in Hochtemperaturverbrennungsanlagen. Um die normalen Hausmüllabfälle für die stoffliche Verwertung (3) kümmert sich ein Recyclingunternehmen.

Die folgenden Beispiele geben Einblick in die tägliche Abfallsammel- und Entsorgungsprozedur:

  • Verbände, Windeln, Atemschutzmasken, Aufwischtücher oder Einwegwäsche, an denen Spuren von Blut, Sekreten oder Exkreten haften, kommen als Siedlungsabfall in zugelassene Abfallverbrennungsanlagen.
  • Spitze und scharfe Gegenstände wie Kanülen und Skalpelle werden über den normalen Hausmüll entsorgt und zuvor in bruch- und stichsicheren Behältnissen gesammelt.
  • Abfälle mit Überwachungsbedarf wie Altmedikamente, Laborabfälle, Chemikalien, Altöle, Lösungsmittel oder Müll aus der Röntgenabteilung unterliegen gesetzlich besonderen Entsorgungsrichtlinien und ihre Entsorgung obliegt dafür zertifizierten Unternehmen.
  • Körper-, Organ- oder Gewebeabfall lagert in speziellen Behältern in einem Kühlraum und wird mitsamt ihrer Spezialbehälter verbrannt. Die Verbrennung muss dabei unter einer definierten Hochtemperatur und innerhalb eines definierten Zeitraums erfolgen.

Für Verpackungen inklusive Hausmüll fühlen sich bestenfalls Entsorger, Recyclingunternehmen, aber auch Hersteller und Vertreiber verantwortlich. Um die Recyclingquote deutlich zu verbessern, trat im Jahr 2019 in Deutschland ein Verpackungsgesetz (VerpackG) in Kraft, das auch in Kliniken Anwendung findet.

Rechtlicher Rahmen

Das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen soll in erster Linie die Umwelt schützen und einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Das Verpackungsgesetz legt u.a. fest, dass Recycling von Kunststoffverpackungen höhere Quoten erreicht – zunächst 58,5 Prozent, ab 2022 dann 63 Prozent. Es löst die vorherige Verpackungsverordnung ab und soll auf Herstellerseite mehr Produktverantwortung erzeugen. Gemäß § 3 Abs. 8 VerpackG gehören zu den betroffenen Verpackungen mit Ware befüllte Verkaufs- sowie Umverpackungen, die nach Gebrauch als Abfall anfallen. Diese Art von Abfall und privatem Endverbrauch entsteht auch in Krankenhäusern, Kliniken, Alten- und Pflegeheimen. Dazu gehören Verpackungen für Verbandsmittel, für Produkte der Wundversorgung, Fertigspritzen oder Infusionslösungen. In welchem Umfang das Verpackungsgesetz für Krankenhäuser und Reha-Kliniken gilt, hängt davon ab, ob die Verpackungen für internen Verbrauch oder für Patienten zum Verbrauch zu Hause dienen.

Die damit angestrebte Recyclingquote unterstützt das Anliegen des Kreislaufwirtschafts-Abfallgesetz (KrWAbfG). Laut KrWAbfG sollen u.a. „die Emissionen von Luftschadstoffen und klimarelevanten Gasen so gering wie möglich gehalten werden“. Im Zentrum stehen die Schonung natürlicher Ressourcen und die Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen. Das Gesetz fordert explizit, dass Abfallvermeidung Priorität vor Verwertung und Beseitigung erhält. Dafür existiert eine gesetzliche Grundlage: Die im KrWAbfG verankerte Abfallhierarchie.Verpackungen zählen in Kliniken zur mengenmäßig größten Abfallgruppe, dem Hausmüll, der erhebliches Einsparpotenzial besitzt. Sie interagieren mit einem breiten stofflichen Spektrum, bevor sie im Müll landen und öffnen Türen in alle Abfallbereiche.


Quelle: https://www.abfallmanager-medizin.de/abfall-abc/abfallhierarchie/

Klimaschutz & Verpackungen in Kliniken

Das Sortieren und Verwerten von Wertstoffen reduziert CO2-Emissionen. Viel effizienter ist es allerdings, bestimmte Produkte und Verpackungen gar nicht erst in Umlauf zu bringen, sondern von vorherein darauf zu verzichten.

