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Endstation Rechtsweg beim Radwegebau

Aus dem politischen Kampf um die Berliner Verkehrswende soll nun ein juristischer werden

© by BUND Berlin/Nicolas Šustr

Bisher gingen Rechtsstreitigkeiten zu verkehrlichen Anordnungen in Berlin fast immer um die Abschaffung von Einschränkungen. Erfolgreich geklagt wurde beispielsweise gegen eine Busspur, die Aussperrung von Autos auf einem kleinen Teil der Friedrichstraße, Poller und in vielen Fällen gegen die Benutzungspflicht von Radwegen, die nicht den Standards entsprechen. Absehbar könnten auch Tempo-30-Anordnungen auf gewissen Hauptstraßen-Abschnitten fallen, wobei hier die Umwelt- und Verkehrsverwaltung unter Senatorin Manja Schreiner (CDU) hier von sich aus vorangehen möchte.

Nun will die im Verein Changing Cities organisierte Fahrradlobby den Spieß umdrehen und Verbesserungen für den Radverkehr auf juristischem Wege erzwingen. Für Abschnitte von fünf Straßen – der Leipziger Straße in Mitte, der Schönhauser Allee in Pankow, der Hermannstraße in Neukölln, der Kaiser-Friedrich-Straße in Charlottenburg-Wilmersdorf sowie der Treskowallee in Lichtenberg – wird in Schreiben des Lichtenberger Anwalts und Bezirksverordneten der Linksfraktion, Antonio Leonhardt, bei der Senatsverkehrsverwaltung die Einrichtung geschützter Radwege beantragt. Das gab Changing Cities diesen Donnerstag bekannt.

Konkret stellte Anwalt Leonhardt stellvertretend für fünf konkret Betroffene die Anträge. An all diesen Hauptverkehrsstraßen besteht laut Unfallstatistik eine erhöhte Gefahrenlage. An diesen Hauptstraßen hat sich der Senat bereits mit einer Rechtsverordnung, dem Radverkehrsplan, dazu entschlossen, geschützte Radwege anzulegen. Getan habe er bisher nichts, so Changing Cities.

“Wenn die Politik nicht in der Lage ist, uns Bürger*innen im Verkehr zu schützen, müssen wir reagieren. Alle fünf Straßenabschnitte stellen Unfallschwerpunkte dar. Deswegen unterstützen wir jetzt Anträge auf verkehrsrechtliche Anordnung auf die Errichtung geschützter Radfahrstreifen”, sagt Paul Jäde, Vorstandsmitglied bei Changing Cities. Der Ball liege nun bei der Verkehrssenatorin. “Sollte unseren Anträgen nicht stattgegeben werden, planen wir, weitere rechtliche Schritte einzuleiten”, so Jäde weiter.

Das dürfte juristisch spannend werden. Denn Regelungen des Mobilitätsgesetzes gelten unter Juristen als nicht einklagbar, da letztlich der Bundesgesetzgeber mit dem Straßenverkehrsrecht und der auf dieser Basis erlassenen Straßenverkehrsordnung einen großen Teil des Rechtsrahmens in der Hand hat.

Im Anwaltsschreiben an die Verkehrsverwaltung wird daneben Bezug genommen auf Paragraf 45 der Straßenverkehrsordnung. Genauer auf Absatz 1 des Paragrafen, in dem es heißt: “Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.” Außerdem auf Absatz 9, dessen Kernsatz lautet: “Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.” Wie auf dieser Basis der Senat zur Anordnung von geschützten Radstreifen gezwungen werden kann, ist fraglich.

Nicht vergleichbar ist der Fall mit dem Verfahren, das die DUH im Sommer 2023 zur Freigabe des bereits verkehrsrechtlich angeordneten und  markierten Radwegs auf der Reinickendorfer Ollenhauerstraße angestrengt hatte. Denn der Eilantrag richtete sich gegen die Sperrung des bereits angelegten Radwegs. Da in diesem Fall die Verwaltung spät, aber doch eingelenkt hatte, kam es zu keinem Urteil. Ende September 2023 war der Radweg schließlich freigegeben.

Zwei Tage vor Versendung der Anwaltsschreiben an die Verkehrsverwaltung hatte Changing Cities der Verkehrssenatorin Manja Schreiner eine vergiftete Gratulation, dass sie im Jahr 2023 satte 0,8 Prozent des geplanten Radnetzes realisiert hatte. 2698 km lang soll das Berliner Radnetz im Jahr 2030 sein.  Gebaut wurden 2023 nur 22,3 km oder eben 0,8 Prozent des Radwegenetzes – statt der geplanten 60 km. 2023 wurden damit deutlich weniger Radwege gebaut als in den Vorjahren – trotz gesetzlich geregelter jährlich ansteigender Ausbauziele. Halbjährlich überprüft der Lobbyverein die Fortschritte beim Radwegebau in Berlin.

