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Bergmannstraße

von der Begegnungszone zur klimagerechten Kiezplanung

Der Bergmannkiez wird verkehrsberuhigt, das ist eine gute Nachricht! Aber der Weg dahin war durch viele Umwege und Missverständnisse gekennzeichnet. Ursprünglich plante der Senat in der Bergmannstraße eine Begegnungszone, nun hat der Bezirk das selbst in die Hand genommen und will den ganzen Kiez klimagerecht veränden. Da, wo die Begegnungszone geplant war (und zwar mit Autoverkehr), sollen zukünftig keine Autos mehr fahren. Stattdessen soll es mehr Platz für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen sowie auch für entspannteres Leben im öffentlichen Raum geben. Der BUND begrüßt dies ausdrücklich!

Grafik: Po-Chin Hsieh

Im September beschloss der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, den Autoverkehr aus der Bergmannstraße zu verbannen, und zwar zwischen der Nostitzstraße und der Schleiermacherstraße. Radverkehr wird weiter erlaubt sein und bekommt sogar bessere Bedingungen. So ist die Einrichtung eines zweispurigen Radweges geplant. Zufußgehende werden mehr Platz haben und ihren eigenen Bereich. Auch an die Gewerbetreibenden wurde gedacht. Liefern soll morgens zwischen 6 und 11 Uhr möglich sein.

Kiez der Zukunft

Der Bezirk will aber nicht nur die Bergmannstraße umgestalten, sondern den gesamten Kiez vom Verkehr beruhigen. So wird in den umliegenden Straßen Tempo 20 eingeführt und es wird umfangreiche Einbahnstraßenregelungen geben. Das Bezirksamt geht aber noch weiter, es will die Bergmannstraße klimaresilient gestalten. Es sind Wasserelemente und Grünflächen vorgesehen, die ausgleichend auf die Temperaturen wirken. Das Regenwasser wird gefiltert werden und Insekten sollen neue Lebensräume bekommen. Für die Umgestaltung will das Bezirksamt einen städtebaulichen Wettbewerb ausschreiben. Geld soll aus Fördertöpfen für klimagerechten Stadtumbau beantragt werden. Das klingt erstmal gut, wir sind gespannt, was daraus wird.

Auf jeden Fall hat die Bergmannstraße für jahrelange Diskussionen in Bezirk gesorgt und die Gemüter erhitzt. Alleine 25 Anfragen und Anträge wurden dazu seit 2016 in die BVV eingebracht. Vieles davon ist dem geschuldet, dass schlecht kommuniziert wurde.
Vorangegangen war dem ein langer Prozess mit mehreren Phasen der Bürger*innenbeteiligung. Geplant war eigentlich die Umsetzung einer Begegnungszone in der Bergmannstraße im Rahmen der Fußverkehrsstrategie.

Ein kurzer Rückblick:
2011 hat der Senat die Berliner Fußverkehrsstrategie verabschiedet. Diese sah vor, drei Straßen im Rahmen von Pilotprojekten zur Begegnungszone umzugestalten und damit eine „Berliner Begegnungszone“ zu entwickeln, die perspektivisch berlinweit in weiteren Straßen umgesetzt werden sollte. Bezirke konnten sich für das Pilotprojekt bewerben. Neben der Schöneberger Maaßenstraße, die 2015 zur Begegnungszone wurde, hat damals auch Friedrichshain-Kreuzberg sich beworben und den Zuschlag für die Bergmannstraße bekommen. Die Finanzierung des Projektes Begegnungszone hat der Senat übernommen, für die Durchführung der Maßnahmen ist der Bezirk zuständig, als Baulastträger.

Im Jahr 2013 hat dann ein langer Prozess begonnen, der mit mehreren Runden der Bürger*innenbeteiligung einhergegangen ist. Seitdem haben mehrfach zuständige Personen in Politik und Verwaltung gewechselt und auch die BVV wurde neu gewählt. Dabei ist der ursprünglich geplante Zeitplan komplett aus dem Ruder gelaufen. Mit dem Ergebnis, dass kaum noch jemand weiß, wie das Ganze angefangen hat.

Von 2013 bis jetzt gab es mehrere Phasen der Bürger*innenbeteiligung. Dabei wurden unterschiedlichste Formate ausprobiert und erfolgreich umgesetzt: Kinder- und Jugendbeteiligung mit einer Planungswerkstatt, Infoveranstaltungen für Bürger*innen, Planungswerkstätten (sowohl offene für alle Interessierten als auch geschlossene für einen repräsentativen Kreis von Anwohner*innen), eine Open-Air-Galerie mit Real-Labor vor Ort, Online-Dialoge, Spaziergänge, Haushaltsbefragungen von Anwohnenden und Gewerbetreibenden. Zusätzlich gab es Gespräche mit Gewerbetreibenden und Behindertenverbänden. Es wurden also intensiv die Fragen und Bedürfnisse vor Ort diskutiert.

