Die Einführung einer neuen Wartehallengeneration der BVG, die den aktuellen Erfordernissen gerecht wird, ist erneut in eine Warteschleife ungewisser Dauer geschoben. „Das ist unglaublich“, sagt Claudia Wegworth, Expertin des BUND Berlin. Besonders empört ist sie, dass ohne faktische Basis der Vorwurf des „Greenwashing“ bei den Wartehallen in der Sitzung des Gestaltungsbeirats öffentlicher Raum Berlin in den Raum gestellt worden ist.
Bereits 2019 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus seinen politischen Willen erklärt, Wartehäuschen künftig mit Gründach auszurüsten. Im Doppelhaushalt 2020/2021 standen zusammengenommen 100.000 Euro für ein entsprechendes Pilotprojekt zur Verfügung. Seit 2024 stehen zwei Prototypen der neuen Wartehallengeneration in einer versteckten Ecke des Betriebshofs Lichtenberg.
Jeder neue Flecken Grün ist ein Gewinn für Biodiversität, Luftqualität und Stadtbild. Regenwasser wird gespeichert, an Hitzetagen wird die Umgebung gekühlt, außerdem filtern die Pflanzen Feinstaub aus der Luft. Die Dachfläche der rund 4500 Berliner Wartehäuschen beträgt zusammengenommen etwas über vier Hektar. Immerhin entspricht das fast der Fläche des Monbijouparks in Mitte.
Doch der Reihe nach. „Statement piece“, so nennt man in der Mode ein markantes Kleidungsstück oder Accessoire, das sofort ins Auge fällt. So ist auch der Entwurf des Berliner Architekturbüros Gruber+Popp für die neue Generation Wartehallen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zu verstehen. „Dass Haltestellen eigentlich bei Dunkelheit gut und sichtbar wahrnehmbar sind und auch die Gäste oder Fahrgäste, die sich darin befinden, gut sichtbar sind, sollte eine Selbstverständlichkeit sein“, beschrieb es Architektin Doris Gruber bei der Sitzung des Gestaltungsbeirats Öffentliche Räume Berlin. Im Moment sei das nicht der Fall.

„Modern, zeitlos, flexibel, modular, nachhaltig, ökologisch“, sollten die neuen Wartehallen werden, erläuterte Gruber. Mit der Möglichkeit wahlweise das Dach zu begrünen oder mit Solarzellen zu belegen. Gleichzeitig sollten möglichst viele Teile des verbreitetsten aktuellen Wartehallenmodells wiederverwendet werden können. Sowohl bei den großen Glasscheiben als auch bei den Pfosten. Über 5000 Glasscheiben können auf diese Weise weiter verwendet werden. Nur beim weißen Kunststoffdach ist das nicht der Fall. Doch dazu später mehr.
Doch die Sitzung gerät zum Tribunal über das Verfahren und auch den vorliegenden Entwurf. Architekt Cyrus Zahiri vom Gestaltungsbeirat äußert zu den Wartehallen die Befürchtung, dass „das doch vielleicht eine Büchse wird, die an vielen Stellen dann klappert und dann viele Dinge nicht zusammenkommen“. „Wollen wir Greenwashing machen? Oder ist diese zusätzliche Zeichenhaftigkeit wirklich wichtig?„, holt Zahiri zum nächsten Schlag aus. “ Ich habe ein bisschen Sorge, dass das ein ziemlich lautes Objekt ist. Und ich habe ein bisschen Sorge, dass wir im Stadtraum sowieso schon relativ viele laute Objekte haben“, unterstreicht er.
