Print

Posted in:

Wahl-Blog 10: Warum Müll nicht die neue Kohle werden darf

Berlin muss aus der Kohleverbrennung aussteigen. Das sagt nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern ganz grundsätzlich auch der bisherige rot-rot-grüne Senat. Das ist gut so, denn nur so sind die völkerrechtlich verbindlichen Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Aber woher kommen erneuerbare Energien für die Millionenstadt? Besonders spannend wird das bei der Wärmeversorgung – hier entscheidet sich, ob die Energiewende tatsächlich stattfindet. Oder ob sich Berlin durchzumogeln versucht und Müllverbrennung zur klimaschonenden Energieerzeugung grünwäscht.

In der Mitte August novellierten Fassung des Berliner Energie- und Klimaschutzgesetzes hat die rot-rot-grüne Koalition beschlossen, dass die Fernwärmeerzeugung in Berlin spätestens bis 2045 vollständig ohne fossile Brennstoffe funktionieren soll. Kurz vor Ende der Legislaturperiode ein klimapolitischer Paukenschlag? Wohl eher ein Pfeifen im Paragrafenwald. Legt man das verbleibende CO2-Budget zugrunde, das sich aus dem Pariser Abkommen ergibt, müsste das Berliner Fernwärmenetz spätestens 2035 dekarbonisiert sein, also ausschließlich aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Aber viel sinnvoller, als Fahrpläne für die Dekarbonisierung aufzustellen, wäre ohnehin ein schon in naher Zukunft geltender Grenzwert für den CO2-Ausstoß in der Fernwärmeproduktion. Der fehlt aber in dem novellierten Gesetz.

Eine Aufforderung zum Tricksen

Stattdessen legt das neue Energiewendegesetz eine Erneuerbare-Energien-Quote fest, die bei genauer Betrachtung eine Aufforderung zum Tricksen ist. Paragraf 22 fordert, dass „ab dem Jahr 2030 mindestens 40 Prozent der in den […] Wärmeversorgungsnetzen transportierten Wärme aus erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme stammen.“ Auch wenn es der Wortlaut nicht nahelegt, so bereitet diese Gesetzesformulierung nichts anderes als den Einstieg in die Müllverbrennung im größeren Umfang vor, was hervorragend zu den Erwartungen des Fernwärme-Monopolisten Vattenfall passt. Die Vattenfall-Wärme-Chefin Tanja Wielgoß, die bis vor wenigen Jahren praktischerweise auch BSR-Chefin war, machte kürzlich deutlich, ihr Unternehmen rechne künftig mit mehr von der BSR gelieferten Abwärme, um die Fernwärme zu dekarbonisieren.

Das wirft die Frage auf, woher diese zusätzliche BSR-Abwärme kommen soll, wenn nicht aus der Müllverbrennung. Wie aber kann mehr Müllverbrennung gut für das Klima sein? An dieser Stelle kommt der Rechentrick mit der „unvermeidbaren Abwärme“: Wenn in meiner Nachbarschaft zufällig eine Abfallverbrennungsanlage läuft, dann leite ich die dabei entstehende Abwärme in mein Fernwärmenetz. Und weil dieser Ofen ohnehin brennt, ist meine Fernwärme klimaneutral, schließlich entstehen durch meine Aktivitäten keine zusätzlichen CO2-Emissionen. Diese Argumentation ist irreführend, falsch und gefährlich. Und das in mehrfacher Hinsicht.

Sieben gute Gründe gegen Abfall im Ofen

Erstens: Abwärme aus Müllverbrennung ist nicht unvermeidbar, denn dass größere Mengen Restmüll verbrannt werden, ist kein Naturgesetz, sondern eine politische Entscheidung beziehungsweise eine Folge politischen und abfallwirtschaftlichen Handelns. Folgt man konsequent der im Abfallrecht fixierten Priorität von Vermeidung, Wiederverwendung und Recycling, bleibt nur noch ein Bruchteil der aktuell noch verfeuerten Abfälle zur Verbrennung übrig.

