Auf jede Hitzewelle und jede Überschwemmungskatastrophe folgt auch in diesem Wahljahr das Versprechen der Politik, endlich konsequent mit dem Klima- und Umweltschutz loslegen zu wollen. Auf Bundesebene und auf Landesebene sind die Wahlprogramme gespickt mit Bekenntnissen für den Schutz von Klima, Umwelt und Natur – sprich: unseren natürlichen Lebensgrundlagen.
Endlich konkret handeln, statt mit “Weiter so!” nur noch mehr Zeit zu verschwenden
Doch wenn es darum geht, die Erreichung der Ziele mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, bricht der übliche politische Streit aus. Jede Maßnahme, mit der die tatsächlichen Kosten der Klimabelastung und des Verbrauchs natürlicher Ressourcen den Nutzerinnen und Nutzern angelastet werden sollen, wird als unsozial oder als Gefährdung des Wirtschaftsstandorts gebrandmarkt. Die Beibehaltung der heutigen Lebensweise wiegt dann plötzlich höher als die Bedrohung des menschlichen Überlebens durch Klimawandel, Umweltzerstörung und Naturvernichtung – sei es bei der Diskussion um die Erhöhung der Benzinpreise oder aber den Entfall von Parkplätzen für sichere Radwege.
Verkannt wird dabei eines: ein sozial-ökologischer Umbau sichert nicht nur das Überleben, sondern bietet neue Chancen für ein gutes Leben für Alle, für zukunftsfähiges Arbeiten und Wirtschaften sowie für eine hohe Lebens- und Wohnqualität in der Stadt. Diese Chance gilt es für Berlin zu nutzen: als Gemeinschaftswerk von Stadtpolitik und Berlinerinnen und Berlinern, mit dem konsequent das Engagement und die Innovationsbereitschaft für ein nachhaltiges und klimaneutrales Berlin genutzt wird.
BUND-Vision für den sozial-ökologischen Aufbruch
Der sozial-ökologische Umbau erfordert natürlich die Überwindung bestehender Beharrungskräfte, das Aufbrechen von Verhaltensroutinen und neue soziale Ausgleichmechanismen. Zugleich schafft er aber auch eine Stadt, in der wir alle leben wollen:
- Lebendige, grüne Quartiere mit modernen, energetisch sanierten und altersgerechten Wohnungen, die für alle bezahlbar bleiben,
- eine nachhaltige Wirtschaft, die zukunftsfähige und attraktive Arbeitsplätze bietet und mit der regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt werden,
- attraktive Mobilitätsangebote des Umweltverbundes und eine sichere Fortbewegung mit dem Rad oder zu Fuß,
- Straßen, die nicht mehr nur Verkehrsraum, sondern auch Ort der Begegnung, der Kommunikation und des Spiels sind,
- auch naturschutzfachlich gut gepflegte Grün- und Freiflächen in der Stadt, gut gemanagte Natur- und Landschaftsschutzgebiete,
- eine sichere und ökologische Wasserversorgung sowie saubere Flüsse und Seen,
- gute ökologische Lebensmittel aus der Stadt und der Region.
Eine nachhaltige Zukunftsstrategie für Berlin
Diese Zielvorstellungen sind im Grundsatz in den diversen Strategien des Berliner Senates verankert und erfreuen sich breiter politischer Zustimmung. Alle diese Strategien – vom Berliner Energie- und Klimaprogramm, der Biodiversitätsstrategie und Charta für das Berliner Stadtgrün bis hin zur Ernährungsstrategie sind zahlreiche ehrgeizige Handlungsstrategien beschlossen –, bleiben jedoch in der Umsetzung im Berliner Verwaltungsdickicht stecken. Zudem sind die Einzelstrategien der einzelnen Senatsverwaltungen nur unzureichend miteinander verknüpft, so fehlt es z.B. dem Schulsanierungs- und neubauprogramm oder der Wirtschaftsförderung an konkreten Zielen für den Klimaschutz.
Wo ist der visionäre Masterplan der Berliner Politik?
Notwendig ist es daher, nicht nur konsequent bereits beschlossene Maßnahmen umzusetzen, sondern eine ressortübergreifende Strategie für eine nachhaltige Entwicklung der Metropole zu entwickeln. Dazu ist für Berlin unter Einbindung der Berlinerinnen und Berliner eine an den ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Nachhaltigkeitszielen orientierte Vision zu entwickeln, auf deren Grundlage die Einzelpolitiken aufeinander abgestimmt werden. Ebenso müssen alle gesetzgeberischen Maßnahmen einem Nachhaltigkeits- und Klimacheck unterzogen werden, um Fehlentwicklungen zu vermeiden und Synergiepotenziale systematisch zu nutzen. Erforderlich ist zudem eine Reform der Berliner Verwaltung, damit Senat und Bezirke effizienter und zielorientierter zusammenarbeiten, statt sich im üblichen Behörden-Ping-Pong zu verlieren.
