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“Am Ende wird die Energiewende über die Wärmewende entschieden”

Nach der Rekommunalisierung der Berliner Fernwärme ist vor der Dekarbonisierung

© by Peters Picture (CC BY-SA 2.0)

In einem Punkt sind sich alle einig: Es wird eine Herkulesaufgabe für die kommunale Berliner Energie und Wärme AG (BEW), das Fernwärmenetz bis 2045 vollständig zu dekarbonisieren. Uneinigkeit herrscht allerdings darüber, was der beste Weg ist, um zur Klimaneutralität zu kommen. Dabei drängt die Zeit enorm.

Vor ziemlich genau einem halben Jahr, am 2. Mai, sind das Netz und die Kraftwerke, rekommunalisiert worden. 1997 ist die vormals landeseigene Bewag privatisiert worden, seit 2001 gehörten die Anteile dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall.

Anfang Oktober diskutierten Susanne Huneke, Leiterin Strategie, Politik & Regulierung bei der BEW, Wiebke Hansen, Energiereferentin beim BUND-Landesverband Hamburg e.V. und Michael Efler, Vorstand von BürgerBegehren Klimaschutz e.V. über die Zukunft der Berliner Fernwärme. Moderiert wurde die Runde in der Kurt-Tucholsky-Bibliothek in Prenzlauer Berg von Neelke Wagner, Referentin für Klima- und Ressourcengerechtigkeit bei PowerShift e.V.. Veranstalter waren PowerShift, BürgerBegehren Klimaschutz und der BUND Berlin.

“Es kann sein, dass es einfach ein bisschen dauert”, sagt Wiebke Hansen vom BUND Hamburg. Ihr Rat ist eindeutig. Man solle jedoch “lieber immer wieder verteidigen, dass es richtig war, dass die Fernwärme jetzt in öffentlicher Hand ist, anstatt den Leuten beizupflichten: Jetzt ist das schon ein halbes Jahr und man sieht immer noch nichts.” Aus ihrer Erfahrung berichtet sie: “Jetzt haben wir in Hamburg fünf Jahre die Fernwärme in öffentlicher Hand, und ich höre immer nur, dass alle so froh sind, dass die jetzt zur Stadt gehören.” Sie hoffe, dass es den Berlinerinnen und Berlin “in fünf Jahren auch so gehen wird”.

20 Jahre sind nicht viel Zeit

“Vor uns liegt eine Periode von 20 Jahren bis 2045”, sagt Susanne Huneke von der BEW. Es gebe mit dem Datum 1.1. 2045 im Bundesklimaschutzgesetz “einen ganz klaren Fixpunkt”, bis wann die Dekarbonisierung der Fernwärme geschafft sein müsse. “Gerade für Infrastruktur und für Kraftwerksbau, und für Leitungsbau” sei das nicht viel Zeit. Heute würden die Kraftwerke noch “zu allergrößten Teilen, und auch über Bundesdurchschnitt noch aus fossilen Energien” betrieben.

“Ich freue mich immer noch wie ein kleines Kind über den Rückkauf der Fernwärme. Das ist schon eine große Nummer für Berlin”, sagt Michael Efler vom BürgerBegehren Klimaschutz. Er finde auch “Vieles, was die BEW macht, total klasse”, es sei auch “nicht alles falsch” gewesen, was Vattenfall vorher gemacht habe.

“Ausgesprochen problematisch und ausgesprochen optimistisch” seien jedoch Pläne, perspektivisch 20 bis 40 Prozent der Fernwärme aus grünem Wasserstoff zu produzieren, so Efler. Bisher gebe es kaum grünen Wasserstoff, benötigt werde er künftig aber vor allem in den Bereichen, in denen “wir keine andere Möglichkeit haben für Dekarbonisierung, also bei der Industrie, bei der Luftfahrt vielleicht, bei anderen Formen der Mobilität”. Die Wärmebewertstellung über Wärmepumpen sei “um das sechs- bis zehnfache effizienter als mit Wasserstoff. Man brauche also “sechs- bis zehnmal so viele Windräder, Solarpaneele oder was auch immer”, um grünen Wasserstoff zu erzeugen.

