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Es geht nicht nur ums Tempelhofer Feld

Neun Jahre nach dem erfolgreichen Volksentscheid stehen zahlreiche Berliner Freiflächen zur Disposition

© by Nicolas Šustr

Am 25. Mai war es neun Jahre her, dass die Berliner Wählerinnen und Wähler mehrheitlich gegen die Randbebauung des Tempelhofer Feldes votierten. Am Pfingstsonntag feierte die Initiative “100% Tempelhofer Feld” den historischen Erfolg mit Hunderten Gästen und Mitstreitenden im und um das neue Luftschloss. Erst vor zwei Wochen wurde die vom Weddinger Atze-Musiktheater betriebene Freilichtbühne eröffnet. “Wir haben in den letzten neun Jahren Bäume gepflanzt und Bänke aufgestellt, vor zwei Wochen dieses wunderbare Theater. Es ist im besten Einklang mit dem Tempelhof-Volksentscheid, ein Amphitheater mit 350 Plätzen aufzustellen”, sagt der Moderator der Initiative vor allem in Richtung derjenigen, die behaupten, dass mit dem in Folge des Entscheids in Kraft getretenen Tempelhof-Gesetzes nichts möglich sei auf dem Feld.

“Es ist heute sehr wichtig, noch einmal daran zu erinnern: Nein, Berlin hat sich entschieden: der Tempelhofer-Feld-Rand soll nicht bebaut werden”, sagt der Aktivist auch. Über 60 Prozent der Abstimmenden habe sich gegen die Baupläne des damaligen schwarz-roten Senats gewandt, in jedem Bezirk habe es eine Mehrheit dagegen gegeben. Denn: “Das Tempelhofer Feld steht wieder unter Druck. Wir haben wieder eine SPD-CDU-Regierung, die das Feld bebauen möchte und davon spricht.”

Doch es gibt eine große Koalition gegen die Bebauung, die auf dem Fest mit Bühnenprogramm, Kuchen, Zuckerwatte und Seifenblasen ihr Stelldichein gibt. Dazu gehören die Berliner Grünen. Bettina Jarasch, Co-Chefin der Abgeordnetenhausfraktion spricht von einem “Freiraum für die Stadt, die Stadtbevölkerung” und sagt: “Ich möchte unbedingt den 18. Geburtstag auch mit Euch feiern.” Dieses Feld sei “kostbarer für die Stadt als es jemals war. In der Corona-Zeit haben wir es wohl noch dringender gemerkt, wie siehr wir so etwas alle miteinander, um zu leben und zu atmen”, so Jarasch weiter. Die Natur brauche diesen Raum, die Stadt brauche diesen Raum, gerade auch mit Blick auf die immer heißer werdenden Hitzesommern. “Bei manchen Dingen sind sie leider sehr sicher, sie rückabwickeln zu wollen. Dazu gehört leider der Volksentscheid Tempelhofer Feld”, sagt sie über die schwarz-rote Koalition und verspricht: “Ihr werdet uns immer an der Seite haben, um für den Erhalt zu kämpfen.”

Die neu Co-Chefin der Berliner Linken, Franziska Brychcy hat hier sogar ihren ersten öffentlichen Auftritt seit ihrer Wahl. “Vielen herzlichen Dank, dass ihr das damals eisern mit vielen aus der Stadt durchgekämpft habt”, sagt sie. Und erinnert daran, dass das freie Feld natürlich “auch eine soziale Frage” sei. “Weil die, die keine Villa am Wannsee haben mit einem großen Garten drumherum, die brauchen natürlich die öffentlichen Freiflächen viel dringender. Es ist wichtig, dass das Feld freibleibt: Stadtgrün für alle”, so Brychcy und erinnert daran, dass Kai Wegner als Bundestagsabgeordneter sich nicht sonderlich für Mieter*inneninteressen eingesetzt hat, unter anderem mit der gemeinsamen Klage von CDU und FDP gegen den Mietendeckel. “Es wird Kämpfe um das Tempelhofer Feld geben. Und wir stehen gemeinsam gegen den Ausverkauf der Stadt, der uns bevorsteht. Das ist unser Feld, das ist unsere Stadt. Und wir werden alles daran setzen, dass es so bleibt”, sagt Franziska Brychcy.

“Wir setzen uns auf jeden Fall dafür ein, dass Volksentscheide respektiert werden und die Bürger*innen nicht einfach ignoriert werden. Glaubt an euch, glaubt an uns. Damit Berlin unser Zuhause bleibt”, sagt Bana vom Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, der 2021 mit fast 60 Prozent Zustimmung angenommen worden ist, politisch aber auf die immer längere Bank geschoben wird. “Der Volksentscheid war so wichtig, weil er zeigt: Berlin kann sich andere Lösungen für die Wohnungsprobleme vorstellen, als einfach alle Grünflächen zu zerstören”, ordnet der Moderator von “100% Tempelhofer Feld”

Weitere Initiativen kommen auf der Bühne zu Wort. Neben einem Vertreter der Neuköllner Initiative Emmauswald, die sich für den Erhalt eines verwilderten ehemaligen Teil des Emmausfriedhofs einsetzt, den die Deutsche-Wohnen-Tochter Buwog mit rund 400 Eigentumswohnungen bebauen will, ist es auch die Initiative Offene Mitte Berlin. “Wir engagieren uns auch für einen Freiraum, den um den Fernsehturm. Der ist deutlich kleiner als das Tempelhofer Feld, aber auch ganz wichtig für das Stadtklima. Wir wollen, dass dieser Freiraum erhalten bleibt, dass er nicht bebaut wird, dass er schöner wird, attraktiver wird”, sagt deren Sprecher Matthias Grünzig. “Eigentlich sollten 2024 die Arbeiten beginnen. Aber jetzt haben wir ein Problem, nämlich dass die CDU jetzt an der Macht ist. Die will das unbedingt bebauen”, sagt er über die Flächen im Herzen Berlins.

“Man soll das Leben genießen, nicht nur Arbeiten. Dafür steht in Berlin das Tempelhofer Feld. Dafür lohnt es sich zu kämpfen”, sagt Tilmann Heuser. Der Geschäftsführer des BUND Berlin ist der letzte Redner auf der Festbühne. Er hat konkrete Forderungen mitgebracht. “Wir wollen, dass Berlin endlich anfängt, das Flughafengebäude Tempelhof, das Kasernengelände und die anderen Flächen dahinter zu entwickeln und zu überlegen: Was fangen damit an? Wie kann man das nutzen? Hier ist der eigentliche Skandal in Tempelhof: Seit 15 Jahren ist es keinen Millimeter vorangekommen.”

Er spricht über die Versiegelung in Berlin allgemein. “Die Wirtschaft sagt immer: Wir müssen bauen, bauen, bauen und wollen dann das Feld, wollen die Elisabethaue, wollen Späthsfelde. Die Wirtschaft und auch die Wirtschaftsverwaltung sind nicht bereit, auch nur einen Quadratmeter Gewerbegebiete abzugeben, damit die umgewandelt werden in urbane Gebiete, wo man wohnen, arbeiten und anderes machen kann”, so Heuser. Er bittet auch um Hinweise, welche Flächen dafür geeignet sind.

Und schließlich macht er noch eine lange erwartete Ankündigung: “2026 wird es wahrscheinlich einen Volksentscheid geben zur Abgeordnetenhauswahl. Aber nicht von oben angeordnet, sondern von unten durchgesetzt.” Genauer: “Wir als Verbände wollen 2026 darüber abstimmen, dass Grünflächen grundsätzlich zu schützen sind. Dass wir endlich dahin kommen, dass Berlin nicht weiter versiegelt wird. Was bereits 2006 im Abgeordnetenhaus beschlossen worden ist, dass wir die Netto-Nullversiegelung endlich erreichen.” Also dass unter dem Strich keine zusätzlichen Flächen versiegelt werden. Rot-Grün-Rot hatte das noch im Koalitionsvertrag für 2030 angekündigt, auch wenn wenig bis gar nichts konkret in der Richtung unternommen worden ist. Im Sommer 2024 soll die Unterschriftensammlung dafür starten. “Es geht nicht nur um das Tempelhofer Feld. Dieser Wahnsinn, dass immer nur auf Grünflächen gegangen wird, muss gestoppt werden”, fordert Tilmann Heuser.

3 Kommentare

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  1. Ich bin nicht im geringsten eurer Meinung. Wenn man was für den Naturschutz machen möchte, wäre es endlich an der Zeit einen Teil dieser riesigen Fläche mit Bäumen zu begrünen. Das würde auch nachhaltiger das Klima verbessern und die Hitze im Sommer ein wenig zurücknehmen. Das Feld ist so riesig dass eine Randbebauung, Freiflächen z.B. an den Längsachsen und Wald problemlos möglich sind. Und Platz für Großveranstaltungen hinter dem Flughafengebäude wäre auch noch genügend vorhanden.
    Dieser Zustand im Augenblick ist erbärmlich. Keine Großstadt der Welt leistet sich so einen Schwachsinn. So was kann, so muss man es leider sagen, nur Berlin.
    Ein aktueller Volksentscheid würde, davon bin ich überzeugt, zu einem anderen Ergebnis kommen.

  2. Das ist kein Schwachsinn – das ist großartig! So lange es in Berlin noch SOVIEL Leerstand gibt, in der Linienstraße in Mitte (!) ein Riesengebäude leersteht, in Schönberg in der Hauptstraße, Nähe Kleistpark in Oberschöneweide und Köpenick soviele Industriegebäude seit Jahrzehnten ungenutzt leerstehen und der Umbau zu Wohnraum mehr als zögerlich voran geht, vom Flughafengebäude Thof selbst mal ganz zu schweigen – so lange gibt es keine Notwendigkeit auch nur einen cm des Tempelhofer Feldes für irgendwas zu bebauen.

  3. Leerstand und Gier beweisen die ” Baulobyisten” hier. Das ist inhaltlich unzureichende Planung. Deswegen ueberholen die genialen Loesungen, welche den tatsaechlichen Bedarf an aktiv genutzter Flaeche beruecksichtigen.
    Daniel Furhop ist hier ” Verbietet das Bauen”, hervor zu heben.
    Dann guckt genau in Euren vier Waenden, wieviel Raum toter Lagerraum ist;))

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