In den verschiedenen Runden der Beteiligung kamen immer wieder ähnliche Ergebnisse heraus: Die Anwohner*innen wünschen sich eine Verkehrsberuhigung mit Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in der Bergmannstraße und im Kiez. Fuß- und Fahrradverkehr soll gefördert werden.
Begleitet wurde der 5 Jahre dauernde Beteiligungsprozess von einer Steuerungsrunde, in der der BUND mitgearbeitet hat. Sie hat insgesamt 32 mal getagt!

Foto: Sebastian Petrich

2018 war endlich etwas vor Ort zusehen

Man hatte sich auf einen Probelauf und eine Testphase der Begegnungszone geeinigt. Auch dies war Ergebnis der Beteiligung. Für den Probelauf wurden von März bis Mai 2018 zwei Parklets in stabiler Holzausführung mit unterschiedlichen Sitzmöglichkeiten in der Bergmannstraße über mehrere Parkplätze aufgestellt. Dies waren allerdings andere als die eigentlich für die Bergmannstraße geplanten Parklets, was zu einiger Verwirrung führte.

Begegnungszone nicht wirklich umgesetzt

Foto: Sebastian Petrich

Die eigentliche Testphase, die für ein Jahr geplant war, wurde mehrfach verschoben und startete im Dezember 2018. Aus unterschiedlichen Gründen war die Begegnungszone zu diesem Zeitpunkt aber noch lange nicht vollständig eingerichtet. Die Firma, die die Parklets hergestellt hat, hatte Lieferprobleme, Firmen konnten den Zeitplan nicht halten…. Die einzelnen Elemente kamen erst nach und nach hinzu, Tempo 20, Fahrradbügel auf Fahrbahnniveau, neue Parklets, grüne Punkte auf der Fahrbahn…. Leider wurde dies nicht ausreichend kommuniziert, sodass selbst die Mitglieder der BVV nicht informiert waren und es schließlich einen BVV-Antrag zur vorzeitigen Beendigung der Testphase gab, obwohl die Begegnungszone noch gar nicht richtig eingerichtet war. Unter dem Namen Evaluationsphase wurde der Test dann immerhin noch zu Ende geführt. Aber eigentlich kam nie ein richtiges Gefühl der Begegnungszone auf. Und billig war das Ganze natürlich auch nicht.  Schade für die Berliner Begegnungszone, die damit wahrscheinlich besiegelt ist.

Die Begegnungszone war in Berlin von Anfang an halbherzig, der Senat traut sich einfach nicht, den Autoverkehr deutlich zu verdrängen und Flächen im großen Maßstab umzuverteilen. Dies ist aber eine Voraussetzung, um die Stadt lebenswerter und sicherer zu machen, um Fuß- und Radverkehr und auch den öffentlichen Verkehr in großem Umfang zu fördern. Dann wird auch Begegnung im öffentlichen Raum attraktiver. Der Senat hat es nach fast 10 Jahren Fußverkehrsstrategie, in der viel Gutes steht, nicht geschafft, diese auch wirklich umzusetzen. Stattdessen hat er z.B. ein kontraproduktives Pilotprojekt zu Ampeln durchgeführt und jahrelang an einem überholten Konzept der Begegnungszone festgehalten.

Mehr als die Bergmannstraße – nun ein ganzer Kiez

Der Prozess für die Begegnungszone hat aber ganz offensichtlich im Bezirk mehr bewirkt: Nun wird endlich der ganze Bergmannkiez betrachtet und auch der Klimaschutz in den Fokus genommen. Der BUND begrüßt dies ausdrücklich.

Mit dem größer gedachten Ansatz, einen innerstädtischen, dynamischen Kiez nicht nur partiell vom Autoverkehr zu entlasten, sondern den größeren „lebensweltlich orientierten Raum“ Bergmannkiez auch „klimagerechter“ werden zu lassen, verbinden sich gleich mehrere Hoffnungen: Steigerung der Resilienz – also die Minderung unserer Verletzlichkeit, die uns der Klimawandel beschert – und Abbau der Mehrfachbelastungen, denen wir in den verdichteten Quartieren zuletzt in Tropennächten und Hitzewellen ausgesetzt sind und weiter sein werden. Das Zurückdrängen der mehrheitlich als belastend empfundenen Autoverkehre ist die Grundbedingung für einen klimagerechteren Umbau – auf den wir allerdings noch sehr gespannt sein dürfen. Denn die Tücke steckt im Detail, der Pflege und schlechthin der Wertschätzung des urbanen Grünzeugs.
Nur durch die Steigerung der Aufenthaltsqualität mit mehr Schatten, stärkeren Albedoeffekten, lokaler Verdunstung und weniger Umweltstress (siehe auch die Umweltgerechtigkeitskarte des Senats) kommen wir einen Schritt weiter in der menschengerechten Stadtentwicklung, weg von der autogerechten Stadt.

