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Flächenschutz ist Menschenschutz

Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz wird weiter Boden versiegelt als gäbe es kein Morgen

© by Muns (CC BY-SA 3.0)

Gastbeitrag, erschienen in der Berliner Morgenpost

Mühsam entsiegeln einige Berliner Innenstadtbezirke hier und da ein paar Quadratmeter an Baumscheiben, Seitenstreifen oder eine Handvoll Parkplätze. Gleichzeitig werden an anderen Stellen hektarweise Beton und Asphalt für Wohn- und Gewerberäume vergossen, vorgeblich zur Entspannung des Mietmarktes.

Durch hohe Boden- und Baupreise ist sogar das Gegenteil der Fall. Exorbitante Mieten müssen aufgerufen werden, damit sich die Vorhaben überhaupt für die Investoren rechnen.

Gerodet und großteils mit Wohnungen der hochpreisigen Sorte bebaut werden sollen beispielsweise zahlreiche Friedhofsflächen, wie der Emmauswald in Neukölln oder der Dreifaltigkeitsfriedhof III in Mariendorf. Wo die Bezirke aus der Zeit gefallene Pläne stoppen wollen, zieht der Senat die Vorhaben an sich.

Zudem sollen allein 29 Hektar Flächen in der Wuhlheide für die sündteure Hochleistungsstraße TVO versiegelt werden. Für die 300 Hektar große Fläche des Tempelhofer Felds jenseits des betonierten Vorfelds lässt der Senat gerade einen Versiegelungswettbewerb durchführen, den er schönfärberisch Ideenwettbewerb getauft hat. Und der Bezirk Marzahn-Hellersdorf möchte ein Freizeitbad auf eine Naturschutz-Ausgleichsfläche setzen.

Der Versiegelungswahn ist ungebrochen. Damit vernichtet die Politik nicht nur Biotope, sondern gefährdet die Gesundheit, die Lebensqualität und sogar die Lebensgrundlagen der Menschen, die in Berlin wohnen. Flächenschutz ist kein Spleen von irgendwelchen Ökofreaks.

Denn Freiflächen erfüllen eine Vielzahl von Funktionen. Sie dienen als Erholungs-, Freizeit- und Rückzugsort für die Stadtbewohnerinnen und -bewohner ebenso wie als Habitat unzähliger Tiere und Pflanzen.

Wir erleben die Folgen der Klimakrise gerade am eigenen Leib mit. Europa erwärmt sich viel stärker als der Rest der Welt. Die Anzahl der Hitzetage in Berlin ist deutlich gestiegen. Versiegelte Flächen erhitzen sich stärker und speichern die Wärme länger als Grünflächen. Städte werden so mehr und mehr zu Glutöfen. Hitzebedingte Sterbefälle nehmen in Berlin zu.

Doch es wird nicht einfach nur wärmer, die einzelnen bedrohlichen Wetterphasen halten sich immer länger. Dieses Frühjahr ist erneut von einer ausgeprägten Dürrephase geprägt. Die andere Seite der Medaille sind extreme Regenfälle.

Auf versiegelten Flächen kann Regen nicht einsickern und dem Grundwasser zu Gute kommen. Stattdessen rauscht der viele Niederschlag auf einmal über die Kanalisation mitsamt dem Straßendreck in die Berliner Gewässer. Dadurch kann das Leben im Wasser stark beeinträchtigt werden, immer wieder kommt es zu massenhaftem Fischsterben nach Starkregen.

Wir müssen sofort eine Netto-Null-Neuversiegelung anstreben. Also nur dort bauen, wo die Landschaft ohnehin schon versiegelt ist. Hier stecken große Potentiale, um ausreichend Wohnraum zu schaffen: auf verlassenen Fabrikarealen, über Parkplätzen und Straßen.. Oder in der Umnutzung leerstehender Bauten, der Aufstockung von Bestandsgebäuden und dem Ausbau von Dachgeschossen. Ganz platt also: Parkplätze bebauen: ja, Wiesen versiegeln: nein.

Apropos Parkplätze: Allein für die rund 1,3 Millionen Parkplätze am Straßenrand sind mindestens 150 Hektar Berliner Boden versiegelt. Architekturstudierende der Universität Luxemburg kommen in einer Auswertung sogar auf 950 Hektar, die zudem für Sammelparkplätze asphaltiert oder betoniert sind. Mitgezählt sein dürften dabei auch die großen Logistikflächen in Gewerbegebieten.

Überhaupt bieten Straßenflächen erhebliche Umnutzungs- oder Entsiegelungspotenziale. Die Halbierung der Breite der wenig genutzten A103 würde mindestens sechs Hektar ergeben, die Reduzierung der A100 um eine Fahrspur pro Richtung mindestens 15 Hektar. Und der komplette Rückbau der seit Eröffnung der A113 weitgehend nutzlosen A117 allein auf Berliner Gebiet mindestens vier Hektar.

Jeder neue Flecken Grün ist ein Gewinn für Biodiversität, Luftqualität, Stadtbild und Klimaanpassung. Und jeder erhaltene Quadratmeter Freifläche ein noch größerer Gewinn. Denn hier müssen sich die natürlichen Bodenfunktionen nicht erst wieder entwickeln.

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