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Schöner leben ohne Autobahn

Straßenbrücke am Breitenbachplatz soll ab Ende 2024 verschwinden

Visualisierung des Breitenbachplatzes nach Abriss der Autobahnbrücke © by Grafik: SenUMVK

Für Berlins Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) ist die über 500 Meter lange Straßenbrücke am Breitenbachplatz “eines der drastischsten Relikte der autogerechten Stadt”. Die über 40 Jahre alte Brücke gehöre “in die Vergangenheit”. Nun rückt der lange geforderte Abriss des Monstrums, das auch den einst als Schmuckstück angelegten Breitenbachplatzs an der Grenze der Ortsteile Dahlem, Steglitz und Wilmersdorf zerschneidet, in greifbare Nähe. Ende 2024 könnte es so weit seit, wie die Mobilitätsverwaltung bei einer Pressekonferenz vor Ort bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie dazu am 29. Dezember bekanntgab. Das Abgeordnetenhaus hatte einen entsprechenden Beschluss bereits im Juni 2019 gefasst.

Zwölf Varianten sind untersucht worden, am Ende kamen zwei davon in die engere Wahl. Variante 1 sieht nur den Abriss der Brücke vor, bei Variante 3 soll auch der davor liegende Tunnel Schlangenbader Straße für den Autoverkehr gesperrt werden. Der fast 600 Meter lange Bau führt durch das “die Schlange” genannte Wohnensemble „Der Vorteil wäre, dass noch mehr Flächen frei werden würden“, sagte Jarasch. Die könnten für Wohnungsbau, Gewerbe und Stadtgrün genutzt werden. Und: „Nicht nur die Brücken, auch der Tunnel, sind in einem schwer sanierungsbedürftigen Zustand.“ Noch im Januar 2023 soll ein Senatsbeschluss zum Rückbau gefasst werden, kündigte Jarasch an. Die Mittel für den Abriss müssten vom Abgeordnetenhaus im Doppelhaushalt 2024/2025 eingestellt werden. Zwischen 10 und 20 Millionen Euro veranschlagt Lutz Adam, Leiter der Abteilung Tiefbau in der Senatsmobilitätsverwaltung, dafür.

Luftbild des Breitenbachplatzes mit Autobahnbrücke
Luftbild des Breitenbachplatzes mit Autobahnbrücke Foto: Geoportal Berlin

“Wir wollen auf jeden Fall die Brücken zurückbauen, parallel dazu die großräumigen Verkehrsuntersuchungen machen”, sagte Bettina Jarasch. Der Rückbau könne schon beginnen, bevor die Ergebnisse vorliegen. Mit der Schließung des Tunnels habe sich herausgestellt, dass der Betrachtungsbereich erweitert werden müsste, erläutert Norman Niehoff von der Mobilitätsverwaltung. Er ist Leiter der Abteilung “Planung und Gestaltung von Straßen und Plätzen”. Die erweiterte Untersuchung erfolge jetzt, um „am Ende eine rechtssichere und abgewogene Lösung zu finden“.

7000 fahrzeuge täglich weniger ohne Brücke

Laut der Berliner Verkehrsmengenkarte von 2014 fahren etwa 32500 Fahrzeuge pro Tag auf dem Abschnitt, auf dem Brücke und ebenerdige Straße zusammengenommen, insgesamt acht Fahrstreifen für beide Richtungen zur Verfügung stehen. In der bisherigen Verkehrsprognose-Karte werde noch von einem Wachstum ausgegangen. „Wir sind gerade dabei, eine neue Prognose aufzustellen, die auch die Ziele des Mobilitätsgesetzes und unseres Stadtentwicklungsplans Mobilität und Verkehr berücksichtigt“, erläuterte Niehoff. Die sei aber noch nicht fertig. Trotzdem konnte für diesen Abschnitt bereits mit den neuen Zahlen gearbeitet werden. Verschwindet nur die Brücke, wird ein Rückgang um etwa 7000 Fahrzeugen pro Tag erwartet. „Das ist auch tatsächlich ein Rückgang“, so Niehoff. Ohne die attraktive Verbindung zur Autobahn werden Fahrten nicht einfach verlagert, sondern finden zumindest im Motorisierten Individualverkehr nicht mehr statt. “Wer Straßen sät, erntet Verkehr”, so die seit über 50 Jahren in der Verkehrswissenschaft anerkannte Erkenntnis, die auch andersherum gilt: Verschwindet Verkehrsraum für Autos, reduziert sich auch der MIV.

Die vier verbleibenden ebenerdigen Autospuren könnten laut Untersuchung problemlos den Autoverkehr aufnehmen. Sie würden an die Stelle der heutigen Brücke treten. „Wir haben vor fünf Jahren einen In-Situ-versuch gemacht, als wir die Brückenabdichtung erneuert haben. Die Brücken mussten dazu komplett gesperrt werden. Wir hatten überhaupt keine verkehrlichen Probleme“, berichtete Tiefbau-Chef Lutz Adam. Ohne Tunnel gäbe es einen weiteren, “enormen” Rückgang, erklärte Norman Niehoff. Dann würden sogar nur eine Fahrspur pro Richtung ausreichen.

