Print

Posted in:

29-Euro-Ticket: “Irgendwann, ganz vielleicht”

Bei den Ticketpreisen verschwenden CDU und SPD Zeit und Geld für ein untaugliches Konzept

Es war eines der zentralen Wahlversprechen der Berliner SPD für die Wiederholungswahl 2023 zum Abgeordnetenhaus: Eine dauerhafte Fortführung des nur im Tarifbereich Berlin AB gültigen 29-Euro-Tickets. Nach Vorstellung des Koalitionsvertrages von CDU und SPD twittert Mathias Schulz, sozialdemokratisches Abgeordnetenhausmitglied, eine realistische Einschätzung: Es komme “irgendwann, ganz vielleicht”. Denn mit dem Start des Deutschlandtickets zum 1. Mai läuft das als Übergangslösung von der SPD noch in der Koalition mit Grünen und Linke durchgedrückte Ticket zunächst aus.

Aus Sicht des BUND Berlin ist das auch gut so. “Insellösungen wie ein Berlin-AB-Ticket für 29 Euro konterkarieren die Vorteile des Deutschlandtickets bei jährlichen Kosten im dreistelligen Millionenbereich. Als Gießkannenförderung sind sie sozial ungerecht”, sagt Geschäftsführer Tilmann Heuser. Inzwischen sind die Kosten klarer. Die Berliner Zeitung berichtet aus einer internen Kalkulation der Mobilitätsverwaltung, wonach Berlin jährlich für das 29-Euro-Ticket zwischen 309 Millionen und 470 Millionen Euro aufbringen müsste. Das sind einerseits die Kosten für die direkte Subvention des Preises, aber auch für entsprechend gesenkte Preise für bereits ermäßigte Monatskarten, die ebenfalls weiter sinken müssten. Gleichzeitig ist der Anteil des Landes Berlin an der Finanzierung des Deutschlandtickets bei knapp 136 Millionen Euro jährlich fixiert. Er würde auch nicht sinken, wenn weniger 49-Euro-, dafür mehr 29-Euro-Tickets verkauft würden.

“Von der bundesweiten Tarifrevolution im Nahverkehr müssen alle etwas haben. Auch Sozial-, Semester-, Schüler:innen-, Azubi- und Senior*innentickets müssen die Funktionalität des Deutschlandtickets zu sozial gestaffelten Preisen nutzen können. Ansonsten können Menschen mit geringen Einkommen sowie geringer Zahl von ÖPNV-Fahrten pro Monat nicht vom Deutschlandticket profitieren”, fordert Tilmann Heuser.

Konkret schlägt der BUND Berlin für Berlin drei Grundpreise für die unterschiedlichen Zielgruppen vor. Studierende, Azubis und Senior:innen, Beziehende von Elterngeld, Krankengeld und Arbeitslosengeld 1 sowie Selbstständige mit geringem Einkommen sollen maximal 24,50 Euro monatlich für die ÖPNV-Flatrate zahlen müssen. Für das Berlin-Ticket S soll es beim derzeitigen Preis von 9 Euro pro Monat bleiben. Ebenso soll das Schüler:innenticket kostenfrei für die Nutzenden bleiben.

Bereits jetzt gibt es zwei rabattierte Versionen des Deutschlandtickets. Einerseits als Jobticket. „Das rabattierte Firmenticket kostet Beschäftige nach Abzug eines verpflichtenden steuerfreien Arbeitgebenden-Zuschusses von 25 Prozent nur noch 34,30 Euro. Nutzen die Tarifpartner bei Gehaltsverhandlungen zudem die Gestaltungsmöglichkeiten für ein steuerfreies Jobticket, kostet es Arbeitnehmende sogar netto meist weniger als 30 Euro, in vielen Fällen sogar unter 20 Euro – im Vergleich zu einer Auszahlung des Ticketwertes als zu versteuerndes Gehalt. Für Arbeitgebende kostet der Zuschuss zum Firmenticket dann weniger als fünf Euro, machbar ist aber auch eine kostenneutrale steuerliche Gestaltung für die Unternehmen“, erläutert Tilmann Heuser.

Andererseits auch für Studierende mit Semestertickets hat die letzte Verkehrsministerkonferenz Ende März als Übergangslösung ein etwas komplizierteres Rabattmodell beschlossen. Sie können ein Upgrade zum D-Ticket erwerben. Dabei wird der gezahlte Preis des Semestertickets auf den Kaufpreis des Deutschlandtickets angerechnet und auf die Differenz werden noch einmal zehn Prozent Rabatt gewährt. Für Berliner Studierende, die derzeit 193,80 Euro pro Semester zahlen, würden bei diesem Modell für die deutschlandweite Gültigkeit noch einmal zusätzlich 90,18 Euro pro Semester fällig. Da noch einmal fünf Euro Solidarzuschlag pro Semester gezahlt werden müssen, zahlen Studierende demnach rechnerisch monatlich unter dem Strich 48,16 Euro für das D-Ticket. Dieses komplizierte Modell führt dazu, dass der Preis des D-Tickets sich je nach den Kosten des Semestertickets ändert. In Potsdam, wo 200 Euro pro Halbjahr fällig werden und kein wahrscheinlich nicht anrechenbarer Solidarbeitrag ausgewiesen wird, würde das D-Ticket rechnerisch nur 47,43 Euro monatlich kosten. Diese “Brückenlösung” wurde eingeführt, um “die bestehenden Solidarmodelle bei Semestertickets für alle Studierenden auf Dauer rechtssicher zu erhalten”, heißt es im Beschluss der Verkehrsministerkonferenz. Der im Vergleich zum Jobticket deutlich höhere Endpreis zeigt die soziale Schieflage dieser Lösung.

