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Fahrt ins Ungewisse

Landet die Verkehrswende in Berlin unter dem neuen Senat auf dem Abstellgleis?

© by flickr.com/CBS Fan (CC BY-SA 2.0)

Welchen Weg nimmt die Verkehrswende in Berlin unter der neuen schwarz-roten Landesregierung? Das ist dreieinhalb Monate nach Antritt des neuen Senats ziemlich unklar. Denn Worte und Taten der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) sind nicht immer in Deckung zu bringen. Einerseits verkündet sie immer wieder, mehr Radwege als Rot-Grün-Rot umsetzen zu wollen, andererseits verfügte sie Mitte Juni, wenige Wochen nach Amtsantritt, einen Stopp für baureife Radwegeprojekte an den Berliner Hauptstraßen.

Ein reichlich chaotischer Monat der “Überprüfungen” folgte, bis am Ende 17 von 20 vorläufig gestoppten Radwegen ganz ohne oder mit marginalen Änderungen in der Ausführung wieder freigegeben waren. Ob die Zeit für die Projekte, die nun weitergeführt werden können, reicht, um bis Jahresende die Bauarbeiten in allen Fällen abschließen zu können, muss sich noch zeigen. Wenn nicht, könnten Bundesförderungen in Millionenhöhe verfallen.

Proteste statt Miteinander

Ein neues “Miteinander”, wie es sich die Koalition auf die Fahnen schreibt, konnte so jedenfalls nicht erreicht werden. Vielmehr sind die Gräben in der Stadtgesellschaft eher noch vertieft worden. Vor den Kopf gestoßen wurden nicht nur Umwelt- und Fahrradlobby, sondern im Fall der Schöneberger Grunewaldstraße auch die Industrie- und Handelskammer. Denn dort war auch das Ziel, modellhaft ausreichend Ladezonen für den Lieferverkehr zu schaffen.

Zahlreiche Demonstrationen mit bis zu 13.000 Teilnehmenden trugen den Protest gegen die neue Verkehrspolitik auf die Straßen der Hauptstadt. Nach dem Ende der Sommerferien dürften die Demonstrationen wieder aufflammen. Denn nach wie vor vollkommen unklar ist, wie es mit den noch nicht baureifen Projekten weitergehen wird. Selbst die Bezirke wissen beispielsweise nicht, wie es im Einzelfall um jene Vorhaben steht, die in der gemeinsamen Projekteinheit Radwegebau bearbeitet worden sind. Beispielsweise mit dem Radweg entlang von Schlesischer und Köpenicker Straße in Kreuzberg, für den hunderte Auto-Parkplätze wegfallen müssen.

Vor allem ist unklar, wie viel Geld tatsächlich für den Radwegebau zur Verfügung stehen wird. Laut Haushaltsentwurf für 2024/2025 sollen es jährlich knapp 30 Millionen Euro sein – weniger als im laufenden Jahr. Dabei müsste die Bauleistung laut Mobilitätsgesetz an den Hauptstraßen von 60 Kilometer 2023 über 100 Kilometer im kommenden Jahr auf 150 Kilometer 2025 steigen. Die Unbekannte in der Rechnung sind die Fonds Siwa und Siwana (Sondervermögen für Infrastruktur der wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds) sowie mögliche Bundeszuschüsse. Von außen ist also derzeit keine seriöse Betrachtung möglich, wieviel Geld tatsächlich zur Verfügung stehen wird.

Kriterien der Überprüfung unklar

Immer noch etwas schleierhaft ist, was genau und nach welchen Kritierien beim Radwegestopp überprüft worden ist. “Es war erforderlich, das Radverkehrsvorhaben im Rahmen einer gesamtheitlichen verkehrlichen und betrieblichen Betrachtung hin zu überprüfen, die die Verkehrssicherheit aller Verkehrsarten noch besser berücksichtigt. Dabei wurde die Leistungsfähigkeit für den Motorisierten Individualverkehr (MIV) sowie die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Wirtschaftsverkehr und möglicher Verkehrssicherheitsprobleme infolge Staubildungen insb. an vorgelagerten Knotenpunkten für Fuß- und Radverkehr hin überprüft. Ferner wurden die veränderten Verkehrsabläufe und Flächenbedarfe insbesondere an den Knotenpunkten und Einmündungen infolge der geänderten geometrischen Randbedingungen im Verlauf der Spurführungen auf Gefährdungspotentiale überprüft”, lautet die Standardantwort der Verwaltung auf schriftliche Anfragen zu den einzelnen Vorhaben.

Manja Schreiner hat das Ziel verkündet, dass die verschiedenen Abteilungen ihrer Verwaltung künftig koordinierter zusammenarbeiten sollen. Tatsächlich ist es bisher eher ein nebeneinander Herwursteln gewesen, selbst innerhalb des Umweltverbundes aus Nahverkehr, Rad- und Fußverkehr. Genauso soll die Verkehrsverwaltung einen gesamtstädtischen stets aktuellen Überblick über aktuelle Projektstände geben können. Das wäre durchaus eine sinnvolle Verbesserung. Genauso wie die Ende Juli mit zunächst zehn Bezirken geschlossenen Rahmenvereinbarungen zur schnelleren Umsetzung bereits angeordneter Querungshilfen – also Zebrastreifen, Mittelinseln oder Gehwegvorstreckungen.

Eher der Kategorie Geldverschwendung zuzuordnen sind die angekündigten Countdown-Ampeln für zu Fuß Gehende. Dass nach Jahrzehnten der Ankündigungen endlich ausreichend lange Grünzeiten für die Querung von Hauptstraßen kommen, scheint eher unwahrscheinlich. Nicht zuletzt ein kürzlich im “Tagesspiegel” veröffentlichtes Porträt von Katharina Marienhagen, der neuen Chefin des landeseigenen Ampelbetreibers Infrasignal, lässt wenig Hoffnungen aufkommen. “Dann ist das Zeitfenster für die Autofahrer natürlich ein Stück weit kleiner”, sagt sie. Ihr Credo: “Wenn wir die Brems- und Anfahrvorgänge der Autos reduzieren, tun wir ein Vielfaches für den Klimaschutz. Ein Fußgänger, der wartet, verursacht nun mal keine Schadstoffe.”

Als Sofortmaßnahme hat Manja Schreiner die Sperrung eines Abschnitts der Friedrichstraße für Autos und die daraus folgende Öffnung für den Fußverkehr auf ganzer Breite umgesetzt. Konkret wurde die entsprechende verkehrsrechtliche Anordnung des Bezirks Mitte außer Vollzug gesetzt. Begründet hatte die Senatorin das mit einer drohenden Niederlage vor Gericht. Hier soll ein längerer Prozess zur Zukunft des Verkehrs im Bereich zwischen Unter den Linden und Leipziger Straße folgen.

Mobilitätsgesetz wird geändert

Es ist auch bereits das erste Mal Hand ans Mobilitätsgesetz gelegt worden mit dem bereits ins Parlament eingebrachten Kapitel Wirtschaftsverkehr, das nicht mehr von Rot-Grün-Rot verabschiedet worden ist. Aus dem damaligen Entwurf ist der gesamte Abschnitt, der sich mit Formen neuer Mobilität befasste, verschwunden. Neben Regeln für E-Roller oder Sharing-Angebote ging es dort auch um das Parkraummanagement, die Neuverteilung der Verkehrsflächen oder eine Null-Emissions-Zone. Auch gilt es nicht mehr als Gesetzesziel, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen “konsequent reduzieren” zu wollen.

Doch damit soll es nicht getan sein. Das Mobilitätsgesetz soll insgesamt noch geändert werden. “Zu apodiktisch” sei das Zurückdrängen des Autoverkehrs in dem Gesetz verankert, ließ Manja Schreiner wissen. Immer wieder wird von CDU und SPD auf angeblich zu starre Regelungen für Radwegebreiten verwiesen, die deren Anlage in vielen verhinderten. Konkrete Beispiele bleiben Vertreter und Vertreterinnen beider Parteien allerdings schuldig. Es scheint sich also eher um ein Strohmann-Argument zu handeln.

“Überprüfungen” stehen laut Koalitionsvertrag von CDU und SPD auch bei einigen Straßenbahn-Projekten an. So die M2-Verlängerung in den Blankenburger Süden, die M4 durch die Leipziger Straße und die M10 zum Hermannplatz. Doch bisher sollen die noch nicht begonnen haben, wie mehrere Anfragen ergeben haben. Der Ausbau der Straßenbahn sei “angemessen” finanziert, ließ Manja Schreiner zum Entwurf für den Doppelhaushalt 2024/2025 verlauten.

Priorität auf U-Bahn-Bau

Klar ist: In beiden Regierungsparteien sind die Anhänger und Anhängerinnen des nötigen massiven Straßenbahnausbaus eher rar gesät. Stattdessen soll der U-Bahn-Ausbau vorangetrieben werden, der ein Vielfaches an Kosten und Realisierungszeiten bedeutet. Nachdem bereits für die U7-Verlängerung von Rudow zum Flughafen BER Aufträge für weitergehende Untersuchungen ausgeschrieben worden sind, wurde das vor wenigen Tagen auch für das andere Ende der Linie vom Rathaus Spandau zur Heerstraße vermeldet. Bereits im Juni machte die Verkehrssenatorin im Interview mit der “Berliner Zeitung” ihre Prioritäten in der Frage Tram oder U-Bahn klar: “In der Tat gibt es überall Engpässe bei den Planungskapazitäten. Dieser Fachkräftemangel ist eine Herausforderung, mit der unsere Gesellschaft aktuell in vielen Bereichen umgehen muss. Projekte in diesem Bereich haben sehr lange Vorlaufzeiten. Umso wichtiger ist es, Komplexität herauszunehmen und Prioritäten zu setzen. Das bedeutet, dass wir den U-Bahn-Bau priorisieren.”

 

 

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