Damit ein nachhaltiges, klimaneutrales Berlin Wirklichkeit wird, bedarf es klarer Grundsatzentscheidungen:
- für einen konsequenten ökologischen Stadtumbau statt immer neuer Stadtquartiere,
- für eine echte Wertschätzung des Berliner Stadtgrüns, die sich auch in den Investitionen niederschlägt,
- für eine Mobilitätspolitik, die stringent in den Ausbau des Umweltverbundes investiert, ebenso klar aber auch Maßnahmen zur Reduktion des Autoverkehrs ergreift,
- für eine Stärkung ressourcenschonender und regionaler Wirtschaftskreisläufe („Zero-Waste-Stadt).
Ökologischer Stadtumbau statt Stadterweiterung
Berlin braucht eine ökologische Bauoffensive – aber nicht auf der grünen Wiese. Neben dem Bedarf an bezahlbarem Wohnraum besteht vor allem die Herausforderung, den Berliner Gebäudebestand fit für die Zukunft zu machen. Obwohl der Gebäudesektor fast fünfzig Prozent der CO2-Emissionen verursacht, kommen die energetische Sanierung und der Umstieg auf erneuerbare Energien kaum voran. Zunehmende Hitzewellen und Starkregenereignisse erfordern zudem eine Begrünung von Gebäuden sowie bessere Versickerungsmöglichkeiten von Niederschlägen im Boden und generell einen Plan für die Nutzung von Regen als Grauwasser – zugleich können damit Naturschutz und Artenvielfalt sowie Wohnumfeldqualität gestärkt und kostbare Ressourcen (Trinkwasser) geschont werden. Durch den demographischen Wandel steigt der Bedarf an altersgerechten, barrierefreien sowie flexibel nutzbaren Wohnungen.
Eine ökologisch verträgliche Stadtentwicklungspolitik muss sich daher auf eine effizientere Nutzung der bestehenden Siedlungs- und Verkehrsfläche für Wohnen, Arbeiten, Freizeit und mehr Grün konzentrieren– verbunden mit Investitionen in die ökologische Aufwertung, Lebensqualität und Barrierefreiheit der bestehenden Stadtquartiere. Die Klimaziele lassen sich nur dann erreichen, wenn konsequent die Potenziale für Solarenergie und Begrünung auf den Dächern der Stadt genutzt werden, und dies mit einer energetischen Sanierung der Gebäude (und ggf. deren Ausbau) verbunden wird.
Mit der Fokussierung auf den ökologischen Stadtumbau muss einhergehen, dass der Flächenverbrauch bis spätestens 2030 auf Netto-Null reduziert und wertvolle Grün- und Freiflächen sowie Kleingärten planungsrechtlich wirksam geschützt werden. Dafür müssen die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass es zukünftig günstiger wird, in den Bestand zu investieren, statt Stadtgrün zu vernichten. Eine Netto-Null beim Flächenverbrauch bedeutet dann einen Nettogewinn für ganz Berlin, den Klima- und Naturschutz und die Lebensqualität.
Echte Wertschätzung des Stadtgrüns
Berlins Stadtgrün hat einen unschätzbaren Wert für den Erhalt der Artenvielfalt, das Stadtklima, die Wasserversorgung. Erholung und Freizeit, Lebens- und Wohnqualität. Als grüne Infrastruktur sichert es das Leben in der Stadt und ihre Funktionsfähigkeit. Der grundsätzlichen Wertschätzung von Grün- und Freiflächen, Stadtbäumen und Grünstreifen steht jedoch kein entsprechendes Handeln gegenüber: immer noch werden Grünflächen für die Erweiterung der Stadt geopfert, fallen mehr Stadtbäume der Säge zum Opfer als nachgepflanzt werden, fehlen die Mittel und das Personal, um Park- und Grünanlagen naturschutzgerecht zu entwickeln und zu pflegen, bleiben Vorhaben wie die Sicherung des Biotopverbundes Stückwerk.