„Ist alles das, was wir bis jetzt entwickelt haben, tatsächlich das, was uns in der Zukunft weiterbringt?“, sekundiert Verkehrsforscherin Susanne Lenz, die ebenfalls Mitglied des sechsköpfigen Gestaltungsbeirats ist. Sie fordert, „nochmal einen Schritt zurück zu gehen, nochmal drauf zu gucken und nochmal zu überlegen, können wir das auch anders gestalten, können wir das modifizieren?“
Bereits in der rund eine Stunde dauernden Befassung war klar, wohin der Hase läuft. „Ich glaube, sicherlich ist es auch gut, wenn man einen selbstverständlichen Zugang dazu findet und nicht mal kräftig die Glocke rütteln muss, sondern dass eigentlich ganz klar ist, dass das die richtige Mobilität ist“, sagte Christian von Oppen. Als Leiter der Stabsstelle Architektur, Stadtgestaltung und Planung in der Senatsstadtentwicklungsverwaltung vertrat er Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) bei der Sitzung. Ihm gehe es darum, „auch in der visuellen Belegung des öffentlichen Raums eine gerechte Verteilung des öffentlichen Raums zu erreichen“.
Ausführlich hatte Architektin Doris Gruber vor dem Gremium die Problemstellungen bei den Wartehallen dargelegt. Der Bestand ist veraltet und sanierungsbedürftig. Rund drei Viertel von ihnen sind über 20 Jahre alt. Damit kommen sie ans Ende ihrer Lebensdauer. Zudem fordert der Verteilnetzbetreiber Stromnetz Berlin inzwischen einen eigenen Anschluss mit Stromzähler für die Hallen und nochmal separat für die Leuchtwerbung. Bisher waren diese häufig an die nächstgelegene Stromversorgung einer Straßenlaterne angeklemmt.

Zudem gebe es „sehr, sehr unterschiedliche Wartehallentypen, mindestens sieben. Mit allen Sonderformaten werden es noch mehr“, so Gruber. Das mache die Wartung sehr aufwendig, wegen teurer oder fehlender Ersatzteile. „Es gibt Anforderungen aus der Inklusion, ausreichender Platz, kontrastreiche Gestaltung, unterschiedliche Sitzhöhen, aber auch Zukunftsfähigkeit, eine Erweiterung des Angebots und des Verkehrsnetzes“, so Gruber weiter.

Dazu kommen die ökologischen Aspekte. Die Statik der bisherigen Modelle reicht nicht für eine Begrünung der Dächer. Für die Konzeption der Begrünung wurden unter anderem die Humboldt-Universität sowie der Verein zur Förderung agrar- und stadtökologischer Projekte e. V. ins Boot geholt. Wenn die Bepflanzung als Lebensraum für Insekten angelegt wird, können die Wartehallen erheblich zum Erhalt von Arten beitragen.
Und auch eine langjährige Forderung des BUND Berlin ist berücksichtigt worden. An den Glasflächen der Wartehäuschen wird dem Schutz vor Vogelschlag Rechnung getragen, einer der häufigsten Todesursachen für Vögel. Linien sorgen dafür, dass Vögel die Glasflächen als Hindernis erkennen und nicht ungebremst dagegen fliegen. „Immer wieder finden wir nach einem Anprall verendete Vögel im Bereich der Hallen. Daher führen wir schon seit Jahren viele Gespräche mit der BVG und freuen uns, dass jetzt der Vogelschlag an den Wartehäuschen berücksichtigt wird“, sagt Claudia Wegworth.
Außerdem sind Wartehallen kreislauffähig. „Es gibt keine Verbundmaterialien“, unterstrich Architektin Doris Gruber. „Alle sind sozusagen auseinanderzunehmen und wir können Photovoltaik auf dem Dach ergänzen.“

Der modulare Aufbau mit wenigen Elementen und Standardprofilen erlaube eine anbieterunabhängige „wirtschaftlich seriöse Fertigung und ein hohes Maß an Flexibilität“. Ob ein oder zehn Module lang – alles ist möglich. Zudem seien die Hallen „wartungs- und sanierungsfreundlich“. „Für den Austausch einer Scheibe, haben wir gelernt, hat man drei Minuten“, erläuterte Gruber das an einem Beispiel.
Was dem Gestaltungsbeirat noch missfällt ist, dass auf einer Fläche statt einer Glasscheibe ein opaker Metallkasten verbaut ist. Der Stromanschluss inlusive Zähler. „Wir brauchen diesen Kasten, wir kommen, das ist wirklich furchtbar, aber wir kommen nicht unter 90 Zentimter oder einen Meter Höhe oder 1 m Höhe, kommen wir nicht“, erläuterte Architekt Bernhard Popp. Dazu käme noch die Forderung der Senatswirtschaftsverwaltung, eine 5G-Mobilfunkantenne verbauen zu können. „Und darum ist dieser Kasten bis unter der Decke“, so Popp weiter. Zudem eben die Werbefläche, über die die BVG Bau und Betrieb der Wartehallen finanziert.
Die ebenfalls vom Gestaltungsbeirats kritisierte sogenannte Attika, die Erhöhung auf dem Dach eines Elements sei „der Wiedererkennungswert von Weitem“, erläuterte Popp. „Wir sind alle für Mobilitätswende, wir reden jeden Tag darüber, dass es Staus gibt und viel zu viel Individualverkehr gibt. Und deswegen war unsere Ansage zu sagen, etwas sichtbarer werden an den Haltstellen, weil wir wissen alle, wir sind alle Fußgänger, das ist der längst dauernde Weg“, begründete Andrea Paulo von der BVG die Motivation. Sie ist zuständig für die Infrastruktur von Bus und Straßenbahn.
Paulo verdeutlichte auch, dass die BVG an stadtgestalterisch sensiblen Punkten bereits davon ausgegangen ist, die Wartehallen „farblich zurückzunehmen“, also „des Gelben ein graues Band machen“. „Bei so neuralgischen Punkten stehen wir jederzeit für Gespräche offen“, unterstrich sie.
Doch es hilft nichts. „Ist es richtig, dass eben das Gelb der Busse, der Straßenbahn und das Haltestellenhäuschen, wie Sie sagen, dass das Berlin ist?“, fragte Christian von Oppen scheinbar offen. Doch es ist klar, dass die Antwort des Leiters der Stabsstelle Architektur, Stadtgestaltung und Planung in der Senatsstadtentwicklungsverwaltung „nein“ ist.
Ex-BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt reagiert enttäuscht auf das Prozedere. „Statt mutig zu entscheiden, werden in Berlin wieder Arbeitskreise/Gestaltungsbeiräte (mit welche Legitimation eigentlich?) eingerichtet“, schreibt er im sozialen Netzwerk LinkedIn in Reaktion auf diesen Beitrag. „Sorgen über Sorgen, lieber wieder nochmals Rückschritt statt Fortschritt. Einfach nur traurig und demotivierend für Fahrgäste und Mitarbeitende der BVG“, so Erfurt weiter. Er hatte 2024 die BVG nach fünf Jahren auf dem Vorstandsposten verlassen.
„Berlin ist nicht nur die historische Mitte. In der Fläche ist Berlin ganz viel Marzahn oder Spandau“, sagt Architekt Bernhard Popp nach der denkwürdigen Sitzung zu Umweltzone Berlin. Seine Büropartnerin Doris Gruber sagt: „Die BVG ist einen sehr mutigen Weg gegangen für die Mobilitätswende.“
Doch das scheint in der aktuellen politischen Konstellation in Berlin nicht gewünscht zu sein. Die Wartehallen sind nur ein kleines, aber symptomatisches Beispiel. Selbst die zunächst geplante erste öffentliche Aufstellung der neuen Wartehallen am Umsteigeknoten Bahnhof Schöneweide noch im ersten Halbjahr ist vorerst abgesagt.
In Stralsund sind die Wartehäuschen für den Bus seit Jahren begrünt, was sehr schön aussieht.
Hört sich gut an. Aber ob das in unserer schönen Stadt Berlin funktioniert?
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