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Berlin – ein Leuchtturm bei der Erforschung tierischen Lebens im Grundwasser

Christian Schweer und Dr. Sophie-Christin Holland, Mitbegründer von dem DBU-geförderten Projekt „Partizipatives Grundwassermanagement“, im Gespräch

© by Christiane Peter

Wir treffen uns Ende März in der Schöneberger Crellestraße 35, der Landesgeschäftsstelle des BUND. Heute sind wir nur zu dritt im großen Besprechungsraum. Sonst sitzen hier regelmäßig die Ehrenamtlichen am Mikroskop, um Analysen des von ihnen aus den Schwengelpumpen der Stadt gewonnenen Grundwassers auf tierische Kleinlebewesen zu untersuchen. Christian Schweer ist Projektleiter von „Lebendiges Grundwasser“ und Dr. Sophie-Christin Holland ist in erster Linie für die Vernetzungstreffen im Rahmen des Projekts zuständig.

 

Seit Anfang 2022 wird das Berliner Grundwasser nun auch von Berliner*innen untersucht. Was war der Hintergrund, dass sich diese Projektgruppe gegründet hat?

 

Christian: Wir wissen noch so wenig vom Leben im Grundwasser von Berlin – aber auch anderswo ist die Forschungslage nicht besonders befriedigend. Die Tierchen sind klein, oft nicht mit dem bloßen Auge sichtbar, haben für viele Menschen keine besonderen ästhetischen Qualitäten und sind uns bisher weder aufgefallen noch bekannt gewesen. So lagen sie bisher nicht so sehr im Fokus. Aber sie sind Bestandteil unseres Ökosystems. Und in diesem komplexen System müssen wir sie verstehen.

Die Initialzündung: Da ich mit allen, die sich um unser Wasser kümmern, gut vernetzt bin, nahm ich im Dezember 2020 an einem entsprechenden Symposium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), einem sogenannten „Grundwassersalon“, teil. Das Ökosystem Grundwasser gehörte auch zu den Tagesordnungspunkten. Aber der spannenden Veranstaltung folgte zunächst keine konkrete Umsetzung in der Praxis. So kam die Idee, das mit Ehrenamtlichen zu tun, indem sie an den Berliner Schwengelpumpen Grundwasserproben entnehmen und analysieren.

 

Warum initiierte gerade der „BUND“ diese Aktion?

 

Christian: Der BUND ist einer den ersten Umweltverbände gewesen, die sich für den Schutz der Ökosysteme im Grundwasser einsetzen.

Sophie: Den Nukleus unserer Projektgruppe bildeten zunächst Christian und Maria. Maria ist Dr. Maria Avramov und Biologin. Beide kennen sich seit dem Grundwassersalon der DBU, teilen ein gemeinsames Interesse an der Erforschung dieser bisher so „unterbelichteten“ Lebenswelt und wollten der Veranstaltung Taten folgen lassen. Für sie war dieses Dezembersymposium der Auslöser. Und dann kamen auch die anderen dazu – so wie ich. Eine ganz wichtige Kompetenz in unserem Team gibt es mit Privatdozent Dr. Hans Jürgen Hahn, Geschäftsführer des IGÖ, dem Institut für Grundwasserökologie. Seit Jahren beschäftigt sich diese Einrichtung in Landau mit grundwasser- und trinkwasserökologischen Fragen.

 

Ist damit der BUND in Berlin der Einzige, der sich mit den Kleinlebewesen beschäftigt?

 

Christian: Nein – der Berliner Senat lässt seit 2012 ausgewählte Grundwassermessstellen auf die Grundwassertiere monitoren. Damit gehörte Berlin zu den ersten in der Bundesrepublik. Es gab auch das Projekt „Klasse Wasser“ von den Berliner Wasserbetrieben mit der Zielgruppe Kinder und Jugendliche.

