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Lärmblitzer soll Daten für Lärmaktionsplan liefern

Fokus auf Umsetzung von Tempo 30 nachts auf Hauptstraßen

© by SenMVKU

Direkt vor der Gedächtniskirche auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms ist diesen Mittwoch ein neuer Mast montiert worden. An ihm hängt nun “Hydre”, ein neuartiger Lärmblitzer. Die Kombination aus mehreren Mikrofonen und Kameras kann in einem Bereich von 100 Metern präzise dokumentieren, welches Fahrzeug wieviel Lärm verursacht. Anhand von Lautstärke und Geräuschprofil kann die Technologie sogar erkennen, ob möglicherweise eine Ordnungswidrigkeit vorliegt. Manuell müssen dann anhand der Kennzeichendaten die zulässigen Grenzwerte des entsprechenden Fahrzeugs abgeglichen werden. Allerdings – und das ist der Wermutstropfen für lärmgeplagte Anlieger*innen – erfolgt keine Ahndung. Auch die Halterdaten oder Gesichter der Fahrenden werden nicht erfasst. Denn der acht Wochen dauernde Feldversuch soll einerseits die Möglichkeiten der Technologie aufzeigen, andererseits der Senatsumwelt- und -verkehrsverwaltung einen Überblick über die tatsächliche Lärmlage beim Straßenverkehr verschaffen. 22.000 Euro lässt sich die Verwaltung die vor anderthalb Jahren noch unter Führung der Grünen angeschobene Erprobung kosten.

In einer zwölfstündigen Fahrt ist die Hydra am Mittwoch aus Paris nach Berlin gekommen. Dort wurde sie zuvor ein halbes Jahr erprobt, wie Raphaël Coulmann vom Unternehmen Viginoiz berichtet. Durchschnittlich 22 mal pro Tag schlug das Gerät in der zweispurigen Pariser Rue d’Avron unweit der Grenze der eigentlichen Stadt an. “Das ist aber sehr jahreszeiten- und wetterabhängig. An warmen und schönen Tagen geschah das rund 50 mal, und überhaupt nicht, wenn es kalt und bedeckt war”, sagt Coulmann. Hauptproblem in Paris seien laute Motorräder. “Hydre” ist die zweite Stufe der Befassung der Agglomeration Paris mit dem Straßenverkehrslärm, zunächst wurde mit “Medouze” an vielen Orten in der Kernstadt und der sie umgebenden Île-de-France erfasst. Die Qualle wurde wegen der tentakelartig abstehenden Mikrofone so genannt, die Hydra kam zu ihrem Namen, weil sie mit gleich zwei dieser Mikrofonkombinationen mehrere Köpfe hat. Viginoiz ist das kommerzielle Tochterfirma des gemeinnützigen Unternehmens Bruitparif, das von zahlreichen Trägern der öffentlichen Hand, Verbänden und Forschungseinrichtungen gegründet worden ist, um Strategien zur Lärmreduzierung zu entwickeln und zu erproben.

Der gemeinsam von Senat und der Technischen Universität Berlin durchgeführte Versuch am Kurfürstendamm ist Teil der Untersuchungen zur neuen Ausgabe des Berliner Lärmaktionsplans, der Mitte 2024 in Kraft treten soll. Die Vorarbeiten für das auf Basis der EU-Umgebungslärmrichtlinie verbindlichen Plans laufen dafür seit Jahren. “Das Thema Verkehrslärm, etwa durch Tuning von Fahrzeugen oder durch starkes Beschleunigen, bedeutet für viele Menschen in Berlin Stress”, erklärt Umwelt- und Mobilitätssenatorin Manja Schreiner (CDU). Die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Lärmaktionsplan 2019-2023 hatte mit mehr als 400 Beiträgen insbesondere auffälliges Verhalten von Verkehrsteilnehmenden in den Fokus gerückt. “Rücksichtnahme, Respekt und Regelkonformität” seien in einer Großstadt wie Berlin “enorm wichtig”, so Senatorin Schreiner.

Wenig Rechtsmittel bei lauten Fahrzeugen

Bei einer Auftaktveranstaltung am 22. Mai vor Beginn der Öffentlichkeitsbeteiligung, die noch im Juni starten soll, stellte die Senatsumweltverwaltung die Ergebnisse der neuen Lärmkartierung sowie die geplanten Handlungsschwerpunkte in der Lärmaktionsplanung vor. Der sogenannte verhaltensbedingte Straßenverkehrslärm gehört dazu. Dabei schenkte Polizeihauptkommissar Oliver Woitzik von der Stabsabteilung Verkehr viel Wasser in den Wein, was die Ahndung dieses störenden Lärms betrifft. Lärmursache könnten Tuning oder auch Verschleiß sein. “Alte Fahrzeuge sind unglaublich laut, ohne dass ein Mensch irgendwas damit gemacht hat”, so Woitzik. Motorräder oder alte Autos könnten bis zu 100 Dezibel Lärm erzeugen, das entspricht dem Pegel einer Kreissäge. Das könne die Polizei nicht verhindern, wenn das Fahrzeug so zugelassen ist. “Außer wir sagen: Wir stoppen alles, was älter als 20 Jahre ist.”

Frankreich ist einen Schritt weiter. Demnächst wird dort eine verbindliche Obergrenze für Fahrzeuglärm eingeführt. Raphaël Coulmann rechnet mit einem Wert von 86 Dezibel.

Die meisten Sachverhalte bewegten sich im Bereich von Ordnungswidrigkeiten, maximal 80 Euro würden dafür fällig. Und da es dafür keine Punkte in Flensburg mehr gebe, sei auch eine Disziplinierung über Fahrtenbuchauflagen und das Anhäufen von Punkten mit entsprechenden Konsequenzen für die Fahrtberechtigung nicht möglich. Anders sehe es nur aus, wenn Verstöße gegen die Straßenverkehrszulassungsordnung vorlägen. Also illegale Manipulationen am Fahrzeug vorgenommen werden. “Wir leiten ein Mängelverfahren über die Zulassungsstelle ein, um sicherzustellen, dass diese Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden. Sollten wir feststellen, dass es immer wieder die gleichen Fahrer sind, werden auch Platzverweise ausgesprochen. Und last but not least nehmen wir auch das Auto weg zur Erstellung eines technischen Gutachtens”, sprach Woitzik über die Taktik der Nadelstiche, die für die Polizei aber sehr aufwendig sei. Noch im Juni werde es wieder entsprechende Schwerpunktaktionen auf dem Kurfürstendamm geben, kündigte er an.

Fokus auf Tempo 30 nachts

Besonders konzentrieren will man sich beim Lärmaktionsplan auf die Umsetzung nächtlicher Tempo-30-Anordnungen im Hauptstraßennetz. “Das maßgebliche Thema in Berlin ist der Verkehrslärm, und da – auch nicht überraschend – der Straßenverkehrslärm”, sagte Sibylle Schultz-Hüskes, Abteilungsleiterin Umweltpolitik, Abfallwirtschaft und Immissionsschutz in der Senatsumweltverwaltung. Man könne sich nicht darauf verlassen, dass der technische Fortschritt das Problem schon von selbst lösen werde. Denn bei Geschwindigkeiten über 30 Kilometern pro Stunde ist die maßgebliche Lärmquelle das Abrollgeräusch der Fahrzeuge.

Raphaël Coulmann bestätigt den großen Effekt mit Pariser Erfahrungen. “Tempo 30 tagsüber hat beim Lärm in Paris kaum einen Effekt gebracht, weil die Autos wegen der Verkehrslage sowieso nicht schneller rollen können. Nachts war der Einfluss aber deutlich spürbar”, sagt er. “Und gerade nachts brauchen die Menschen Erholung. Die gesundheitlichen Auswirkungen der Verkehrslärms sind schließlich enorm, er ist verantwortlich für viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen”, so Coulmann weiter.

Schultz-Hüskes räumt ein, dass die bisherigen Lärmaktionspläne “bisher noch nicht so den Durchbruch gebracht” hätten. Allerdings sei in den letzten Jahren gerichtlich “eine stärkere Verbindlichkeit” erreicht worden. Das soll genutzt werden. Eckhart Heinrichs vom Beratungsunternehmen Ramboll berichtete, dass im Rahmen der Erstellung der strategischen Lärmkarte 2022 für den neuen Aktionsplan 1550 Kilometer Hauptstraßen kartiert worden sind. Auf einem Viertel davon gelte nachts bereits Tempo 30.