Zweitens: Abfall ist ein fossiler Brennstoff, weil rund die Hälfte des Restmülls aus erdölbasierten Kunststoffprodukten besteht. Sinnvollerweise bilanzieren unabhängige und anerkannte Berechnungsmethoden, wie sie etwa das Umweltbundesamt oder die Länderarbeitsgemeinschaft Energiebilanzen nutzen, die Energie aus Müllverbrennung bestenfalls zu 50 Prozent als klimaneutral. Anders jedoch die Machbarkeitsstudie, die der Fernwärme-Monopolist Vattenfall im Auftrag der Senatsklimaverwaltung für die Dekarbonisierung der Berliner Wärmeversorgung vorgelegt hat. Diese Studie wertet die Müllverbrennung als komplett klimaneutral und stützt sich dabei auf den Lobbyverband Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW), der bei der Abwärme aus der Verbrennung von Siedlungsabfall einen Primärenergiefaktor von 0,0 ansetzt. Richtig ist aber: Eine CO2-neutrale Energieerzeugung durch Restmüllverbrennung ist physikalisch schlicht unmöglich.

Drittens: Die „thermische Verwertung“ von Abfall ist eine besonders krasse Form der Energieverschwendung. Um all die Produkte herzustellen, die nach einer oftmals extrem kurzen Nutzungsdauer als Abfall im Ofen landen, ist ein Vielfaches dessen an Energie nötig, was am Ende bei der Verbrennung in Wärme und Strom umgewandelt wird. Das bedeutet auch: Wenn es gelingt, Dinge länger zu nutzen, zu reparieren, wiederzuverwenden, zu recyceln oder erst gar nicht zu produzieren, sinkt nicht nur die Abfallmenge, sondern auch der CO2-Ausstoß.

Viertens: Die Klimabilanz der Müllverbrennung wird sich in Zukunft weiter verschlechtern, weil der Anteil der biogenen Abfälle sinkt. Das ergibt sich zwingend aus dem aktuellen Abfallwirtschaftskonzept (AWK), das die verbindliche Grundlage für alle Planungsfragen rund um den Berliner Müll ist. Dort ist festgelegt, dass künftig deutlich mehr Bioabfall getrennt gesammelt und verwertet wird. Außerdem kann nach dem Kohleausstieg der Ersatz von Kohle durch Müll nicht mehr als Klimagutschrift bei der Abfallverbrennung angerechnet werden.

Fünftens: Nicht nur der Anteil des biogenen Teils im Restmüll wird sinken, sondern auch das Restmüllaufkommen insgesamt. Zumindest hat das Abgeordnetenhaus das erstmals 2018 einstimmig (!) beschlossen und jüngst im AWK bestätigt und konkretisiert. Die Berliner Politik scheint also grundsätzlich das Prinzip Zero Waste zu befürworten, denn sie forderte in beiden erwähnten Beschlüssen mehr Abfallvermeidung, mehr Wiederverwendung und mehr Recycling. Wer aber auf Müllverbrennung zur Energieerzeugung setzt, braucht auf lange Zeit große Mengen Restmüll – und sabotiert damit alle Bemühungen der Abfallvermeidung. Oder soll der benötigte Restmüll-Brennstoff etwa aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland importiert werden, während die Berliner*innen fleißig Müll vermeiden? Das wäre niemandem zu vermitteln.

Sechstens: Pseudo-erneuerbare Energie aus Müllverbrennung bremst die Energiewende aus, weil sie die Netze blockiert. Dass das Berliner Fernwärmenetz dem bisherigen Kohleverbrenner Vattenfall gehört, macht die Entwicklung dezentraler Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien auch nicht einfacher. Und was passiert eigentlich im Sommer mit der Wärme, die bei der Müllverbrennung anfällt? Als Ergänzung zu Spitzenlastzeiten während der Heizsaison eignet sich die „thermische Verwertung“ allein schon deswegen nicht, weil man unbehandelten Restmüll in größeren Mengen nicht lagern kann. Mehr Müllverbrennung führt zu mehr schmutziger Energieerzeugung an 365 Tagen im Jahr.

