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Unter dem Pflaster ist das Leben

Gemeinsam mit BUND-Experten wird in einer Mitmachaktion das Berliner Grundwasser auf Kleinstlebewesen untersucht

Drei Menschen an einer Schwengelpumpe im Berliner Straßenland. Sie pumpen Grundwasser in ein Filternetz, das am Hahn der Pumpe hängt. © by Dr. Christiane Peter

Es ist ein grauer, feuchter Tag Ende November – kalt und unangenehm. Dennoch hält das einige Unentwegte nicht davon ab, an der Mitmachaktion des BUND teilzunehmen. Unser Wasserexperte Christian Schweer leitet Christina Böhrer und Otasowie Akhionbare an, die zunächst ordentlich pumpen müssen, was die Aufmerksamkeit von Passantinnen und Passanten erregt. Gesucht werden Kleinstlebewesen, erläutert Schweer. “Sind das etwa Krankheitserreger?”, lautet die Anschlussfrage. Nein, die sind nützlich und stellen einen Indikator für die Qualität des Grundwassers dar. Die Freude wäre groß, auch welche zu finden.

Messung am Straßenrand

Schauplatz ist die Wasserpumpe 19 in der Schöneberger Feurigstraße. Dieser Brunnen reicht etwa 30 Meter tief und stößt rund zehn Meter unter dem Bürgersteigniveau auf den Grundwasserspiegel, das ist der sogenannte Flurabstand. Alle Pumpen in Berlin sind nummeriert. Diese Schwengelpumpe stammt wahrscheinlich aus den 50er Jahren. Und alle Pumpen ziehen wirklich Grundwasser und sind nicht etwa an einer Trinkwasserleitung angeschlossen. Auf den Bürgersteigen der Stadt findet man heute etwa 2000 dieser Pumpen. Zwei Drittel der Berliner Straßenpumpen liefern Trinkwasserqualität, diese leider nicht.

Schild "Kein Trinkwasser" auf der Schwengelpumpe am Straßenrand
Das Schild kündigt es an, Geruch und Aussehen bestätigen es: Hier wird kein Trinkwasser gefördert

Diese Pumpen dienen der netzunabhängigen Notfallversorgung der Bevölkerung für Trinkwasser (das gegebenenfalls noch aufbereitet wird) und für Löschwasser. Etwas weniger als die Hälfte dieser auch Notbrunnen genannten Wasserzapfstellen der Hauptstadt gehören dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe,  der Rest dem Land Berlin. Sie werden alle von den Berliner Bezirksämtern betreut, so auch die Nummer 19.

Sehr kleines Leben im Grundwasser 

Nun zu den erhofften Funden, den Kleinstlebewesen. Was sind das für welche? Warum sind die nützlich? Und wieso soll man da mitmachen?

Das Grundwasser ist von ganz unterschiedlicher Qualität. Nicht umsonst bestimmt zum Beispiel die Wasserhärte, also vor allem der Kalzium- und Magnesiumgehalt des Wassers, die Qualität von Biersorten. Aber ganz besonders geht es darum, dass das Grundwasser als wichtige Quelle für unser Trinkwasser keine Verunreinigungen durch Schadstoffe oder krankmachende Keime enthält. Und da spielen Kleinstlebewesen eine wichtige Rolle. Eine Rolle, die bisher noch nicht so ausführlich in Augenschein genommen wurde.