Man habe alle Straßen ab einem nächtlichen Lärmpegel von 55 Dezibel untersucht bezüglich der möglichen Anordnung der nächtlichen Geschwindigkeitsbegrenzung, so Eckart Heinrichs. Angesichts der sehr autofreundlichen Straßenverkehrsgesetzgebung des Bundes können zahlreiche Gründe einer gerichtsfesten Anordnung im Wege stehen. Die bisherige Rechtsprechung ist auch der Grund, warum die Grenze bei 55 Dezibel und nicht bei den aus gesundheitlichen Gründen eigentlich geforderten 45 Dezibel gezogen worden ist. “Als wir die Tempo-30-Zonen eingeführt hatten, waren das unendliche Diskussionen über zehn Jahre”, erinnert sich Heinrichs. “Das wird auch jetzt wieder so sein.”

Senatorin lässt Skepsis erkennen

Eine gewisse Skepsis lässt Mobilitätssenatorin Manja Schreiner am Mittwoch durchaus erkennen: “Natürlich kann man darüber nachdenken, ob man Tempo 30 an dicht bewohnten Hauptstraßen machen will.” Vorstellen könne sie sich das an bestimmten Hauptstraßen. “Da muss man sich aber genau anschauen: Welche Einschränkungen gibt es, wenn wir auch Wirtschaftsverkehre et cetera haben. Aber ich glaube da ist eigentlich eine Lösung möglich”, so Schreiner weiter.

Die neue strategische Lärmkarte 2022 für Berlin ist auf einer neuen Grundlage erstellt worden, nämlich nach der EU-weit harmonisierten Berechnungsmethode CNOSSOS-EU. So werden beispielsweise neu Ampeln und Witterungseinflüsse berücksichtigt, Antriebs- und Rollgeräusche getrennt erfasst. Im Gegensatz zu den früheren Berechnungen werden auch alle Bewohnenden betroffener Gebäude berücksichtigt. Das führt zu statistisch zu einer Vervielfachung der Betroffenenzahlen. Beim gewichteten Mittelwert über den Tag (12 Stunden), den Abend (4 Stunden) und die Nacht (8 Stunden) sind nun von Verkehrslärm an Hauptstraßen über 70 Dezibel fast 90.000 Menschen betroffen. Nach der alten Berechnungsmethode waren es 2017 rund 24.500 Menschen. Vergleichen lassen sich also die Zahlen mit den älteren Lärmkarten nicht mehr.

Ruhe- und Erholungsräume, die sogenannten Ruhigen Gebiete sowie innerstädtische Grün- und Erholungsflächen sind ein weiterer Schwerpunkt der Lärmaktionsplanung. Auf sie soll sich die anstehende Öffentlichkeitsbeteiligung konzentrieren. Bisher sind dort eher größere Flächen erfasst worden, die gewisse Umgebungslärmpegel nicht übersteigen, beziehungsweise bei den Zentrumsflächen mindestens sechs Dezibel leiser sind als die Umgebung. Hier soll die Bevölkerung aufgerufen werden, kleinere, noch nicht erfasste Flächen zu melden. In einem nächsten Schritt sollen dann Maßnahmen untersucht werden, um dort beispielsweise mit Abschirmungen durch Baumpflanzungen oder Fassadenbegrünungen den Lärmpegel zu senken.

“Weil Lärm schädlich für die Gesundheit ist, bitten neben dem Senat auch wir die Berliner*innen, sich bei der Bürgerbeteiligung einzubringen”, sagt Martin Schlegel, Fachreferent für Mobilität und Umweltpolitik vom BUND Berlin. Er hat auch Forderungen im Gepäck. Dazu gehört mehr Tempo 30 in den Hauptstraßen. “Die Umweltzone sollte genutzt werden, um nur lärmarme Fahrzeuge, insbesondere motorisierte Zweiräder, in die Innenstadt zu lassen”, so Schlegel weiter. In den Ruhe- und Erholungsräumen sollten motorisierte Laubbläser verboten werden.

2 Kommentare

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  1. Bezüglich einer Einschränkung des Verkehrslärms geht es endlich voran – zunächst in Berlin.

    Wünschenswert wären derartige Maßnahmen auch in Hannover. Hier scheint die Priorität immer noch auf dem Autoverkehr zu liegen, nicht auf der Lebensqualität und Gesundheit der Bürger!

  2. Die besten Voraussetzungen um den Lärm zu verhindern nutzen leider nichts, wenn diese mangelhaft umgesetzt werden. Seit langer Zeit haben wir bereits eine Tempo 30 Zone, diese wird allerdings meistens ignoriert. Ohne Konsequenz, denn kontrolliert wird diese nicht. So werden sogar geschätzte Geschwindigkeiten von 100 km/h gefahren und rote Ampeln interessieren dabei auch nicht.

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