“Berlin: Nachhaltig mobil – Worauf warten wir noch bei der notwendigen Mobilitätswende?” Unter diesem Motto diskutierten am Montag unter anderem die neue Berliner Verkehrssenatorin Ute Bonde, der neue BVG-Chef Henrik Falk sowie Tilmann Heuser, der langjährige Geschäftsführer des BUND Berlin zu den anstehenden Aufgaben in der Hauptstadtmobilität. Das Podium war Teil des von der Industrie- und Handelskammer (IHK) im Ludwig-Erhard-Haus nahe dem Bahnhof Zoo ausgerichteten Kongresse für Stadtentwicklung unter dem Titel “Weltmetropole. Berlin leben & gestalten”.
Gleich zu Beginn macht Tilmann Heuser deutlich: “Jeder Autofahrer, jede Autofahrerin sollte jeden Morgen dankbar sein für die ganzen Menschen, die tatsächlich den ÖPNV nutzen, wenn sie in ihrem Wagen unterwegs sind. Ansonsten würde die Stadt nicht funktionieren.” Autos seien ein “antiurbanes Verkehrsmittel”. Schon der inzwischen verstorbene SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel, der kurzzeitig im Jahr 1981 auch Regierender Bürgermeister in West-Berlin war, habe in den 1970er Jahren gesagt: “Das Auto zerstört die Städte.”
“Man merkt, dass man in Berlin nicht konsequent genug weg von der autogerechten Stadt kommt”, kritisiert Heuser. Da gelte es, umzuschwenken und zu sagen: “Wir brauchen hier ganz klare Priorität für den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs, für Rad- und Fußverkehr, für die Wiederherstellung lebenswerter Räume, um tatsächlich wieder eine Stadt zu werden, in der es wieder mehr Spaß macht, zu leben.”
Besonders eine Sache ist ihm ein Dorn im Auge: “Das Kernproblem von Berlin sind die Stehzeuge. Die ganzen Autos, die im Wege stehen. Und der ganze Parkraum wird praktisch nicht angefasst. Das ist ein Riesenproblem für die Radfahrenden, für den Fußverkehr, den Liefer- und Wirtschaftsverkehr. Das ist ein Riesenproblem für alle, die mobil sein wollen.”
Verkehssenatorin Ute Bonde verweist zunächst auf den bereits heute “sensationell ausgebauten” ÖPNV und den Anteil von 74 Prozent des Umweltverbunds aus Fuß-, Rad, Bus- und Bahnverkehrs am Verkehrswegemix in der Hauptstadt.
“Natürlich, mit Blick auf die wachsende Stadt, müssen wir auch nachlegen und werden wir auch nachlegen. Wir müssen auch das Angebot, das wir jetzt haben, instandhalten, aber auch nach vorne hin Neubau durchführen”, räumt Bonde ein. Sie halte es für “absolut ausschlaggebend, dass wir das Angebot, dass wir diesbezüglich noch verbessern, damit noch mehr Menschen freiwillig umsteigen auf den Umweltverbund”.
Dass diese Diskussionen nicht unbedingt sehr zielgerichtet laufen, thematisiert Tilmann Heuser: “Man diskutiert über U-Bahn, Straßenbahn oder auch Magnetschwebebahn, aber nicht über den Sinn. Die Kernfragen sind: Welche Bereiche müssen erschlossen werden und welches Verkehrsmittel ist geeignet von den Kosten her?” Und dieses Muster gilt nicht nur für den Nahverkehr: “Wir lassen mehr oder weniger die bestehende Infrastruktur vergammeln, weil tatsächlich das Geld in den Neu- und Ausbau fließt – und zwar ungesteuert. Wir diskutieren über die TVO oder die A100-Verlängerung und andere Straßenbauprojekte, die sehr viel Geld kosten werden. Gleichzeitig haben wir das Problem, dass man nicht weiß, wie die Spreebrücken erhalten, beziehungsweise saniert werden können. Da kommen wir zu langsam voran”, sagt Heuser.
“Wir müssen uns viel stärker darauf konzentrieren, was steht gerade aktuell in der finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Situation an und wie kann man dann auch noch relativ einfache Maßnahmen tatsächlich Verbesserungen erreichen?”, fordert Heuser. Im ÖPNV müsse aktuell diskutiert werden, wie angesichts fehlenden Personals das Angebot aufrecht erhalten werden kann.