In den bisherigen Wasseranalysen der etwa 30 Pumpen bei der seit Anfang dieses Jahres gestarteten Mitmachaktion „Lebendiges Grundwasser“ des BUND wurden bei etwa der Hälfte der Proben Hüpferlinge, Fadenwürmer, Milben, Plattwürmer, Muschelkrebse, Wasserflöhe, Wenigborster oder Raupenhüpferlinge gefunden. Diese Tierarten überlebten die oftmals riesigen Dinosaurier, sind ungemein viel kleiner, meist nur rund einen Millimeter groß, und passten sich den Lebensbedingungen in völliger Dunkelheit und bei weitgehend konstanten Temperaturen in 15 bis 20 Metern Tiefe an. Sie sind für uns deswegen so nützlich, weil sie unter anderem organische Stoffe zersetzen, Bakterien abweiden und somit ein Zusetzen der Porenräume des Grundwasserleiters verhindern. Aber die kleinen Nützlinge sind auch empfindliche Mimosen. Temperaturanstiege wie durch die heißen Sommer mögen sie gar nicht. Ihr Vorhandensein ist ein Indikator für eine gute Wasserqualität.

Die Berliner Senatsumweltverwaltung nimmt in ihrer Beobachtung der Vielfalt biologischer Kleinstlebewesen eine Vorreiterrolle ein. Weil diese Untersuchungen auf nur fünf Prozent der Landesgrundwassermessstellen beschränkt sind, unterstützt der BUND mit der Mitmachaktion die Datenlage durch Messungen an den Schwengelpumpen der Hauptstadt und sensibilisiert die Anwohnerinnen und Anwohner für den Schutz des Grundwassers.

Entsprechende gesetzliche Regelungen – auch auf EU-Ebene –, die das Monitoring dieser Indikatoren für die Wasserqualität beinhalten, werden durch den BUND mit vorangetrieben.

Der Ablauf der Beprobung

Zunächst muss die Pumpe überhaupt funktionieren. Diesen Test hat sie bestanden. Anschließend muss das sogenannte Standwasser im Brunnenrohr abgepumpt werden, bis frisches Grundwasser aus dem Hahn strömt. Davon wird eine erste Probe genommen.

Das Wasser ist gelblich und stinkt nach faulen Eiern. Die Farbe deutet auf einen hohen Eisengehalt und der Geruch auf Schwefelverbindungen. Da mag der Aufkleber „Kein Trinkwasser“ seine Rechtfertigung gefunden haben.

Die Messgeräte erfassen die elektrische Leitfähigkeit des Wassers. In der Feurigstraße liegt sie mit etwa 1200 Mikrosiemens (µS) hoch, was auf Verunreinigungen hinweist. In dem betreffenden Grundwasser ermittelte die Berliner Umweltverwaltung einen auffällig hohen Sulfatgehalt. Diese Stoffverbindung wird unter anderem aus dem Trümmerschutt ausgewaschen, der sich noch immer im Boden befindet und Folge des Zweiten Weltkrieges ist.

Hitzestress im Untergrund

Dann wird die Temperatur gemessen. Heute sind es etwa 12,8 Grad. Ein Wert, der drei Grad zu hoch für diese Tiefe ist und für die kälteliebenden Grundwassertierchen bereits lebensbedrohlich sein kann. Weiter erfassen die Geräte den Sauerstoffgehalt und den PH-Wert. Der Sauerstoffgehalt ist wie die Temperatur ein wichtiger Wert. Sollte die Konzentration unter einem Milligramm pro Liter liegen, so können in dem Grundwasser keine Tiere mehr leben und die Fortsetzung der Beprobung würde sich erübrigen. Doch die Messeung ergibt einen Wert von vier Milligramm Sauerstoff pro Liter, weshalb es an Schwengelpumpe Nummer 19 weiter gehen kann.

Zwei Messgeräte für PH-Wert und Temperatur sind über einen Fühler in einem Becher mit abgepumpten Grundwasser verbunden.
Zahlreiche physikalische Werte des Grundwassers werden erfasst.

Tag, Uhrzeit, Örtlichkeit (GPS-Daten), der Abstand zum Grundwasserspiegel, Beschaffenheit der Umgebung in circa 100 Metern Umkreis zur Pumpe (hier 90 bis 100 % versiegelte Fläche) und die Nutzungsform der Gegend (Wohngebiet), sowie auch all die anderen Daten, erfasst Christian Schweer in seinem Messprotokoll.

