Verkehrswende grundsätzlich
Früher ist die Verkehrsplanung davon ausgegangen, dass es sehr viele notwendige Verkehre gibt: Pendler*innen auf dem Weg zur Arbeit, zur Ausbildung sowie Liefer- und Güterverkehr. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es neben den tatsächlich notwendigen Verkehren im Medizinischen Bereich, dem ÖPNV oder der Müllabfuhr eine große Anzahl von Pendler*innen gibt, die eigentlich auch zu Hause bleiben könnte – nur gefühlt notwendiger Verkehr.
Viele Millionen Menschen weltweit haben so das homeoffice entdeckt, wo fast ebenso viele PKW-Fahrten eingespart wurden wie Geschäftsflüge.
Der Alptraum des überfüllten Großraumbüros in der Innenstadt gehört inzwischen eher in das 20 Jahrhundert. Heute könnten diese Gebäude intelligenter genutzt werden, bspw. für Wohnen, soziale Infrastruktur oder für den Tourismus – damit dieser nicht das Wohnen in der Innenstadt verdrängt.
Verkehrsvermeidung in Berlin
Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts bemüht sich die Landes- und Regionalplanung um Verkehrsvermeidung durch integrierte Stadtplanung, mit der Arbeiten, Wohnen und Einkaufen wieder näher zusammen rücken. Dafür sind eine durchmischte Stadt sowie eine Siedlungsentwicklung nur an den Eisenbahnachsen notwendig.
Dies war im Großraum Berlin insoweit erfolgreich, dass die Quote der Einpendler*innen und Beschäftigten heute in Frankfurt a. Main drei Mal so hoch ist wie in Berlin. (In Berlin sind 2021 1.564.800 Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, von diesen pendeln nur 21 %. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in Frankfurt a. Main: mit 614 271 sind es im Jahr 2020 sogar 62,5%.)
Trotzdem müssen darüber hinaus aber zukünftig auch die Menschen, die von Zehlendorf in die City-West oder von Biesdorf zum Alex pendeln, zum Verzicht auf das Auto motiviert werden.
Autonomes Fahren?
Um Schüler*innen, Studierenden und Büro-Angestellten die Arbeit zu Hause zu ermöglichen, bedarf es einiges Mehr an Computerkapazität für das bessere Internet. Es ist eine große Gefahr, dass diese zur gleichen Zeit in vermutlich noch größerem Maße für das Autonome Fahren beansprucht werden wird. Hier muss die Politik rechtzeitig umsteuern, damit diese Fahrzeuge nur dort eingesetzt werden, wo es ggf. sinnvoll ist – im Containerhafen, Güterverkehrszentrum oder beim ÖPNV im ländlichen Raum – sonst droht die autogerechte Stadt 2.0.
Mehr Platz in Bussen und Bahnen
Die 100 Jahre alte Routine, Arbeit und Schule morgens zu beginnen, hat an allen Arbeitstagen seitdem zur täglichen 2-maligen Rushhour geführt – auf der Straße genauso wie in Bussen und Bahnen.
Wenn mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten können, würde dieses Problem endlich grundsätzlich angegangen. Was nützen eine Mio. neue Elektro-Autos, wenn diese morgens auch nur im Stau stehen – ob auf der Stadtautobahn oder vor den Schulen.
Für den ÖPNV würde dieses aber eine deutlichere Entspannung bedeuten – dann bräuchte auch die viel zitierte Krankenschwester für ihren Arbeitsweg kein Auto mehr und die Fahrgäste – auch mit Rollator, Kinderwagen oder Fahrrad – könnten Ihre Leben in weniger vollen Bahnen genießen.
Mehr Ruhe für die Heimarbeit
Je mehr Menschen zu Hause arbeiten, desto weniger Autoverkehr ist dann noch auf den Straßen und ein konzentriertes Arbeiten ist dann auch möglich. Zudem müssen weiterhin die Maßnahmen aus dem Lärmaktionsplan umgesetzt werden. So hilft eine gleichmäßige Geschwindigkeit ebenso wie neuer Flüsterasphalt bzw. Flüstergleise.
Und wenn weniger neue Bürogebäude gebaut werden müssten, gäbe es auch weniger Baulärm. Menschen, die zu Hause arbeiten, brauchen zur Erholung den Erhalt sowie die Erweiterung der Grünflächen in der Stadt. Diese sind auch ein schöner Arbeitsort. Für ruhige Orte im Sinne des Lärmaktionsplanes sollten also ggf. die Straße des 17. Juni im großen Tiergarten und die Puschkinallee durch den Treptower Park für den Autoverkehr gesperrt werden.
Zu Fuß zu Schule
Eltern, die zu Hause arbeiten, haben dann auch öfter Zeit, Ihre Kinder zu Fuß zur Schule oder zur Kita zu begleiten. Die Kinder werden ja bisher häufig auf dem Weg zu Arbeit mit dem Auto automatisch dort vorbeigebracht. Was folglich zu hohem Autobringverkehr führt, der andere Kinder gefährdet.
