Daniela Kluckert versteht sich sehr gut darauf, Berliner Landesregierungen in die Parade zu fahren. Nachdem die Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium ist, im Frühjahr 2022 die rot-grün-rote Koalition mit der Ankündigung aufschreckte, die Planung für die Weiterführung der A100 von Treptow nach Prenzlauer Berg voranzutreiben, macht sie nun, erneut per Berliner Morgenpost, deutlich, dass ihr Ministerium nicht gewillt ist, die umfangreichen U-Bahn-Ausbau-Phantasien von Schwarz-Rot finanzieren zu wollen.
Vor allem auf Betreiben der SPD laufen bereits Untersuchungen für die 4,3 Kilometer lange unterirdische Verlängerung der U7 vom Rathaus Spandau zur Heerstraße. Eine Machbarkeitsuntersuchung der BVG von 2020 rechnete mit Kosten von 578 Millionen Euro. Das dürfte nicht mal einem Drittel der heute realistischen Baukosten entsprechen. Für zwei bereits im Bau befindliche U-Bahn-Projekte in München und Hamburg summieren sich die aktuellen Kostenschätzungen auf 407 bis 466 Millionen Euro pro Kilometer. Auf das Spandauer Vorhaben umgerechnet wären das 1,75 bis über zwei Milliarden Euro. Dazu kommt noch die von Franziska Giffey maßgeblich vorangetriebene U7-Verlängerung von Rudow zum Flughafen BER. Satte neun Kilometer soll sie lang werden. Für die zu einem erheblichen Teil oberirdisch geplante Strecke kam die BVG 2020 auf 900 Millionen Euro Kosten. Realistisch dürfte auch hier die Milliardengrenze längst deutlich überschritten sein.
Ganz konkret werden die rund 800 Meter Lückenschluss vom derzeitigen U3-Endbahnhof Krumme Lanke zum S-Bahnhof Mexikoplatz in Zehlendorf geplant. Nach bisherigen Aussagen soll das Planfeststellungsverfahren dieses Jahr starten. Die 2020 von der BVG abgegebene Kostenschätzung von 49 Millionen Euro kann man getrost in den Papierkorb werfen. Laut “Tagesspiegel” soll die Nutzen-Kosten-Untersuchung bereits seit Ende 2023 vorliegen. Man kann vermuten, dass sie negativ ausgefallen ist, weil sie bisher nicht öffentlich gemacht worden ist. Die Kosten dürften je nach Variante im deutlich dreistelligen Millionenbereich liegen – bei überschaubaren Fahrgastzahlen.
Doch unter Führung der seit 2023 amtierenden CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner ist ein regelrechtes U-Bahn-Planungsfieber ausgebrochen. Das im November vorgelegte sogenannte Verkehrskonzept für den Nordosten sieht gleich zwei deutliche U-Bahn-Verlängerungen und eine ganz neue Strecke vor. Die U2 soll vom Endbahnhof Pankow auf nicht genanntem Weg bis nach Französisch-Buchholz führen, die U9 von der Osloer Straße “über Pankow-Kirche nach Heinersdorf, Blankenburg und Karow” verlängert werden. Dazu noch die neue U10 “vom Alex über Weißensee in den Nordosten”. Die CDU ventilierte mehrfach den Gedanken, dass dieser Nordosten mindestens Buch an der Stadtgrenze sein soll. Das wären mindestens 30 Kilometer Neubaustrecke, für die ein zweistelliger Milliardenbetrag veranschlagt werden kann.
Angesichts dieser Aussichten kann man sogar die Polit-Stinkbomben-Expertin Daniela Kluckert verstehen, wenn sie sagt: “Die Kosten für die U-Bahnpläne möchte der Senat auf den Bund abwälzen. Aber diese Mittel sind gedeckelt.” Sie schießt gleich noch einen Giftpfeil hinterher: “Berlin muss anfangen, seine eigenen Aufgaben mit eigenen Mitteln zu erfüllen.”
In diesem Kontext ist es auch bemerkenswert, wenn der neue Chef der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Henrik Falk, im Interview der Morgenpost sagt: “Berlin ist an vielen Projekten dran, prüft ganz viel und macht eine Studie nach der anderen. Man kann viel reden, ich würde aber gern etwas bauen und auch fertigstellen.”
