“An manchen Sommertagen stinkt der Waldsee so heftig, dass wir uns nur mit verschlossenen Fenstern und Türen im Haus aufhalten können. An schöne Tage im Garten sind dann gar nicht mehr zu denken“, hören wir Frau Pribilla vom Boot aus sagen, mit dem sie gerade eine Gruppe von Interessierten, Politiker*innen, Verwaltungsmitarbeiter*innen und der Presse über den Südteil des Sees schippert.
Das mit dem Waldsee etwas nicht stimmt, wird auch der anderen Gruppe klar, mit der mein Kollege und ich uns ein Bild vom Ufer eines privaten Gartenrundstücks aus machen. Wenn wir nicht wüssten, dass direkt vor uns ein Gewässer liegt, könnte man meinen, es handle sich bei dem grünen Teppich einfach um eine Erweiterung der Rasenfläche. Bei genauerem Hinschauen fällt jedoch auf, dass die Wasseroberfläche lückenlos mit Hornblatt und Algen übersät ist. “Schauen sie mal dort”, ruft ein Anwohner und deutet auf die Baumkrone auf der kleinen Insel vis-à-vis. Zu sehen ist ein Exemplar des äußerst seltenen Eisvogels, der sich blau-orange schimmernd im Geäst zu sonnen scheint. Ein besonders schönes Tier, das dort oben sitzt und sofort allen in der Gruppe klar macht, welches Potential für den Naturschutz in diesem Gewässer steckt.
Wir befinden uns mitten während unserer Dialogveranstaltung “Hilfe für den Waldsee”, die wir im Rahmen des Aktionsnetz Kleingewässer an diesem Nachmittag des 29. August in Kooperation mit dem Verein Umweltschutz und Landschaftspflege für den Waldsee e.V. und dem Haus der Jugend durchführten. Mit insgesamt 60 Teilnehmer*innen gingen wir an Land und auf dem Wasser der Frage nach, wie der Waldsee endlich in einen guten ökologischen Zustand gebracht werden kann und damit vor allem der faulige Geruch, die Algenblüte und die hohen Schad- und Nährstoffkonzentrationen ein jähes Ende finden.
Ökologische Maßnahmen sind seit sieben Jahren überfällig
Eigentlich hätte der Waldsee in Berlin Zehlendorf zwischen Argentinischer Allee, Fischerhüttenstraße und Schlachtensee bereits 2015 nach EU-Recht (EU-Wasserrahmenrichtlinie) so aufgewertet sein müssen, dass Schad- und Nährstoffkonzentrationen innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte liegen, hier wieder alle Tiere und Pflanze leben, die auch natürlicherweise am und im Waldsee vorkommen würden, die Ufer naturnah gestaltet sind und mit dem Grundwasser insgesamt schonend umgegangen wird, um den Wasserhaushalt zu stützen. Das Gegenteil ist allerdings der Fall.
Der Waldsee ist eigentlich ein Moor, das nach der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren entstand. Mit der Bebauung erster Grundstücke entlang der Kante um 1900 wurde es ausgebaggert und mit der Einleitung von Regenwasser begonnen. Aus dem Moor wurde ein See. Seither hat sich das Siedlungs- und damit Einzugsgebiet, über welches Regenwasser in den Waldsee eingeleitet wird, stetig vergrößert.
Über insgesamt drei Einleitstellen an der Fischerhüttenstraße im Norden, der Goethestraße im Südwesten und der Argentinischen Allee im Süden wird Niederschlagswasser in den Waldsee eingebracht. Während 60 % des Waldseewassers aus dem Schlachtensee stammen, gelangen die restlichen 40 % über die Niederschlagswassereinleitungen in den See.
Auf seinem Weg von den Straßen und sonstigen asphaltierten Flächen in die Kanalisation bis in den Waldsee nimmt dieses Wasser jedoch viele Schad- und Nährstoffe auf, die das Gewässer schwer belasten. Hierzu zählen Reifen- und Bremsabrieb, Plastik, Schwermetalle, Blätter, Pollen, Zigarettenstummel und Hundekot. Besonders hoch sind diese Verunreinigungen durch das hohe Verkehrsaufkommen an der Argentinischen Allee. 15.000 bis 20.000 Autos passieren täglich diese Straße und verschmutzen das Regenwasser damit so schwer, dass es ohne Filterung nicht vor Ort in den Boden versickert werden darf. Stattdessen wird es ungeklärt und damit gesetzeswidrig in den Waldsee eingebracht. Zudem hat der Bezirk über die Jahrzehnte alle Grundstücke für die Bebauung freigegeben und sich damit wichtiger Schüsselgrundstücke beraubt, die für die Einrichtung von Kläranlagen wie einem Retentionsbodenfilter hätten dringend freigehalten werden müssen. Ein Phänomen, das überall in der Stadt zu beobachten ist. Lediglich zwei etwa drei Meter breite unbebaute Grundstücke in öffentlicher Hand am südlichen und nördlichen Teil des Sees sind übriggeblieben.
Die Folgen
Die Folgen sind enorm und während der gemeinsamen Bootsfahrt auf den insgesamt acht Ruderbooten eindrücklich erlebbar. Der dichte Hornkraut- und Algenteppich, der anderen Organismen Licht und letztlich Sauerstoff nimmt, ist Ergebnis der hohen Nährstoffkonzentrationen. Zudem ist die südliche Spitze mit dem Boot gar nicht mehr erreichbar, da sich mit den Einleitungen eine dicke Sedimentschicht gebildet hat. Auch ist der unangenehme Geruch wahrnehmbar, von dem Frau Pribilla sprach. Er wird von Bakterien unter Sauerstoffarmut abgesondert. In welchen Konzentrationen Schadstoffe wie Schwermetalle oder Mikroplastik im See vorhanden sind und wie sich diese auf die Organismen auswirken, wurde von den Behörden nie untersucht.
