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Berliner Verkehrswende-Bilanz für 2022: Vorwärts in Trippelschritten

Vieles liegt noch im Argen, zarte Pflänzchen einer neuen Verkehrspolitik sind in der Hauptstadt allerdings zu erkennen

Radfahrer auf der Straße von hinten. An den Gepäckträgern sind Schilder zu sehen, auf denen Radweg jetzt und ein Tempo-30-Schild gemalt sind. © by Nicor (CC BY-SA 4.0)

Immer mehr Berliner Bezirke sind inzwischen politisch auf einen Kurs gen Verkehrswende eingeschwenkt, die Zusammenarbeit mit dem Senat scheint sich zu verbessern. Zaghaft wird auch neue Fahrrad-Infrastruktur sichtbar. Doch Personalmangel, Zuständigkeitswirrwarr und politischer Unwille bremsen den dringend nötigen Wandel weiter viel zu stark aus. Auch der Bund hält an autogerechten Regelungen fest. Im Regionalverkehr gab es einen Sprung nach vorn, der allerdings vorerst an Krankenständen und Infrastrukturproblemen hängt. Die neue Berliner Mobilitätssenatorin hat zahlreiche Blockaden aufgebrochen, doch mit der anstehenden Wahlwiederholung könnten ihre Tage im Amt gezählt sein.

Punktuelle Fortschritte beim Radverkehr

Ein großer Fortschritt für eine sichere und attraktive Fahrrad-Infrastruktur war die Fertigstellung des geschützten Radwegs entlang des Tempelhofer Damms. Auf 1,5 Kilometern Länge zwischen Alt-Tempelhof und Ullsteinstraße haben Radfahrende seit Oktober gute Infrastruktur, was zahlreiche, weit darüber hinausreichende Verbindungen attraktiver macht. Bis auf Restarbeiten fertiggestellt ist auch der geschützte Radweg entlang der Nordseite der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Ebenfalls neu sind unter anderem geschützte Radwege am südlichen Teil der Neuköllner Hermannstraße sowie an der Müllerstraße im Wedding.

Autostau auf der Fahrradstraße
So sah es 2019 auf der Fahrradstraße Pflügerstraße in Berlin-Neukölln aus. Foto: Nicor (CC BY-SA 4.0)

Die größten Zuwächse bei der Rad-Infrastruktur gab es bei den Fahrradstraßen. In Friedrichshain sind beispielsweise Rigaer Straße und Weidenweg als Parallele zur Frankfurter und Karl-Marx-Allee hinzugekommen, im Neuköllner Norden wird ein regelrechtes Netz aufgebaut und auch in Pankow und Mitte gibt es Zuwachs, nicht zuletzt mit der Charlottenstraße, die Ersatz für die Friedrichstraße sein soll, die künftig nur noch zu Fuß gehenden vorbehalten sein soll. Der große Schönheitsfehler der Fahrradstraßen: Viel zu viele Autofahrende ignorieren den Vorrang des Radverkehrs, wirklich sicher kann sich nicht fühlen, wer auf dem Fahrrad unterwegs ist.

Nun hat die Mobilitätsverwaltung eine vorläufige Jahresbilanz vorgelegt: 25,8 Kilometer Fahrrad-Infastruktur sind 2022 in Berlin demnach angelegt worden. Das können neue Fahrradwege, die Sanierung bestehender Wege oder auch neue Fahrradstraßen sein. Gezählt wird nun nicht mehr wie bisher jede Fahrtrichtung einzeln, sondern es wird mit Rad-Infrastruktur in beiden Richtungen gerechnet. Da der Doppelhaushalt 2022/2023 erst Ende Juni in Kraft trat, konnten erst ab diesem Zeitpunkte entsprechende Baumaßnahmen ausgeschrieben werden. Doch selbst wenn doppelt so viele Kilometer geschafft worden wären, wäre nicht ansatzweise das laut Mobilitätsgesetz nötige Ausbautempo erreicht worden.

