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Kettensägenmassaker am Straßenrand

Nicht mal die Hälfte der innerstädtischen Bäume ist gesund – seit Langem werden in Berlin mehr gefällt als nachgepflanzt

Baumstumpf am Straßenrand, bepflanzt mit Vergissmeinnicht © by Sebastian Rittau (CC BY 4.0)

Mit dem Februar ist die alljährliche Baumfäll-Saison nun vorbei, nicht nur auf Baugrundstücken, sondern auch am Straßenrand. Die Zahl von geschätzt 430.000 Straßenbäumen ist unter dem Strich sicher wieder um ein paar Hundert gesunken. Denn seit Langem halten die Nachpflanzungen nicht mit den Fällungen Schritt. Laut der Antwort auf eine aktuelle Schriftliche Anfrage der Linke-Abgeordneten Katalin Gennburg konnte für das vergangene Jahr nur Bezirk Mitte eine positive Bilanz vermelden: “267 Straßenbaum-Fällungen stehen im Jahr 2022 410 Neupflanzungen gegenüber”, heißt es in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage.

Bäume sind wichtig für das Stadtklima

Das ist eine katastrophale Entwicklung für Menschen und Stadtnatur. “Bäume sorgen in der Stadt für ein verträgliches Stadtklima, sind Lebensraum für viele Tierarten insbesondere Insekten und gestalten das Stadtbild. Sie filtern Feinstaub aus der Luft und tragen dazu bei, dass Lärm weniger unangenehm wahrgenommen wird”, sagt Christian Hönig, Baumschutz-Experte des BUND Berlin. “Mit der heraufziehenden Klimakrise, die die Städte heißer und trockener machen wird, steigt die Bedeutung von Bäumen in der Stadt. In ihrem Schatten kann es bis zu zehn Grad kühler sein als in der Umgebung. Das schützt die Stadt davor sich tagsüber aufzuheizen und sorgt dann auch dafür, dass die Temperaturen nachts schneller sinken”, so Hönig weiter. Tropennächte, in denen die Temperaturen nicht mehr unter 20 Grad sinken, gelten als Gesundheitsrisiko für alte und schwache Menschen. “Wenn sich eine Stadt auf die Klimakrise vorbereiten möchte, dann wären sie gut beraten sich einen flächendeckenden Baumbestand aus alten großkronigen Bäumen zu erhalten. Neupflanzungen benötigen 20 bis 30 Jahre um diese Funktion der “Klimaanlage” zu erfüllen und  von daher sollte immer der Erhalt der bestehenden Straßenbäume hohe Priorität haben”, unterstreicht der BUND-Experte.

Doch das ist keine leichte Aufgabe. Denn laut der letzten Ausgabe 2020 des alle fünf Jahre erstellten “Straßenbaum-Zustandsberichts Berliner Innenstadt” der Senatsumweltverwaltung ist nicht mal die Hälfte der Bäume gesund. Untersucht wird dabei mittels Luftbildern der Zustand der Baumkrone in dem teilweise über den S-Bahnring hinausreichenden Gebiet. Seit 2005 verschlechtert sich der Zustand kontinuierlich, “wobei sich die Verschlechterung zwischen 2015 und 2020 beschleunigt hat”, wie es im Bericht heißt.

“Der Standort Straße ist einer der schwierigsten, den wir Bäumen zumuten können, wir können froh sein, dass sie unter diesen Bedingungen wachsen”, sagt Christian Hönig. Großflächige Rindenverletzungen durch Anfahrschäden von einparkenden Autos können die Standzeit eines Straßenbaumes erheblich verkürzen. “Der Baum schafft es nicht mehr, die Stelle gegen Fäulen abzuschotten, eine Sollbruchstelle kann entstehen. Auch verdichtet das Überfahren der Baumscheibe, das sichtbare Karree Erde, in dem der Baum steht den Boden und quetscht die Feinwurzeln ab. In der Folge können Wasser und Sauerstoff schlechter in den Boden gelangen und schlechter von den Bäumen aufgenommen werden”, so der Experte weiter.

Ein Großteil der Straßenbäume hat nicht mehr lange zu leben

“Letztes Jahr sind wir noch ganz gut durchgekommen. Statt wie prognostiziert rund 2.000 Straßenbäume mussten wir letztlich etwa die Hälfte fällen. Aber es ist in den nächsten Jahren ein erheblicher Teil der Straßenbäume abgängig”, sagt Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts Friedrichshain-Kreuzberg. “Die Trockenheitsereignisse treffen sie besonders, denn sie sind noch der Hitzeabstrahlung von Häusern und den Straßenoberflächen ausgesetzt. Das ist ein dramatischer Trockenstress, zumal die Standortverhältnisse ja viel schlechter sind als beispielsweise in einer Grünanlage”, berichtet Weisbrich.