Gasabhängigkeit durch Wasserstoff-Euphorie

Michael Efler sieht zwei große Probleme. Einerseits sogenannte Lock-in-Effekte. “Das heißt, man hat Erdgaskraftwerke, die sind dann H2-ready.” Die seien für viel Geld gebaut worden und könnten nicht einfach stillgelegt werden, wenn der grüne Wasserstoff nicht in den erhofften Mengen zur Verfügung stünde. Es ist anzunehmen, dass sie dann eben weiter mit Gas betrieben würden. Andererseits hat er die Sorge, “dass wir uns mit grünem Wasserstoff eine gewaltige Kostenfalle einfangen”.

Es gebe kein generelles Nein zum Wasserstoff vom BürgerBegehren Klimaschutz, man fordere aber eine Begrenzung der zu schaffenden Wasserstoffkapazität auf Wärmespitzen im Winter.

Susanne Huneke von der BEW stellt eine Aktualisierung des noch von Vattenfall vorgelegten Dekarbonisierungsfahrplans für 2025 in Aussicht. “Wasserstoff ist vielleicht auch die, zumindest für den Moment, einfachere Sache, weil wir da noch ein bisschen mehr Zeit haben. Und da würde ich gar nicht ausschließen, dass es da zu deutlichen Reduktionen und auch Verschiebungen kommt”, sagt sie.

Unklare Perspektiven

“In den nächsten fünf Jahren da reden wir über die Großwärmepumpe, die wir jetzt bauen, da reden wir auch über die Biomasseanlage, über die wir sicherlich gleich noch sprechen, da reden wir auch darum, übergangsweise trotzdem noch auf neue Gasanlagen ins System zu bringen, mit der Option, die später auf Wasserstoff umzustellen”, kündigt sie an. Dann gebe es noch Punkte wie Abwärmenutzung, einerseits von Rechenzentren, um deren Ansiedlung an Kraftwerksstandorten das Unternehmen aktiv werbe. Allerdings sei das kein Selbstläufer, auch wegen der Begrenzungen beim Anschluss neuer Großverbraucher am Stromnetz, und auch, weil Vorgaben für Rechenzentren wieder aus dem Gesetz vor der Verabschiedung gestrichen worden seien.

Die Tiefengeothermie sei “die größte Unbekannte” bei den künftigen Wärmequellen. Laut Erwartungen der BEW könnten sich dadurch “wirklich Dinge massiv verschieben”. Allerdings stehe und falle es auch mit dem Geld. “Das heißt, wir gehen am Ende zu Banken, und die sagen: Wie ist denn die Sicherheit dahinter?”

Besonders besorgniserregend aus Natur- und Klimaschutzperspektive ist die im Dekarbonisierungsfahrplan vorgesehene Vervielfachung der Biomassenutzung zur Wärmeerzeugung. Von derzeit einem auf künftig 17 Prozent soll demnach der Anteil steigen.

Biomasse als Problembrennstoff

“Mir ist wichtig, jetzt keine Biomasse zu verbrennen, weil das einen Schaden verursacht, der ist unwiederbringlich”, sagt die Hamburger BUND-Frau Wiebke Hansen. “Mir ist relativ egal, welches Nachhaltigkeitssiegel da drauf klebt, weil es einfach die Nachfrage nach Biomasse verstärkt und den Druck auf die Wälder irgendwo auf der Welt erhöht.”

Michael Efler verweist auf die kürzlich veröffentlichte Bundeswaldinventur, derzufolge die Wälder in Deutschland nicht mehr als Kohlenstoffsenke, sondern als Kohlenstoffquelle gelten. Die geplante Steigerung der Holzverbrennung durch die BEW sei so hoch, “dass man das Holz nicht mehr regional und nachhaltig einsammeln kann”, so Efler. Zumal noch andere viele Biomasse-Kraftwerke in Deutschland in Planung seien.

“Bei uns arbeiten nicht lauter Leute, die Holzverbrennung geil finden. Für uns ist Biomasse erstmal einer der zusätzlichen Brennstoffe mit einer klaren Obergrenze”, entgegnet BEW-Vertreterin Susanne Huneke. “Für Berlin wird Biomasse zukünftig auch der einzige lagerbare Brennstoff sein”, unterstreicht sie. Mit den künftig zwei “Festbrennstoffstandorten” werde man in der Lage sein, die Stadt “auch in einem Krisenfall” zwei, drei oder fünf Tage, zu versorgen.

