Stellen wir uns vor, nicht das Ahrtal versinkt in apokalyptischen Fluten
Tagelange Starkregen summieren sich zu Tod bringendem Hochwasser am Käthe Kollwitz-Platz. Entlang der Panke, der Müggelspree und Erpe führen die Fluten zu Unterspülungen und Einsturz von Gründerzeitbauten, aber auch Großbausiedlungen der Moderne im Märkischen Viertel und in der Gropiusstadt sind mitsamt ihren Tiefgaragen, Einkaufspassagen und kulturellen Zentren betroffen. Erst der Verlust der Spree- und Havelbrücken, dann auch die durch Haushaltsmüll, Gebäudeteile und die unzähligen Autowracks unpassierbaren Straßen und Wege haben zum Zusammenbruch des Verkehrs bis weit nach Brandenburg geführt. Die Kommunikations- und Energieinfrastruktur in Berlin ist nach Tagen und Nächten ohne Elektrizität an neuralgischen Punkten mithilfe des Militärs wiederhergestellt: exklusiv für Rettungskräfte, die die Suche nach Überlebenden, insbesondere in den Pflegeheimen und Krankenhäusern irgendwann entkräftet eingestellt haben. Die grassierenden Großbrände in Spandau und im Tegeler Forst, auch in dichtbesiedelten Teilen Reinickendorfs sind größtenteils die Folgen sozialer Unruhen, Brandstiftungen und aus dem Ruder gelaufener Seuchenbekämpfung.
Der Klimaschutz lebt von positiv aufgeladenen Bildern, aber auch diese zeigen nicht den nötigen Effekt
Okay, stop! Das hier ist völlig falsche Klimaschutzkommunikation! Keine apokalyptischen Bilder setzen! Nie! Besonders, weil wir wissen, daß die intrinsische Motivation für Klimaschutz und Nachhaltigkeit durch das Verwenden positiv aufgeladener Bilder lebt, von Erfolgsstories, schlichtweg vom Gelingen abhängig ist. Und nicht von der monströsen Bedrohung, die unsere Psyche und auch unser Verstand nicht fassen kann. Wir wissen doch leider nur allzugut, wie stark der Klimawandel auch gesellschaftlich polarisiert, weil er den menschlichen Urinstinkten (kurzfristiger Gefahrenabwehr – aber nicht langfristiger Überlebensstrategien) psychologisch widerspricht. Der status quo im Nebeneinander von Konsumenten wird im Klimawandelstress sogar gefestigt, indem der Herdentrieb und das „Weiter so – mich wird es schon nicht treffen“, in immer größerem, neuerem und attraktiverem, vielleicht sogar grün angehauchtem Konsum resultiert. Tja. Findet vielleicht deswegen die Dauerkatastrophe, die uns der Klimawandel beschert nicht im Wahlkampf statt?
„Auch dass manche Menschen eine regelrechte „Klimaangst“ entwickeln, kann (…) damit zusammenhängen, dass die Risiken als übermächtig, die eigenen Handlungsmöglichkeiten aber als stark begrenzt und die Politiker als unwillig oder unfähig wahrgenommen werden.“ (lese ich hier) Ich fürchte, intrinsische Motivation allein wird nicht reichen. „Uns bleibt noch ein Jahrzehnt“ und „Keine Ausreden mehr“ – das sind die Schlussfolgerungen aus dem dem neusten IPCC Bericht.
Die Lage ist mehrfach erdrückend. Und wir als Umweltverband wollen jetzt über Energie und Wende, Bauen und Heizen reden – immer noch und immer wieder? Die Coronakrise war doch nur der Vorfilm, der Trailer für den Hauptfilm, die weitaus größere Klimakrise! Einen Lockdown fürs Klima werden wir wahrscheinlich nie erleben – würden wir ihn aber auch akzeptieren, auch wenn es eine effiziente Methode wäre?
Klimaangst als Zukunftsoption?