Sophie: Mit unserem Projekt können wir die Datenlage verbreitern helfen. Aber vor allem geht es darum, dass Ehrenamtliche ein Bewusstsein für diese kleinen und fast unsichtbaren Bewohner im Ökosystem Grundwasser erhalten, sich Wissen über deren Wirken und Lebensbedingungen aneignen und zu ihrem Schutz beitragen können. Es ist ihr und unser Grundwasser dessen Qualität unsere Lebensqualität bestimmt.

Christian: Menschen lassen sich begeistern und diese Begeisterung geben sie weiter. Wie ein Tropfen, der ins Wasser fällt. Er bildet Wellen. Unsere Grundwasserpat*innen sind die sich ständig vermehrenden Tropfen, die immer mehr Wellen bilden. Sie bringen ihre Bekannten und Freunde mit. Und es kommen mit ihnen auch Ideen und Anregungen zusammen wie das Verfahren der Erhebung und Auswertung der Proben verbessert werden könnte. Diese Beiträge sind sehr hilfreich für das Projekt.

Sophie: Zum Beispiel hat Florian über einen 3-D-Drucker Spülsiebe produziert. Oder Otas brachte als weiteren relevanten Aspekt die Trübung des Wassers ein, die mithilfe eines Analysesystems ermittelt werden kann. Michael spendete zwei Messgeräte, um die chemisch-physikalischen Parameter des Grundwassers aus der Pumpe zu bestimmen: elektrische Leitfähigkeit, Temperatur, pH-Wert und Salzgehalt. Auch die Kinder unserer Grundwasser*patinnen sind dabei. So stecken wir mit unserer Begeisterung die nächste Generation an.

Christian: Für unseren Newsletter, den „Info-Hüpfer“, hat Sophie unter anderem ein Grundwasserspiel entwickelt. Daraufhin wollte die Tochter einer Teilnehmerin unbedingt mitpumpen und Milli Milbe und ihre Freunde finden!

 

Schön und gut – aber ein bisschen Geld braucht man schon, um solch ein Projekt anzugehen, selbst, wenn die Ehrenamtlichen eben ehrenamtlich dabei sind.

 

Christian: Das ist zutreffend. Wir erhielten von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) Unterstützung und konnten so unser breit angelegtes Projekt im Frühjahr 2022 starten.

 

Warum habt Ihr für Eure Untersuchungen Straßenbrunnen in den Fokus genommen?

 

Christian: Wir gingen von der These aus, dass sich im oberflächennahen Grundwasser ggf. mehr tierisches Leben befindet als bei aus den in größerer Tiefe gewonnen Proben der Grundwassermessstellen. Die Berliner Straßenpumpen hielten wir da für einen geeigneten Zugang – auch wenn sich später herausstellte, dass viele Pumpen sehr tief in den Untergrund reichen. Wir begannen also mit einer Erstuntersuchung bei acht Schwengelpumpen und waren sehr erfreut, dass tatsächlich sechs der Proben Kleinlebewesen enthielten, die im Grundwasser von Natur aus vorkommen können. Bei einer weiteren Beprobung ermittelten wir sogar über 380 Tiere an einem Brunnen. Das hat uns zusätzlich ermutigt.

 

Das heißt aber, bei zwei der Proben gab es nichts zu finden. Ist das besorgniserregend?

 

Sophie: Zunächst einmal nicht. Denn hier in Berlin sind die Lebensbedingungen im Untergrund auch ohne menschliches Zutun als Folge der Eiszeiten eher ungünstig: Zum Beispiel ist der Sauerstoffgehalt natürlicherweise sehr niedrig. Im Vergleich dazu ist das Ambiente für Grundwassertiere im Südwesten Deutschlands – wie zum Beispiel in der Umgebung von Landau oder Freiburg – wesentlich günstiger. Auch die Lückenräume sind dort oft größer, so dass auch vergleichsweise größere Tiere vorkommen.

Christian: Zudem reicht eine einzige Beprobung noch nicht aus, um sicher folgern zu können, ob das Grundwasser unbewohnt ist. Untersuchungen an Berliner Grundwassermessstellen weisen darauf hin, dass an vermeintlich unbesiedelten Standorten zumindest zeitweise Leben ermittelt werden konnte. Ohne regelmäßige Probenahmen im Jahr wäre diese Besonderheit nicht aufgefallen. Die Erfahrung zeigt uns einmal mehr, wie wichtig eine bessere Datenlage ist.

