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Der frühe Vogel rettet den Baum (vielleicht). Ein kleiner Leitfaden

Am 1. Oktober beginnt die Baumfällsaison

Gerade herrscht Aufruhr in Berlin-Mitte. Eine 200-jährige Eiche soll gefällt werden, damit bei einem Bauprojekt auch eine Tiefgarage entstehen kann. Die Chancen, dass die Fällung noch verhindert werden kann, stehen leider sehr schlecht. Denn das Projekt ist praktisch genehmigt und eine Fällgenehmigung liegt vor. Und zum 1. Oktober läuft auch die amtlich definierte Vegetationsperiode aus, in der Fällungen nicht durchgeführt werden dürfen. „Außerdem kann die Berliner Baumschutzverordnung bei Fällungen für Bauvorhaben die Bäume nicht schützen“, wie BUND-Baumexperte Christian Hönig weiß. Deswegen fordert der BUND auch Änderungen an der Verordnung.

  • Bevor es losgeht mit dem Leitfaden, zunächst die wichtigsten Tipps, um Bäume zu retten in Stichpunkten:
  • Der grundsätzliche Hinweis: Wer freundlich und nicht von vornherein aggressiv auftritt, kommt weiter. Ohne Verbündete wird es nicht gehen.
  • So früh wie möglich Informationen einholen. Wer will was bauen, in welcher Genehmigungsphase ist das Projekt?
  • Fachliche Beratung zur Rechtslage zum Beispiel beim BUND Berlin einholen
  • Kontakt zu bezirklichen Ämtern und Behörden herstellen
  • Mitstreitende suchen, die Natur vor dem Bau dokumentieren

 

Angesichts der Rechtslage ist es umso wichtiger, so früh wie möglich zu intervenieren, wenn sich abzeichnet, dass auf der Baulücke nebenan oder dem unbebauten Grundstück in der Nachbarschaft etwas entstehen könnte, wofür Bäume weichen sollen. „Sieht man zum Beispiel Vermesser mit ihren Gerätschaften, dann sollte man sie ansprechen und fragen, was hier geplant ist. Wird nur eine Leitung verlegt oder soll ein Gebäude gebaut werden? Idealerweise sollte man dabei auch herausbekommen, wer das Ganze plant“, sagt Christian Hönig. „Und bei allen Schritten gilt: Eine freundliche Ansprache bringt Sie in der Regel weiter als gleich in den Attackenmodus zu gehen!“, weiß er.

Aller Erfahrung nach ist nichts mehr zu gewinnen, sobald der Bauantrag eingereicht worden ist.

In aller Regel sind die Bezirke für Bauanträge zuständig. Ansprechpartner ist das jeweilige Stadtentwicklungsamt. Wichtig ist zunächst herauszubekommen, in welcher Phase das Bauprojekt ist. Ob zunächst eine sogenannte Bauvoranfrage gestellt worden ist oder bereits ein Bauantrag eingereicht worden ist. „Die größten Chancen auf Änderungen beim Vorhaben, durch die Grünflächen und Bäume gerettet werden können, gibt es, wenn es bisher nur eine Bauvoranfrage gibt und der eigentliche Antrag noch nicht eingereicht worden ist“, erläutert Hönig. Denn für die entsprechenden Unterlagen hat der Bauherr noch nicht so viel Geld investiert. Umplanungen sind noch ohne großen finanziellen Schaden möglich. „Für einen Bauantrag sind schon viele Mittel geflossen. Selbst das Versetzen einer Wand oder eines Gebäudes um wenige Zentimeter kann umfangreiche neue und kostenträchtige Berechnungen, beispielsweise für die Statik, nach sich ziehen“, erläutert Hönig. Um so geringer fällt die Bereitschaft aus, hier noch Änderungen vorzunehmen. „Aller Erfahrung nach ist nichts mehr zu gewinnen, sobald der Bauantrag eingereicht worden ist“, verdeutlicht der Baumschutzexperte.

Und auch wenn es auf einer Bauzeichnung einfach aussehen mag, einen Baukörper zu verrücken, kann praktisch nicht immer so einfach umsetzbar sein. Einerseits gibt es juristische Zwangspunkte wie vorgeschriebene Abstände zu anderen Gebäuden, anderseits ganz praktische, wie unterirdische Kabel und Kanäle. „Manchen Bauherren kann man mit guten Argumenten erreichen: Den positive Einfluss auf das Stadtklima durch einen großen alten Baum oder auch einen höheren Verkaufswert“, weiß Hönig.