Immerhin ist so langsam auf der Projektkarte des Landesbetriebs Infravelo zu erkennen, wie sich zwischen Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg, Nord-Neukölln und Schöneberg langsam ein Netz bei der Fahrrad-Infrastruktur entwickelt. Auch in Charlottenburg tut sich langsam etwas. Die Senatsmobilitätsverwaltung hat für die Kantstraße eine wegweisende Entscheidung getroffen: Die mit der Einführung des Pop-up-Radwegs dort noch beibehaltenen Parkplätze werden verschwinden. Neben der Rad- wird auch eine Busspur eingerichtet, sowie Lieferzonen. Mit Einrichtung des provisorischen Radwegs ist der dichte Busverkehr in den Autostau gezwungen worden – eine Fehlentscheidung, die nun korrigiert wird.

Zuständigkeitschaos und Blockaden überwinden

An der von Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) neu initiierten Projekteinheit Radwege beteiligen sich immerhin neun Bezirke gemeinsam mit der Senatsverwaltung. Sie soll bürokratische Hürden reduzieren und die Umsetzung beschleunigen. Das ist bitter nötig, aber selbst damit bleibt es utopisch, die geplanten 871 Kilometer Fahrrad-Vorrangnetz in Berlin bis 2026 zu realisieren, wie es eigentlich vorgesehen ist.

Karte der geplanten Fahrrad-Schnellverbindungen in Berlin
Karte der geplanten Fahrrad-Schnellverbindungen in Berlin Grafik: Infravelo/GrünBerlin

Für zwei der zehn geplanten Fahrrad-Schnellverbindungen – vom Wannsee zum Ku’damm sowie auf der sogenannten West-Route entlang der B5 von Staaken bis zum Tiergarten – hofft die planende Infravelo, das Planfeststellungsverfahren Ende 2025 abschließen zu können. Die weiteren Strecken sollen sukzessive folgen.

Mehr Bezirke auf Verkehrswende-Kurs

In mehreren Bezirken ist Schwung in das Thema Verkehrswende gekommen. Neben den bisherigen Vorreitern Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln ist das vor allem in Mitte der Fall, aber auch in Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf. In Lichtenberg und Pankow wollen die Bezirksverordneten deutlich mehr als der Stadtrat und die Stadträtin mit CDU-Parteibuch. Auch in Spandau bremst ein CDU-Politiker. In Tempelhof-Schöneberg sorgt nun die SPD-Fraktion im Bezirksparlament für eine Mehrheit gegen eine größere Umverteilung von Verkehrsraum. In Reinickendorf, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf kämpfen die zuständigen Bezirksstadträtinnen vor allem mit dem geerbten eklatanten Personalmangel.

Busspur am ICC Berlin
Busspur am ICC Berlin Foto: Boonekamp (CC BY-SA 4.0)

Beschleunigung von Tram und Bus steht weiter aus

Ein verlorenes Jahr war 2022 beim Thema Beschleunigung von Straßenbahnen und Bussen. Nach wie vor ist eine konsequente Bevorrechtigung von BVG-Verkehrsmitteln an Ampeln nicht in Sicht. Das führte dazu, dass beispielsweise die direkte Verbindung vom Frankfurter Tor zur Eberswalder Straße mit der Tramlinie M10 langsamer war als die Umsteigeverbindung mit U5 und U2 über den Alexanderplatz. Zumindest bis eine Hochhaus-Baustelle am Alexanderplatz den durchgehenden Verkehr auf der U2 Anfang Oktober zum Erliegen brachte. Seitdem und noch mindestens bis März pendeln die Züge zwischen Senefelderplatz und Klosterstraße nur im Viertelstundentakt. Die wichtige Verkehrsarterie ist dadurch faktisch wertlos geworden.

Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch hatte sich auch daran gemacht, die Ausweisung von Busspuren nach jahrelanger Stagnation endlich voranzubringen. Ein deutlicher Rückschlag war eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichtes Berlin vom August, die eine Aufhebung einer neuen Busspur in der Clayallee in Zehlendorf auf Grund von bundesrechtlichen Vorschriften verlangte. In der Spitze mindestens 20 Busse pro Stunde müssten demnach auf der Strecke fahren, um die Einrichtung einer separaten Spur zu begründen – ein Wert, der nur an sehr wenigen Punkten erreicht wird. Bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung ist die Ausweisung weiterer Busspuren ausgesetzt.

Bund behindert massiv

Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der Stadt auch auf Hauptstraßen, dafür setzt sich das vom Deutschen Städtetag 2021 initiiertes Bündnis „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ von inzwischen 360 Kommunen beim Bundesverkehrsminister ein, dem 2022 auch Berlin beigetreten ist. Außerdem forderten alle Verkehrsstadträtinnen und -stadträte der zwölf Berliner Bezirke im Oktober in einem Schreiben an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) weitere Erleichterungen für die menschen- und umweltgerechte Umgestaltung des Straßenraums. Denn auch die Anlage von Kiezblocks, Zebrastreifen und eben auch Busspuren ist oft gar nicht oder nur unter großen bürokratischen Verrenkungen möglich. Die Antwort fiel lau aus und so gab es auch 2022 keinen fassbaren Fortschritt in dieser Richtung. Das Bundesverkehrsministerium sendete mit der Beauftragung von Planungen für die Weiterführung der A100 von Treptow nach Prenzlauer Berg stattdessen Signale in die entgegengesetzte Richtung. Bekanntgemacht hatte das die Staatssekretärin Daniela Kluckert (FDP) im März per Presse-Interview.

Immerhin hat der Bezirk Mitte einen Bereich gefunden, in dem Fortschritte trotz des autogerechten Straßenrechts und Straßenverkehrsrechts möglich sind: 50 Kreuzungen wurden deutlich verkehrssicherer gemacht, in dem Auto-Parkplätze an den Ecken durch Abstellflächen für Fahrräder, E-Scooter und -Roller ersetzt wurden, das Falschparken an diesen Stellen ist durch Poller, Fahrradbügel und Verkehrsschilder unmöglich gemacht worden. Weitere 100 Kreuzungen sollen 2023 folgen.

Weiter Weg bis Vision Zero

Bis 26. Dezember 2022 zählte der VCD in Berlin 35 Verkehrstote – davon 24 zu Fuß gehende oder Fahrrad fahrende. Ein historisch niedriger Wert, der allerdings noch weit von der Vision Zero, also null Verkehrstote, entfernt ist. Wenn das tatsächlich einen Trend andeuten würde, wäre es zumindest ein Hoffnungsschimmer. Lediglich 40 Prozent der Befragten in der Hauptstadt gaben im bundesweiten Mobilitätsbarometer von BUND, Allianz pro Schiene und Deutschem Verkehrssicherheitsrat an, dass ihnen ausreichend sichere Radwege zur Verfügung stehen. Bemerkenswert ist allerdings, dass fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) sich auf dem Rad deutlich sicherer fühlen als vor fünf Jahren. Nach langer Stagnation sind dieses Jahr drei neue Blitzer in Berlin aufgestellt worden. In Betrieb genommen werden sie allerdings erst 2023, dann sollen sieben weitere hinzukommen. Damit wäre die Gesamtzahl von bisher 33 auf 43 gestiegen. Insgesamt werden aber weiterhin viel zu wenige Verstöße gegen die Verkehrsregeln, sei es beim Parken oder Fahren, geahndet.

Straßenbahn-Ausbau weiter zäh

Bescheiden ist auch 2022 der sichtbare Fortschritt beim Straßenbahn-Ausbau in Berlin gewesen. Die Verlängerung der M10 vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße ist zwar im Bau. Das Planfeststellungsverfahren für die Anbindung der Linie 21 an den Eisenbahn-Knotenpunkt Ostkreuz ist allerdings weiter im Pausenmodus. Wegen diverser Fehler müssen die Pläne ein drittes Mal ausgelegt werden, das soll nun im kommenden Jahr geschehen. Klagen könnten den Fortgang des Projekts aber weiter verzögern.