Neben einer grundsätzlichen Strategie zur Sicherung von Grün- und Freiflächen muss dem Stadtgrün daher endlich auch in der Finanz- und Personalausstattung der Wert beigemessen werden, den es für die Stadt hat. Angesichts von Klimawandel, Artensterben und Wassermangel muss zudem in mehr Grün investiert werden: durch Entsiegelung in den Quartieren, durch die Versickerung von Regenwasser, durch eine naturschonende Gewinnung von Trinkwasser, durch die Reduktion der Schadstoffbelastung in den Gewässern etc. Sowohl das Handlungsprogramm der Charta für das Berliner Stadtgrün als auch die Maßnahmenkonzepte zur Verbesserung des ökologischen Zustandes der Gewässer (Umsetzung Wasserrahmenrichtlinie) dürfen kein Papiertiger bleiben, sondern müssen in den Fokus des Handelns von Senat und Bezirken rücken.
Mehr Mobilität, weniger Autos
Eine nachhaltige und lebenswerte Stadt ist nur möglich, wenn der private Autoverkehr massiv reduziert wird. Das Auto ist bereits mit seinem Flächenbedarf ein anti-urbanes Verkehrsmittel und damit – selbst wenn es von leisen Elektromotoren angetrieben wird – für die Organisation der Mobilität in einer hochverdichteten Millionenstadt ungeeignet. Würde nicht bereits jetzt die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner auf die Nutzung eines eigenen Pkws verzichten, wäre die Stadt im Dauerstau. Mobilität in der Stadt durch einen Ausbau des ÖPNV, des Rad- und Fußverkehrs und eine bessere Vernetzung der Angebote neu organisiert, ermöglicht die Fortbewegung Aller. Mit einer deutlichen Reduktion des Autoverkehrs können der öffentliche Raum wieder als Ort der Kommunikation und Begegnung zurückgewonnen, Straßen und (ehemalige) Parkplätze konsequent begrünt und die Lebens- und Wohnqualität deutlich erhöht werden.
Die knappen Ressourcen in der Verwaltung sind daher auf den zügigen Ausbau des ÖPNV und des Rad- und Fußverkehrsnetzes sowie die Verkehrsberuhigung in den Stadtquartieren zu konzentrieren. Die Planungen für die Erweiterung des Straßennetzes (z.B. A 100, Tangentiale Verbindung Ost) müssen schon deshalb aufgegeben werden, weil sie unnötig Finanzmittel binden und bei einer erfolgreichen nachhaltigen Mobilitätspolitik nicht mehr notwendig sind. Verknüpft mit der Verbesserung der alternativen Mobilitätsangebote sind dem Autoverkehr die durch ihn entstehenden Kosten anzulasten: durch eine konsequente Parkraumbewirtschaftung und die Einführung einer City-Maut.
Zero-Waste-Stadt Berlin
Das vielbeklagte Müllproblem in der Stadt lässt sich am Besten dadurch lösen, wenn kein Müll mehr entsteht. Mit einer konsequenten Kreislaufwirtschaft und einer ehrgeizigen Zero-Waste-Strategie wird nicht nur eine Vermüllung der Stadt verhindert, sondern auch der Ressourcenverbrauch massiv gemindert. Der Einsatz von Mehrwegsystemen (gekoppelt mit der Einführung einer Pfandpflicht), der Ausbau von Reparaturmöglichkeiten und Upcyclying schafft zudem neue Arbeitsplätze. Notwendig dafür ist eine Verankerung des Themas in allen Lebensbereichen, angefangen bei der ökologisch-sozialen Beschaffung von Produkten durch die öffentliche Verwaltung, der gezielten Förderung abfallarmer Produktions- und Wirtschaftsweisen bis hin zur Stärkung regionaler Kreisläufe (z.B. ökologischer Lebensmittel aus Brandenburg).
Dies ist der erste Beitrag in unserer Blogserie zu den Wahlen des Berliner Abgeordnetenhaus 2021. Wir werden bis zu den Wahlen die einzelnen Bereiche Stadtgrün, Mobilität, Klima/Ressourcen, Gewässer mit eigenen Beiträgen noch intensiver beleuchten und aus BUND-Sicht darlegen, an welchen Stellschrauben Berlin zu drehen hat, wenn es sich für eine sozial-ökologisch ausgerichete Zukunft wappnen möchte.
Links
#ZUSAMMENVERÄNDERN
Auf Bundesebene haben der BUND und der Paritätische Gesamtverband eine Zukunftsagenda für eine ökologische und gerechten Gesellschaft für alle Menschen entwickelt: www.bund.net/zukunftsagenda/
BUNDzeit 03/2021: Klimawahl
https://www.bund-berlin.de/fileadmin/berlin/publikationen/bundzeit/BUNDzeit_0321.pdf
Diese 34 Parteien treten bei der Berlin-Wahl an: Übersicht von rbb24
Parteien-Wahlcheck von rbb24 zu Umweltpolitik: https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2021/wahlprogramme/check-umwelt-umweltpolitik.html