“Diskutieren, aber nicht in Umsetzung bringen”, das sei eine “Schwäche von Berlin”, attestiert der BVG-Vorstandsvorsitzende Henrik Falk. “Was Berlin entwickeln muss, ist eine Mobilitätswende-Vision 2035. Das ist ein super Datum, weil der Verkehrsvertrag bis dahin läuft”, sagt er. Jetzt müsse diskutiert werden, was bis 2035 “Schritt für Schritt umsetzbar” sei, was wolle man bis dahin “ambitioniert, aber auch pragmatisch erreichen”. Gleichzeitig werde aber “die große Vision” benötigt.
Für Falk besteht jetzt die Chance, “in den nächsten 10, 15, 20 Jahren einfach ein neues Mobilitätssystem für Metropolen zu entwickeln, wo es die Möglichkeit gibt, auch den, der hinter dem klassischen Pkw steht, irgendwie über diese Systeme so aufzunehmen, dass die Menschen nach vorne auch zumindest global nicht die Notwendigkeit sehen, dieses Auto selber zu kaufen”. Denn noch sei der ÖPNV anders als der Pkw “relativ starr, stationsbasiert”. Er denkt an technologische Möglichkeite wie autonomes Fahren oder Plattformen.
“Wir müssen jetzt ein Konzept auflegen für 2035 und wir müssen schauen, wo ist welcher Verkehrsträger sinnvoll und wo verwende ich welchen Verkehrsträger und das eben möglichst von Beginn an gedacht und nicht ideologisch vorprogrammiert”, sagt Ute Bonde, die in den vergangenen Monaten als glühende Magnetbahn-Befürworterin aufgefallen war.
Über die derzeitige finanzielle Ausstattung der BVG kann Henrik Falk nicht klagen. “Ich komme jetzt hierher und stelle fest: Der Verkehrsvertrag ist schon super.” Das sah noch vor wenigen Jahren anders aus. Bei Investitionen und der Finanzierung “gab es, das hat man über die letzte Jahrzehnt, muss man sagen, klar erkannt, da gab es einen großen Nachholbedarf”.
Doch nun droht eine neue Wendung. “Die ganze Stadt und die ganze Stadtgesellschaft steht vor großen haushalterischen Herausforderungen, die Finanzen werden nicht mehr so zur Verfügung stehen, wie sie in den letzten Jahren zur Verfügung gestanden haben. Das trifft natürlich auch den ÖPNV”, sagt Senatorin Bonde. Der Verkehrsvertrag, den sie damals noch auf Seiten der BVG mitverhandelt habe, “der ist sehr gut ausgestattet finanziell”, ergänzt sie. Schon da ist vereinbart worden, dass die BVG für viele Investitionen selber Kredite aufnehmen muss und der Senat die Zinsen und Abschreibungen übernimmt.
“Es gibt natürlich noch weitere Möglichkeiten, die wir uns gemeinsam mit dem Finanzsenator anschauen werden”, kündigt Bonde an. Schon unter Rot-Rot-Grün ist über eine dritte Finanzierungssäule im ÖPNV gesprochen worden. “Und diese Diskussion muss wieder aufgegriffen werden”, fordert Bonde. Die dritte Finanzierungssäule heiße, “dass wir eben nicht alles über Steuergelder und über Ticketeinnahmen von den Bürgerinnen und Bürgern finanzieren, sondern dass es weitere Möglichkeiten der Finanzierung gibt”.
Bonde verweist als Beispiel auf die Dienstgeberabgabe der Gemeinde Wien. Für jeden Beschäftigten in Wien müssen Arbeitgeber pro Arbeitswoche zwei Euro zahlen. Die Abgabe zur Finanzierung des U-Bahn-Baus in der österreichischen Hauptstadt wurde 1969 eingeführt. Die Einnahmen dürfen nur für den U-Bahn-Bau verwendet werden. 2023 flossen daraus rund 80 Millionen Euro in die Kassen Wiens.
“Alles, was in Wien an Parkgebühren eingenommen wird, fließt unmittelbar in den ÖPNV. Das ist auch etwas, was wir hier nicht haben”, so Bonde weiter. Das waren laut Rechnungsabschluss 2023 sogar rund 172 Millionen Euro. Es ist anzumerken, dass für Anwohner-Parkausweise und Parkgebühren in Wien wesentlich höhere Beträge als in Berlin verlangt werden.