Als großes Problem nehmen die Teilnehmer*innen darüber hinaus das Hochwasser wahr, wie es zuletzt bei den Starkregenereignissen im Sommer 2017 auftrat. Da das Waldseewasser so stark belastet ist, wurde der Ablauf in Richtung Schlachtensee für den Fall eines Hochwassers bereits 1980 gekappt. Seither ist der Waldsee abflusslos, was im Jahr 2017 zu einem fünfwöchigen Hochwasser führte und in der Folge für überschwemmte Grundstücke und eine sehr große Zahl an toten Uferbäumen sorgte.
Zentrale Lösungsschritte
Zurück an Land diskutieren die Teilnehmenden über die zentralen Lösungsschritte. Sie fordern, den Waldsee mit Fokus auf die Südspitze teilzuentschlammen, so wie bereits in den 1930ern, 50ern und 80ern geschehen. Zudem soll verhindert werden, dass Schad-, Nährstoffe, Mikroplastik und Abfall erst gar nicht mit dem abgeleiteten Regenwasser in das Gewässer gelangen. Um dies zu erreichen, muss ganzheitlich vorgegangen werden, indem Flächen im Einzugsgebiet konsequent entsiegelt werden, Dächer begrünt und ein Verkehrskonzept für die Argentinische Allee erstellt wird.
Mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h und einer einspurigen Fahrbahn könnten Reifen- und Bremsabrieb und Schwermetalle bereits so stark verringert werden, dass die Belastung für den Waldsee sinken würde und zudem eine einfache Versickerung von Regenwasser an der Argentinischen Allee möglich wird. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass ein Retentionsbodenfilter am Ufer des Waldsees deutlich kleiner und kostengünstiger ausfallen und eventuell auch auf eine der letzten unbebauten öffentlichen Flächen am Waldsee Platz finden würde. Dies gilt es zu prüfen.
Der Waldsee steht damit für ein exzellentes Beispiel, warum die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie so schleppend voran kommt. Es mangelt nicht nur an Geld und Personal. Bei diesem “Gute Gewässergesetzt” ist es mindestens genauso essentiell, dass die unterschiedlichen Ressort aus Stadtentwicklung, Wasserbau, Verkehr und Naturschutz an einem Strang ziehen.
Ohne Verkehrskonzept keine Reduktion von Schadstoffen, ohne freie Grundstücke kein Platz für Filteranlagen, ohne ausreichend Grünflächen- und Gründächer keine Versickerung von Regenwasser und Anreicherung des Grundwassers, ohne Öffentlichkeitsarbeit keine Akzeptanz für Maßnahmen, ohne Gewässerentwicklungskonzepte keine Strategie, ohne … so weiter und so fort.
Konkrete Zusagen aus der Politik
Erfreulicherweise werden seitens der Bezirks- und Landespolitik an diesem Nachmittag konkrete Zusagen gemacht.
So möchte der Bezirksstadtrat Urban Aykal im Oktober 2022 einen Runden Tisch mit der Senatsumweltverwaltung, den Berliner Wasserbetrieben, der unteren Naturschutzbehörde, der Bezirkspolitik und dem Waldsee e.V. einrichten, um die Ursachen und Auswirkungen anzugehen.
Dr. Dennis Egginger-Gonzalez aus der Links-Fraktion und Ausschussvorsitzender des Ausschusses für Grünanlagen, Natur, Umwelt in Steglitz-Zehlendorf möchte den Waldsee auf der Ausschusssitzung als Schwerpunktthema auf die Tagesordnung setzen.
Frau Dr. Marela Bone-Winkel aus der CDU-Fraktion kündigt an, einen Antrag für die ökologische Sanierung des Waldsees einzubringen.
Der CDU-Angeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzende Stephan Standfuß wird sich auf Landesebene für eine Finanzierung der Teilentschlammung und Ursachenbehebung am Waldsee einsetzen.
Und Dr. Turgut Altug, Sprecher für Naturschutz, Umwelt- und Naturbildung, Landwirtschaft und Ernährung der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, erklärte, dass seine Partei erfolgreich für deutlich mehr Finanzmittel für Klimaschutz- bzw. Gewässerschutz gekämpft und das Projekt “Blau Perlen” zur Aufwertung von 30 Kleingewässern ins Leben gerufen habe. Sollte es zu einer Einigung zwischen dem Bezirk, BWB und den Anwohner*innen kommen, möchte er sich persönlich dafür einsetzen, dass es an den Finanzen auf der Landesebene nicht scheitert.
Zusammen mit Frau Pribilla und ihrem Waldseeverein sowie weiteren Aktiven des Aktionsnetzes Kleingewässer werden wir die Umsetzung begleiten und spätestens in einem Jahr Bilanz ziehen. Am besten tun wir dies im Sommer, wenn sich die Probleme nicht mehr verbergen lassen – geruchlich, versteht sich.
Weitere Informationen
BUND-Forderungen für mehr Gewässerschutz in Berlin
Die einspurige Argentinische mit Tempo 30 wäre ein mehrfacher Segen. Es entstünde Platz für einen grünen und „grünen“ Fahrradstreifen. Autoparkplätze könnten reduziert und auf den jetzigen „Radweg“, der faktisch keiner ist, verlegt werden. Ganz nebenbei würde die U-Bahn indirekt aufgewertet. Ein win-win-win in jeder Hinsicht!