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Geht doch!

Berlin macht erste Schritte zur fußgängerfreundlichen Stadt - aber es bleibt noch viel zu tun

Fußgänger seien „unverbesserliche Neandertaler“, behauptete 1957 eine amtliche Broschüre des Westberliner Senats und forderte: „Wer ein Ziel hat, soll im Auto sitzen,
und wer keins hat, ist Spaziergänger und gehört schleunigst in den nächsten Park.“ Mit
diesen verkehrspolitischen Leitlinien stand der kleine Stadtstaat keineswegs allein da,
weltweit war in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg das Dogma der autogerechten Stadt mit der konsequenten räumlichen Trennung von Arbeiten, Einkaufen und Wohnen äußerst einflussreich. Dies galt für den Osten ebenso wie für den Westen, auch wenn sich dieser vermeintliche Fortschritt im Kapitalismus schneller und deutlicher sichtbar als im Sozialismus Bahn brach.

Ihre alles beherrschende Stellung hat die AutoIdeologie mittlerweile verloren, doch immer noch richtet sie erheblichen Schaden an. Zu Lasten der Lebensqualität, der sauberen Luft, der umweltfreundlichen Mobilität und insbesondere zu Lasten all jener, die sich zu Fuß bewegen. Dabei hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass das Gehen sehr gesund und äußerst preiswert ist – wozu ins Fitnessstudio fahren und dort Geld für die Benutzung eines Laufbands ausgeben, wenn alltägliche Wege zu Fuß das gleiche Resultat bringen? Vor allem nutzt es der Allgemeinheit, wenn möglichst viele laufen. Fußverkehr sorgt für Leben in Dörfern und Kiezen, ohne ein enges Netz von Fußwegen bleibt die Stadt der kurzen Wege eine Utopie. Und in seiner Funktion als Zubringer zum öffentlichen Verkehr ist der Fußverkehr ein unverzichtbares Glied in der Kette der umweltfreundlichen Verkehrsmittel.

In Berlin bewegt sich aber etwas zum Guten. Seit einigen Jahren erfährt der Zebrastreifen
eine Renaissance, außerdem erleichtern Mittelinseln und Gehwegvorstreckungen die
Straßenüberquerung. Kleine Schritte, aber im Wortsinn strategisch vorgenommen, denn mit seiner Fußverkehrsstrategie von 2011 bekennt sich der Senat zur Förderung des Fußverkehrs. Es besteht also kein Erkenntnis-, sehr wohl aber ein Umsetzungsdefizit, denn von den erwähnten Querungshilfen abgesehen finden konkrete Maßnahmen nur im Rahmen von Modellvorhaben statt.

So gibt es seit Herbst 2015 in der Schöneberger Maaßenstraße eine sogenannte Begegnungszone: einen verkehrsberuhigten Bereich, dessen Gestaltung dafür sorgt, dass sich Autofahrer, Radler und Fußgänger mit besonderer Rücksicht begegnen. Zwei weitere sollen in den nächsten Jahren in der Kreuzberger Bergmannstraße und am Checkpoint Charlie entstehen. Das ist schön, reicht aber nicht.

Um den Fußverkehr spürbar sicherer und attraktiverzu machen, brauchen wir flächendeckend Entschleunigung: Tempo 30 überall dort, wo die Grenzwerte für Lärm, Feinstaub und Stickstoffdioxid überschritten werden, und auf allen Hauptverkehrsstraßen ohne Radverkehrsanlage. Und grundsätzlich führt kein Weg daran vorbei, das Straßenland neu aufzuteilen: mehr Platz zum Verweilen und Flanieren, mehr Platz zum Laufen auf dem Gehweg, mehr Platz zum Radfahren auf der Fahrbahn, weniger Platz für den motorisierten Individualverkehr.

In der aktuellen BUNDzeit 01 2016 ist die Langfassung des Artikels und weitere Beiträge zu dem Thema.

 

Berliner Fußstrategie unter: www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/fussgaenger/strategie/index.shtml

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