Um einschätzen zu können, was unternommen werden kann, sind wichtige Informationen, wer genau baut und auf welcher gesetzlichen Grundlage. Da gibt es beispielsweise den sogenannten Lückenschluss-Paragrafen 34 der Bauordnung, nach dem sich der Neubau in die bauliche Umgebung einfügen muss. Andere Vorhaben werden aufgrund eines Bebauungsplans genehmigt, im Westteil Berlins gibt es den sogenannten Baunutzungsplan, der grobe Vorgaben für größere Gebiete macht. Dann wird noch unterschieden zwischen dem zusammenhängend bebauten Innenbereich einer Stadt und dem Außenbereich. Da es bei Bauvorhaben fast keine Möglichkeiten gibt einen Schutz von Bäumen gegen das Gebäude gerichtlich durchzusetzen muss die Zulässigkeit des Bauvorhabens überprüft werden.

Kontakt zur Bezirkspolitik suchen

Eine weitere Möglichkeit, an Informationen zu kommen und Öffentlichkeit zu schaffen, ist die Bürgeranfrage in der jeweiligen Bezirksverordnetenversammlung. Auch dabei gilt es, möglichst genau den Status (Bauvoranfrage, Bauantrag) und das geplante Vorhaben zu erfragen. Hilfreich kann es sein, sich an Abgeordnete einer demokratischen Fraktion zu wenden, die einem persönlich politisch nahesteht. „Auf dieser Ebene macht es meist keinen großen Unterschied, welcher Partei die Person angehört, wichtig ist, dass sie das Anliegen unterstützt und gewillt ist, es auch im Stadtentwicklungs- beziehungsweise dem Umweltausschuss zu vertreten“, sagt Christian Hönig. Kontakt zu den zuständigen Stadträtinnen und Stadträten und deren Fraktionen kann aber auch nicht schaden.

Entscheidungen von Bezirksparlamenten sind meist nicht bindend

Was man aber wissen muss: Ab einer gewissen Phase kann die Bezirksverordnetenversammlung eigentlich nichts mehr machen. Entsprechende Beschlüsse, die Baumfällungen ausschließen oder ein Bauprojekt stoppen sollen, sind rechtlich nicht bindend. Denn die Bezirksämter sind im Kern Teil der Berliner Landesverwaltung. Die Stadträtinnen und Stadträte sind wie alle Beamtinnen und Beamten an Recht und Gesetz gebunden. Muss laut Rechtslage ein Vorhaben genehmigt werden, können sie höchstens eine Genehmigung verzögern und versuchen, mit dem Bauherren Verbesserungen auszuhandeln.

Zieren sich die Ämter, Informationen herauszugeben, hilft ein Antrag in Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz oder dem Umweltinformationsgesetz. „Aber auch hier gilt: Erstmal freundlich nachfragen und nicht gleich mit dem Antrag ins Haus fallen“, rät Hönig.

Wichtig ist auch der frühzeitige Kontakt zu den bezirklichen Naturschutzbehörden. Dort kann man sich erkundigen, was zu dem Bauvorhaben bekannt ist und wie das Amt selbst die Sache sieht. „Wenn jemand etwas machen kann, dann die Naturschutzbehörden. Man sollte sie als Partner ansehen, auch wenn sie auf die in vielen Punkten frustrierende Gesetzeslage verweisen“, so Christian Hönig.

Eine unabhängige fachliche Einschätzung einholen

Spätestens jetzt ist es an der Zeit, sich an einen anerkannten Umwelt- oder Naturschutzverband zu wenden, um sich auf Basis der gesammelten Informationen beraten zu lassen. Natürlich kann man sich auch von einem Rechtsanwalt beraten lassen, allerdings hat nicht jeder die entsprechende Expertise und Erfahrung in dem Bereich, abgesehen davon, dass natürlich Kosten anfallen.

