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Windeln lassen Bäume sprießen

Kompost aus Stoffwindel-Einlagen wird für Pflanzung von Felsenbirnen genutzt

© by BUND Berlin

Diesen Samstagnachmittag findet ein ungewöhnlicher Termin in Friedrichshain statt. Vor dem Nirgendwo-Umweltbildungszentrum in Trägerschaft des BUND Berlin wird ein Baum gepflanzt. So weit, so normal. Der dabei verwendete Humus stammt allerdings aus kompostierten Einlagen für Stoffwindeln. Im Rahmen eines Pilotprojektes vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und Zukunft Pflanzen e.V./DYCLE im August 2021 hatten 20 Familien die Möglichkeit, die vollständig kompostierbaren Einlagen zwei Wochen lang mit ihren Kindern zu testen. Die benutzten Windeleinlagen wurden dann abgegeben und zu Humus weiterverarbeitet, der als nährstoffreicher Boden vor Ort genutzt werden kann. Mit der Baumpflanzung schließt sich somit der Kreislauf: Nährstoffe gelangen zurück in den Kreislauf und ein neuer Baum wird wachsen und Früchte tragen. Gepflanzt wird eine Felsenbirne, die sich gut für den Standort eignet und sich in das lokale Ökosystem einfügt.

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war es völlig normal, mit Stoff zu wickeln. Anfang der Sechzigerjahre eroberte die Einwegwindel den US-Markt und kam mit rund 10 Jahren Verzögerung auch nach Deutschland. Die Folge: Inzwischen werden bei uns acht Millionen Windeln täglich entsorgt. Der dabei entstehende Müll kann nicht recyclet werden, denn die Mischung aus Superabsorber, Plastik und Ausscheidungen lässt sich nicht mehr trennen. So landen rund 1,5 Tonnen Windelmüll pro Kind in den Verbrennungsanlagen – allerdings nicht rückstandslos. Es bleibt die sogenannte Schlacke, die im Anschluss gelagert wird, oft in alten Salzstöcken. Allein im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fallen rund 2500 Tonnen Windelmüll jedes Jahr an. Das entspricht rund 300 voll beladenen Fahrzeugen der Müllabfuhr. Es gibt verschiedene umweltfreundliche und ressourcenschonende Alternativen zu Einwegwindeln. Doch nur sieben Prozent der Familien in Deutschland nutzen diese.

Die wiederverwendbare Alternative von früher wird jetzt wieder neu entdeckt. Der Wunsch, weniger Müll zu produzieren, ist vielen (angehenden) Eltern vertraut. “Es ist ein gutes Gefühl, nicht täglich so viele Windeln wegzuwerfen. Das sind schon ganz schöne Berge, die der Kleine bisher schon produziert hätte”, stellt ein frisch gebackener Papa zufrieden fest, der sich für die Nutzung von Stoffwindeln entschieden hat. 

Aber es gibt auch Vorurteile gegen die Stoff-Variante, die dann oft doch zur Einwegwindel führen. Für “Berlins Weg zu Zero Waste” – gefördert von der Stiftung Naturschutz Berlin – räumen wir mit den Mythen auf, um noch mehr Menschen von der umweltschonenden Alternative zu überzeugen.

1. Ein Kind kann sich in Stoffwindeln gut bewegen!

Ja, eine Stoffwindel muss zum Kind passen, damit sie gut sitzt – aber im Gegensatz zur Einwegwindel muss sie nicht stramm geschlossen werden und sitzt zudem deutlich besser auf der Hüfte, sodass Stoffwindel-Kinder sogar leichter in die Drehung kommen können.

2. Stoffwindeln verströmen wenig Geruch!

Früher wurden Stoffwindeln oft in Wassereimern gelagert. Heute wissen wir, dass das die Geruchsbildung verstärkt und lagern Stoffwindeln darum trocken. Und habt ihr schon mal an einer Einwegwindel gerochen? Die strömen meist schon vor der Nutzung einen unangenehmen Geruch aus.

3. Stoffwindeln sind gar nicht so anders!

Naja, natürlich bedarf es einer gewissen Umstellung, wenn jemand vorher Einwegwindeln gewohnt war. Aber unsere Kleidung und auch Geschirr waschen wir doch auch, anstatt es zu ersetzen? Und die Nutzung selbst unterscheidet sich je nach gewähltem Stoffwindelsystem kaum von der Einwegvariante.