Bundesländer wie Bayern, das Saarland oder Niedersachsen planen eine auf 29 Euro rabattierte Versionen des Deutschlandtickets etwa für Studierende und Azubis. Und Hamburg hat sogar ein umfassenderes Preiskonzept für verschiedene Gruppen entwickelt. Jeweils in Deutschlandticket-Fuktionalität gibt es dort das Sozialticket und Schüler*innenticket für 19 Euro und das Azubi-Ticket für 29 Euro. Obwohl sie sonst bei BAuen und Verkehr so gerne auf die Hansestadt verweist, hält die designierte schwarz-rote Berliner Senatskoalition gegen alle Widerstände eisern an ihrem nur in Berlin gültigen 29-Euro-Ticket für alle fest. In der Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrags erklärte die noch Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), mit ihrem Parteifreund, dem Brandenburger Ministerpräsidenten Dietmar Woidke sprechen zu wollen und der wahrscheinlich baldige Regierende Kai Wegner (CDU), das gleiche mit seinem Parteifreund, dem Brandenburger Infrastrukturminister Guido Beermann zu tun. Denn bisher sperren sich die traditionell vom Land bei der Nahverkehrsfinanzierung kurz gehaltenen Städte und Landkreise im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) gegen die Berliner Sonderlocke. Schon die von der Berliner SPD im Sommer 2022 angekündigte Einführung des 29-Euro-Tickets sorgte für einen handfesten Krach, der sich nur durch die Zusicherung bremsen ließ, dass es sich um ein temporäres Angebot handelt.

Eigentlich kann man davon ausgehen, dass die Landkreise nur von ihrer bisherigen Position abrücken würden, wenn ihnen das Land Brandenburg zusätzliches Geld für die Nahverkehrsfinanzierung zusichert. Die Wahrscheinlichkeit so eines Liebesdienstes der Märker für ihre Berliner Parteifreunde kann man sich ausrechnen. In der Senatspressekonferenz Ende März hörte es sich bei Franziska Giffey fast schon so an, als ob sie für das SPD-Projekt bereit wäre, den gemeinsamen Tarifverbund über die Klippe springen zu lassen. “Für uns ist die erste Priorität, dass wir das versuchen wollen im VBB. Weil wir schon finden, dass der VBB ein Wert an sich ist. Wenn das nicht gelingt, muss man sehen, wie wir damit umgehen”, sagte sie.

Dabei wurde noch gar nicht über eine Forderung der Kategorie “Untote” gesprochen, die offenbar die CDU im Koalitionsvertrag untergebracht hat. “Wir prüfen in Abstimmung mit dem VBB, ob eine Ausweitung des Tarifbereichs B auf den ersten Bahnhof außerhalb des Stadtgebiets zur Verringerung von Pendlerverkehr auf der Straße beitragen kann”, heißt es im 135-Seiten-Papier. Angesichts der Finanzierungslogik des Nahverkehrs, die sich an den Grenzen von Kommunen oder Bundesländern orientiert, kann dieses Vorhaben als utopisch gewertet werden.

Dazu kommt noch ein deutlicher Dämpfer für die Koalitionspläne seitens der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). In einem dem BUND vorliegenden und für die Koalitionsverhandlungen angefertigten Papier schreibt das Landesunternehmen unzweideutig: “Neue/weitere zusätzliche Tickets (wie z.B. das 29 Euro-Ticket) sind erst zu Januar 2024 realistisch umsetzbar!” Als Grund wird die “dringend notwendige Einführung eines neuen technischen BVG-Vertriebssystems” genannt; das aktuelle System sei an seiner “Belastungsgrenze”. Fehlabbuchungen seit der Einführung des 29-Euro-Abos seien auf das veraltete Vertriebssystem zurückzuführen. Die Zwischenzeit könne “optimal zur Beobachtung und Analyse, der mit der Einführung des Deutschland-Tickets einhergehenden Veränderung der Tarifstruktur genutzt werden”, heißt es weiter. Neue Tickets müssten “in Absprache und Zusammenarbeit mit dem Nachbarland im Verkehrsverbund entwickelt werden”. Zumal auch Brandenburg nach Informationen der BVG vor Januar 2024 nicht in der Lage sei, neue Tickets einzuführen.

Eine neue Berliner Landesregierung sollte daher Energie und Steuergeld vor allem dafür einsetzen, ein sozial ausgewogenes Preismodell zu finden, die Deutschlandticket-Funktionalität für alle Einkommensklassen zu leistbaren Preisen zu ermöglichen. Zumal sich die Verkehrswende nicht allein über den Preis des ÖPNV voranbringen lässt. Für dessen Ausbau müssen deutlich mehr Mittel als bisher fließen. Beschleunigung von Bus und Tram, dichtere Takte und ein Nachtverkehr mit verlässlichen Anschlüssen sind nur einige der Themen, die schnell angegangen werden müssten. “Hinsichtlich Mobilität fehlen verbindliche Zielsetzungen für den Ausbau des Radverkehrs und eine Umverteilung der Straßenflächen zu Gunsten des Umweltverbundes. Es ist fatal, dass die Straßenbahn-Neubaustrecken der M4 durch die Leipziger Straße zum Potsdamer Platz und der M10 von der Warschauer Straße zum Hermannplatz zur Disposition gestellt werden. Deutliche Fortschritte beim Ausbau des ÖPNV, die so in einigen Jahren möglich wären, werden gegen U-Bahn-Träume, die nicht einmal in 20 Jahren realisiert sein können, getauscht. Ein falsches Signal ist es auch, eine Absenkung der Standards für Radwege im Radverkehrsplan prüfen zu wollen”, sagt Tilmann Heuser.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert