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Ins Handeln kommen bei der Umweltgerechtigkeit

Bürger*innen mitzunehmen bei der Verbesserung der Umweltbedingungen ihrer unmittelbaren Umgebung ist leichter gesagt als getan

Seit über 15 Jahren beschäftigt man sich in der Berliner Umweltverwaltung bereits mit dem Konzept Umweltgerechtigkeit. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde der Ansatz erstmals mit der Veröffentlichung des ersten Berliner Umweltgrechtigkeitsatlanten im Jahr 2019 bekannt. Im Jahr 2022 wurde eine aktualisierte und weiterentwickelte Fassung in Zusammenarbeit von Umwelt- und Stadtentwicklungsverwaltung sowie dem Statistischen Landesamt Berlin-Brandenburg veröffentlicht. Auf Basis der fast 500 sogenannten Lebensweltlich orientierten Räume der Hauptstadt, man könnte von den Berliner Kiezen sprechen, werden die verschiedenen Indikatoren der Umweltbelastung – Lärm, Luftverschmutzung, Grünflächenversorgung, Hitzeentwicklung – übereinandergelegt und auch mit dem sozialen Status der Gebiete aus dem Sozialstrukturatlas verschränkt. Mit dem zunächst wenig überraschenden Ergebnis, das vor allem einkommensarme Gebiete stark von Mehrfachbelastung betroffen sind. Platt gesagt: Eine Villa steht selten an der Autobahn. Das Konzept der Umweltgerechtigkeit verknüpft also die Umwelt- mit der sozialen Dimension.

Echte Breitenwirkung hat das Thema Umweltgerechtigkeit in Berlin aber noch nicht erreicht. Das zu ändern, war eine der Zielsetzungen des Anfang Mai in Berlin-Kreuzberg vom BUND Berlin und dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU) veranstalteten und von der Senatsumweltverwaltung finanzierten Kongress unter dem Titel “Umweltgerechtigkeit im Quartier – vernetzt und partizipativ Zukunft gestalten“. Maßgeblich von Seite des UfU haben Larissa Donges und Alina Beigang den Kongress organisiert und mitgestaltet.

Das Interesse bei der Zielgruppe, Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung, Politik, Forschung und Praxis, die sich zum Thema in Berlin zu informieren, austauschen und Schnittstellen künftiger Zusammenarbeit ausloten möchten, war riesig. Innerhalb kürzester Zeit waren die über 100 Plätze vor Ort im “bUm – Raum für die engagierte Zivilgesellschaft” ausgebucht, etliche beteiligten sich darüber hinaus online an der Veranstaltung.

Das Thema in die Bevölkerung bringen

Sybille Schultz-Hülskes, Abteilungsleiterin der Senatsumweltverwaltung, bringt die Schwierigkeiten bei der Popularisierung des Konzepts Umweltgerechtigkeit in Berlin auf den Punkt: “Während es in Amerika aus einer konkreten Bürgerrechtsbewegung kam, ist es in Deutschland ein eher akademisch-verkopftes Thema.” In den USA ging es beispielsweise um den Bau neuer Schnellstraßen durch benachteiligte Quartiere, von denen vor allem der wohlhabendere Teil der Bevölkerung auf ihrem Pendelweg zwischen Vororten und den Büroquartieren im Zentrum der Städte profitierten. Oft gab es nicht einmal Auf- und Abfahrten in wirtschaftlich prekären Gegenden.

Um die zahlreichen Fragen der konkreten Umsetzung und Vermittlung des Themas ging es im Fachforum “Partizipative Umweltgerechtigkeit im Kiez” unter Leitung von Matthias Krümmel und Dirk Schäuble. Die beiden sind Fachreferenten für Klimaschutzpolitik beziehungsweise  Artenschutz beim BUND Berlin. Dabei ging es um die Frage, wie die Bewohner*innen in den Kiezen für das Thema aktiviert  und schließlich Vorhaben identifiziert und auch umgesetzt werden können, um die Situation zu verbesseren. Ein entsprechender Leitfaden für Quartiersmanager*innen ist in Erarbeitung.

Umsetzungsbeispiele im Kiez

Eines der Beispiele ist das 2020 im Quartiersmanagement-Gebiet Pankstraße gestartete Projekt Kool im Kiez. Unter Beteiligung der Bewohner*innenschaft ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog erarbeitet worden, der in den kommenden Jahren umgesetzt werden soll. Die Herbert-Hoover-Schule hat beispielsweise ein Grünes Klassenzimmer im Freien bekommen, in dem an heißen Tagen Unterricht stattfinden kann. Auch sind mehrere Regentonnen zur Bewässerung an verschiedenen Orten aufgestellt worden. Eine Kita hat einen großen Schirm als Schattenspender bekommen. Angegangen werden auch Projekte wie Hofbegrünung. Das Projekt ist nach der ersten Verlängerung nun zunächst bis 2025 gesichert.

Ein anderes Beispiel ist “Fit – Fahrrad ist toll” in Berlin-Weißensee. In dem Gebiet finden sich viele Geflüchtetenunterkünfte sowie einkommensschwache Bewohner*innen. Über die Bereitstellung von Fahrrädern, Kurse zum Erlernen des Radfahrens, Fahrradreparatur und zu den Verkehrsregeln, soll die Bewegung und damit auch die Gesundheit gefördert und der Aktionsradius der Betroffenen über den Kiez hinaus erweitert werden. Letztlich soll das auch ein Beitrag zur Verkehrsberuhigung sein und die Verkehrssicherheit erhöhen.

In der Arbeitsgruppe, an der sich auch viele Quartiersmanager*innen beteiligt haben, wurden die zahlreichen Knackpunkte diskutiert. Wie können tatsächlich breite Teile der Bevölkerung erreicht werden und nicht nur die üblichen Verdächtigen, meist lebensältere Akademiker*innen mit ausreichend zeitlichen und finanziellen Ressourcen? Wie wird die Kontinuität der Beteiligung über Jahre gesichert? Viel hängt vom zur Verfügung stehenden Geld ab.

Weiterentwicklung in vielen Bereichen nötig

Auch die Abbildung der Umweltgerechtigkeit ist noch nicht da, wo die Kongressteilnehmer*innen sie gerne hätten. Für die Weiterentwicklung des Atlanten hat das entsprechende Fachforum drei konkrete Wünsche formuliert. Um eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Ausgaben zu gewährleisten, sollten dort auch die absoluten Zahlenwerte, auf denen die einzelnen Indikatoren fußen, Eingang finden. Gewünscht wurde auch eine kleinräumlichere digitale Darstellung, denn die lebensweltlich orientierten Räume umfassen zum Teil recht große Gebiete. Auch sollte beispielsweise nicht nur der reine Flächenanteil des Stadtgrüns verzeichnet werden, sondern auch dessen Qualität im Einzelnen.

Umweltgerechtigkeit und gesundheitliche Chancengleichheit gehören zusammen!”, so Titel und Tenor der Fachgruppe 2, deren Teilnehmer*innen unter anderem den doppelten Nutzen von Maßnahmen wie Entsiegelung und Begrünung oder Verkehrsberuhigung für Natur und menschliche Gesundheit herausstellen möchte. Wichtig sei in dem Prozess, die entsprechenden Akteur*innen zu analysieren, wozu auch die möglichen Gegner*innen von Maßnahmen gehören. Strukturen in Verwaltungen müssten verändert werden, um Barrieren zu reduzieren.

“Es bräuchte nicht nur einen Umweltgerechtigkeitsatlas, sondern einen Umweltgerechtigkeits-Aktionsplan”, lautet das Fazit des Fachforums 3.  Umweltgerechtigkeit müsse in Planungsprozessen verbindlich gemacht werden.

Friedrichshain-Kreuzberg priorisiert Maßnahmen nach Umweltgerechtigkeit

An dieser Praxis arbeitet beispielsweise Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts Friedrichshain-Kreuzberg. Auf der Abschlussdiskussion berichtete er, mit dem Umweltgerichtigkeitsatlas die Antwort auf die Frage gefunden zu haben, wie das Bezirksamt die zahlreichen Anträge auf Verkehrsberuhigung durch Kiezblocks priorisieren könne. Über die Inikatoren im Atlas werden in seinem Fachbereich noch die Schulstandorte und die Anzahl und Schwere der Verkehrsunfälle gelegt, um die Bedarfslage zu ermitteln. Acht Anträge für Kiezblocks gebe es derzeit. “Die Gebiete, die besonders bedürftig waren, waren bis auf ein Gebiet nicht die, wo es die Anträge gab”, so Weisbrich. “Wir sind dabei, eine flächendeckende Strategie zu erstellen, die wir im nächsten halben Jahr veröffentlichen werden und dann auch sagen können, in welcher Reihenfolge wir die abarbeiten können”, so der Amtsleiter weiter. Mit dem indikatoregetriebenen Ansatz des Atlanten gebe es einen gute Antwort für die Abwägung. “Es ist mir wichtig, dass wir nicht nur über schwarze oder graue Infrastruktur sprechen, sondern auch über eine essenziell wichtige Infrastruktur: das Grün”, unterstrich Felix Weisbrich.

Christa Böhme vom Deutschen Instutut für Urbanistik sprach von der “Herausforderung, eine neue Brille aufzusetzen: die Umweltgerechtigkeitsbrille. Wo sind die prioritären Handlungsräume und mit der Brille der sozialen Benachteiligung kombiniert mit Umweltbelastung die Dinge neu zu betrachten?” Man könne die Umweltgerechtigkeit juristisch mittelbar ableiten aus der Forderung der Gleichheit der Lebensverhältnisse im Grundgesetz, erläuterte sie. Auch im Baugesetzbuch genannte Punkte wie gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, gesundheitliche Umweltwirkungen, ausreichende Versorgung mit Grün schaffen entsprächen letztlich diesen Zielen.

Der Berliner BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser wandte ein, dass in Planungsverfahren viele zu beachtende Vorschriften für den Umwelt-, Natur- und Gesundheitsschutz “weggewogen”, also letztlich ignoriert würden. “Wie kriegt man es hin, das so zu verankern, dass tatsächlich etwas passiert? Auch beim Klimaschutz”, lautet eine seiner letztlich offen gebliebenen Fragen.

“Es fehlt sicherlich noch so der große Wurf, aber ich denke wir sind einen Schritt weitergekommen”, so das Fazit von Sybille Schultz-Hülskes, Abteilungsleiterin der Senatsumweltverwaltung beim zweiten Berliner Umweltgerechtigkeits-Kongress.

 

Den kompletten Mitschnitt des Kongresses finden Sie hier.

 

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