Am Mittwoch war einer dieser Tage, wie Politik und Verkehrsbetriebe sie lieben. Auf dem Betriebshof Lichtenberg der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ist das jüngste Mitglied der Straßenbahn-Fahrzeugfamilie vorgestellt worden: der “Urbanliner”. So hat die BVG das mit fast 51 Metern bisher längste Fahrzeug auf Berlins Tramgleisen getauft. Fast vergessen war da, dass es ursprünglich bereits Ende 2022 hätte abgeliefert werden sollen. Seit der Corona-Pandemie und dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gehören solche langen Verzögerungen jedoch zum Alltag nicht nur in der Schienenfahrzeugbranche. Doch nicht immer sind die offiziell als Ursache angegebenen Lieferkettenprobleme der einzige oder gar der ausschlaggebende Grund dafür.
Überschattet worden ist der Termin jedoch von neu bekanntgewordenen Verfügbarkeitsproblemen sowohl bei der Straßenbahn- als auch der U-Bahn-Flotte. Bei der U-Bahn sind die Probleme so groß, dass die BVG, notdürftig versteckt in einer Jubelmeldung zum funktionierenden EM-Verkehr, einräumte, dass der fahrgaststärkste Betriebsteil insgesamt aktuell “vor umfangreichen betrieblichen Herausforderungen” stehe, die “den Fahrgästen im übrigen Netz nicht verborgen bleiben”. Angekündigt wurden noch abzustimmende Kürzungen von Fahrplänen und Zuglängen auf U1 bis U4, außerdem Ausfälle auf den Linien U6 bis U9.
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ging darauf diesen Tag nicht ein. Der Betriebe-Senatorin und BVG-Aufsichtsratsvorsitzende Franziska Giffey (SPD) sowie der Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) war aber zumindest bewusst, dass sie in irgendeiner Weise auf das Thema eingehen mussten. Immerhin bleibt der seit Jahren schleichende Niedergang der BVG-Betriebsqualität infolge von Sanierungsstau und Personalmangel den Fahrgästen beileibe nicht verborgen.
Immerhin einen Hauch Verständnis für die täglichen Zumutungen der Fahrgäste brachte Franziska Giffey auf, als sie sagte: “Wenn einmal wirklich ein, zwei Minuten länger gewartet werden muss,[…] dann ist das auch schmerzhaft.” Der Berliner werde schon nervös, wenn fünf Minuten Wartezeit angekündigt seien. Um gleich zu versichern, “dass wir alles dafür tun, dass die BVG ein gutes Leistungsangebot bereithält”.
Verkehrssenatorin Ute Bonde, die sich öfter schwertut, den richtigen Ton zu treffen, sagte: “Vereinzelt regen wir uns darüber auf, wenn der Bus mal ein bisschen später kommt oder die Straßenbahnen oder die U-Bahn.” Von einer angebrachten Demut vor der Leistung der Landespolitik durch Jahrzehnte unterlassener Investitionen, selbst wenn sie nicht persönlich dafür verantwortlich gemacht werden kann, war allerdings keine Spur zu spüren. Vielmehr hatte sie eine Aufforderung an die Fahrgäste parat: “Ich glaube, da müssen wir eine andere Haltung bekommen. In anderen Städten fährt die U-Bahn alle zehn, alle 15 Minuten.”
Ob das eine Einstimmung darauf sein soll, was angesichts der sich auftürmenden Haushaltskatastrophe auf die Berlinerinnen und Berlin zukommt, weiß nur Bonde. Immer offener wird schon darüber gesprochen, dass Kürzungen bei der bestellten Leistung in den Verkehrsverträgen bei den Haushaltspolitikern als Option gesehen werden. Der Zeitpunkt dafür wäre günstig. Der Nahverkehrsplan befindet sich derzeit in Überarbeitung und auch die Revision des Verkehrsvertrags mit der BVG steht an. “Bis zum Sommer 2024 sollen die Eingangsgrößen für die Überprüfung/Anpassung des finanziellen Ausgleichsbedarfs aufbereitet und abgestimmt werden”, heißt es in einer aktuellen Unterlage für den Hauptausschuss. Und soeben ist auch der Abgabetermin für die verbindlichen Angebote im Ausschreibungsverfahren für zwei Drittel des S-Bahn-Netzes zum wiederholten Male verschoben worden. Zuletzt galt der Termin 2. Juli 2024 dafür, nun soll es erst im September soweit sein.
Die auskömmliche Finanzierung des Berliner Nahverkehrs hängt also mal wieder in der Luft. Und das lange bevor wichtige Sanierungsthemen bei der Infrastruktur, die Fahrzeugbeschaffung oder gar der Ausbau soweit fortgeschritten sind, dass sie unumkehrbar wären. Milliarden werden alleine benötigt, um den Betrieb auf heutigem Niveau aufrechtzuerhalten. Bei der U-Bahn sind kostspielige Streckensanierungen nötig, für einen dreistelligen Millionenbetrag müssen die Werkstätten auf einen zeitgemäßen Standard gebracht werden und mindestens ein zweistelliger Betrag wird nötig für Abriss und Neubau des Waisentunnels unter der Spree. Es ist die einzige Anbindung der U5 und der derzeit unterausgelasteten Werkstatt Friedrichsfelde, die vor der Tunnelsperrung vor vielen Jahren auch für U8 und U9 zuständig war. Stattdessen muss die Werkstatt Britz nun mit U6 bis U9 vier Fünftel der Flotte des sogenannten Großprofils versorgen. Die Überlastung ist einer der Gründe dafür, warum derzeit viele Züge mit verschlissenen Rädern auf dem Abstellgleis stehen.
Unbestritten ist der ÖPNV das Rückgrat der Verkehrswende in Berlin. Und im Gegensatz zum Fahrrad steht die CDU nicht komplett auf Kriegsfuß mit Bahnen und Bussen, auch wenn die Fraktion bei neuen Straßenbahnstrecken eher bremsen will. Wird jetzt auch dessen Finanzierung empfindlich gekürzt, wird es komplett unmöglich sein, die Berliner Klimaziele zu erreichen.
Die finanzielle Situation war absehbar, aber die Regierungskoalition von CDU und SPD fand nicht die Kraft, einen ansatzweise realistischen Doppelhaushalt 2024/2025 zu verabschieden. Vollkommen unverständlich ist daher, dass die SPD auf der Einführung des 29-Euro-Tickets bestanden hatte. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass spätestens zum Jahresende Schluss sein wird mit dem Wahlkampf-Hokuspokus der SPD, den der BUND Berlin stets scharf kritisiert hatte. Der politische Schaden für die SPD dürfte mit der Abschaffung größer sein als der politische Gewinn durch die Einführung des mit rund 160.000 Käuferinnen und Käufern deutlich verhaltener als erwartet angenommenen Tickets.