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Alte Radwege sind kaum sanierungsfähig

In Tempelhof-Schöneberg könnten nur 2,5 Prozent des Hochbord-Bestands konform zum Mobilitätsgesetz erneuert werden

© by Tilo Schütz

“Wenn man einen abgetrennten Radweg hat, der ertüchtigt werden muss, ist es immer meine allererste Option, den zu sanieren, statt auch die Fahrradfahrer noch auf die Straße zu holen”, sagte Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) am schon legendären Abend der Mobilität Ende September 2023. Sie will also beim Ausbau des Radnetzes vor allem auf die Sanierung alter Hochbordradwege setzen.

Das dürfte ein recht aussichtsloses Unterfangen werden, wenn die Wege auch konform mit den Vorgaben des Berliner Mobilitätsgesetzes werden. BUND-Mobilitätsexperte Tilo Schütz hat das Tempelhof-Schöneberger Hochbord-Radwegenetz akribisch auf die Möglichkeiten der Sanierung untersucht. Mit niederschmetterndem Ergebnis: Nur 2,4 der insgesamt 97,5 Kilometer Bestands-Radwege im Bezirk ließen sich demnach tatsächlich sanieren. Die Längenangaben sind hierbei richtungsbezogen, bei einer Straße mit Radwegen auf beiden Seiten fließen also beide Richtungen separat in die Zählung ein.

Konkret hält Tilo Schütz also 290 Meter auf der Nordseite der Goebenstraße zwischen Kulmer und Potsdamer Straße für sanierbar, außerdem zusammengenommen 410 Meter auf beiden Seiten des Columbiadamms zwischen Friesenstraße und Platz der Luftbrücke sowie ebenfalls beidseitig rund 1,7 Kilometer der Lichtenrader Barnetstraße zwischen Lutherstraße und Simpsonweg.

“Den größten Nutzen verspricht die Sanierung der maroden Radwege an der Barnetstraße”, so der BUND-Experte. Diese Strecke sei unverzichtbar für Pendler aus den Großsiedlungen Nahariyastraße und John-Locke-Viertel zum S-Bahnhof Schichauweg, dessen Bike&Ride-Anlage auch im Winterhalbjahr komplett ausgelastet ist. Vier Schulstandorte befinden sich im unmittelbaren Umfeld. Zugleich dient die Barnetstraße der inneren Erschließung des Ortsteils Lichtenrade, der ansonsten weitgehend durch Pflasterstraßen geprägt ist.

Skizze zur derzeitigen Aufteilung der Barnetstraße (oben) und der vorgeschlagenen Neuaufteilung (unten). Zeichnung: Tilo Schütz

“Die Sanierung und Verbreiterung der Radwege ist im Seitenraum ohne Eingriffe in den Baumbestand möglich”, erläutert Schütz. Zu bevorzugen wäre in seinen Augen eine asymmetrische Lösung: Verbreiterung des Radweges auf einer Straßenseite und Ausgleich der Versiegelung des Grünstreifens auf der anderen Seite durch Aufgabe des dortigen Radweges und Ersatz durch einen Radstreifen auf der rund neun Meter breiten Fahrbahn. “Somit kann der grüne Charakter der Barnetstraße bewahrt werden.”

Grundsätzlich hielt Schütz vor der Detailprüfung die Eins-zu-Eins-Sanierung von rund 9,7 Kilometer Hochbord-Radweg für möglich. Bereits in der Grobprüfung fielen 64 Kilometer Radwege des Hauptnetzes sowie 13,4 Kilometer der durchweg zu schmalen Radwege im Nebennetz durch das Raster. Nur bei 10,4 der 97,5 Bestandskilometer sieht er derzeit keinen Handlungsbedarf.

Der Prüfung auf Sanierbarkeit lagen drei Kriterien zugrunde:

1. Regelbreite für Radwege 2,30 Meter, mindestens 2 Meter, bei Radvorrangrouten: 2,50 Meter
2. Mindestbreite für Gehwege laut Ausführungsverordnung Geh- und Radwege: 3,20 Meter. Außerdem heißt es im Radverkehrsplan:
“im Regelfall soll die Anlage von Radverkehrsanlagen (…) nicht zulasten des Fußverkehrs erfolgen”.
3. Baumbestand

Beispielhaft erläutert Tilo Schütz anhand einiger Straßen, warum dort die Bestands-Radwege nicht sanierbar sind. “An der Attilastraße würde eine Sanierung der Radwege eine Reduzierung der Gehwegbreite unter das zulässige Mindestmaß voraussetzen”, erklärt er. An der Lankwitzer Straße lasse die durch die Wurzeln der Platanen aufgeworfene Oberfläche eine Sanierung ohne Schädigung oder Verlust von Bäumen nicht zu. Dort empfiehlt er die Anlage eines Radstreifen auf der Fahrbahn. Zur Straße Alt-Mariendorf merkt er an: “Die Sanierung der schmalen Radwege würde die Fällung von Bäumen und Büschen erfordern und den Charakter des grünen Dorfangers zerstören. Lediglich der lange geplante Zweirichtungsradweg zwischen Forddamm und Großbeerenstraße sollte angelegt werden.”