Siebtens: Müll verbrennen bedeutet Rohstoffe unwiderruflich vernichten. Das betrifft unter anderem recycelbare Kunststoffe, wiederverwendbares Holz und Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff, die im Bioabfall stecken. Vor allem aber den Bioabfall selbst. Denn die Abfälle aus Küche und Garten bilden den Rohstoff für die tatsächlich klimaschonende Energie aus Abfällen: Biogas. Anders als bei der Verbrennung bleiben bei der Vergärung außerdem in der Biogasanlage Gärreste zurück, die als Düngemittel eingesetzt werden, sodass die Nährstoffe erhalten bleiben. Um die Potenziale der Biogasnutzung auszuschöpfen, fordert der BUND den Bau einer zweiten Biogasanlage in Berlin, da die bestehende Anlage in Ruhleben bereits voll ausgelastet ist.

Will die SPD mehr Müll verbrennen?

Was hat nun das Thema Müllverbrennung mit der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus zu tun? Auf den ersten Blick leider nicht allzu viel – dass es in der öffentlichen Diskussion bisher keine Rolle spielt, ist kennzeichnend für den weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf 2021. Dabei hat die Frage „Müll verbrennen: ja oder nein?“ eine entscheidende Bedeutung für den Klimaschutz und die Kreislaufwirtschaft. Werfen wir einen Blick auf die Positionen der fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen demokratischen Parteien. Nur CDU, Grüne und Linke äußern sich in ihren Wahlprogrammen zum Themenkomplex Müllverbrennung und Wärmeversorgung. Dass bedeutet aber nicht, dass die beiden anderen dazu keine Meinung haben. Ganz im Gegenteil.

Von allen im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien tritt die SPD am entschiedensten für mehr Müllverbrennung ein. Auf ihrem Parteitag im April 2021 beschlossen die Sozialdemokrat*innen zu prüfen, „inwieweit der Berliner Siedlungsabfall in den nächsten 10 Jahren verstärkt zur nachhaltigen Fernwärmeversorgung genutzt werden und damit einen erheblichen Beitrag zur Berliner Wärmewende leisten kann“. Folgerichtig fordert die SPD, die Leistungsfähigkeit der Müllverbrennungsanlage Ruhleben zu erweitern, sollte ein noch zu erarbeitendes Konzept die Müllverbrennung als effiziente Form der Fernwärmeerzeugung identifizieren. Das liest sich, als hätte die SPD die passenden Gutachten schon in der Schublade.

Ganz anders die FDP. Sie versuchte das rot-rot-grüne Energiewendegesetz dahingehend zu ändern, dass Abwärme aus der Müllverbrennung nur zu 50 Prozent als klimaschonende Wärme gewertet wird, konnte sich trotz Sympathien der Grünen für ihren Vorstoß damit aber nicht durchsetzen. Zur Begründung führten die Liberalen auf, die Einstufung der Müllverbrennung als „klimaschonend“ setze falsche Anreize und widerspreche dem AWK, das nicht nur Abfälle vermeiden, sondern auch Wiederverwendung unterstützen wolle.

Die CDU betont in ihrem Wahlprogramm einerseits, sie halte den Ausbau von Recyclingkapazitäten grundsätzlich für besser als die Müllverbrennung. Andererseits setzt sie bei der Wärmeproduktion weiterhin auf Müllverbrennung, wenn auch ergänzend zur Energiegewinnung aus Wasserstoff.

Die Linke äußert sich in ihrem Wahlprogramm zwar nicht zur Müllverbrennung, will aber CO2-Obergrenzen und ein Einspeiserecht dezentraler Wärmeproduktion für das Fernwärmenetz verankern. Außerdem fordert sie als einzige Partei ausdrücklich den Bau einer zweiten Biogasanlage in Berlin.