Brücke ist so oder so abrissreif

Viel Zeit bleibt nicht mehr für den Abriss. Es handele sich „Brückenbauwerke, die uns ganz, ganz viel Kummer machen – aufgrund ihrer immensen Dimension, aber auch aufgrund ihres Bauzustandes“, so Lutz Adam. „Unser großes Problem ist die innere Tragfähigkeit.“ Nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua im Jahr 2018 mit vielen Toten ist in Deutschland auch der sogenannte Traglastindex eingeführt worden. 1 ist hervorragend, 5 ist katastrophal. „Wir haben hier einen Traglastindex von 5“, sagte Adam. Diese Defizite könnten nicht durch Instandsetzungsarbeiten behoben werden. „Wir haben hier eine rechnerische Standsicherheit von maximal fünf bis sieben Jahren, dann müssen wir die Brücke sowieso abbauen“, so der Senatsexperte. Sie seien weder „instandsetzungsfähig noch sanierungsfähig“. Und auch diese fünf bis sieben Jahre könnten nur erreicht werden, wenn viel Geld für die Instandsetzung in die Hand genommen würde. Angesichts der Länge der Bauwerke würde das mit mehreren Millionen Euro zu Buche schlagen.

Bis zu eineinhalb Jahre wird die Planung des Rückbaus dauern. Dafür stehen genug Mittel im aktuellen Haushalt zur Verfügung. „Nichts ist komplizierter als der Rückbau einer Spannbetonbrücke. Das wird auch nicht an den Universitäten gelehrt, sagte Lutz Adam. Im innerstädtischen Raum könne man “keine Sprengung ansetzen”. Er ergänzt: „Wir haben nicht nur eine Brückenproblematik, wir haben auch eine Tunnelproblematik.“ Über 30 Millionen Euro würde es kosten, den Tunnel wieder in einen sehr guten Zustand zu versetzen.

Immerhin ist der Abriss der Brücke kein politisches Streitthema. Alle demokratischen Parteien sind dafür. Ob das auch für eine Sperrung des Tunnels gilt, wird sich noch zeigen müssen. Denn immer wieder wird von Vertreterinnen und Vertretern von SPD, CDU und FDP die verkehrswissenschaftlich gesicherte Erkenntnis ignoriert, dass weniger Straßen auch weniger Autoverkehr bedeuten. “Irgendwo müssen die Autos doch hin”, mit diesem Satz belegte auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ihre Skepsis gegenüber dem seit Jahrzehnten unbestrittenen Stand der Forschung.

Ein weiterer Vorteil: Seit 2006 ist die Straße an dieser Stelle nicht mehr als Autobahn gewidmet. Die einstige A104 ist nur noch bis zur Ausfahrt Mecklenburgische Straße rund 100 Meter vor dem Beginn des Tunnels Schlangenbader Straße ein Anhängsel des Stadtrings A100. Berlin muss sich also nicht mit dem Bundesverkehrsministerium um einen Rückbau herumstreiten. Sicherlich wird es viele Ideen für eine Nachnutzung des Tunnels geben. Aller Erfahrung nach dürften fast alle wegen Brandschutz- und Fluchtweggründen ausscheiden.

Autobahnen als begehrte Bauflächen

Eigentlich will Berlin laut Koalitionsvertrag die gesamte ehemalige A104 loswerden. Auch die A103 von Schöneberg nach Steglitz, die berüchtigte Westtangente, soll laut Koalitionsvertrag keine Autobahn bleiben, sondern in deutlich reduzierter Breite höchstens als Stadtstraße erhalten bleiben. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) hatte bei einem Auftritt in der Industrie- und Handelskammer 2022 unterstrichen, dass beide Autobahnen verschwinden müssten, allein um ausreichend Ausgleichsflächen für seine überzogenen Neubaupläne zu bekommen. Denn schon jetzt können zahlreiche Vorhaben nicht realisiert werden, weil Berlin schon stark versiegelt ist.

Visualisierung mit zwei Hochhäusern und vielen Häuserblöcken entlang der A100
So stellt sich das Büro Patzschke Architekten die Bebauung des Kreuzes Wilmersdorf nach Abriss der ehemaligen A104 und des Vatenfall-Heizkraftwerks vor

Im Juni 2021 hat das Bündnis “Stadt statt A104”, dem unter anderem der investorennahe Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin angehört, einen Komplettabriss gefordert. Doch statt Grünflächen stellen sie sich Wohnungsbau vor. 3000 Wohnungen ließen sich laut einem Entwurf des Architekten Robert Patzschke allein auf den Autobahnflächen errichten, weitere 3000 könnten auf angrenzenden Flächen entstehen. Ein immenses Wertsteigerungsprogramm für private Grundstücksbesitzer. “Wir machen das nicht, um die reichen Villenbesitzer noch reicher zu machen. Wir stellen uns auf den Flächen zu einem großen Teil Sozialwohnungen vor”, versicherte jedoch der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann damals.