Aktuelle Situation in der Bundesallee foto: Tilo Schütz
Vorgeschlagene Neuaufteilung der Bundesallee. Zeichnung: Tilo Schütz

Für den südlichen Abschnitt der Bundesallee als “missing link” zwischen der Fahrradstraße Handjerystraße – Prinzregentenstraße – Fasanenstraße (Westroute) zur Schlossstraße empfiehlt er die Umwidmung einer Auto-Fahrspur je Richtung in eine Parkspur. Denn eine Fahrspur sei ausreichend bei durchschnittlich fünf- bis zehntausend Pkw pro Tag. “Die untere Hälfte des bisherigen Parkhafens im Zuge der Baumreihe kann entsiegelt und begrünt werden, die andere Hälfte würde einen 2,50 Meter breiten Radweg aufnehmen. Dann kann der bisherige Radweg dem Gehweg zugeschlagen werden”, so Schütz. Denn derzeit behinderten sich der rege Fuß- und Radverkehr gegenseitig im viel zu schmalen Seitenraum der Bundesallee.

Tilo Schütz ist vorsichtig, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Tempelhof-Schöneberg angeht. Am Beispiel Neukölln erläutert er, dass dort vor ein paar Jahren der Schwerpunkt auf der Sanierung vieler Radwege in Gropiusstadt und Rudow lag, bevor in den letzten Jahren Neukölln-Nord mit Radstreifen und Fahrradstraßen in den Fokus gelangte. “Daher würde man diese Radwege in die Kategorie aktuell kein Handlungsbedarf einordnen, auch wenn sie heute nicht den aktuellen Mindestmaßen genügen.” Andererseits dürften von den verbliebenen Radwegen kaum noch welche sanierungsfähig sein, so seine Einschätzung.

Schütz wartet mit Spannung auf die Ergebnisse der Ermittlung des sanierungswürdigen Anteils von Hochbordradwegen, die die Senatsverkehrsverwaltung in Auftrag geben möchte.

Ein Kommentar

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  1. Noch nicht lange her, da hatte eine grüne Verkehrsenatorin 4 Jahre lang amtiert, ohne dass im Berliner Norden auch nur ein Radweg angefasst worden wäre. Stattdessen hatten Beamte enorme Planungen für die Schubladen erstellt…

    Inzwischen hat eine Wahlannulierung (sog. Wiederholungswahl) die übernächste Verkehrssenatorin ins Amt gespült (gewählt von 9% der Wahlberechtigten unter 35 Jahre, 20% derer im berufstätigen Alter ab 35 Jahre). Diese Stockschwarze lebt nun ihre Phantasien der 1970er Jahre wieder aus: Vor 50 Jahren hatte die autogerechte Stadt mit schlechtem Gewissen einige Schmalspur-Hoppelpisten zwischen Fußgänger und Straßenbäume gequetscht und sie ‘Fahrradwege’ genannt.

    Jedenfalls in Reinickendorf – dem Schlusslicht des Radewegebaus in Berlin – ist für die meisten dieser Schmalspur-Hoppelpisten die Benutzungspflicht längst aufgehoben, weil es zu gefährlich ist, sie überhaupt zu benutzen. Die meisten werden auch schon lange nicht mehr benutzt.

    Wurden sie überhaupt jemals benutzt oder waren sie immer nur eine Attrappe (z. B. Gorkistraße, Berliner/Oranienburger Straße, Hermsdorfer Damm) – ein Potemkinsches Dorf der autogerechten Stadt, die irgendwo noch ein Bauwerk für Radfahrer aus ihrem Autofenster sehen wollte?

    Ihre “Sanierung” käme einem Neubau gleich – und für die Durchsetzung der nötigen Mindestbreiten (40cm) und Mindestabstände (20cm) kann sich unser Wiederholungswahl-Bürgermeister ja dann in seinem nächsten unnachahmlichen Wahlkampf einsetzen. Während sich die Wiederholungswahl-Verkehrssenatorin weiter ihren Träumen von den Potemkinschen Attrappen der autogerechten Stadt hingibt. 50 Jahre rückwärts!

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