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Kunming – Montréal – Berlin

Bedeutung des Artenschutzabkommens von Montréal für Berlin

Wer sich für den Schutz der Natur einsetzt, ist Kummer gewohnt. Die Meldungen über Rote Listen und aussterbende Arten laufen regelmäßig über den Ticker. Die Berichterstattungen über die großen und kleinen Katastrophen, über abgeholzte (Regen-)Wälder, das Insektensterben, die Zerstörung von Lebensräumen bedrohter und eigentlich geschützter Arten, sind fester Bestandteil des Hintergrundrauschens unserer Zeit. Und oftmals scheint es, als hätte die Welt diese Entwicklung hingenommen und schaut mit sorgenvoller Miene auf den Untergang unseres Naturerbes.

Daher war es schon ein Novum, wieviel Beachtung die Zusammenkunft der Vertragsstaaten des “Übereinkommen über die biologische Vielfalt”, von manchen auch kurz “Weltnaturkonferenz” genannt, bekommen hat. Ob es daran lag, dass die kurz vorher abgehaltene UN-Klimakonferenz das Problembewusstsein für die ökologischen Krisen geschärft hat oder daran, dass schon im Vorfeld von diesem Treffen in Montreal auch tatsächlich berichtenswerte Beschlüsse erwartet wurden, sei mal dahingestellt.

Was wurde in Montréal beschlossen?

Politik hat auch die Aufgabe komplexe Vorgänge und Absichten für diejenigen anschaulich zu machen, die nicht einen großen Teil ihrer Lebenszeit darauf verwenden, sich mit den Details zu beschäftigen. Dazu gehört es einfache Formeln zu finden, wie das 1,5°-Ziel der Klimabewegung, durch das leicht nachvollziehbar wird, was die zu bewältigende Herausforderung ist. Für den Naturschutz soll diese Marke 30*30 sein. Damit wird das Ziel beschrieben, dass sowohl 30 Prozent der weltweiten Landfläche (inkl. Binnengewässer) sowie 30 Prozent der Meeresfläche bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden sollen. Zu den weiteren Beschlüssen gehört die Absicht wiederum 30 Prozent der Gebiete mit geschädigter Natur wie z. B. begradigte Flüsse oder trockengelegte Moore zu renaturieren und den Verlust intakter Wildnisgebiete auf “fast Null” zu bringen. Das Risiko für die Tier-, Pilz- und Pflanzenwelt, durch den Einsatz von Pestiziden zu sterben, soll um die Hälfte reduziert und biodiversitätsfreundliche Praktiken in der Landwirtschaft ausgebaut werden. Ein Ende der Verschmutzung mit Plastikmüll wird bis 2030 angestrebt.

Das hört sich nach viel an und könnte einen ersten großen Schritt bei der Bekämpfung des Artensterbens darstellen. Im Detail hat sich bei dieser Weltnaturkonferenz wieder einmal gezeigt, wie schwierig es ist, wenn sich 196 Staaten auf gemeinsame Ziele einigen müssen. So wurde ein besonders strikter Schutz von den auszuweisenden Schutzgebieten wie z. B. durch Fischereiverbote oder den Verzicht auf Holzernte von der Staatengemeinschaft abgelehnt. Die Renaturierung zerstörter Natur wird bedeutend länger als die verbleibenden sieben Jahre benötigen, bis 2030 können solche Projekte allenfalls angestoßen werden. Die Absicht, den Verlust der Wildnis auf “fast Null” zu bringen, erinnert fatal an die Absicht der Bundesregierung dem ständig fortschreitenden Flächenverbrauch in Deutschland Einhalt zu gebieten. Ähnlich verhält es sich mit dem Ziel, die Verschmutzung der Ökosysteme durch Plastikmüll zu beenden. Das Ende der Verschmutzung wird “angestrebt”, hilfloser lässt sich eine solche Absicht kaum formulieren. Das große Thema Lichtverschmutzung, das ja nicht nur für die Natur, sondern aufgrund des Energieverbrauchs auch für das Klima ein Problem darstellt (gleiches gilt auch für den nicht enden wollenden Strom an Plastikprodukten), hat es gar nicht erst in die Abschlusserklärung geschafft. Auch die Frage, inwiefern reiche Industrienationen, die die Naturzerstörung jahrzehntelang vorangetrieben haben und auch heute noch davon profitieren, die schwächer aufgestellten Vertragsstaaten bei der Umsetzung der Vereinbarung unterstützen, konnte nicht für alle zufriedenstellend geklärt werden.

Was bedeutet das Abkommen von Montréal für Berlin?

Wenden wir den Blick nun von der Weltbühne ab und der Spree zu. Was bedeutet dieses Abkommen für Berlin? Die Ziele für die Schutzgebietsausweisungen werden nicht eins zu eins auf Landesebene übertragen werden. Je nachdem wie man rechnet, sind in Deutschland bereits 49 Prozent der Landesfläche unter Schutz gestellt, der Anteil an Naturschutzgebieten liegt jedoch bei lediglich 16 Prozent. In Berlin sind es ca. 8 Prozent der Landesfläche. Gemäß des Abkommens sollen die Schutzgebiete auch miteinander vernetzt werden. Der Anspruch Berlins ist es, mindestens 15 Prozent der Landesfläche als Biotopverbund auszuweisen. Wie weit die tatsächliche Umsetzung vorangeschritten ist, wird selten veröffentlicht. Es scheint noch ein weiter Weg zu sein.

Interessant wird, wie sich Berlin beim Schutz der Wildnis positioniert. Im Zusammenhang mit einem weltweiten Naturschutzabkommen denkt man bei Wildnis schnell an unberührte Täler, undurchdringbare Wälder und unendliche Weiten voller Tierherden. Solche Gebiete in der Stadt oder überhaupt irgendwo in Mitteleuropa zu finden, wird schwer. Der Berliner Stadtökologe und vormalige Landesbeauftragter für Naturschutz, Ingo Kowarik, hat jedoch eine etwas andere, erweiterte Perspektive auf Wildnis eröffnet. So kann ein Gebiet als Wildnis bezeichnet werden, wenn dort die natürlichen Prozesse einen stärkeren Einfluss haben als die menschliche Nutzung. Diese “neue Wildnis” ist dann nicht vergleichbar mit der “alten Wildnis” der ursprünglichen Naturlandschaften, sondern stellt einen neuartigen Lebensraum dar. Es verwundert nicht, dass solche Überlegungen ausgerechnet in Berlin angestellt werden. Hier sind auf jahrzehntelang ungenutzten Brachflächen ganz besondere städtische Ökosysteme entstanden, die nicht nur wild aussehen, sondern auch Wildnis sind! Es sollte Berlins Aufgabe sein, dieses ganze eigene Naturerbe zu schützen und als seinen Beitrag zum Erhalt der weltweiten Artenvielfalt zu begreifen.

Berliner Wildnis

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