Die Sorgen waren groß vor dem Umzug des Karnevals der Kulturen am Pfingstsonntag. Erstmals zog er nicht durch Kreuzberg, sondern von der Ringbahn aus über Frankfurter Allee und Karl-Marx-Allee bis kurz vor den Alexanderplatz durch Friedrichshain und Mitte. Direkt darunter führt die U5 entlang.
Im Vorfeld kündigte die Verkehrsinformationszentrale Berlin mögliche Sperrungen von U-Bahnhöfen entlang der Umzugsstrecke an, insbesondere des Bahnhofs Frankfurter Tor. Kein Wunder, war doch laut Fahrplanauskunft auf der Linie nur ein Fünf-Minuten-Takt angekündigt. Kein adäquates Angebot angesichts einer Veranstaltung mit Hunderttausenden Teilnehmer*innen.
Besonders kritisch im Vergleich zur Kreuzberger Umzugsstrecke war der Umstand, dass keine große Verteilung der Menschenmassen auf mehrere U-Bahnstrecken zu erwarten war. Dort verteilt sich mit U1/U3, U6 und U7 und – etwas weiter entfernt – U8 der Andrang deutlich besser. Trotzdem waren auch dort oft über Stunden massiv überfüllte Bahnhöfe und Züge zu beobachten, weil seit Jahren kein verstärkter Sonderverkehr von der BVG angeboten wird. Personalmangel, Fahrzeugmangel, marode Infrastruktur – die ausgelutschten Berliner Verkehrsbetriebe schaffen es ja seit Jahren nicht einmal mehr, das normale Betriebsprogramm verlässlich zu leisten.
Doch das totale Chaos blieb auf der U5 aus. Die größte auf der BVG-Fahrinfo beobachtete Fahrplanlücke lag am Pfingstsonntag bei 13 Minuten. Bekanntlich ist die sogenannte Echtzeitauskunft nur bedingt aussagekräftig. Zugausfälle werden oft nicht angezeigt und auch die Verspätungen nicht verlässlich. Doch die persönliche Beobachtung des Verkehrs am U-Bahnhof Samariterstraße über einen gewissen Zeitraum ergab ein Bild, das sich mit den unzuverlässigen Angaben weitgehend deckte.
Zwei Umstände dürften dafür gesorgt haben, dass die U5 vergleichsweise reibungslos verkehrte: Das Wetter und eine für die BVG außergewöhnlich engmaschige Überwachung des Betriebs inklusive relativ energischer Eingriffe.
Entweder gab es Reserverzüge oder manche Fahrten sind vorzeitig gewendet worden. Das ist aus den nicht verlässlichen Daten von Fahrinfo nicht zu rekonstruieren. Teilweise haben laut Fahrplanauskunft manche Fahrten andere überholt – was eher unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlich sind diese Fahrten ausgefallen. Aber das weiß nur die Betriebsleitstelle.
Augenzeugen berichteten, dass manche Züge leer vom Hauptbahnhof abgefahren sind, um genügend Platz für Umsteiger*innen aus der S-Bahn am Brandenburger Tor und der U6 am Bahnhof Unter den Linden zu bieten. Auch soll über einen unbekannten Zeitraum der Bahnsteig am Alexanderplatz gesperrt worden sein. Aufgrund der wesentlich längeren Fahrgastwechselzeiten der überfüllten Züge haben manche Fahrten mehr als doppelt so lange zwischen Alexanderplatz und Samariterstraße gebraucht als fahrplanmäßig vorgesehen.
Das zeigt: Wenn eine entsprechend personell ausgestattete Leitstelle permanent in den Betrieb eingreift ist auch unter den aktuellen Voraussetzungen ein wesentlich stabilerer Betrieb möglich als wir ihn seit Jahren auf der U-Bahn erleben. Das ist ja auch der Grund, warum teilweise stark überlastete/technisch überalterte Systeme wie in London oder Paris nicht permanent kollabieren, wie wir es beinahe täglich bei U1/U12/U3 erlebt haben.
Hätte man also vor Jahren bei der BVG die Learnings aus anderen Städten ernstgenommen, wäre entsprechend massiv der Personalbestand bei Weichenstellern/Leitstelle aufgestockt worden. Seit langem gibt es in diesem Bereich einen massiven Personalmangel. Mit dem entsprechenden Willen wäre da sicherlich mehr möglich. Und dann gäbe es trotz des Wagen- und Personalmangels und technischer Unzulänglichkeiten einen deutlich stabileren Betrieb.
Entscheidend war jedoch wahrscheinlich das Wetter. Es war relativ kühl und ab und zu regnete es ein bisschen. Entsprechend war der Besuchendenansturm wohl deutlich geringer als mit 750.000 von den Veranstaltenden angegeben. Der Tagesspiegel kam mit eigenen Berechnungen auf maximal 600.000, wahrscheinlich waren es eher weniger. Mehr Zuschauendenzuspruch hätte schnell die U5 komplett überlasten können. Hätte es während des Umzugs einen Sturzregen oder ernsthafte Unwetterepisoden gegeben, hätte das auch gedroht.
Glücklicherweise ist auch niemand ins Gleis gefallen oder ohnmächtig geworden und es gab offenbar auch keine Signal- oder schwere Fahrzeugstörung. Alles glückliche Umstände angesichts des Zustands der U-Bahn-Infrastruktur.
Abgesehen vom Personalmangel ist es seit Jahren auf der U5 nicht möglich, schnell zusätzliche Züge von anderen Linien abzuziehen. Die direkte Gleisverbindung zum Restnetz in der Nähe des Alexanderplatzes ist seit 2016 unterbrochen. Sollte es demnächst tatsächlich eine Baugenehmigung für den Waisentunnel unter der Spree geben, könnte die Betriebsstrecke um 2030 wieder genutzt werden.
Bis dahin können Züge nur per Tieflader zwischen den zwei Netzteilen bewegt werden. Zwei Mann sind fünf Tage damit beschäftigt, einen Zug auseinanderzunehmen und transportfähig zu machen – der gleiche Zeitaufwand ist für die Wiederinbetriebnahme nötig. Damit gibt es keinen Spielraum für kurzfristige Umsetzungen von Rollmaterial.
Wer eine beeindruckende Leistungsschau dessen sehen will, wozu ein entsprechend ausfinanziertes und instand gehaltenes U-Bahnnetz mit ausreichend Personal fähig ist, sollte das Donausinselfest in Wien besuchen. Dichtestmöglicher Takt, Heerscharen von Bediensteten der Wiener Linien, die mit einem ausgeklügelten Konzept die Reisenden auf den Bahnhöfen lenken.
Auch wenn es diesmal gut gegangen ist auf der U5. Das Berliner U-Bahn-Netz ist keinesfalls fit für Olympische Spiele. Auch die S-Bahn ist geplagt von zunehmender Unzuverlässigkeit. Ein komplexer und langwieriger Investitionsbedarf in alle Teile der Infrastruktur lässt es angesichts des Tempos, mit dem die zwingend notwendigen Maßnahmen derzeit umgesetzt werden, utopisch erscheinen, dass bis 2036 der Großteil erledigt ist. Eine in allen Bereichen erschreckend vernachlässigte Infrastruktur lässt sich unter den herrschenden Bedingungen nur in einer wirklich langjährigen Anstregung wieder auf Vordermann bringen.