Wiebke Hansen hat in diesem Punkt eine klare Erwartung. “Sobald Biomasse eine CO2-Last zugewiesen bekommt, die auch bezahlt werden muss, dann geht die Rechnung schon ganz anders aus.”

Schlechte Zuschusslage

Susanne Huneke von der BEW spricht noch über den “denkbar schlechten Rahmen” für die nötigen Investitionen in Deutschland. “Das sehen wir an den Brücken, das sehen wir an der Diskussion um Deutsche Bahn, das sehen wir in Berlin und kennen das mit den Schulen”, sagt sie. “Wir möchten ganz viel, aber wo die Investitionen herkommen sollen, ist maximal unklar.” Sie geht zwar davon aus, dass die BEW einen Großteil der nötigen Gelder auch von Banken bekommen können. “Aber diese Banken wollen ihr Geld irgendwann zurück.” Sollten sich die Regeln nicht ändern, müsse das am Ende über die Wärmepreise refinanziert werden.

Förderprogramme für die Fernwärme seien gerade “super kurz befristet auf 2026”, Bundesförderung für effiziente Wärmenetze hänge am Bundeshaushalt. Angesichts der Schuldenbremse ist kaum abzusehen, ob am Ende tatsächlich Fördermittel fließen für Investitionsentscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen. “Wir lobbyieren da massiv, also versuchen über unsere Verbände dieses auch hochzuhalten, weil ich das tatsächlich als ein Riesenthema sehe, wenn ich hier den Wald in Brandenburg gesehen habe, und da stehen AfD-Plakate mit: ‘Keine Heizung ist illegal’.”

“Ich hoffe, dass wir da als kommunales Unternehmen und auch in Verbindung mit den Hamburger Kollegen und anderen Gehör finden”, sagt Huneke. Noch sei es politisch total unterschätzt, was da an  Chancen und Risiken liege. “Am Ende wird die Energiewende über die Wärmewende entschieden”, sagt sie. Da sind sich alle im Saal einig.

 

 

Ein Kommentar

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  1. Die Veranstaltung hat eine durchaus höhere Kommunikationsbereitschaft seitens der neuen Netzbetreiberin gezeigt. Am Ende blieben kritische Punkte offen, die von allen Diskutantinnen auch als politische Aufgabe anerkannt wurden. Dass wir als Berlinerinnen und Berliner nun aber auch Anstrengungen und umfangreiche Investitionen für die Decarbonisierung tätigen müssen, obwohl Schwarz/Rot ein Haushaltschaos ohne Gleichen und ohne Konzept vorlegt und welche sozialen Folgen beispielsweise zu hohe Wärmepreise (die Holzverfügbarkeit ist nicht gegeben) haben können, wurde nur kurz angerissen. Jeder Cent, der jetzt in verbrennungsfreie Technologien (und Speicher) gesteckt wird, macht uns klimafreundlicher und sicherer in der Versorgung und letztlich auch wirtschaftlich stabiler. Die netzversorgten Gebiete müssten allein aus sozialen Gründen verdichtet werden – für alle Stadtgebiete, die mit dezentralen Lösungen und verbrennungsfrei beheizt werden können, liegen die technischen Lösungen ohnehin auf dem Tisch. Berlin darf für die gesamte Stadt aber eins nicht vergessen: die energetische Sanierung des Gebäudebestands und ein striktes Absenken des Wärmebedarfs bilden die Grundlage der Wärmewende. Hierfür tragen nicht die Netzbetreiber die Verantwortung, sondern alle Akteure (Investoren, Wohnungsbaugesellschaften, Umwelt, Bau, Sozial- und Wirtschaftsverwaltung) Die Vattenfall- logik (war es eine “Strategie”?) “Sanierung sucks – lass uns ein großes Lagerfeuer abbrennen und alles ist gut” muss nun ebenfalls der Vergangenheit angehören. Efficiency first (oder zumindest “simultaneously and equally”) – müsste eigentlich für die gesamte energetische, soziale und klimafreundliche Stadtentwicklung gelten …

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