Seit dem 29. Juli haben wir Menschen alle Ressourcen verbraucht, die uns bei nachhaltiger Nutzung für das gesamte Jahr zur Verfügung stehen. Der diesjährige Erdüberlastungstag datiert somit den Zeitpunkt im Jahr, ab dem die Menschheit auf Pump leben muss.
Damit näherte sich der weltweite Ressourcenverbrauch wieder dem Stand von vor dem Beginn der Corona-Pandemie, obwohl die infektionsbedingten Einschränkungen teils noch immer gelten. Konjunkturprogramme zur Stärkung der Wirtschaft, die an keinerlei nennenswerte Umweltauflagen gebunden sind, geben jedoch grünes Licht für ein „Weiter so wie bisher“.
Begleitet wird der Erdüberlastungstag 2021 von einem nicht enden wollenden Nachrichtenstrom an durch Klimawandel verursachten Katastrophen aus aller Welt – Hitzewelle in Kanada, völlig außer Kontrolle geratene Waldbrände in Kalifornien, Italien, Griechenland und der Türkei, Schlammlawinen in Japan, ein Jahrtausend-Hochwasser in West-Europa und ein Mega-Hurricane über den USA.
Auch Berlin trägt in einem erheblichen Maß zu diesen Katastrophen bei, in dem es weit über seine Verhältnisse lebt und damit die Umwelt schwer belastet. In der Hauptstadt fiel der Tag, an dem die natürlichen Ressourcen für Berlin aufgebraucht sind, sogar schon auf den 5. Mai.
Anlässlich der Berliner Abgeordnetenhauswahl fordert der BUND Berlin in einem Bündnis zahlreicher Umweltverbände die Politik dazu auf, hierfür endlich die Verantwortung zu übernehmen und eine Landesnachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln.
Wird über Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit und der Politik diskutiert, fällt uns als Umweltverband jedoch eines immer wieder auf: Um den Begriff „Nachhaltigkeit“ kursieren einige Irrtümer.
Irrtum I: Nachhaltigkeit ist ein schwammiges Konzept, das keine konkrete Wirkung entfalten kann
Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft: Wer nur so viele Bäume fällt, wie nachwachsen können, sichert den Wald für kommende Generationen. Im übertragenen Sinne wurde 2015 dieser Grundsatz von den Vereinten Nationen als politische Zielsetzung in den sog. 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung formuliert, die für alle Nationen gleichermaßen gelten. Im Zentrum steht, die wirtschaftliche Entwicklung eng mit Klima- und Umweltschutz zu verknüpfen, um die Ursachen für Hunger, Armut und Umweltkrisen wirksam zu bekämpfen.
Für Deutschland bedeutet dies vor allem, dass die soziale Marktwirtschaft und der soziale Rechtsstaat reaktiviert und um eine ökologische Komponente ergänzt wird. Hieraus entsteht eine Politik, die sich innerhalb ökologischer Belastungsgrenzen (planetare Grenzen) bewegt und das Gemeinwohl ins Zentrum poltischer Entscheidungen stellt. Wie viel wir den Ökosystemen für unseren Wohlstand abverlangen können, gibt uns die Wissenschaft vor. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, um das Klima zu stabilisieren, ist hierfür ein gutes Beispiel.
Mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie von Anfang 2017 hat die Bundesregierung dargelegt, dass sie die Nachhaltigkeitsziele (SDG`s) in Deutschland umsetzen will. Was fehlt, sind jedoch konkrete Umsetzungsmaßnahmen und Verbindlichkeiten.
Irrtum II: Nachhaltigkeit schränkt Freiheiten ein, schwächt die Wirtschaft und belastet die Armen
Globale Umweltveränderungen wie etwa die Klimaerwärmung oder das Artensterben haben ein Ausmaß erreicht, das die Zukunft der Menschheit ernsthaft gefährdet. Bekommen wir diese Entwicklung nicht in den Griff, kippt das Erdsystem in einen Zustand, auf den wir nach aktuellem technisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand keinen Einfluss mehr nehmen können. Ganze Erdteile drohen unbewohnbar zu werden, Frieden und Sicherheit geraten dadurch global in Gefahr. Bereits heute sind wegen der globalen Klimaveränderungen und Ressourcenverbräuche Millionen von Menschen auf der Flucht.
Diese Entwicklung ist nicht nur aus gesellschaftlicher Perspektive beängstigend, sondern führt auch in der Wirtschaft zu großen Unsicherheiten. Wir brauchen daher klare umweltpoltische Regeln für Gesellschaft und Wirtschaft. Wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen schreibt, sind Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit Grundbedingungen für eine funktionierende Wirtschaft und ein freiheitliches Rechtssystem. Nur so gibt es Investitions- und Rechtssicherheit, einen fairen Wettbewerb und neue Märkte. Anstelle von Partikularinteressen rückt das Gemeinwohl ins Zentrum poltischer Entscheidungen.