Wenn es Kliniken gelingt, dass Hersteller Verpackungsmaterial wieder zurücknehmen und Recyclingverpackungen prioritär behandeln, schonen sie Klima und Budget. Sie steigern den Effekt, wenn sie zum Beispiel

  • Arzneimittel als Schüttware oder in Großverpackungen verwenden.
  • auf Station und im OP-Saal bewusster mit Artikeln wie OP-Abdeckungen, Einmalhandschuhen und Verbandsmaterial umgehen
  • im OP Pinzetten, Skalpelle und Scheren als Mehrwegartikel einsetzen.

Praxisbeispiele

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) führt seit 1994 grüne Projekte durch. Eine konsequente Abfalltrennung hat unter anderem dafür gesorgt, dass im Jahr 2009 etwa 41 Prozent der gesamten Abfallmenge von 4.287 Tonnen einer weiteren Verwertung zugeführt wurden. Dadurch sparte das Klinikum insgesamt 130.000 Euro. Ende 2010 schloss das UKE darüber hinaus flächendeckend die Unit-Dose-Versorgung ein. Auf diese Weise können, je nach Verfügbarkeit von Arzneimitteln als Schüttware, jährlich etwa 50 Prozent Verpackungsmaterial – inklusive problematischer Aluminium-Kunststoff-Verbundmaterialien – vermieden werden. Die folgende Tabelle nennt die genauen Einsparungen je Material in Kilogramm.

In allen Ecken Deutschlands gedeihen gute Ideen. So verzichtet etwa das Caritas Klinikum Saarbrücken im Cafeteria-Bereich auf Einwegverpackungen von Getränkezubehör. Plastikbecher und schwer recycelbare Verpackungen gehören der Vergangenheit an. Ein löblicher Schritt, der auch eine positive Außenwirkung erzielt.

KLIK green

Um Kliniken bei einem grünen Management zu unterstützen, führt der BUND Berlin seit 2001 Projekte durch, die Gesundheitseinrichtungen zu Klimaschutz motivieren. Das aktuelle Projekt KLIK green verfolgt das Ziel, 250 Kliniken zu gewinnen und dort Beschäftigte zu Klimamanager*innen fortzubilden, um bis Projektende 2022 mindestens 100.000 Tonnen CO2-Äquivalente zu vermeiden. KLIK green geht Klimaschutz als eine gemeinsame Aufgabe an, damit Ressourcenschonung auf allen Ebenen – von Management bis zur Station – stattfindet. Die teilnehmenden Häuser treten als Netzwerk auf, lernen voneinander und inspirieren weitere Einrichtungen zu Klimaschutz.

Fazit

Das Statistische Bundesamt gibt an, dass ca. 50.000 Kilogramm medizinische Implantate und chirurgische Einweginstrumente pro Jahr – samt Verpackungen – im Abfall landen. Diese Gesamtmenge entspricht dem Gewicht von fünf Eiffeltürmen. Und so schwer diese Zahlen wiegen, so schwerwiegend sind auch die Auswirkungen, sollten dem vielversprechenden Pariser Abkommen weiterhin keine drastischen Maßnahmen folgen. Krankenhäuser können, als soziale Einrichtungen und Begegnungsorte, Vorbild für die gesamte Gesellschaft sein. Schaffen es Kliniken, die Verpackungsflut in ihren Gemäuern zu stoppen, kann das auch in anderen öffentlichen Einrichtungen, erst recht in privaten Haushalten zu Reduzierung anregen – womöglich auch dabei helfen, die ambitionierten Gesetztes-Quoten zu erreichen.

 

Links zu weiterführende Informationen:

Heinrich Böll Stiftung: Chancen und Risiken nach dem Pariser Klimaabkommen

Broschüre: Arbeitsgemeinschaft Verpackung + Umwelt

UBA Publikation: Recycling stoppt Treibhausgase

Abfallmanager Medizin: Onlinemagazin zum Thema medizinische Abfälle

Statistisches Bundesamt: Krankenhäuser

Recycling Magazin: Ethische Abfälle aus dem Krankenhaus

Verpackungsgesetz

Kreislaufwirtschafts-Abfallgesetz

Caritas Klinikum Saarbrücken: Nachhaltige Verpackungslösungen für mehr Verantwortung

BUND Berlin Projekt KLIK green – Krankenhaus trifft Klimaschutz

Erklärfilm: Projekt KLIK green

 

Literaturhinweis:
Alles grün…auch im Krankenhaus. Green Hospital – Wege zur effektiven Nachhaltigkeit. Stuttgart. New York: Georg Thieme Verlag, 2011.

Titelfoto: by Alexroma from pixabay

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