Bildet Gruppen, schafft Öffentlichkeit

Alleine kämpfen ist scheiße. Man sollte daher unbedingt Verbündete finden, dem Umfeld Bescheid sagen. Denn die Chance ist groß, dass man als einzige Person die Vermesser gesehen hat“, sagt der BUND-Baumschutzexperte. Online-Nachbarschaftsnetzwerke wie nebenan.de können gerade in eher anonymeren Gegenden eine große Hilfe sein.  „Eine Online-Petition kann helfen, um Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden und eine größere Öffentlichkeit herzustellen. Aber kein Amt wird davor einknicken, wenn es nach der gültigen Rechtslage agiert“, sagt Hönig.

Handelt es sich um mehr als einen Baum, der gefällt werden soll, sollte die Gruppe sich an die Kartierung machen. „Die Bäume zählen, Stammumfang und Höhe messen, nach sogenannten Lebensstätten suchen, also bewohnte Nester und Höhlen von Vögeln und Eichhörnchenkobel sowie Horste von Greifvögeln finden“, erläutert Christian Hönig. Eine Skizze mit den Angaben reicht, es müssen keine exakten Karten mit Koordinatenangaben erstellt werden. „Hat man eine Höhle gefunden, sollte man eine Kamera bereitlegen, um das Vorkommen belegen zu können“, rät er. „Es ist ein unheimlich tolles Erlebnis für die Gruppe und gerade für Kinder, wenn sie die Tiere, die den Baum bewohnen, entdecken und sogar dokumentieren können“, sagt Hönig. Alle Vogelarten außer Stadttauben gelten übrigens als geschützte Wildtiere. Allerdings gibt es auch Einschränkungen: „Bloß, weil da ein Fuchs herumspringt oder ein Habicht zu sehen ist, handelt es sich noch nicht um  geschützte Lebensstätten im Sinne des Gesetzes“, so der Experte. Und: „Nichts davon, was in den Bäumen lebt, wird auf Dauer eine Fällung verhindern können.“

Helfen kann es allerdings, Zeit zu gewinnen. Viel Sand im Getriebe kann bei Vorhabenträgern die Bereitschaft steigern, einzulenken.

 

 

 

 

 

 

Ein Kommentar

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  1. Es gibt eine aktuelle aufschlussreiche Beantwortung einer Kleinen cdU-Anfrage im AGH:
    https://www.parlament-berlin.de/aktuelles-presse/parlamentarische-anfragen/schriftliche-anfragen-aktuell

    Abgesehen von glatten Falschaussagen (‘Aus diesem Grund werden alle Bäume, bevor
    Schnittmaßnahmen oder Fällungen durchgeführt werden, auf Anzeichen von dort lebenden
    Tieren untersucht.” — Dies wird mangels Personal, Expertise, Gerät, finanzieller Mittel für externe Gutachten und nicht zuletzt dem politischen Willen zumeist – ja, wirklich! – den ‘Baumpflegenden’ anheimgestellt) wird das Übertragen der Beauftragung artenschutzrechtlicher Prüfungen in die Eigenverantwortung der Bauherrschaft nachdrücklich kritisiert.
    Sodann wird das OVG-Urteil Bln-Bbg. von 2020 zitiert, das die Funktion des Naturhaushalts gegen das verfassungsrechtlich verbriefte Eigentumsrecht abwägt und ungeachtet Klimanotstand, Artenkollaps, Hitze-Tote etc. dieses für gravierender hält, wenn die Baumrettung mehr als nur minimale Planungsänderungen erfordern würde.

    Ich schließe mich also dem Fazit SenUMVKs vollumfänglich an, wenn sie resümiert:
    “Insgesamt ist festzustellen, dass sich viele der unterschiedlichen Anforderungen gegenseitig ausschließen. Wird viel baulich verdichtet, bleiben zunehmend die Wohlfahrtswirkungen des Naturhaushaltes in ihrer Gesamtheit auf der Strecke. Bäume und sonstiges auch für die Biodiversität und den Klimaschutz wichtiges und vielfältiges Grün geht verloren und kann gar nicht mehr oder nicht mehr angemessen ersetzt werden. Eine gesetzlich verankerte Stärkung
    des Baumschutzes wäre daher aus naturschutzfachlicher Sicht sehr zu begrüßen.”

    Hier besteht mithin dringend gesetzgeberischer Handlungsbedarf! Falls die über 200-jährige Eiche in der Dresdner 113 tatsächlich für sechs SUV-Stellplätze fallen muss, möge es wenigstens in dieser Hinsicht von großer Signalwirkung und sie nach Jahrhunderten nicht ganz umsonst getötet worden sein!

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