Für die weitere Verlängerung der Linie M10 von der Turmstraße zum U-, S- und Regionalbahnhof Jungfernheide hat inzwischen die Entwurfsplanung begonnen, ebenfalls für die Strecke der M4 durch die Leipziger Straße vom Alexanderplatz zum Potsdamer Platz. Diese Verbindung muss noch zahlreiche planerische Hürden meistern. Konkreter werden auch die Pläne für die Verbindung von Schöneweide in die Gropiusstadt, ein weiterer Brückenschlag vom ehemaligen Ostteil in den Westen der Hauptstadt. Genau vermessen wurde dieses Jahr auch das Planum der geplanten neuen Tangente vom Pasedagplatz in Weißensee über den Bahnhof Pankow-Heinersdorf nach Pankow entlang der Südseite des ehemaligen Rangierbahnhofs Pankow, auf dem ein großes neues Wohngebiet entstehen soll.

Ein Kipper schüttet Schotter in die Gleis-Baugrube, dahinter stehen ein Bagger und zwei Arbeiter
Da war sie wieder zu: Die Gleis-Baugrube an der Friedrichstraße ist wieder zugeschüttet worden, bevor neue Gleise lagen. Foto: Nicolas Šustr

Ein bemerkenswertes Schlaglicht auf Kommunikationsprobleme innerhalb der Verwaltung, die nicht nur den Bau neuer Strecken sondern auch die Sanierung des Bestands massiv erschweren, warf eine Gleisbaustelle am Nordende der Friedrichstraße in Mitte. Eine Abteilung der Senatsmobilitätsverwaltung verfügte im Oktober, dass die Baugrube zunächst wieder zugeschüttet werden musste, bevor die neuen Gleise verlegt waren. Nach rund zwei Wochen konnten die Arbeiten weitergehen.

U-Bahn-Träume haben Konjunktur

Der vor allem von der SPD forcierte U-Bahn-Ausbau wird konkreter. Inzwischen wird ein Planungsbüro für die Verlängerung der U3 um eine Station von Krumme Lanke zum Mexikoplatz gesucht. Dort bestünde eine Umsteigemöglichkeit zur S1. Mobilitätssenatorin Jarasch zeigt sich zuversichtlich, dass ein erster Spatenstich der politisch unumstrittenen Neubaustrecke bereits 2026 erfolgen könnte. Das scheint sehr optimistisch, da auch noch die Nutzen-Kosten-Untersuchung aussteht. Angesichts der gewählten sehr teuren Variante ist keineswegs gewiss, dass der Bau förderfähig ist. Priorisiert worden ist auch die Weiterplanung der U7 um 8,5 Kilometer zum Flughafen BER, hier geht es auch um die NKU. Die Realisierung des gewiss mindestens eine Milliarde Euro teuren Vorhabens, das ein Herzensprojekt der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ist, scheint allerdings recht unwahrscheinlich. Das Land Brandenburg und auch der zuständige Landkreis Dahme-Spreewald zeigen wenig Bereitschaft, ihren Kostenanteil zu übernehmen. Und auch Bettina Jarasch äußerte sich noch im Februar vernichtend über das Projekt.