4. Stoffwindeln sind hautfreundlich!

Die Wickelintervalle sind bei Stoffwindeln kürzer als bei Einwegwindeln, aber ist es wirklich erstrebenswert, ein Baby 12 Stunden lang in derselben Windel sitzen zu lassen? Wird regelmäßig gewickelt, verursachen Stoffwindeln sogar seltener Hautprobleme als Einwegwindeln – auch, weil sie atmungsaktiv sind und im Gegensatz zu Einwegwindeln keine Wärme erzeugen. Dabei birgt zu viel Wärme die Gefahr, dass sich das Herabsenken der Hoden verzögert.

5. Stoffwindeln rentieren sich!

Über die Wickelzeit sind die allermeisten Stoffwindelsysteme deutlich günstiger als Einwegwindeln – vor allem, wenn Eltern Wert auf eine ökologische Einweg-Windel legen. Beim zweiten Kind ist das Wickeln dann quasi kostenlos! Auch ein Weiterverkauf ist möglich. Zudem werden Entsorgungskosten gespart, denn der Restmüll, über den die Windelberge entsorgt werden, ist richtig teuer. Abschreckend können die einmaligen Anschaffungskosten dennoch sein. Manche Kommunen bieten Eltern darum einen Stoffwindelzuschuss an! 

Finanzieller Anreiz beim Windelkauf 

Immer mehr Gemeinden, Städte oder Landkreise bieten Eltern bei der Anschaffung von Stoffwindeln eine finanzielle Unterstützung. Dies passiert nicht aus Freundlichkeit: Entsorgungsunternehmen sind dazu verpflichtet, gemäß der bundesweit gültigen Abfallhierarchie zu arbeiten. Das heißt: Müll zu vermeiden ist besser, als Müll zu verwerten. Die große Menge Windelmüll, die jedes Baby verursacht, ist da ein guter Ansatzpunkt! 

Stoffwindeln erscheinen auf den ersten Blick kostenintensiv. Über die Wickelzeit sind sie aber nachweislich günstiger als fast alle Einwegwindeln – selbst, wenn wir Entsorgung und Verwertungskosten nicht mit einrechnen! Die hohe Erstinvestition für das Wickeln mit Stoff macht es Familien aber nicht immer einfach, sich gegen die altbekannte Einwegwindel zu entscheiden. Mit einem Zuschuss wird es einfacher, auf die natürliche und nachhaltige Alternative zurückzugreifen. Das Hauptargument für die Entsorgungsunternehmen, die oft den Kommunen angegliedert sind, ist die Abfallhierarchie, die aus dem Abfallvermeidungsprogramm des Bundesumweltministeriums hervorgeht. Sie besagt: Müll zu vermeiden ist das oberste Ziel! Wie genau der Zuschuss gestaltet ist, bestimmt jede Kommune selbst: Im Jahr 2021 lagen die Zuschüsse in Deutschland zwischen 30 und 300 Euro. 

Ein Windelzuschuss für Berlin? 

Die Seite deine-stoffwindel.com sammelt alle Stellen, die Stoffwindeln bezuschussen und betreibt Öffentlichkeitsarbeit, damit mehr Kommunen über einen Zuschuss nachdenken. In Berlin gibt es bisher noch keinen Zuschuss, auch wenn es bereits Bemühungen gab, die Politik auf das Thema aufmerksam zu machen. Um den Druck zu erhöhen, braucht es Aktivismus vor Ort – die Initiative deine-Stoffwindel.com hält unter anderem ein Musteranschreiben bereit, das ihr selbst nutzen könnt, um Politiker*innen oder andere einflussreiche Stellen anzuschreiben. 

Die Baumpflanzung am Samstag, den 15. Oktober 2022 ab 13 Uhr vor dem Umweltbildungszentrum Nirgendwo ist öffentlich, um Anmeldung wird gebeten, entweder per E-Mail an hello@dycle.org oder via Eventbrite: https://www.eventbrite.de/e/baumpflanzung-im-wriezener-park-tickets-429266476587

Dieser Text von Lysann Steinbacher ist zuerst auf dem Zero-Waste-Blog erschienen.

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