Foto: Sebastian Petrich

Anpassungsmaßnahmen mit Pflanzen, Wasser und Schatten sind bei richtig gemachter Umsetzung schlichtweg zentrale Stellschrauben für urbane Lebensqualität, deswegen stimmen wir den Beobachtungen aus der Testphase zu: „Die Begrünung wurde im Rahmen der Interviews vergleichsweise wenig thematisiert. Größtenteils wurden die Begrünungselemente auf den Parklets, insbesondere die Gräser, als ansprechend und erhaltenswert wahrgenommen. Gleichzeitig wurde in diesem Zusammenhang auch auf die Pflegenotwendigkeit von Bäumen und jeglicher Form der Begrünung verwiesen. Ohne Ressourcen für Pflege und Instandhaltung bräuchte man über mehr Begrünung nicht zu diskutieren.“ Die Grünraumversorgung muss auch im Bergmannkiez (7 m² Grünfläche pro Einwohner im Bezirk) wenigstens auf Berliner Niveau (17m² pro Einwohner in Berlin) gehoben, dann gepflegt und auch an das gefährlicher werdende Klima angepasst werden. (Quelle: https://www.berlin.de/bergmannkiez/lebensraum/artikel.979770.php#Infrastruktur)

Fazit: Friedrichshain-Kreuzberg, das hast du gut gemacht! Der BUND wünscht viel Erfolg!

 

Links:

Modellprojekt Bergmannstraße: https://www.berlin.de/bergmannkiez/modellprojekt/

Begegnungszonen in Berlin: https://www.berlin.de/sen/uvk/verkehr/verkehrsplanung/fussverkehr/begegnungszonen/

 

Titelfoto von Sebastian Petrich

 

 

5 Kommentare

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  1. Vielen Dank für den Artikel, der den langen und komplexen Prozess pointiert zusammenfasst. Ergänzend sei gesagt, dass in dem aktuell vom Bezirksamt vorgelegten Konzept für den Bergmannkiez auch eine zentrale Forderung unserer Bürgerinitiative berücksichtigt ist: Die Sperrung des von Nord nach Süd verlaufenden Durchgangsverkehrs über die Zossener-/ Friesenstraße, der die Bergmannstraße an der Markthalle kreuzt – indem rund um die Markthalle eine Fußgänger*innen-Zone entstehen soll. Wir hoffen, dass die Bezirks-BVV am Ende des – pandemiebedingt derzeit verzögerten – Abstimmungsprozesses das Bezirksamts-Konzept ohne Abstriche beschließt. Abschließend an dieser Stelle nochmal ein dickes Dankeschön an den BUND und namentlich Gabi Jung für die fünfjährige konstruktive Zusammenarbeit in der Steuerungsgruppe! Alles Gute und bleibt gesund – Hans-Peter Hubert / Initiative leiser-bergmannkiez.de

  2. Ich möchte anmerken, dass die so genannte Bürgerbeteiligung eine Farce war. Ein Einbringen von Vorschlägen durch direkte Anwohner (die nicht durch ein Interessenbündnis vertreten werden wollten) war in all den Jahren nicht möglich. Auch auf eine im Jahr 2017 eingereichte umfangreiche Eingabe wurde durch die BVV bis zum heutigen Tag nicht reagiert. So funktioniert ganz sicher keine Einbindung direkt betroffener Gewerbetreibender/ Anwohner.

    • Es gab über die Jahre mehrere unterschiedliche Formate der Beteiligung, auch offene, bei denen alle Interessierten ihre Ideen einbringen konnten. Darüberhinaus gab es besondere Termine für Gewerbetreibende. In Bezug auf die BVV gab es in dem Prozess leider Defizite in punkto Kommunikation.

  3. Na, hoffen wir mal, dass es bald zu sichtbaren Ergebnissen kommt. Bei aller Bedeutung von Bürger*innenbeteiligung an der Stadtentwicklung (habe ich oft selbst eingefordert und umgesetzt in Alt-Mitte und Wedding):
    Einen 5 Jahre langen Beteiligungsprozess wird man keinesfalls überall betreiben können. Die urbane Klimaaufheizung und Austrocknung vollzieht sich viel zu schnell. Beim städtischen Baumbestand und bei grundwassergespeisten Gewässern bahnt sich eine stille Katastrophe an. Wir müssen, und das heisst v.a. die Verwaltung, rascher agieren. zB. durch Asphaltentsiegelung, Flächenumwidmung, Regenwasserretention, Beschattung, PV-Anlagen, Gründächer usw.
    Wir sind in einer KLIMANOTLAGE und DAS KLIMA VERHANDELT NICHT !

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