Bisher zeigte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Berlin jedoch die kalte Schulter bei den Autobahn-Rückbauplänen. In mehreren Gesprächen mit ihm habe sie deutlich gemacht, dass man durchaus wolle, dass die Bundes-Autobahngesellschaft und die Deges in Berlin weiter tätig werden – „für Sanierung und Rückbau“, berichtete Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch am Breitenbachplatz.

Einen kleinen Fortschritt auf Landesebene konnte Jarasch immerhin vermelden: “Mit der Verabschiedung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms, das wir am Dienstag vor Weihnachten im Senat noch beschlossen haben, ist auch klargestellt, dass der Senat generell möchte, dass der Bau der A100 am 16. Bauabschnitt mit einem Qualifizierten Bauabschluss endet und dass der Senat sich auch dafür einsetzen wird.” Sie hoffte, dass dieser Beschluss” die Gespräche mit dem Bund in Zukunft vielleicht erleichtern” werde.

6 Kommentare

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  1. Eine absolute Frechheit! Natürlich wollen Investoren und andere Geldschneider möglichst viel verdienen auf Kosten der Menschen. Die A104 wird benötigt als schnelle Verbindung. Sie entlastet das ganze Viertel. Wie kommt Frau Jarasch dazu, Tatsachen zu schaffen? Das ist undemokratisch.

    • Wenn Sie den Artikel aufmerksam gelesen hätten wäre Ihnen aufgefallen, dass der Rückbau der Brücke am Breitenbachplatz von allen demokratischen Parteien unterstützt wird und ein entsprechender politischer Auftrag bereits 2019 vom Abgeordnetenhaus erteilt worden ist.

  2. Ich finde das nicht gut. „Ruhe, Grün“ – es wird nur noch für Politik für Rentner gemacht. Es braucht aber auch schnelle Verkehrsverbindungen.

    • Die Verkehrspolitik muss sich an den schwächsten Verkehrsteilnehmenden orientieren, allein um Menschenleben zu retten. Die Stadtgestaltung darf nicht mehr allein den Bedürfnissen des Autoverkehrs untergeordnet werden. Unabhängig von der Antriebsart muss es deutlich weniger Autoverkehr geben, um den Flächen- und Ressourcenverbrauch sowie die Emission von Klimagasen zu reduzieren. Daran führt kein Weg vorbei, wenn der Planet noch irgendwie bewohnbar bleiben soll.

      • Das mit dem Ausrichten an den schwächsten Verkehrsteilnehmern klappt gerade super, nachdem der Tunnel gesperrt wurde. Der Ausweichverkehr quetscht sich seit Monaten durch die Anwohnerkieze rund um den Tunnel, Eltern trauen sich nicht mehr, ihre Kinder alleine zur Schule zu schicken, schwerbehinderte Menschen und Kinder warten oft minutenlang, weil sie die Straßen nicht überqueren können, in ehemaligen reinen Anwohnerstraßen, Tempo 30, fahren jetzt hunderte Auto pro Stunde, das erste schwerer verletzte Unfallopfer gibt es auch schon, übrigens eine Radfahrerin, die deshalb Opfer wurde, weil sie auf einen eigentlich unbefahrbaren so genannten Radweg ausweichen musste, nachdem auf der Wiesbadener Straße plötzlich 900 Autos pro Stunde fahren, die Aggressivität unter allen Verkehrsteilnehmern ist explosionsartig nach oben geschnellt. Jede Behauptung, dass MIV verschwinden oder von den umliegenden Straßen (reine Anwohnerstraßen, überhaupt nicht breit genug für diese Massen!) aufgenommen würde, wird massiv Lügen gestraft! Die Belastung für Umwelt und Mensch ist enorm. Und von BUND und Co hört man nur dröhnendes Schweigen!
        Es sind 2019 übrigens knapp 50.000 Fahrzeuge inklusive LKW gewesen, die den Tunnel genutzt haben. Selbst, wenn sich 7000 davon in wundersamer Weise in Luft auflösen, bleiben immer noch 43000, die sich jetzt durch schmale Straßen quetschen, Stopandgo, hupend, Radfahren verunmöglichen. Alles Autos, die vorher durch den Tunnel gefahren sind, wo sie zumindest auf diesen 700 Metern niemanden belästigt haben.
        Die Annahme, dass sich dieses Problem von selbst lösen würde, ohne dass man vorher ein vernünftiges Konzept inklusive Ersatzmobilität macht, ist ein Verbrechen an den Anwohnern und deren Gesundheit.

  3. Bitte die Autobahnen so lassen wie sie sind. In ein paar Jahren werden die frühern
    Umweltprobleme durch immer mehr Elektrofahrzeuge endlich verschwunden sein.
    Lieber die A100 weiter ausbauen bzw. sanieren, was gerade jetzt ansteht:
    Rudolf-Wissell-Brücke, Autobahndreieck Funkturm.
    Ich finde dieses Bild der Bebauung Kreuz Wilmersdorf einfach nicht richtig.
    Weil diese Gegend an sich sehr beliebt ist, sollten an der Stelle keine so drastischen
    Veränderungen gemacht werden.

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