“Es gibt einige Städte, die eine Maut erheben, wenn man in den innerstädtischen Bereich reinfährt”, so eine weitere Finanzierungsidee, die Bonde nennt. “Wir müssen in die Diskussion kommen, wie diese dritte Finanzierungssäule aussehen kann und aussehen wird. Da müssen wir sehr schnell die entsprechenden Maßnahmen ergreifen”, sagt sie.
Die Diskussion ist bereits eröffnet. “Dem untauglichen Vorschlag einer Umlage für die duale Ausbildung folgt nun die Forderung nach einer ÖPNV-Abgabe”, poltert Alexander Schirp, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. Die Wirtschaft wolle “nicht dafür herhalten, die fehlenden finanzpolitischen Prioritäten der Koalition ausbügeln zu müssen. Es ist unredlich, erst Wohltaten wie das 29-Euro-Ticket auszureichen und das fehlende Geld dann bei der Wirtschaft eintreiben zu wollen. Mit einer solchen Politik werden CDU und SPD ihrer Verantwortung nicht gerecht.”
Mit der Berliner Linkspartei werde es keine City-Maut geben, “die die Menschen in den Außenbezirken benachteiligt”, ließ Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg wissen. Tatsächlich lehnten zu Zeiten von Rot-Rot-Grün sowohl Linke als auch SPD die Idee einer City-Maut kategorisch ab.
Ute Bonde hat noch eine Idee im Gepäck: “Auch ÖPP-Modelle sind aus meiner Sicht nicht auszuschließen und die sollten wir auch angehen.” ÖPP steht für “öffentlich-private Partnerschaften”, die oft auch mit dem englischen Begriff PPP – “Public-private Partnership” bezeichnet werden. Die private Mitfinanzierung von investiven Maßnahmen sei “ein Thema, wie der ÖPNV in Zukunft finanziert werden kann und muss”. Doch die Erfahrung mit diesem Instrument sind bisher nicht sonderlich erquicklich. Der Bundesrechnungshof und die Rechnungshöfe aller Bundesländer haben im Jahr 2011 in einer gemeinsamen Auswertung festgestellt, dass die Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten nicht nachgewiesen und in vielen Fällen nicht gegeben sei, heißt es auf Wikipedia.
Sehr vage bleibt Ute Bonde beim Thema Fahrradverkehr. Vor allem die Unfallschwerpunkte, die Kreuzungen, möchte sie angehen. Das hatte bereits ihre kürzlich zurückgetretene Vorgängerin Manja Schreiner (CDU) gesagt. Zu jährlichen Kilometer-Ausbauzielen wollte sie sich erst nach Abstimmung mit dem neuen Chef der InfraVelo äußern. Der soll zum 1. September sein Amt antreten.
“Wir müssen es schaffen, dass nicht jeder glaubt, ein eigenes Auto besitzen zu müssen”, sagt Bonde. Dafür müssten gemeinsam “neue Felder” beschritten werden, was “ein sukzessiver Prozess” sein werde. “Empathie für jeden Verkehrsteilnehmer und jeden, der sich anders bewegt als man selbst, ist ganz wichtig, um dann mit Überzeugung und als Multiplikator zu arbeiten”, sagt sie etwas kryptisch.
Auch BVG-Chef Henrik Falk äußert sich sehr vorsichtig, was Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr betrifft. “Natürlich braucht es auch Push-Maßnahmen”, sagt er. Damit sind in der Verkehrsforschung Einschränkungen gemeint wie der Wegfall von Spuren, Parkplätzen oder direkten Durchfahrtmöglichkeiten für Autos. “Das fällt dann immer leichter, wenn ich wirklich auch, zumindest auch mal in der Vision, alternative Angebote habe, wie kann es denn auch gehen, ohne dass ich das eigene Auto 23 Stunden rumstehen habe”, so Falk.
Tilmann Heuser benennt klar als eines der Hauptprobleme, “dass hier zu mehr oder weniger günstigen Preisen das Auto in den öffentlichen Raum gestellt werden kann”. Es sei ein guter Ansatz zu sagen, dass man dem Autoverkehr mehr zumuten müsse, was die Kosten betrifft. “Man merkt mit der Parkraumbewirtschaftung, dass plötzlich die Parkraumprobleme wegfallen. Weil Autos dann einfach nicht mehr irgendwie abgestellt werden”, erläutert Heuser.