Gedrückt von Pandemie, Ahrtal, IPCC-Bericht, Feuer rund ums Mittelmeer, Eis im Regenwald, dem letzten Nashorn irgendwo und dem einschläfernden Wahlkampf andererseits, der IMMER NOCH KEIN KLIMAWAHLKAMPF um die anstehenden Veränderungen ist, bleibt realistisch gesehen ja nur die Klimaangst als Zukunftsoption. Welche politische Partei, Koalition, Aufbruchsbewegung hat denn im Auge des Sturms noch das Potential, Vertrauen in die gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit zu erwecken? Woran scheitert und was hemmt eigentlich die Klimaschutzpolitik in Berlin? Was war nochmal die Wärmewende?
Außer vielleicht ein paar kleineren Bewegungsparteien deutet niemand politisch an, was dringend notwendig wäre, nämlich: das sofortige, radikale Umsteuern. Das ist weit mehr als nur das Herunterfahren aller Treibhausgasemissionen trotz der zu erwartenden gesellschaftlichen Konsequenzen, die da kommen werden. Verbote, Ordnungsrecht, Grenzwerte sind hier die eine Seite der Medaille: das Ende von Mallorca, SUV und Currywurst täten dem Klima gut, klar wie Klosbrühe. Es geht aber schlichtweg um das ganz große Minus. Das „Weniger ist Mehr“. Die Abkehr von der Wachstumslogik. Eine wirklich „andere“ Stadt, in der auch eine wirklich andere Gesellschaft leben, lernen, feiern und arbeiten kann. Und diese Stadt wird gebaut.
Suffizienzpolitik wäre angesagt -, die spürbaren, sichtbaren und erlebbaren Klimaschutz ermöglichte (Beispiele hier). In den Wahlprogrammen steht parteiübergreifend (bis auf Rechtsaußen) mehr oder meist weniger Klimaschutz mit drin. Verbände, Initiativen und Klimaaktive bieten rituell Klimawahlchecks an, die pointierte Klimafragen anhand der Programme beantworten. Es kommt politisch aber auf den zu schmiedenden Koalitionsvertrag an und dessen Umsetzung …
Zumindest sollten wir uns aus dem Krisenmodus nicht mehr herauswagen
Die klimapolitischen Aufgaben sind so divers und riesig groß, dass ein Scheitern an den gesamtgesellschaftlichen Ausmaßen dann quasi programmiert ist, wenn die gesellschaftliche Dynamik nicht einsetzt. Dass das Berliner Energie und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) nicht zu 100% umgesetzt wurde, ist natürlich ein Skandal – wenn auch ein nachvollziehbares Scheitern an den Dimensionen. Dieser zentrale klimapolitische Werkzeugkoffer für die Berlin-eigene Energie-, Verkehrs-, Bau- und Ernährungswende braucht noch immer mehr Inhalte, mehr Budget, mehr Akteure und mehr Öffentlichkeit, um die Umsetzung voranzubringen. Dass das neue BEK eine stärkere Verschränkung mit Maßnahmen der Klimawandelanpassung bekommen soll, ist nicht nur richtig und wichtig – es ist auch aus der Einsicht geboren, Katastrophenjahre mit schleppender Klimaschutzpolitik hinter uns gehabt zu haben. Die Studie „Berlin pariskonform machen“ des IÖW zeigt uns auch, daß wir bei allen Handlungsfeldern, bei allen Emissionsektoren, bei der Gesamtgesellschaft und der noch zu schaffenden „Klima-governance“ extrem dicke Bretter werden bohren müssen. Nur dann könnten wir es schaffen, Mitte der 40er Jahre in den Bereich der Klimaneutralität (wie immer man die definiert) zu kommen. Die nächsten 20 Jahre sollten wir uns also nicht mehr aus dem Krisenmodus herauswagen – sonst wird das nix mit Generationengerechtigkeit und so …
In der Berliner Klima- und Energiepolitik fehlt es an vielen Ecken und Enden