Bis zu 75 Prozent der Kosten von U-Bahn- oder Tram-Ausbauten können durch Bundesmittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) gefördert werden. Hamburg hatte Anfang des Jahres die frohe Kunde verbreitet, einen Förderbescheid über rund 1,3 Milliarden Euro vom Bund für die Realisierung des ersten, rund sechs Kilometer langen Bauabschnitts der neuen Linie U5 erhalten zu haben. Das soll laut Angaben der Hamburger Hochbahn bis zu 70 Prozent der Kosten decken. Wegen rasant steigender Baukosten werden allein für diesen Abschnitt Baukosten bis zu 2,8 Milliarden Euro erwartet.
Inflationsbedingt könnte die Bundeszuweisung auf bis zu 1,9 Milliarden Euro steigen – auf Basis dieser Summen läge der Bundes-Förderanteil bei den Gesamtkosten noch bei zwei Dritteln. 2027 soll der Probebetrieb auf der ersten vollautomatischen Linie Hamburgs beginnen, 2029 der Fahrgastbetrieb. Die Hansestadt muss also bis zu 900 Millionen Euro selbst finanzieren, Jahr für Jahr eine dreistellige Millionensumme. Im Endausbau soll die U5 24 Kilometer lang werden – bei Gesamtkosten von bis zu 16,5 Milliarden Euro.
Grundvoraussetzung für die Förderung ist eine formalisierte Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU), bei der ein Wert von über 1 herauskommt. Der volkswirtschaftliche Nutzen muss also die Baukosten übertreffen. Für die Gesamt-U5 in Hamburg liegt der errechnete Wert bei 1,23. Außerdem muss ausreichend Geld zur Verfügung stehen. Im laufenden Jahr sind es im GVFG-Topf bundesweit eine Milliarde Euro, kommendes Jahr sollen es zwei Milliarden Euro sein. Dazu kommen nicht verausgabte Mittel der letzten Jahre, die sich laut Bericht des Bundesrechnungshofs vom Sommer 2023 bis Ende 2022 auf 1,7 Milliarden Euro summierten.
Allein 2022 sind fast 100 Millionen Euro der damals zur Verfügung stehenden Milliarde nicht abgerufen worden. Das hängt auch damit zusammen, dass die klammen Kommunen ihre Eigenanteile bei Vorhaben nicht finanzieren können. Je nach Bundesland und Höhe der Bundesförderung sowie des förderfähigen Anteils kann das auch mal die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen.
München geht derzeit wegen ausstehender Förderbescheide finanziell voll ins Risiko. Das betrifft die bereits seit 2022 im Bau befindliche Verlängerung der U5 vom Laimer Platz nach Pasing. 1,3 Milliarden Euro sind laut aktualisierter Kostenschätzung für die 3,2 Kilometer lange Strecke veranschlagt, die auf Betreiben der CSU vorangetrieben worden ist. Obwohl die grundsätzliche Förderfähigkeit nach GVFG bescheinigt worden ist, ist bis heute öffentlich nicht bekannt, dass es einen Förderbescheid gäbe. München hat bei den GVFG-Fördermitteln das Problem, dass diese auch nach einem gewissen Länder-Proporz verteilt werden und schon viel Geld nach Bayern fließt. Die Bayern-Connection ins lange Jahre CSU-geführte Bundesverkehrsministerium funktioniert nicht mehr, seitdem Volker Wissing (FDP) dort das Ruder übernommen hat.
Rund eine halbe Milliarde Euro wird München auch für den Bau eines sogenannten Vorhaltebauwerks für die geplante U9 unter dem Hauptbahnhof bereitstellen. Dort wird gerade der Tunnel für die zweite S-Bahn-Stammstrecke gebaut. Würde die Vorleistung für die U9 nicht dabei mit erstellt, wäre ein späterer Bau fast aussichtslos. Weitere fast 100 Millionen Euro werden in einen weiteren Vorratsbau am westlichen Stadtrand investiert. Für das Geld soll der U-Bahnhof Freiham-Zentrum errichtet werden, den eine weitere Verlängerung der U5 von Pasing irgendwann erreichen soll. Ein konkreter Termin steht in den Sternen.
Gleichzeitig wird seit Sommer 2023 immer deutlicher, dass München sein ambitioniertes Nahverkehrs-Ausbauprogramm aus Geldmangel wird deutlich strecken müssen.
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