Sophie: Das Besondere daran ist ja gerade, dass wir mit Hilfe der Berliner Bevölkerung sowohl die Datenlage für das Leben im Grundwasser verbessern wollen, als auch durch diese Teilhabe Bewusstsein für Prozesse, die in diesem spezifischen Bereich ablaufen, erzeugen können. Dieses Bewusstsein wird gestützt durch die Transparenz unserer Aktionen – u. a. durch die regelmäßigen Treffen mit den Grundwasserpat*innen, die aber auch offen für alle anderen interessierten Menschen sind, – sowie durch unsere Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen.

Christian: Dennoch gibt es auch Bedenken bei unserem Vorhaben, zum Beispiel an der wissenschaftlichen Verwertbarkeit unserer Schwengelpumpenbeprobungen. Für uns sind diese Vorbehalte ein Ansporn, den Austausch zu suchen, weitere Erkenntnisse zusammen zu tragen sowie weitere Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Zudem kann man über die Beprobung von Schwengelpumpen im Straßenland viel Aufmerksamkeit und Begeisterung wecken. Außerdem bieten sich diese in Berlin allgegenwärtigen Pumpen für ein partizipatives Grundwassermonitoring und -management geradezu an.  Und wenn die Öffentlichkeit erst einmal involviert ist, dann kommt mehr Schwung in den Wunsch nach Erkenntnisgewinn. Da sind wir Impulsgeber und offen für weitere Entwicklungen.

Sophie: Dabei läuft uns die Zeit weg. Seit etwa 20 Jahren entwickelte sich zwar zunächst in Expertenkreisen, dann auch mehr und mehr in der Öffentlichkeit eine Diskussion um Wasser, Oberflächenwasser und Grundwasser. Die letzten fünf trockenen Jahre befeuerten das. Das Grundwasser wird inzwischen auch immer mehr nicht nur als beliebig nutzbare Ressource, sondern als ein schützenswerter Lebensraum betrachtet, mit dem wir sorgsam umgehen müssen. Aber die Zeit zu handeln drängt und wir dürfen nicht zu lange warten und zögern! Auch bei unseren Untersuchungen konnten wir z.B. messen, dass die Temperatur des Grundwassers oft sehr hoch war und über dem Optimum für die Existenzbedingungen für die Kleinlebewesen lag.

Beim Wasser und so auch beim Grundwasser gibt es Nutzungsinteressen. Aber man muss dabei aufpassen, welche Auswirkungen die Eingriffe des Menschen haben. Wir müssen Aufmerksamkeit und Wissen produzieren, um die Wirkungen noch besser abschätzen zu können, aber vor allem auch ein allgemeines Bewusstsein für sie zu erzeugen. In diesem Zusammenhang ist die sehr aktuelle Debatte um die Geothermie und Bebauung noch unversiegelter Flächen sehr wichtig. Diese kann Temperaturschwankungen im Grundwasser mit sich bringen, die die oft empfindlichen Grundwassertiere nicht überleben würden.

 

Was für Ergebnisse und Erkenntnisse habt Ihr seit dem Beginn der Beprobungen gewonnen?

 

Christian: Unsere 30 Brunnenpat*innen haben bisher an rund 60 Schwengelpumpen Proben entnommen und analysiert. Dabei konnten wir feststellen, dass es tatsächlich bei ca. der Hälfte von ihnen Leben im Grundwasser gibt. Es gab sogar einige Sensationsfunde wie zum Beispiel die Ruderfußkrebse in Hellersdorf, den Raupenhüpferling in der Nähe von Lübars oder die Muschelkrebse am Brennerberg, bei denen es sich um „echte“ Grundwasser-Muschelkrebse handelt. Diese Art war zuvor in Berlin noch nie gesichtet worden! Besonders häufig traten in unseren Proben aber Milben auf. Die hielten bisweilen sogar höhere Grundwassertemperaturen von rund 14 Grad aus. Allerdings muss noch genauer untersucht werden, ob es sich hierbei wirklich um Grundwassermilben oder eher Landmilben wie z. B. Hornmilben handelt. Und dann gab es in sehr vielen Proben Springschwänze. Springschwänze werden allerdings eigentlich nicht zu den Grundwassertieren, sondern zu den Bodenbewohnern gezählt. Bisher machen wir die Tendenz aus, dass das Grundwasser im Norden Berlins reicher besiedelt ist.