Viel Pumperei für die Probe

Der nächste Schritt steht an, nämlich 30 Eimer Grundwasser abzupumpen. Dieses Wasser fließt durch ein sehr feinmaschiges sogenanntes Hydrantennetz mit einer Auffangflasche, in der die Tiere gesammelt werden.

Schließlich muss die Probe aufbereitet werden. Nachdem die 300 Liter Grundwasser entnommen wurden, wird das Netz mit gefiltertem Wasser abgespült, damit die Tiere in die Auffangflasche rutschen. Danach wird die Probe durch ein Sieb gegeben und gespült, um sie weiter zu konzentrieren. Auch hier wird nochmals mit gefiltertem Wasser gearbeitet, damit die Probe nicht verunreinigt wird.

Ein Mann spült das Filternetz, in dem Kleinstlebewesen aus dem Grundwasser aufgefangen werden, aus, um alle Tierchen in die daran hängende Probeflasche zu bekommen.
BUND-Wasserexperte Christian Schweer bereitet die Kleinstlebewesen-Probe vor.

Die für die Tierbestimmung aufbereitete Probe wird dann doch noch mit 96-prozentigem Ethanol in einen kleinen Aufbewahrungsbehälter überführt. Damit sind alle möglicherweise enthaltenen Kleinstlebewesen konserviert. Fachsprachlich wird das als „fixiert“ definiert. Die Fixierung ist nötig, um den aktuellen Stand der Analyse festzuhalten und auch, um die DNA zu konservieren. Würde das nicht erfolgen, können sich die Organismen zersetzen oder gegebenenfalls gegenseitig auffressen und unter dem Mikroskop würde kein auswertungsfähiges Ergebnis sichtbar werden.

Tierbestimmung und Ausblick

Die Tierbestimmung machen wir selbst und bieten dieses auch Grundwasserpat*innen an, die eine Schwengelpumpe in ihrer Nachbarschaft beproben. Zu diesem Anlass finden Vernetzungstreffen statt. Der nächste Termin ist am 14. Dezember 2022. Weitere Treffen werden folgen.

Wir werten bei diesem Treffen die Proben unter dem Mikroskop aus und bestimmen die gefundenen Tiere nach Großgruppen. Das sind zum Beispiel Hüpferlinge, Muschelkrebse oder Ringelwürmer wie der Wenigborster. Die gefundenen Tiere werden entsprechend ihrer Gruppenzugehörigkeit in gesonderte Schälchen gesammelt und gezählt. Natürlich unterstützt das Projektteam bei diesen Arbeiten und klärt Fragen rund um die Beprobungen.

Eine Frau betrachtet ein Fläschchen mit einer konzentrierten Probe aus dem Grundwasser, das sie in der Hand hält.
Die Filterprobe aus dem Grundwasser ist nun in Alkohol konserviert.

Wir hoffen auch bei dieser Beprobung fündig geworden zu sein. Das Grundwasser um den Brunnen in der Feurigstraße hat es ja nicht so gut, zum Beispiel durch die Versiegelung der Oberfläche rund um ihn.

Alle Grundwasserinteressierten sind herzlich eingeladen, bei unserer nächsten Messkampagne vom 21. Februar bis zum 7. März 2023 dabei zu sein. Gerne können Sie auch die Patenschaft für eine Schwengelpumpe übernehmen und dort mit uns nach Leben im Grundwasser forschen.

Vorab bieten wir Ihnen eine interessante Veranstaltung zur faszinierenden Lebenswelt des Grundwassers an: Am 16. Januar 2023 laden wir Sie zum ersten Grundwassersalon herzlich ein, der zwischen 18 und 20.30 Uhr stattfindet. Dort können Sie unter anderem Berliner Tiere im Grundwasser näher kennenlernen. Weitere Informationen sind auf der Projektwebseite zu finden.

 

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