Die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaft Verdi geben sich sehr entschlossen bei der Pressekonferenz am vergangenen Freitag. „Sollte die Arbeitgeberseite sich nicht bewegen, dann wird es tatsächlich zu Arbeitskampfmaßnahmen kommen“, sagt Jeremy Arndt. Er ist Verdi-Verhandlungsführer für die diesen Mittwoch begonnen Tarifverhandlungen bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG).
Die auf Basis einer Befragung der Beschäftigten angemeldeten Forderungen sind üppig. 750 Euro mehr pro Monat für alle Beschäftigten, 300 Euro Zulage für den Fahrdienst oder von Wechselschichten betroffene beschäftigte, 200 Euro Schichtzulage sowie ein 13. Monatsgehalt. Um rund 25 Prozent würden Löhne und Gehälter somit steigen, die jährlichen Mehrkosten für die BVG beziffert Verdi auf rund 250 Millionen Euro.
Die kumulierte Inflationsrate von Anfang 2022 bis Ende 2024 lag bei fast 16 Prozent, die Einkommen der BVG-Beschäftigten stiegen auf Basis von Verdi-Angaben im gleichen Zeitraum im Rahmen des zu Ende 2024 gekündigten Tarifvertrags nur um rund vier Prozent. Die reinen Entgeltsteigerungen in den letzten drei Jahren seien „faktisch ein Reallohnverlust gewesen“, unterstreicht Arndt. Allerdings räumt er ein, dass die Stundenlöhne durch die parallel verhandelte Absenkung der Wochenarbeitszeit von 39 auf 37,5 Stunden stärker gestiegen sind. Auf dieser Basis lag die prozentuale Einkommenssteigerung bei rund 8,2 Prozent in den vergangenen drei Jahren. Dazu kommen noch nicht einberechnete Einmalzahlungen.
So oder so fiel die BVG im Vergleich der Ländertarife kommunaler Verkehrsbetriebe seit 2022 vom zweiten auf den letzten Platz. Das Einstiegsbezahlung ohne Zulagen liegt bei der BVG derzeit bei 2807 Euro pro Monat. 215 Euro unter Brandenburger Tarif und satte 522 unter dem, was in Hamburg laut Tarifvertrag Nahverkehr bezahlt wird. Auch in der höchsten Entgeltstufe ist die BVG mit 3011 Euro pro Monat das Schlusslicht im Ländervergleich. In Brandenburg sind es 275 Euro mehr pro Monat, Platz eins hat hier Thüringen mit 3774 Euro inne.
„Wenn den Beruf des Fahrers niemand mehr macht, wird auch keine Bahn mehr kommen. Der alltägliche Arbeitsstress in dieser pulsierenden Stadt lässt viele von uns verzweifeln“, sagt Manuel von Stubenrauch. Der BVG-Straßenbahnfahrer ist Mitglied der Verdi-Tarifkommission. 2015 fing er bei der BVG an. „Von den damals 24 Kolleginnen und Kollegen, die mit mir in meinem Ausbildungskurs angefangen haben, sind wir meines Wissens nach nur noch fünf als Fahrerinnen oder Fahrer tätig, wo einer von denen dieses Jahr das Unternehmen noch verlassen wird“, berichtet er.
Laut Verdi fielen bei der BVG im Jahr 2024 1,5 Prozent der Straßenbahnfahrten personalbedingt aus. Beim Bus waren es nur 0,5 Prozent – aber nur, weil bereits ein um 6 Prozent gekürzter Notfahrplan gilt. Bei der U-Bahn waren es es satte 3,7 Prozent. Auch hier ist das Angebot in mehreren Runden gekürzt worden. Offiziell wegen Mangel an einsatzbereiten Fahrzeugen wegen der hoffnungslos überalterten Flotte. Tatsächlich sind in den von Verdi vorgelegten Zahlen Ausfälle wegen anderer Probleme – Fahrzeugstörungen, Mängel an der Infrastruktur und vieles andere – nicht enthalten.
Die BVG wies am vergangenen Wochenende die Forderungen der Gewerkschaft in der Höhe zurück. „Die aktuelle Verdi-Forderung ist nicht finanzierbar“, sagte Personalvorständin Jenny Zeller-Grothe der Deutschen Presse-Agentur. „Ich glaube, das ist für die Gewerkschaft auch keine Schock-Erkenntnis, sondern das wird Verdi bewusst sein.“
Wenn sich die Verantwortlichen auf Arbeitgeberseite, „nicht bewegen und den Forderungen entgegen kommen, die Forderungen erfüllen, dann wird es Arbeitskampfmaßnahmen im Zweifelsfall bis hin zum Erzwingungsstreik geben“, kündigt Jeremy Arndt möglicherweise lange Streiks an.
Großer finanzieller Spielraum gewährt die schwarz-rote Koalition der BVG nicht. Für die Erfüllung des Verkehrsvertrags zwischen Senat und BVG sind für 2025 von ursprünglich vorgesehenen 845 Millionen Euro bereits 100 Millionen gestrichen worden. Laut Ankündigungen der Koalition soll der Betrag im nächsten Doppelhaushalt 2026/2027 auf die gekürzte Summe gedeckelt bleiben.
In der gerade beschlossenen Investitionsplanung des Senats für die Jahre bis 2028 wurde auch die Summe halbiert, die für Investitionen in die Nahverkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen sollen. Zusammengenommen für 2026 und 2027 sollen es nur noch 320 Millionen Euro statt der ursprünglich vorgesehenen 645 Millionen Euro sein. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) befleißigte sich in der Senatspressekonferenz am vergangenen Dienstag darzustellen, dass die Kürzung der Investitionsmittel nur auf Basis dessen erfolgte, was die BVG von den ihr zur Verfügung gestellten Geldern in der letzten Zeit tatsächlich verbauen konnte.
Allerdings hat BVG-Chef Henrik Falk erst kürzlich im Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses klar gemacht, dass die Sanierung und Modernisierung der Infrastruktur künftig zügiger als bisher vorankommen müsse. Allein für die Sanierung des U-Bahnnetzes wird von einem Finanzbedarf von 2,8 Milliarden Euro bis 2035 ausgegangen – das wären schon rechnerisch 280 Millionen Euro jedes Jahr.
Die neuen U-Bahnwagen, deren Serienlieferung dieses Jahr beginnen soll, brauchen eine komplett erneuerte Werkstattinfrastruktur, wofür rund 300 Millionen Euro in den nächsten Jahren benötigt werden. Ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag ist nötig für die Instandhaltung der Straßenbahn-Infrastruktur, dazu kommen noch geplante Betriebshöfe. Und auch der Aufbau der E-Bus-Infrastruktur kostet in den nächsten Jahren dreistellige Millionenbeträge.
In dieser Gemengelage drohen letzlich drastische Einschnitte im Verkehrsangebot der BVG bei weiterer Vergrößerung des bereits dramatischen Instandhaltungsrückstaus der Infrastruktur bis zur Zwangsstilllegung von Strecken aus Sicherheitsgründen. Bisher liefert die Koalition keine nachvollziehbaren Antworten, wie so ein Szenario verhindert werden soll.