Mobilitätsbildung – also das, was früher gemeinhin unter den Begrifflichkeiten Verkehrserziehung/-aufklärung lief – fristet in Berlin aber inzwischen ein gewisses Mauerblümchendasein: Mangelhafte personelle und finanzielle Ausstattungen an Kitas, Schulen und bei der Polizei. Mangelhafte oder mindestens nicht ausreichende Ausbildungsangebote für die mit Mobilitätsbildung betrauten Personen. Mangelhafte Ausstattung an passender Infrastruktur, also Orten, wo Mobilitätsbildung stattfinden kann. Wie so oft (leider) ein bunter Mix aus vielen schlechten Voraussetzungen.
Dabei wäre die Schulung zum selbstbewussten Umgang mit Verkehr enorm wichtig – Kinder und Jugendliche, die sich mit den Gefahren und Problemen des Verkehrs heute bewusst auseinandersetzen, lernen einerseits so, Gefahrenlagen für sich besser einzuschätzen, andererseits sind sie aber vielleicht auch die Verkehrsplaner*innen von morgen. Hier muss Politik wieder bessere Rahmenbedingunegn schaffen.
Geschäftsreisen
Die Verkehrsinfrastruktur der Vergangenheit wurde für „den Geschäftsmann“ geplant, mit immer höheren Geschwindigkeiten mit immer höheren Kosten für die Staatskasse. Heute sind Concorde und Transrapid im Museum für den technologischen Größenwahn. Dank Corona finden immer mehr Hände-Schüttel-Termine als Videokonferenz statt. So werden sich auch in Zukunft verantwortungsvolle Eltern hoffentlich für die Familie und die Umwelt entscheiden und unnötige Geschäftsreisen mit dem Flugzeug ablehnen bzw. Termine in Europa mit der Bahn wahrnehmen. So kann auch in der Klimabilanz die erwartete Reisewelle nach Corona kompensiert werden.
Was muss die nächste Landesregierung tun?
Der BUND Berlin fordert daher von der nächsten Landesregierung, eine wirkliche Mobilitätswende hinzulegen. Positive Entwicklungen und Erfahrungen aus der Pandemie können dafür gerne genutzt werden.
Die nächste Landesregierung muss auf jeden Fall Prioritäten setzen. Dazu zählen, die Radinfrastruktur auszubauen und Busse zu elektrifizieren. Neue U-Bahn-Strecken und Straßen hingegen verhindern eine stadtverträgliche und klimagerechte Umsetzung. Um die globale Erhitzung auf ein gerade noch beherrschbares Maß zu begrenzen, muss die Verkehrswende auf Intelligenz statt Beton setzen: Flächenumverteilung statt Neubau, mehr Platz für Fuß und Radverkehr, Vorrangschaltungen für Busse und Straßenbahnen, neue Züge, Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, Bahnstreckenneubau primär oberirdisch – und nur bei hohem Klimanutzen – und den Flugverkehr begrenzen. Für all dies legen die Umweltverbände seit Jahren detaillierte Konzepte vor.
Der erste Schritt dazu wäre, klimaschädliche Projekte wie die Autobahn A 100, die TVO (Tangentiale Verbindung Ost), die Ortsumfahrung Malchow und die Avus-Verbreiterung zu stoppen. Denn Berlin muss sich darauf konzentrieren, was schnell und zuverlässig gegen Abgase, Lärm und Unfälle hilft: mehr Platz und sichere Wege für Zufußgehende und Radfahrende, Parkraumbewirtschaftung, Rückbau von überdimensionierten Straßen, Tempo 30 auf den Hauptstraßen, an denen es immer noch zu laut ist oder wo Radspuren fehlen. Und der Verbrennungsmotor? Der soll ein klares Verfallsdatum bekommen: spätestens 2030. Bis dahin muss nicht nur die BVG, sondern auch der restliche öffentliche Fuhrpark auf Elektroantrieb – und wo immer es geht auf Fahrräder – umgestellt werden. Dringend nötig ist ein beschleunigter Ausbau von Tram sowie Regional- und S-Bahn. Kontraproduktiv sind dagegen neue U-Bahn-Projekte: zu teuer, zu langwierig und leider mit einer miserablen Klimabilanz gesegnet, weil der Tunnelbau enorme Mengen der Klimakiller Zement und Stahl erfordert.
Die Mobilitätswende muss gelingen, es gibt keine Alternative, dafür braucht Berlin Geld, Personal und eine gute Zusamenarbeit aller Beteiligten.
Quellen:
BBR (Hrsg.): Städtebauliche Konzepte zur Verkehrsvermeidung. ExWost-Informationen Nr. 06.8 – 1996, Bonn (vergriffen)
Deutsches Institut für Urbanistik -Difu-, Berlin: Ponel, Thomas Verkehrsvermeidung. Handlungskonzepte für eine integrierte Stadt- und Verkehrsentwicklungsplanung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrszeiten
https://www.adac.de/news/pendler-arbeit-statistik/
https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-bb/arbeitsmarktberichte-2020
https://repository.difu.de/jspui/handle/difu/58322
https://sinsheim.technik-museum.de/de/concorde
Links:
BUNDzeit 2/21 mit Schwerpunkt Betonpolitik
http://library.fes.de/fulltext/fo-wirtschaft/00378007.htm
https://blog.zeit.de/teilchen/2015/07/23/selbstfahrende-autos-stadt-michigan/
https://taz.de/Forschungsprojekt-selbstfahrende-Autos/!5492572/
https://www.bund-berlin.de/themen/mobilitaet/fussverkehr/zu-fuss-zur-schule/