Was wir aktuell jedoch erleben, ist Widersprüchlichkeit und Ungerechtigkeit im staatlichen Handeln, das ein Gefühl der Verunsicherung und Benachteiligung hervorruft und den Umweltschutz unglaubwürdig macht. Populismus hat hier leichtes Spiel und wird im aktuellen Wahlpampf von fast allen Parteien fleißig ausgenutzt, um das Kreuzchen verunsicherter Wähler*innen zu gewinnen.
Irrtum III: In Berlin gibt es ausreichend Naturschutz- und Klimaschutzprogramme wodurch es keiner Nachhaltigkeitsstrategie bedarf
Alle in Berlin beschlossenen Maßnahmenprogramme und Gesetze bilden die seit 2015 international und in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie anerkannten Nachhaltigkeitsziele nur unzureichend ab. Sie entfalten bisher kaum eine Wirkung. Die Pariser Klimaschutzvereinbarungen beispielweise können so gar nicht erreicht werden. Darüber hinaus spielt das Thema Generationengerechtigkeit, welches ein wesentlicher Aspekt der Nachhaltigkeit ist, in diesen Programmen fast gar keine Rolle.
Bestätigt wurde dies im April 2021 im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz. Hierin verpflichtet das Gericht die Bundesregierung, Maßnahmen zum Klimaschutz festzusetzen, die verhindern, dass die Gefahren des Klimawandels auf Zeiträume zulasten jüngerer Generation verschoben werden.
Mit der Landesnachhaltigkeitsstrategie Sand aus dem Getriebe kriegen
Die Berliner Umweltverbände fordern für alle Programme ehrgeizige Ziele, verbindliche Zeiträume, konkrete Maßnahmen, Erfolgsindikatoren, ausreichend Geld und Personal sowie entsprechende Sanktionen bei der Nichterreichung. Vergleichbar mit einem Getriebe laufen diese Komponenten aber nur dann rund, wenn von außen kein Sand hineingerät, sprich wenn sich unterschiedliche Interessen, Gesetze und Programme nicht gegenseitig behindern oder gar blockieren.
Was wir entsprechend brauchen, ist eine übergeordnete Strategie – eine Landesnachhaltigkeitsstrategie als Klammer aller Einzelstrategien, die die Generationengerechtigkeit ins Zentrum rückt und damit einen klaren Fahrplan erzwingt.
Diese Strategie sollte beispielsweise regeln, dass die Belange des Klima- und Umweltschutzes in allen umweltrelevanten Politikfeldern berücksichtigt werden müssen und dies in der Berliner Verfassung verankert wird. Hierfür sollten in allen politischen Ressorts und Verwaltungen Personen bestimmt werden, die für den Umweltschutz die Verantwortung tragen. Zudem sollten die unterschiedlichen Senats-und Bezirksverwaltungen über regelmäßige fachübergreifende Projektgruppen veranlasst werden, stärker zusammenzuarbeiten, um den Austausch und das gegenseitige Verständnis zu stärken. Die Senatsumweltverwaltung sollte gestärkt werden, indem sie beispielsweise das Recht erhält, Gesetze zu initiieren oder im Gesetzgebungsverfahren Widerspruch einzulegen, wenn sie die Umweltschutzziele gefährdet sieht.
Um der Generationengerechtigkeit Rechnung zu tragen, könnte über die Landesnachhaltigkeitsstrategie auch ein unabhängiger Rat für Generationengerechtigkeit eingerichtet werden. Dieser würde am Gesetzgebungsprozess beteiligt, indem er die Entwürfe erhält und hierzu Stellung beziehen kann. Auch ihm sollte ein Widerspruchsrecht zuteil werden, das den Gesetzgeber zur Überarbeitung der Gesetzesvorlage zwingt.
Um der Landesnachhaltigkeitsstrategie die nötige politische Relevanz einzuräumen, sollte die Hauptverantwortung zur Umsetzung bei der Senatskanzlei liegen.
Die im September gewählte Berliner Regierung steht zusammen mit der Bundes- und allen anderen Landesregierungen vor der epochalen und bisher ungelösten Aufgabe, die ökologische Existenzgrundlage künftiger Generationen zu sichern.
Der BUND Berlin ist zusammen mit seinen Bündnispartnern der festen Überzeugung, dass dies nur mit einer übergreifenden und handlungsorientierten Nachhaltigkeitsstrategie gelingen kann.
Links
Bündnis für eine Berliner Landesnachhaltigkeitsstrategie
www.lns-buendnis.berlin
Quellen
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)