“Die Verkehrswende in Berlin wurde abgewürgt. Das Versprechen von Frau Schreiner, mehr Radwege als ihre Vorgänger*innen zu bauen, erweist sich als eine glatte Lüge. Dieser CDU/SPD-Senat hat sich offensichtlich vorgenommen, die Verkehrswende auszubremsen”, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Die sehr magere Bilanz für 2023 ist auch ein Ergebnis des kurz nach Schreiners Amtsantritt verfügten Stopps von Radwege-Umsetzungen. Kein einziges der 16 (von 19) „priorisierten” Radprojekte sei bis heute umgesetzt, heißt es von Changing Cities. Denn bis die Projekte wieder freigegeben waren, reichte die Zeit nicht mehr, um nach den erforderlichen Ausschreibungen deren Bau bis vor der Winterpause noch abzuschließen. Die Verzögerungen bei der Realisierung sind erheblich. Laut den Ergebnissen der Antwort der Verkehrsverwaltung auf eine Schriftliche Anfrage der Grünen-Verkehrspolitikerin Oda Hassepaß soll beispielsweise der Radweg in der Lichtenberger Scheffelstraße erst im Sommer 2025 vollendet sein. In der Schöneberger Grunewaldstraße sollen die Bauarbeiten beispielsweise “voraussichtlich” erst im dritten Quartal dieses Jahres starten. Für die Köpenicker Landstraße kann überhaupt kein Termin genannt werden.

Bei den drei weiterhin angehaltenen Radwegeprojekten soll bis Ende März dieses Jahres eine endgültige Entscheidung über die mögliche Fortführung fallen.

Der Radwegestopp wirkt sich auch auf die tatsächliche Verausgabung von Haushaltsmitteln für den Radwegeausbau aus, wie aus einem Bericht der Verwaltung an den Hauptausschuss hervorgeht. 2023 wurden nicht einmal 40 Prozent der vorgesehenen 10,75 Millionen Euro ausgegeben. Das ist mit Abstand der schlechteste Wert seit Jahren. Selbst 2022 konnten trotz faktischer halbjähriger Haushaltssperre wegen des noch nicht verabschiedeten Etats fast zwei Drittel der Mittel verbaut werden, 2021 mit rund 10,75 Millionen Euro sogar ein Fünftel mehr als eigentlich im Haushalt vorgesehen.

“Verheerend” für den weiteren Ausbau sei, dass seit dem Amtsantritt kein einziges Projekt neu begonnen wurde. Das bedeutet, dass der im Radverkehrsplan vorgesehene Hochlauf des jährlichen Radwegebaus unmöglich stattfinden kann: Was heute nicht geplant wird, kann morgen nicht gebaut werden, so Changing Cities.

Und noch eine beunruhigende Tendenz macht die Fahrradlobby aus: “Beim Radnetzausbau 2023 fällt auf, dass die berlinweit erstellte Radinfrastruktur nur bei einem Viertel der Radanlagen nach den Standards des Radverkehrsplans gebaut wird. Die Breite ist oft zu gering, es gibt keinen Vorrang für Radfahrende im Vorrangnetz, es wird viel Farbe auf die Straße gemalt, aber wenige Radwege sind wirklich physisch geschützt. Nur 1,2 Prozent des bis 2030 geplanten Radnetzes wurden bisher entsprechend der Vorgaben des Radverkehrsplans gebaut. ”

Eine weitere Auswertung von Changing Cities zeigt die extremen Unterschiede zwischen den Bezirken bei der Umsetzung der Fahrrad-Infrastruktur. Während Friedrichshain-Kreuzberg bereits fast ein Viertel davon realisert hat kommt Spandau gerade mal auf ein Prozent. ein Für die Fahrradlobby ist das “ein weiterer Beweis dafür, dass es auf den Willen zur Verkehrswende ankommt”.

Verkehrssenatorin Manja Schreiner versucht, mit Zahlenspielereien zu parieren. Bereits Mitte Januar erklärte sie im Plenum des Abgeordnetenhauses für 2023: “Wir haben 23,2 Kilometer fertiggestellte Radwege und weitere 31,3 Kilometer im Bau oder in der Bauvorbereitung. Insgesamt 54,5 Kilometer. Zum Vergleich die Zahlen aus 2022. Dort gab es 26,5 fertiggestellte und nur 21,7 Kilometer Radwege im Bau. Das sind 48,2 Kilometer.” Offensichtlich schmückt sie sich mit den Federn ihrer Vorgängerinnen, denn Planungsbeginn für fast alle Radwege war vor Amtsantritt Schreiners. Zumal ohne den Radwegestopp deutlich mehr der Wege nicht mehr im Bau, sondern realisiert wäre. Da ist es schon dreist, wenn sie sagt: “Sie sehen also, obwohl wir noch nicht mal das Priorisierungskonzept hatten, haben wir es geschafft, durch fokussiertes, effizientes Arbeiten, durch Umstrukturierung der Abteilungen im Haus, insgesamt schneller voranzukommen als die Vorgänge.”

Auf Nachfrage der Grünen-Verkehrspolitikerin Oda Hassepaß befleißigte sich Schreiner, noch einmal hervorzuheben, dass “insgesamt 28 Kilometer überhaupt nur überprüft wurden. Davon sind aber nur innerhalb von vier Wochen alle freigegeben worden und nur drei oder knapp vier Kilometer sind überhaupt noch in der weiteren Planung.” Schreiner reklamiert für sich, ebenfalls von der Haushaltssperre 2022 betroffen zu sein. Der betreffe “genauso die Planung, die für 2023 gemacht wurde”.

Fraglich bleibt, wie der von Manja Schreiner versprochene deutlich schnellere Radwegeausbau allein schon finanziell realisiert werden soll. Magere 7,5 Millionen Euro sind für 2024 dafür vorgesehen. Überschlagsmäßig ließen sich damit auf Basis der Zahlen der letzten Jahre maximal zwischen 30 und 40 Kilometern realisieren.

 

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