Allein das Thema Wärmewende birgt schon allerhand stadtpolitischen Sprengstoff: die Mieterhauptstadt Berlin, die sich nach dem gescheiterten Mietendeckel die Augen reibend fragt: „Wie lange werde ich mir das Wohnen in einer noch nicht mal klimaneutralen Wohnung überhaupt noch leisten können?“ und nicht: „Was bringt mir und meiner Nachbarschaft der klimaschützende Umbau meines Quartiers?“ – diese Wende zu einer anderen Stadt, sie ist bislang nicht im Ansatz erkennbar, weil es eben um anderes Bauen, schnelleres Sanieren, moderne Technik und Erneuerbare Wärme und Ökostrom in sehr großem Maßstab geht. Obwohl allen klar ist, daß die Folgekosten unterbliebenen Klimaschutzes höher ausfallen werden als die Investitionen in die Zukunft der historischen Berliner Gebäude, sehen wir (mit ein paar wenigen Ausnahmen) einfach keine oder nur eine minimale Wärmewende hierzulande. Die große Energieinfrastruktur verheizt weiterhin Kohle, Gas und Öl, macht Wasser mit Müllverbrennung warm – schau dich doch einfach um: wo siehst Du da die nächste Solaranlage und wie viele?
Und selbst wenn wir das Solarprogramm optimal umsetzen würden (mit solarer Baupflicht allüberall, wo auch nur eine Kilowattstunde Strom geerntet werden kann, mit attraktiver Stadtwerksanbindung, mit Innovationstechnologien und neuen innerstädtischen Erzeugungsflächen) – wir müssten immer noch wesentlich mehr Energie für die Bereitstellung von Wärme erzeugen, die nicht auf dreckigen Quellen beruht. Wo ist das solare Wärmeprogramm, das Forschungscluster, der Innovationspreis für die Hauptstadt? Der Solarthermie-Pfennig, der zusätzlich zur CO2 Abgabe auf fossile Erzeugung in Berlin gezahlt werden muss? Wo ist das Programm für die energetische Grauwassernutzung, das micro- und das macro energy-harvesting Programm, das die Umweltwärme in Luft, Wasser und Boden, die Geothermie aber auch weit unter Berlin naturschutzgerecht nutzen lässt? Und selbst wenn es eines Tages klimaneutral möglich sein sollte, Wärme, warmes Wasser, Druckluft und Kälte und ganz einfach: Haushalts-ökostrom in der Grundversorgung zu beziehen, wo war da das Programm für die dringend benötigte Energieeffizienzwende Berliner Art? Die wäre doch im Klimawahljahr entscheidend gewesen, um „den Schalter“ umzulegen. Und ganz ehrlich: welche Klimaschutznetzwerke kennst Du? Mit Jugend-, Sozial- und anderen Verbänden, den Religionsgemeinschaften, der Kultur, Deiner Nachbarschaft, Deiner Schule und Deinem Arbeitgeber?
Gerade in Berlin ließe sich politisch besonders leicht beweisen, wie wichtig die Umgestaltung der ökologischen Infrastruktur ist, um die Verbraucher von den ökologischen Entscheidungen zu entlasten, die sich im (Stadt-)alltag immer wieder stellen: Verkehr, Energie, Wohnen, Ernährung – diese Infrastrukturen müssen heute ökologisch umgebaut werden, welch Binsenweisheit. Wir brauchen die Pop-up-Radwege der Wärmewende – jetzt!
Weiterführende links und Quellen:
Digitales Monitoring- und Informationssystem des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms
https://www.postwachstum.de/tag/suffizienzpolitik
https://www.fr.de/politik/weltklimabericht-dieses-jahrzehnt-ist-entscheidend-90911113.html
https://www.klimareporter.de/deutschland/die-zeit-der-ausreden-ist-vorbei
Hallo Matthias, danke für deinen tollen Artikel. Es muss definitiv was passieren. <3