Eisenbahn-Infrastruktur am Limit, dazu noch Personalmangel

Einen deutlichen Fortschritt gab es zum Fahrplanwechsel im Dezember im Regionalverkehr mit einem erheblich ausgeweiteten Angebot auf vielen Linien. Beispielsweise drei statt zwei Zügen stündlich auf dem RE1 zwischen Frankfurt (Oder), Berlin, Potsdam und Brandenburg/Havel oder dem neuen RE8, der eine vierte Fahrt pro Stunde zwischen Berlin und Nauen zusätzlich brachte. Doch die Freude währte nur kurz, die zusätzlichen Angebote verschwanden nach einigen Chaostagen wieder bis auf Weiteres. Ein sehr hoher Krankenstand beim Zugpersonal des Betreibers ODEG zusammen mit der ausgereizten Infrastruktur und der katastrophalen Verspätungslage im Fernverkehr der Deutschen Bahn sorgte für zahlreiche Ausfälle und Verspätungen. Wegen nicht angemessener Signaltechnik können auf der Stadtbahn, der Berliner Ost-West-Verbindung, pro Richtung nur alle fünf Minuten Züge verkehren. Daran wird sich bis zur Einführung des zeitgemäßen digitalen Signalsystems ETCS nichts ändern. Konkrete Planungen dafür haben aber noch nicht einmal begonnen.

Neben dem hohen Krankenstand stellt auch ein sich verschärfender Personalmangel ein wachsendes Problem im Nahverkehr dar. Bei der BVG entfallen inzwischen planmäßig drei Prozent des Busangebots, auch bei der S-Bahn fallen Verstärkerlinien und -züge aus. Nicht besser sieht es bei DB Regio und zahlreichen Verkehrsbetrieben in Brandenburg aus.

Karte des Infrastrukturprojekts i2030
Nicht mehr alles, was auf der Karte zu sehen ist, wird weiterverfolgt. Grafik: VBB

Für einen nachhaltigen Ausbau des Bahn-Angebots in Berlin und Brandenburg steht das Infrastrukturprogramm i2030 der beiden Länder zusammen mit der Deutschen Bahn und dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Nach jahrelangem Streit konnte Berlins Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch zusammen mit Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU) eine Einigung bei zwei Korridoren erzielen. Die Potsdamer Stammbahn, die vom Zentrum der Hauptstadt über Berlin-Zehlendorf nach Potsdam führt, soll als Regionalbahnstrecke wieder aufgebaut werden. Berlin hatte wegen der Kosten lange für eine S-Bahn-Lösung plädiert. Dafür werden entlang der Kremmener Bahn von Hennigsdorf nach Berlin-Gesundbrunnen weiter nur S-Bahnen verkehren – nach dem Ausbau allerdings alle zehn Minuten statt bisher im 20-Minuten-Takt. Regionalzüge sollen auch weiterhin einen Umweg über den Eisenbahn-Außenring nehmen müssen.

Wieviele Bahnprojekte überleben die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung?

Doch seit 2022 liegt ein bedrohlicher Schatten über dem i2030-Programm: Nutzen-Kosten-Untersuchungen mit negativem Ergebnis. Im Sommer wurde bekannt, dass die von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schon vor Jahren zugesagte Verlängerung der S2 von Blankenfelde nach Rangsdorf durch die Prüfung gefallen ist. Im Dezember wurde im Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses verkündet, dass auch die S-Bahn von Spandau nach Finkenkrug nicht auf den erforderlichen Wert von mindestens 1 kommt, bei dem sich Kosten und Nutzen den Berechnungen zufolge die Waage halten. Nun werde geprüft, ob die S-Bahn zumindest bis Falkensee eine Perspektive hat. Liegt der Wert unter 1, gibt es keine Perspektive für Fördermittel des Bundes, ohne die die Länder die Maßnahme nicht finanzieren können. Schlecht sieht es laut Mobilitätsverwaltung auch für die Verlängerung der S25 von Hennigsdorf nach Velten aus. Damit wird die Frage virulent, welche der zahlreichen vorgesehenen Maßnahmen des geschätzt neun Milliarden Euro schweren Ausbauprogramms letztlich die Hürde der Nutzen-Kosten-Untersuchungen nehmen werden.