Hönig sieht den Vorgang kritisch: “Wenn per Pressemeldung eine so große Zahl zu fällender Bäume bekanntgegeben wird dann müssen auch Kriterien angegeben werden unter welchen Umständen die Bäume gefällt werden sollen und wie mögliche Gegenmaßnahmen aussehen werden. Sonst könnte der Eindruck entstehen, dass da lediglich eine erschreckend hoch geschätzte Zahl kommuniziert wurde um sich abzusichern. In der Krise ist Panik ein schlechter Ratgeber.”

Nicht nur seien die Böden in den Pflanzgruben oftmals so stark verdichtet, dass sie nur schwerlich Wasser aufnehmen können, es habe sich auch schlicht die Niederschlagssituation geändert, erklärt Christian Hönig. Regen fällt zunehmend als Starkregen, bei dem in kurzer Zeit eine große Menge Wasser niedergeht. “Ich bin vorsichtig damit zu behaupten, dass das schon der Klimawandel ist, den wir da erleben, aber es deckt sich mit den Projektionen, dass es heißer und trockener wird, lang anhaltende Niederschläge seltener werden und die Extremwetterereignisse zunehmen”, so Hönig.

Dieser Starkregen kann von den ausgetrockneten und verdichteten Böden in den kleinen Baumscheiben nur unzureichend aufgenommen werden. Ein Großteil fließt in der Regel in den Gulli ab, bevor es aufgenommen werden kann. Wasser dringt lediglich oberflächlich ein. Man kennt den Effekt vielleicht vom Blumen gießen, wenn man nach einer längeren Reise wieder nach Hause gekommen ist. Es dauert eine Weile bis die Erde im Topf das Wasser aufnehmen kann. “Baumwurzeln wachsen hygrotrop, von der Feuchtigkeit gelenkt. Sie suchen nicht selber das Wasser, sondern entwickeln sich bevorzugt in feuchten Boden hinein. Wenn nun das Wasser kaum noch in die Tiefe eindringen kann kommt es vermehrt zu oberflächennahen Wurzeln, die nicht nur Schäden am umgebenden Pflaster anrichten, sondern der Baum kann schlicht einen großen Teil des ihm zur Verfügung stehenden potentiellen Wasserspeichers nicht nutzen”, erläutert Hönig.

Größere Baumscheiben und bessere Versickerung

“Baumscheiben und Pflanzgruben zu vergrößern ist ein guter erster Schritt, wird jedoch nicht ausreichen. Die Herausforderung wird sein, die Baumwurzeln in die Tiefe zu lenken, indem Wasser nicht nur oberflächlich sondern auch noch von unten zugeführt wird. Dazu gibt es verschiedene Ansätze, wie das Stockholmer Modell für die Gestaltung von Pflanzgruben oder den Gießzylinder von Prof. Claus Mattheck”, sagt der BUND-Experte. “Die Gestaltung der Pflanzgruben kann so auch Hand in Hand mit dem Konzept der Schwammstadt gehen, bei dem die durch Asphalt und Beton versiegelten Oberflächen in der Stadt geöffnet werden und Wasserspeicher in Form von Rigolen, Zisternen oder Grünflächen angelegt werden, die den Starkregen wie ein Schwamm speichern und dann der Stadtvegetation zur Verfügung stellen”, so Hönig weiter.

Ein Konzept, auf das Friedrichshain-Kreuzberg im Zusammenhang mit der Umverteilung von Flächen im Rahmen der Verkehrswende setzt. “Wenn Verkehrsberuhigung stattfindet, haben wir die Möglichkeit, im Querschnitt Gewinne zu erzielen oder auch Parkstände zu reduzieren. Bei uns im Bezirk haben wir auch die politische Forderung nach einem Entsiegelungskonzept, das uns die Bezirksverordnetenversammlung aufgetragen hat. Diese Flächen sind dann für die Implementierung Grüner Infrastruktur und den naturschutzfachlichen Ausgleich”, sagt Felix Weisbrich.

Pilotprojekt in Friedrichshain-Kreuzberg

“Um neu gepflanzten Straßenbäumen eine Überlebensperspektive zu geben, treiben wir deutlich mehr Aufwand als früher. Wir heben rund zwölf Kubikmeter Boden aus und füllen die Grube mit Pflanzsubstrat auf. Somit kann der Baum tief wurzeln, was auch das Problem von Wurzelaufbrüchen von Geh- und Radwegen künftig reduzieren wird”, erläutert der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts.

Derzeit läuft dazu ein Pilotprojekt, wie der Bezirk im Februar 2023 bekanntgab. Im Januar 2023 wurde durch das bezirkliche Baummanagement an einem ersten Teststandort in der Hagelberger Straße, der Boden geöffnet und das Anlegen einer solchen zukunftsfähigen Pflanzgrube erprobt. “Dabei zeigten sich vielfältige Schwierigkeiten, insbesondere der Umgang mit dem umfangreichen Leitungsbestand, der über die ganze Grubenbreite und in unterschiedlichen Tiefen verteilt ist. Umfangreiche Tiefbauexpertise ist notwendig, um eine solche zukünftige Pflanzgrube einzurichten”, heißt es in der Mitteilung. “Mit den Erkenntnissen aus dem Teststandort werden nun zusätzliche Abstimmungen durchgeführt und ein Vorgehen entwickelt. Gleichzeitig werden Standorte geprüft, an denen kurzfristig – noch in diesem Frühjahr – Pflanzungen möglich sind, beispielsweise auf dem Mittelstreifen im letzten Abschnitt der Yorckstraße”, heißt es weiter. Insgesamt sollen laut Angaben des Bezirksamts an 32 Standorten Bäume mit Kosten in Höhe von 400.000 Euro gepflanzt werden.

