Die Bilder, die uns im Laufe des letzten Jahres aus dem Amazonasgebiet erreichten, haben verschreckt, verstört und frustriert. Der Amazonas stand in Flammen, denn große Teile des Regenwaldes fielen Brandstiftern zum Opfer, welche die Gebiete landwirtschaftlich nutzbar machen wollten. Besonders in Brasilien nahmen die Brandherde riesige Ausmaße an und anstatt diesen Prozessen mit entschiedenen Worten und Taten entgegenzuwirken, befeuerte die brasilianische Politik und damit insbesondere Präsident Bolsonaro die Menschen in ihrem Tun.
Wer nun denkt, dass es sich hierbei um ein nationales Problem handelt, dass Deutschland und man selber damit nichts zu tun haben, der liegt leider falsch. Denn genau zu jener Zeit, im Sommer 2019, als die Feuer am stärksten wüteten, wurde in Brüssel eine Entscheidung getroffen, die vielleicht folgenschwerer für das Amazonasgebiet nicht hätte sein können: die Überführung der Arbeiten am Mercosur-Abkommen in die Endphase.
Durch das Handelsabkommen Mercosur zwischen europäischen und südamerikanischen Ländern wie Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay soll eine Freihandelszone geschaffen werden. Diese soll die Wirtschaft der unterschiedlichen Staaten fördern, indem sie den Export in die jeweilig anderen Länder vereinfacht. Auf jeder Seite gibt es Güter, deren Export besonders vom Abkommen profitieren. Auf südamerikanischer Seite sind dies Agrarprodukte, auf europäischer Seite Maschinen, Chemikalien und Autos.
Seit dem Jahre 1995 werden die Bedingungen des Abkommens verhandelt. Obwohl seit dieser Zeit viel geschehen ist, scheinen die Vertragspartner an diesem Punkt stehen geblieben zu sein, denn anstatt Regulierungen zur Verbesserung der Bewirtschaftungsweise für landwirtschaftliche Produkte und der Begrenzung des Ausstoßes von Treibhausgasen bei der Produktion zu entwerfen, wurden keine verpflichtenden Umwelt-Auflagen im Abkommen beschlossen. Im Umkehrschluss bedeutet das Inkrafttreten des Abkommens also, dass Agrarprodukte ohne Herkunfts- und Anbauprüfung nach Europa exportiert werden können. Ihr niedriger Preis fußt sowohl auf der Ausbeutung von Arbeitskräften, als auch auf der Zerstörung der Umwelt, wie man am Beispiel Brasiliens gut erkennen kann.
Leider ist das nicht alles. Falls die Ware aus Südamerika den europäischen Markt erreicht, hätten europäische Produkte, welche unter zum Teil strengen Regulierungen produziert werden, keine Chance mehr gegenüber ihrem südamerikanischen Äquivalent im Wettbewerb zu bestehen. Das heißt, dass sich nicht nur die ökologischen Bedingungen in Brasilien verschlechtern könnten, sondern auch hier.
Kritiker*innen an Freihandelsabkommen werden immer wieder damit konfrontiert, Zusammenhänge nicht richtig zu erfassen und den gewinnbringenden Teil der Abkommen, der ja gerade für die weniger entwickelten Länder immens sein soll, außen vor zu lassen.
Ist das Abkommen also gut für die Menschen in den Mercosur-Staaten?
Das kommt wohl darauf an, wen man und wann man ihn fragt. 40% der Arbeiter*innen in Brasilien sind im landwirtschaftlichen Sektor tätig, das ist immens viel (im Vergleich Deutschland 1,4%!). Der Sektor erwirtschaftet 31% des BIPs, des Wirtschaftsvolumens des ganzen Landes, eine unvorstellbare Menge. Das Abkommen würde den Sektor weiter fördern, das würde von vielen als positiv bewertet werden: mehr Arbeitsplätze, mehr Lohn, mehr Sicherheit. Was vielen jedoch nicht klar ist: es ist nur eine Frage der Zeit bis sich dieser Aufschwung, in einen Abschwung verwandeln wird, der die Wirtschaft in eine große Krise stürzen könnte.
Diese Prophezeiung stützt sich auf zwei Thesen. Die erste ist, dass sich die gerodeten Böden des Amazonas schon bald nicht mehr für die landwirtschaftliche Nutzung eignen werden, sie werden erodieren und sich letztendlich in Wüste verwandeln. Die Farmer*innen, die dort arbeiteten, werden arbeitslos. Die zweite These ist, dass sich durch die Minimierung der Zölle auf Autos und Maschinenteilen aus Europa, welche durch das Abkommen geschaffen werden, der Mercosur-Markt für Hochprodukte aus Europa öffnet. Diese Hochprodukte, welche sich durch lange Produktionsketten auszeichnen, sind für die Wirtschaft besonders wichtig, da viele unterschiedliche Menschen an ihnen verdienen können. Was auf der europäischen Seite also von Vorteil erscheint, könnte in Südamerika dazu führen, dass durch den hohen Konkurrenzdruck der gewinnbringende Wirtschaftszweig zum Erliegen gebracht wird. In Kombination mit einer erhöhten Arbeitslosenquote im Agrarsektor und einer zerstörten Umwelt könnte dies zu unglaublich prekären Umständen in Südamerika führen.
Um dies zu verhindern, ist es wichtig, dass die Politik die Schwächen des Abkommens erkennt und behandelt. Falls dies nicht geschieht, gibt es nur einen Ausweg: Raus aus dem Mercosur-Abkommen.
PS Zur Deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli haben 60 zivilgesellschaftliche Organisationen aus den Bereichen Umweltschutz, Landwirtschaft, Menschenrechte, Fairer Handel und Humanitäre Hilfe gegen das EU- Mercosur-Abkommen protestiert. Unter dem Motto „Zeit zum Umdenken: Kein Weiter so!“ haben sie einen gemeinsamen Aufruf veröffentlichen. Mehr dazu unter: www.stoppt-ttip-berlin.de
Die Autorin Laura Lange engagiert sich bei der BUNDjugend Berlin im Redaktionsteam
Links
BUND zu Wirtschaft und Handelpolitik
https://www.bund.net/ttip-ceta/
Das Netzwerk Gerechter Welthandel setzt sich ein für eine global gerechte, faire, nachhaltige und demokratische Außenwirtschaftspolitik. https://www.gerechter-welthandel.org/
Infos und Material zu Mercosur:
www.gerechter-welthandel.org/material/mercosur/
Gastbeitrag im Freitag “Welche Lehren die Handelspolitik aus der Coronakrise gerade im Hinblick auf den Klimawandel ziehen sollte”:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/weiter-so-1
Video:
Publikationen:
“Umwelt und Klimaschutz in Handelsverträge integrieren”
Abrufbar unter: https://power-shift.de/umwelt-und-klimaschutz-in-handelsvertraege-integrieren/
“Menschenrechte und Umweltschutz durch Rohstoffkapitel stärken”
Abrufbar unter: https://power-shift.de/menschenrechte-und-umweltschutz-durch-rohstoffkapitel-staerken/