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Beißen sich Geothermie und Artenschutz?

Projekt CHARMANT bringt Forscher und Praktiker bei Rundem Tisch zusammen

© by BUND Berlin/Nicolas Šustr

Das Grundwasser ist kein gemütlicher Ort zum Leben. “Es ist ein sehr nährstoffarmer und kalter Lebensraum”, sagt Dr. Maria Avramov, die für den BUND Berlin am Projekt CHARMANT mitarbeitet. Phytobionten – Grundwassertiere, die nur dort vorkommen, sind daran ganz besonders angepasst. “Sie haben alles reduziert, was nur irgendwie geht, weil sie Energie sparen müssen”, so Avramov weiter. Sie haben einen verlangsamten Stoffwechsel, eine verlangsamte Reproduktion und nur wenige Nachkommen. Sie sind stark spezialisiert auf den Lebensraum und die dort vorherrschenden Temperaturen. In Mitteleuropa liegen die im Grundwasser natürlicherweise in einem sehr engen Bereich von zehn bis zwölf Grad Celsius.

Die Biologin Maria Avramov berichtet auch, was eine Erhöhung der Temperatur für die mikroskopisch kleinen Grundwassertiere bedeutet: “Nach fünf Tagen bei 16 Grad sind schon die Hälfte der Asseln tot. Bei den Flohkrebsen wurde das bei 20 Grad beobachtet.” Das haben wissenschaftliche Experimente ergeben. “Bei über 14 Grad kommt es schon zu subletalen, also nicht tödlichen, aber physiologischen Effekten, wie zum Beispiel die Reduktion der Eier oder die Auflösung der Geschlechtsorgane”, führt Avramov aus. Ein Grund dafür kann sein, dass mit steigenden Temperaturen die Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser abnimmt.

In Berlin liegen laut offiziellen Daten der Senatsumweltverwaltung inzwischen Grundwassertemperaturen bei bis zu 16 Grad. “Es gibt aber auch noch ein paar Bereiche am Stadtrand, unter bewaldeten Gebieten, wo natürliche Temperaturen vorherrschen”, so Avramov. Damit nähert sich die Wassertemperatur Werten, die eher für den Mittelmeerraum typisch sind, wo bis zu 18 Grad erreicht werden. In Australien sind auch bis zu 19 Grad gemessen worden.

Maria Avramov trägt diese Fakten Ende April bei einem Runden Tisch im Rahmen des Projekts CHARMANT vor, das der BUND Berlin mit zahlreichen Partnern auf die Beine gestellt hat. Am Beispiel von Berlin und Karlsruhe sollen mit diesem Projekt die genauen Auswirkungen von Wärme auf das Ökosystem Grundwasser untersucht und Lösungen entwickelt werden, wie das Grundwasser geschützt und zugleich eine nachhaltige Stadtentwicklung unter dem Einsatz von Geothermie ermöglicht werden kann. “Geothermische Nutzungen in Berlin – wasserwirtschaftliche Planungs- und Entscheidungsfragen und Berücksichtigung urbaner Grundwasserökosysteme”, so der etwas sperrige Titel der Diskussions- und Informationsveranstaltung in Gesundbrunnen. Denn bei Artenschützerinnen und Artenschützern gibt es Sorgen, dass die Geothermie das sowieso schon gestörte Gleichgewicht im Untergrund noch weiter kippt.

“Die Wärmewende ist eine der größten Herausforderungen, die wir bundespolitisch und landespolitisch haben”, sagt die Berliner BUND-Landesvorsitzende Julia Epp. Die Potenziale der Geothermie seien auch in Berlin hoch, so Epp weiter. Dabei gelte es, die Zielkonflikte von dieser Form der Dekarbonisierung zu identifizieren und praktische Lösungen zu finden. “Was sind Akzeptanzfragen? Was sind Naturschutzfragen? Wasserrechtsbefragen? Wasserschutzfragen?”, nennt Epp einige der Punkte, die zumindest angetippt werden sollen.

Die erhöhten Temperaturen im Berliner Untergrund sind bisher jedoch keine Folge der Geothermie und im weltweiten Städtevergleich keine Besonderheit. “Der urbane Wärmeinseleffekt in der Atmosphäre paust sich in den Untergrund durch”, sagt Professor Dr. Philipp Blum vom Karlsruhe Institut für Technologie. Tiefgaragen, Straßen- und U-Bahn-Tunnel, Fundamente und die Versiegelung tragen zur Aufheizung bei. Seit rund 120 Jahren werde dieser Effekt beobachtet. Typischerweise liegen die Temperaturen um vier bis sechs Grad über den Hintergrundwerten.

Für Karlsruhe geben es einen weltweit einzigartigen Datensatz zu den zeitlichen Entwicklungen der Grundwasserfauna an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet sowie im nördlich gelegenen Hardtwald, wo das Trinkwasser gewonnen wird. Es gibt Werte für 2011, 2012, 2014 und 2022. “2022 haben wir auch im Hardtwald fast gar keine Tiere mehr gefunden”, berichtet Blum. “Das ist schon eher wirklich schockierend, weil wir nur noch minimale Arten gefunden haben. Ich kann Ihnen nicht erklären warum, das ist im Endeffekt nur eine reine Beobachtung”, so der Forscher.