“In Friedrichshain-Kreuzberg haben wir aufgrund der hohen Bebauungsdichte besonders schwierige Bedingungen für Neupflanzungen. Daher ist es notwendig, dass mit dem neuen Konzept langfristige Standorte für Stadtbäume gefunden werden, um die Lebensqualität in unserer Stadt zu erhalten und zu verbessern”, erläutert die Friedrichshain-Kreuzberger Umweltstadträtin Annika Gerold.

Hohe Kosten und zu wenig Haushaltsmittel

So wichtig es ist neue Bäume unter optimalen Bedingungen zu pflanzen, so wichtig ist es auch den bestehenden Baumbestand gut zu pflegen und so lange zu erhalten wie möglich. Dabei wird aus Sicht des Baumexperten nicht immer die nötige Sorgfalt betrieben. Beispielsweise wurde in der Friedrichshainer Kreutzigerstraße Ende November 2022 eine alte Pappel gefällt. “Der Baum sollte vor drei Jahren schon einmal gefällt werden, damals konnten wir das mit der Unterstützung der damals zuständigen Stadträtin und heutigen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann abwenden”, sagt Christian Hönig. Und das, obwohl der Gehweg intakt war, die Wurzeln allerdings die Straßenoberfläche angehoben hatten. “Der entsprechende Bereich hätte entsiegelt und als erweiterte Baumscheibe gestalten werden können. Wenn der Baum keine Erweiterung der Baumscheibe zugelassen hätte, dann hätte dort auch einfach eines der Parklets, die im Bezirk aufgestellt werden dort über die Wurzelanhebungen gestellt werden können. Im Grunde hätten schlichte Blumenkübel genügt um die Gefahr zu entschärfen”, sagt Hönig. “Bis neue Bäume Funktionen wie Schatten erfüllen, vergehen 30 Jahre; bis zu Naturschutzfunktionen wie Bruthöhlen 60 bis 80 Jahre”, verdeutlicht er, warum der Erhalt des Bestands höchste Priorität haben muss.

Ohne auf den konkreten Fall einzugehen, sagt der zuständige Amtsleiter Felix Weisbrich: “Nach wie vor gibt es nicht genug Haushaltsmittel für diese Aufgabe. Das zwingt uns zu der Abwägung, ob ich viel Geld investiere, um einen Baum vielleicht noch für die nächsten fünf oder sieben Jahre standsicher am Leben zu erhalten oder lieber das Geld dafür nehme, um einen neuen Baum zu pflanzen, der eine Perspektive von Jahrzehnten hat.” Und ergänzt: “Vorzugsweise benötigen wir natürlich Geld für beides: Erhalt und Neupflanzung.”

Ein Kommentar

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  1. Anlässlich ihres dreijährigen Bestehens lädt die öffentliche Facebook Gieß-Gruppe für Lokalen Klimaschutz BerlinerBäumeWässerer gleich zu mehreren Events ein. Auf der Berliner Freiwilligenbörse ist sie am Samstag, den 06. Mai von 11:00 Uhr bis 17:00 Uhr im Innenbereich vom Roten Rathaus mit einem Infostand präsent (Rathausstraße 15, 10178 Berlin). Zu Plakateinweihungen “Lokaler Klimaschutz BerlinerBäumeWässerer” und zu tatkräftigen Bäumebewässerungen wird eine Woche später, am Samstag, den 13. Mai um 11:00 Uhr in die Hufeisensiedlung eingeladen (kleiner Akazinewaldteil, Hanne Nüte 1, 12359 Berlin, Ecke Teterower Str.). Gießkannen und ggf. Bollerwagen sollen bitte selbst mitgebracht werden. Danach geht es noch zu Bewässerungen an Bäume in der Parchimer Allee Ecke Onkel-Bräsig-Str. Durch die Aktion wird mit dem Tropfen auf den heißen Stein auf die Personalnot im Grünflächenamt Neukölln aufmerksam gemacht. Alle können sich privat für den Erhalt der Oasen im Weltkulturerbe und in ganz Neukölln und somit gegen die anhaltende Trockenheit, also den Klimawandel, einsetzen. Im gesamten letzten Jahr war es viel zu warm und zu trocken. Künftig findet die Bäumebewässerungsaktion in der Regel an jedem 1. Samstag im Monat statt. Für aktuelle Infos bitte die öffentliche Facebook Gieß-Gruppe besuchen. Unterstützt wird die Anwohneraktion von giessdenkiez.de, degewo, und der SPD.

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