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Kein guter Plan von Vattenfall für klimaneutrale Fernwärme

Am Sankt Nimmerleinstag dekarbonisiert – aber dann mit einem extrem hohen Verbrauch

© by onnola (CC BY-SA 2.0)
Autor*innen: Julia Epp und Matthias Krümmel

Ende Juni legte Vattenfall seinen “Dekarbonisierungsfahrplan für die Berliner Fernwärme” vor. Der Fahrplan soll auf überschaubaren 35 Seiten darstellen, wie die bislang fossile Fernwärmeerzeugung bis 2040 auf erneuerbare Wärmequellen umgestellt werden kann mit dem übergeordneten Ziel Klimaneutralität. Wir, Julia Epp und Matthias Krümmel, Vorständin und Klimareferent im Berliner BUND, bewerten diesen Fahrplan für euch. Dazu haben wir ihn in verschiedene Häppchen aufgeteilt, um klarzumachen, dass der vorgeschlagene Fahrplan von Vattenfall nicht die richtigen Weichen stellt, das Thema Nachhaltigkeit nicht ernst nimmt und gefährliche Lücken für die Erreichung der Klimaschutzziele aufweist.

Welche Rolle spielt die Fernwärme in Berlin?

Das Land Berlin hat im Jahr 2021 rund 13,4 Millionen Tonnen CO2 emittiert, dazu trug Vattenfall mit rund 4,9 Millionen Tonnen CO2 aus Strom- und Fernwärmeerzeugung bei – also über ein Drittel. Insbesondere Erdgasheizungen und die Fernwärmeversorgung dominieren die Berliner Wärmeversorgung, sodass hier eine große Pfadabhängigkeit gegenüber Erdgas vorherrscht. Vattenfall beliefert ungefähr 1,3 Millionen Haushalte in Berlin mit Fernwärme und das Netz soll im Zuge der Wärmewende weiter ausgebaut werden. Dafür erstellt die Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) die kommunale Wärmeplanung, in der unter anderem definiert wird, in welchen Gebieten das Fernwärmenetz weiter ausgebaut werden soll. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss also parallel zum Ausbau der Fernwärme eine zügige Umstellung auf erneuerbare Wärmequellen stattfinden.

Was sind (realistische) Alternativen zu Gas und Kohle? 

Ja, die Fernwärme ist ein (!) Konzept – auch in Zukunft – und die Diskussionen um die Befeuerung des drittgrößten europäischen Netzes währen schon lange. Julia Epp musste bereits im Beisitzer-Gremium zur Machbarkeitsstudie mit dem Thema Kohleausstieg (2019) feststellen: “Ein Plan zur Dekarbonisierung dieses großen Netzes, das auch noch wachsen soll, muss sozial gerechte Preise, energetisch sanierte Gebäude und vor allem Klimaschutz, also die erneuerbare Erzeugung ins Visier nehmen.” Haben, sehen oder lesen wir das hier? Mitnichten! Wir bekommen einen Dekarbonisierungsfahrplan vorgestellt, bei dem sehr viele Fragen offen bleiben.

So soll zum Beispiel die Abfallverbrennung von aktuell 4 Prozent auf künftig 10 Prozent in der Wärmeerzeugung steigen, das steht eindeutig nicht im Einklang mit der Zero-Waste-Strategie des Senats. Zumal Restmüll, der in Müllverbrennungsanlagen verbrannt wird, nicht klimaneutral ist und sein kann. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und nimmt die Abfallverbrennung mit in den Emissionshandel auf. Im Endeffekt wird es darauf hinauslaufen, dass sich dann die Berliner zu Weihnachten besonders viel Müll schenken müssen, um im Winter nicht zu frieren. Die Biomasseverbrennung soll künftig auf 16 Prozent steigen. Zum Vergleich: Die vom Senat und Vattenfall beauftragte Studie zur Dekarbonisierung der Fernwärme aus dem Jahr 2019 ging davon aus, dass die Biomasse nur 4 Prozent der Wärmeversorgung ausmachen wird.

Es wird nicht näher ausgeführt, um welche Mengen an Abfall und Biomasse es sich handelt und woher Vatenfall die Mengen (nachhaltig) beziehen will. Dieses Problem zeigt sich auch beim Thema Wasserstoff, den Vattenfall mit über 20 Prozent für die Wärmeerzeugung verbrennen möchte. Eine Studie des PIK geht jedoch davon aus, dass grüner Wasserstoff weltweit bis zum Jahr 2035 weniger als ein Prozent der benötigen Energie liefern wird. Und obwohl Vattenfall damit wirbt, bis 2040 klimaneutral werden zu wollen, gibt der Konzern bereits jetzt in seinem Fahrplan zu, dass die Entwicklung des Wasserstoffmarkts schwer abzuschätzen ist und eine vollständige Dekarbonisierung bis 2040 mit Wasserstoff unrealistisch erscheint beziehungsweise sich verzögern wird.

Wir müssen den Holzweg verlassen

Die CO2 Emissionen für Holz werden auf bis zu 750 Gramm pro Kilowattstunde geschätzt. Europaweit zeigt sich, dass die Holz(pellet)-Lobby diese Zahlen ebenso anzweifelt wie die Pyromanen aus der Abfallverbrennungs-Lobby und damit das Narrativ der nachwachsenden Energie aufrecht erhält. Selbst das UBA rät von weiterer Holznutzung vor allem auch aus gesundheitlichen Gründen ab. Vattenfall betreibt derzeit zehn Holzkraftwerke, eines davon ist das Heizkraftwerk Märkisches Viertel in Berlin, wo im Jahr 2020 rund 58.000 Tonnen Holzhackschnitzel verbrannt wurden. Zudem verbrennt Vattenfall etwa 30.000 Tonnen Holz jährlich im Kohlekraftwerk Moabit.

Biofuelwatch berichtet, dass Vattenfall plant, 2026 einen neuen Biomassekassel im Kraftwerk Moabit und 2027 eine neue Biomasseanlage im Heizkraftwerk Klingenberg in Betrieb zu nehmen. Insgesamt will Vattenfall das Verbrennen von Holz in Berlin von 88.000 auf 450.000 Tonnen pro Jahr steigern. Aber es kommt noch dicker: nach den Abbildungen 4 und 8 des Vattenfall Plans werden aus aktuell 1 Prozent der thermischen Leistung in 2040 bereits 18 Prozent, also soll die Biomasseverbrennung 18-mal so hoch wie 2022 ausfallen. Dies entspräche dann 1.620.000 Tonnen Holzmasse. Im Grunde wird die Kohle eins zu eins durch Holz ersetzt. Allerdings hat Vattenfall keine Informationen darüber veröffentlicht, woher der Konzern das Holz für eine solche Expansion beziehen will. Bekannt ist hingegen, was Vattenfall unter dem Begriff „nachhaltige Holzbiomasse aus Wäldern“ versteht: Seit 1990 war das Unternehmen an der Entwicklung dieses Konzeptes in Schweden beteiligt, welches eng mit dem schwedischen Forstwirtschaftsmodell verknüpft ist. Dieses Modell ist durch den großflächigen Kahlschlag von Naturwäldern geprägt, die durch intensiv bewirtschaftete Baumplantagen ersetzt werden. Holz-Biomasse soll im Wald bleiben, dort als Kohlenstoffsenke dienen und das noch viel größere Potential, nämlich die Kohlenstoffsenke im Waldboden, unterstützen. Die kommende Bundeswaldinventur wird zeigen, ob dies überhaupt noch der Fall ist und ob die Kohlenstoffsenken-Potenziale nicht bereits negativ sind. Die Ergebnisse einer Biomasse Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK zeigen, „dass Bioenergie mit vertretbaren Emissionen erzeugt werden könnte. Wenn aber die Regulierungslücke so weit offen bleibt, wird Bioenergie nicht Teil der Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität sein, sondern Teil des Problems“. Biomasse wird dort als „schlimmer als Diesel und Benzin“ bezeichnet.

Eine aktuelle Studie der Technischen Universität Berlin, aber auch ältere Studien des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung IÖW und des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE zeigen, dass Berlins Potenziale eigentlich woanders lägen: Wärmepumpen werden einen Großteil der Wärme bereitstellen. Insbesondere die Potenziale der Geothermie werden von Vattenfall ignoriert, obwohl der Senat in Vorleistungen geht und auf eigene Kosten Bohrungen veranlasst hat. Alleine die Studie des Fraunhofer IEE kam zu dem Ergebnis, dass die Potenziale für tiefe sowie oberflächennahe Geothermie und Abwasser als Wärmequellen für Wärmepumpen in Berlin bei über 1500 Megawatt liegt. Aber natürlich passt dies nicht in Vattenfalls Erdgas- und Abfall-Pfadabhängigkeit.

Am Sankt Nimmerleinstag klimaneutral – aber dann mit einem extrem hohen Verbrauch

Zu befürchten ist vielmehr, dass der im Allgemein wichtigste Punkt der Wärmewende (sanieren, sanieren, sanieren!) mal wieder übersehen; nein: mit Absicht rhetorisch umschifft wurde. Die energetische Sanierung des großen Berliner Gebäudebestandes würde den Bedarf deutlich senken. Hier wird aber neben einem weiteren Stadtwachstum eine dabei gleichbleibende Energieeffizienz zu Grunde gelegt, sodass am Ende sogar ein noch höherer Wärmebedarf für die netzversorgten Gebiete herauskommt.

Frei nach dem Motto “Fernwärme first! Wärmeverbrauch second!” spricht der Fernwärmeplan nur sehr schaumgebremst über den Anschluss kalter Nahwärme, den Netzanschluss in Stadtgebieten, die schon lange warten (wie zum Beispiel der BUND Berlin selbst in der Crellestraße) und eine sehr hohe Wärmedichte nebst Sanierungsstau aufweisen. Aber mal ehrlich: Kann man von Vattenfall erwarten, ein System mit Nachfragereduktion zu entwerfen und damit auch die eigenen Kapazitäten und das Geschäftsmodell in Frage zu stellen? Wohl kaum. Dementsprechend ist es auch am Senat, endlich das Thema Sanierung anzugehen.

Darüber hinaus ist es zwar gut, dass der Gesetzgeber Dekarbonisierungsfahrpläne verpflichtend festgeschrieben hat. Aber sie sollten auf realistischen Annahmen beruhen, Emissionen und Nachhaltigkeit bewerten und letztlich einen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten, anstatt den Klimawandel weiter zu befeuern. Mit einer zu lange währenden Gasverbrennung sowie einer Verfünfzehnfachung der Biomasseverbrennung können wir gar nichts erreichen. Das Beste wäre wahrscheinlich wirklich, wenn Vattenfall nun die Fernwärme an den Senat verkaufen würde. Gerade weil ihnen offenbar die Bieter gerade reihenweise abspringen. Wenn der Senat übernimmt, bleibt jedoch der ökologische Anspruch bestehen, die Wärmeerzeugung zügig zu dekarbonisieren.

Die kommunale Wärmeplanung steht an und Berlin rüstet sich, diese nun schön langsam anzugehen. Erst wenn diese vorliegt und auch abgeschlossen ist (sprich Stufe vier der sogenannten “Wärmwendestrategie”, siehe hier in Berlin,) wird das Gebäudeenergiegesetz zur Geltung kommen. Wir würden uns sehr eine Beschleunigung der kommunalen Wärmeplanung wünschen, damit Berliner Hausbesitzende und sowohl jene, die investieren müssen als auch Klimaschützende gleichermaßen endlich die dicken Bretter der Wärmewende bohren können.

Ein Kommentar

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  1. In neu mit Fernwärme erschlossenen Gebieten sollten alternative Anbieter von Fernwärme zugelassen werden, Konkurrenz belebt das Geschäft.
    Eine vielversprechende Kombination wären Photovoltaik, Luft-Wasser-Wärmepumpen und saisonale Aquifer-Wärmespeicher zur Fernwärmeversorgung. Dazu sollte der BUND aber die benötigten PV-Freiflächenprojekte stärker unterstützen.
    Die ideale Fläche für einen Speicher wäre der Untergrund des Tempelhofer Feld, oben wäre davon fast nichts zu bemerken. Das würde einerseits Ausnahmen gegenüber dem derzeitigen Nutzungsverbot erfordern, andererseits den Schutz der Freifläche unterstreichen.

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