Den ersten Geothermie-Boom hat Berlin übrigens schon hinter sich. Das berichtet Dr. Marec Wedewardt von der Berliner Senatsumweltverwaltung – den gab es rund um das Jahr 2006. “Die Zahlen sind bis heute nicht wieder erreicht”, so Wedewardt, der in der Wasserbehörde für das Thema Grundwasserbenutzungen zuständig ist.

Grundsätzlich werden je nach Tiefe der Bohrung vier Arten der Geothermie unterschieden. Als oberflächennah gelten Tiefen bis 400 Meter, geht es rund 1000 bis 2000 Meter in den Untergrund, wird von mitteltiefer Geothermie gesprochen, wo Temperaturen von 40 bis 60 Grad vorherrschen. Tiefengeothermie stößt bis zu 7000 Meter in den Boden vor; mit Temperaturen über 100 Grad ist diese Form auch für die Stromerzeugung interessant.

Und schließlich gibt es noch die Erdwärme, die aus maximal 25 bis 30 Meter Bodentiefe stammt. Das ist der Bereich, in dem noch Wärme genutzt wird, die von der Erdoberfläche in den Boden strömt. Eine dauerhafte deutliche Abkühlung oder Aufheizung des Grundwassers durch Geothermie ist in Berlin übrigens gar nicht zulässig. Maximal um drei Grad Celsius darf sich die Temperatur im Jahresgang verändern. Eine reine geothermische Kühlung, bei der überschüssige Wärme im Untergrund “entsorgt” wird, ist nicht zulässig. Das ist nur in Kombination mit Gebäudeheizung in der kalten Jahreszeit erlaubt. Die im Winter entnommene Wärme wird so im Sommer wieder zugeführt.

“Bilanziell werden alle Anlagen so gefahren, dass sie mehr Wärme entziehen, als sie einbringen”, berichtet Michael Viernickel, der beim Unternehmen eZeit-Ingenieure arbeitet, das sich energieoptimiertes, nachhaltiges Bauen auf die Fahnen geschrieben hat. “Wir bauen eine Anlage, da messen wir, wie viel Wärme rein und raus geht. Da muss immer ein Minus drin sein, sonst kriegen wir Stress”, verdeutlicht er.

Die Gesetzeslage ließe es derzeit auch nicht zu, mittels Wärmeentzug durch Geothermie das Grundwasser in der Berliner Hitzeinsel thermisch zu sanieren, also nach und nach wieder auf die natürliche Hintergrundtemperatur herunterzukühlen. Das schwebt Doris Fortwengel vom Verein X-berg klimaneutral vor.

“Für die Geothermie ist die urbane Wärmeinsel ein Benefit”, sagt Philipp Blum vom Karlsruhe Institut für Technologie. Am Beispiel Köln erläutert er, dass der Wärmebedarf je nach Gegend für 2,5 bis 26 Jahre allein durch die thermische Sanierung des Grundwassers gedeckt werden könnte.

Es wird noch absurder. Denn beispielsweise beim Bau von Tiefgaragen werden keine Anforderungen gestellt, dadurch die Boden- und Grundwassertemperatur nicht zu verändern. “Die Tiefgaragen sitzen im Grundwasser, haben relativ hohe Temperaturanbedingungen, die gehen teilweise hoch auf 26 Grad und die brauchen keine Genehmigung”, sagt Blum. In Berlin gebe es rund 5000 Tiefgaragen, die sich leicht zur Heizwärmegewinnung nutzen ließen.

Und doch gibt es Artenschutzfragen. In der Diskussion zur tiefen Geothermie werde gesagt, dass man eigentlich davon ausgehen könne, dass es angesichts der für die Biologie wenig freundlichen Bedingungenkeine mehrzelligen Tiere gebe, merkt Maria Avramov an. “Mir ist noch keine Studie bisher bekannt, wo das Thema wirklich untersucht wird”, sagt sie.

Auch könne man bisher nicht wirklich sagen, was passiert, wenn im oberflächennahen Grundwasser diese Assel oder jener Flohkrebs ausstirbt. “Es ist ein System. Es steht alles miteinander in Verbindung. Ich stelle mir vor, wir würden ein Auto in alle seine Einzelteile zerlegen. Und würden eins davon wegnehmen. Wenn wir einen Seitenspiegel wegnehmen, passiert eigentlich nichts. Aber wenn wir das Lenkrad wegnehmen, würde es auffallen”, beschreibt Avramov das Problem der mangelnden Kenntnis.

“Das ist tatsächlich eine Frage, die wir in CHARMANT auch klären wollen. Wie wirken sich die Faktoren eigentlich konkret aus? Ob das gelingt, ist eine andere Frage”, sagt Verena Fehlenberg, eine der Projektleiterinnen für den Part vom BUND Berlin.

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