Alle Grundwasserbewohner haben einen Nutzen für das ökologische Gleichgewicht: Sie fressen organisches Material, Bakterien, Pilze, mitunter andere ihrer Art, andere anderer Arten und sorgen dafür, dass die engen Lückenräume nicht verstopfen. Damit tragen sie zu einem sauberen Grundwasser bei – und helfen damit auch uns, die wir das Grundwasser hier in Berlin ohne viel Aufbereitung als Trinkwasser nutzen können. Das Vorkommen, das gehäufte Vorkommen, das Nichtvorkommen einer Art, aber dafür einer anderen – all das lässt auf bestimmte Lebensbedingungen schließen. Auf hohen Nährstoffgehalt, auf Fehlen von solchem etc. Und das lässt Schlussfolgerungen zu. Aber es gilt dabei vorsichtig zu sein, da es sich um ein sehr komplexes ökologisches System handelt.

 

Abb.: Milbe aus dem Berliner Grundwasser unterm Mikroskop © Dr. Sophie-Christin Holland

 

Anfang dieses Jahres kam die erfreuliche Nachricht, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung für die nächsten drei Jahre finanzielle Mittel für ein Nachfolgeprojekt zur Verfügung stellt. In diesem Projekt werden die Grundwassertemperatur und die Auswirkungen von Geothermie im Fokus stehen. Wird Berlin damit sozusagen ein Leuchtturm bei der Erforschung der Grundwassertiere?

 

Christian: Auch wenn es etwas unbescheiden klingt: Ja, Berlin ist schon ein Leuchtturm bei der Erforschung der Grundwassertiere.

 

Was erhofft Ihr euch nach vier Jahren Erforschung des Berliner Grundwassers?

 

Sophie: Wir hoffen sehr darauf, dass unsere Aktivitäten kein Projekt bleiben, sondern verstetigt werden. Wünschenswert wäre nämlich nicht nur eine dauerhafte Untersuchung möglichst vieler und gut geeigneter Beprobungsstandorte, um Tendenzen festzustellen und Schlussfolgerungen abzuleiten – sondern auch die Dauerhaftigkeit der Einbindung einer breiten Zivilgesellschaft in Grundwasserschutz und -monitoring und dass für das Grundwasser und seine Lebewesen ein Bewusstsein nicht nur geweckt wird, sondern auch langfristig bewahrt bleibt.

Christian: Darüber hinaus wäre es für uns ermutigend, wenn die politischen Entscheidungsträger die erforderlichen Rahmenbedingungen setzen, damit unsere Grundwasserökosysteme besser geschützt sind. Ein wichtiges Signal wäre es, wenn sie für die Umweltverwaltung genügend Mittel bereitstellen und das Recht soweit präzisieren, dass die Lebenswelt im Grundwasser in Genehmigungsverfahren und bei Planungen nicht übersehen wird. Letztendlich geht es auch um eine philosophische Fragestellung. Nicht der aktuelle Nützlichkeitsaspekt für eine Spezies, dem Menschen allein, darf im Vordergrund stehen. Es gilt unsere Biodiversität zu bewahren und zu verbessern und die Lebewesen um ihrer selbst willen zu schützen – wie es zum Beispiel in der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die in deutsches Recht überführt wurde, fixiert ist.

Sophie und Christian: Wir bedanken uns bei allen, insbesondere bei den Berliner*innen, die uns unterstützen, und freuen uns auf weiteres Engagement.

 

 

Das Gespräch führte Dr. Christiane Peter

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