Zweifelhafter politischer Unterbietungswettkampf beim Abopreis für den ÖPNV

Nicht fehlen darf bei dem Rückblick das 9-Euro-Ticket. Im Juni, Juli und August konnte für diesen Schlagerpreis deutschlandweit der Nahverkehr genutzt werden, was auch in Berlin und Brandenburg für regen Zuspruch sorgte. In einzelnen Wochen zählten die Verkehrsunternehmen mehr Fahrgäste als im letzten Jahr 2019 vor dem coronabedingten Einbruch. Die politischen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern für eine dauerhafte Nachfolgelösung, die schließlich in Form des 49-Euro-Tickets gefunden wurden, füllten über Monate die Berichterstattung. Die Berliner SPD drückte schließlich als Übergangslösung bis zur Einführung des dauerhaften neuen Tickets ein 29-Euro-Ticket durch, das allerdings nur im Berliner Stadtgebiet gültig ist.

Inzwischen ist klar, dass das sogenannte Deutschlandticket nicht vor April, eher im Mai 2023 kommen wird. Das 29-Euro-Ticket, für das das Land Berlin monatlich 35 Millionen Euro zusätzlich zuschießen muss, wird nun bis zu diesem Zeitpunkt verlängert. Die SPD möchte das Abo für das Berliner Stadtgebiet zum Preis von 29 Euro monatlich dauerhaft fortführen, was der BUND Berlin in dieser Form ablehnt. Denn bei entsprechender steuer- und abgabenrechtlicher Gestaltung kostet das 49-Euro-Ticket sozialversicherungspflichtig Beschäftigte netto bereits monatlich unter 29 Euro. Berliner Landesmittel sollten nicht mit der Gießkanne verteilt werden, sondern gezielt in eine dauerhafte Preissenkung von Fahrkarten für Beziehende besonders geringer Einkommen fließen. Das wären beispielsweise Sozialtickets. Außerdem muss zusätzliches Geld in die Qualität und den Ausbau des bestehenden Angebots investiert werden.

Allein über den Preis des ÖPNV lässt sich die Verkehrswende nicht erreichen. Es braucht „Push and Pull“. Der Autoverkehr muss also durch Reduzierung von Flächen und Erhöhung von Kosten unattraktiver gemacht werden, während die Alternativen im Umweltverbund, also Fuß-, Rad- und öffentlicher Nahverkehr, deutlich bessere Bedingungen benötigen. Immerhin wurde 2022 die Erhöhung der Parkgebühren in Berlin um einen Euro pro Stunde ab kommendem Jahr beschlossen. Je nach Gebiet werden dann zwei, drei oder vier Euro pro Stunde fällig. Die Parkraumbewirtschaftung wird in mehreren Bezirken ausgeweitet. Anwohner-Parkausweise werden vorerst weiter für eine lächerliche Gebühr von rechnerisch 10,20 Euro pro Jahr ausgestellt, der aktuelle Senat wird nicht mehr über die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linke vereinbarte Anhebung auf 120 Euro pro Jahr entscheiden.

Koalitionswechsel kann Mobilitätswende begraben

Sollten sich nach der Wiederholungswahl im Februar die politischen Mehrheiten in Berlin verschieben, kann das Projekt Mobilitätswende schnell wieder auf dem Abstellgleis landen. Denn auch nach sechs Jahren grüner Herrschaft über das Verkehrsressort sind die Planungen längst nicht so weit fortgeschritten, dass viele Projekte politisch unumkehrbar sind. Das wäre erst der Fall, wenn im großen Stil bereits Mittel in den Bau geflossen wären. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hat bereits angekündigt, das Mobilitätsgesetz im Falle einer Regierungsbeteiligung ändern zu wollen. Vor allem die Radwege an Hauptstraßen zulasten von Autospuren sind den Konservativen ein Dorn im Auge. Damit dürfte er auf einer Linie mit der FDP und nicht zuletzt mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey sein. “Irgendwo müssen die Autos doch hin”, so ihr Credo. Die verkehrswissenschaftlich seit Jahrzehnten belegte Erkenntnis, dass weniger Raum für Autos weniger motorisierten Individualverkehr bedeutet, lehnt sie bis heute ab.

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