Die Grünen setzen laut ihrem Wahlprogramm ebenso wie die Linken auf dezentrale Wärmeproduktion aus erneuerbaren Quellen. Die Ausweitung der Müllverbrennungskapazitäten in Berlin lehnen sie ab und stufen die Müllverbrennung als nicht klimaneutral ein. Allerdings müssen sie sich fragen lassen, warum sie dann im August im Abgeordnetenhaus zusammen mit SPD und Linken ein Energiewendegesetz beschlossen haben, das der Wärmeproduktion aus Müllverbrennung den Weg ebnet, und welche Rolle die grün geführte Senatsklimaverwaltung bei diesem Vorgang gespielt hat.

Da sich alle relevanten demokratischen Parteien zum Zero-Waste-Prinzip und zumindest verbal zum Klimaschutz bekennen, fordert der BUND von der nächsten Koalition etwas, das sie unabhängig von ihrer politischen Färbung sofort und ohne Verluste beschließen kann: Legt die Pläne zur Müllverbrennung zu den Akten! Organisiert jetzt die dezentrale Wärmeproduktion aus erneuerbaren Energien! Und macht endlich Tempo bei der sozialverträglichen Gebäudesanierung, damit nicht mehr Energie zum Heizen eingesetzt werden muss, als wirklich nötig ist!

Quellen

Novelliertes Energiewendegesetz
https://www.berlin.de/sen/uvk/klimaschutz/klimaschutzpolitik-in-berlin/energiewendegesetz/

Vattenfall will bis 2040 klimaneutral sein
https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/vattenfall-will-2040-klimaneutral-sein

Vattenfall-Machbarkeitsstudie zur Dekarbonisierung der Fernwärme
https://www.berlin.de/sen/uvk/klimaschutz/klimaschutz-in-der-umsetzung/waermewende-im-land-berlin/kohleausstieg-berlin/

Wärme aus Müllverbrennung: Berlin stützt sich auf fragwürdige Studie
https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/waerme-aus-muellverbrennung-berlin-stuetzt-sich-auf-fragwuerdige-studie-li.76241

Berliner Abfallwirtschaftskonzept 2020–2030
https://www.bund-berlin.de/themen/klima-ressourcen/abfall/berliner-abfallwirtschaftskonzept/

Abgeordnetenhausbeschluss „Abfallpolitik auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft – Berlin wird Zero-Waste-City“
https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/protokoll/plen18-026-pp.pdf

 

Die Wahlprogramme finden sich auf den Websites der jeweiligen Landesverbände der Parteien. Zum abfallpolitischen Teil des erwähnten Beschlusses des SPD-Parteitags siehe den angenommenen Antrag des SPD-Fachausschusses Natur, Energie, Umweltschutz: https://spd.berlin/media/2021/04/AWK-Zero-Waste-2030-_beschl_FAX160321.pdf

Inhaltsprotokoll der entscheidenden Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz zur Änderung des Energiewendegesetzes vom 9. August 2021
https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/AusschussPr/uv/uv18-070-ip.pdf

Änderungsantrag der FDP-Fraktion zur Änderung des Berliner Energiewendegesetzes
https://www.parlament-berlin.de/ados/18/UmVerk/protokoll/uv18-070-bp.pdf

 

Weitere Links

Müllverbrennung ist kein Klimaschutz
https://www.remap-berlin.de/blog/zero-waste-blog/117

Bioabfall: Zu schade für den Ofen
https://umweltzoneberlin.de/2019/04/01/zu-schade-fuer-den-ofen/

BUND-Stellungnahme zur Novellierung des Energiewendegesetzes
https://www.bund-berlin.de/service/publikationen/detail/publication/bund-stellungnahme-zur-novellierung-des-energiewendegesetzes/

Wärmewende in Berlin
https://www.bund-berlin.de/service/publikationen/detail/publication/waermewende-in-berlin-100-erneuerbar-und-sozialvertraeglich/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert