Sophie klebt noch schnell das letzte Etikett auf eine Wasserflasche. „Landwehrquell. Dieses Wasser ist (noch) nicht für den Verzehr geeignet. Reich an Kupfer, Zink, Phosphat, Nitrat und Pestiziden“, ist hierauf zu lesen. Enthalten ist eine leicht bräunliche Flüssigkeit, die sie zuvor direkt aus dem Landwehrkanal entnommen hat. Dieser gehört zu den stärksten belasteten Gewässern in Berlin, da hier an durchschnittlich 30 Tagen im Jahr die Kanalisation so vollläuft, dass ein Teil des Schmutzwassers mitsamt Fäkalien, Mikroplastik, Schwermetallen und Arzneirückständen ungeklärt in den Kanal eingeleitet wird. Ein massenhaftes Fischsterben, so wie wir es derzeit auch in der Oder erleben, ist u.a. die Folge.
Sophie ist für den BUND Berlin aktiv und wirkt in der Wassernetz-Initiative mit, die der BUND 2021 ins Leben gerufen hat. Weitere Berliner Naturschutzverbände wie die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN), NABU Berlin, Grüne Liga Berlin, a tip: tap und auch das Naturkunde Museum haben sich ihr angeschlossen.
Gemeinsam mit der Wassernetz-Initiative möchte Sophie an diesem Tag, dem 9. August des vergangenen Jahres vor dem Berliner Abgeordnetenhaus dem Umweltausschuss und dem Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz ihre Flasche überreichen und auf die besorgniserregende Situation der Berliner Gewässer aufmerksam machen.
Gesetz und Wirklichkeit
Zu diesem Zeitpunkt geht es in unserer Stadt insgesamt mehr als der Hälfte der untersuchten Flüsse und Seen ökologisch unbefriedigend bis schlecht. 97 Prozent aller Gewässer sind in einem schlechten chemischen Zustand. Zudem geben die sinkenden Grundwasserstände mit zunehmend geschädigten Mooren, Wäldern und Kleingewässern immer mehr Anlass zur Sorge.
Dies dürfte eigentlich gar nicht so sein. Nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) war das Land Berlin bereits für 2015 dazu verpflichtet, all seine Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Bildlich gesprochen bedeutet der gute Zustand, dass sich wieder alle Tiere und Pflanze hier angesiedelt haben, die auch natürlicherweise in den Berliner Gewässern vorkommen, Bäche und Flüsse durchgängig und nicht durch Wehre versperrt werden, die Uferzonen naturnah gestaltet sind, Schadstoffkonzentrationen innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte liegen und die Wassergebühren so angepasst sind, dass alle schonend mit den Gewässern umgehen und das Grundwasser nicht überfördert wird.
Forderungen zur Rettung unserer Gewässer
Neben der Wasserflasche von Sophie hat die Wassernetz-Initiative an diesem Augusttag aber auch noch einen Forderungskatalog für den Schutz der Berliner und Brandenburger Gewässer mitgebracht, der von insgesamt 19 Verbänden und weiteren Aktiven in Berlin und Brandenburg unterstützt wird. Auch diesen überreichen sie zusammen mit einem symbolischen Rettungsring an die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung.
Aber damit nicht genug: in den Folgemonaten wird die Wassernetz-Initiative noch eine Petition mit ihren wichtigsten Forderungen beim Petitionsausschuss einreichen und zahlreiche Gespräche mit Abgeordneten und Staatssekretär*innen aus dem Bereich Umwelt und Finanzen führen, in denen diese der Wassernetz-Initiative zusichern, den Gewässerschutz mit Beginn der Legislaturperiode entschieden voran zu bringen.
Was hat sich seither getan?
Seit der Übergabeaktion vor dem Berliner Abgeordnetenhaus ist inzwischen ein Jahr vergangen. In dieser Zeit wurde neu gewählt, ein neuer Koalitionsvertrag der Rot-Grün-Roten Regierung vereinbart, ein 100-Tage-Programm aufgelegt und der Doppelhaushalt für 2022/2023 beschlossen. Damit boten sich den Verantwortlichen eine ganze Reihe von Gelegenheiten, ihr Versprechen, den Gewässerschutz endlich in die richtigen Bahnen zu lenken, einzulösen.
Doch was hat sich seither für den Gewässerschutz getan?
In den Augen der Wassernetz-Initiative wäre es wichtig gewesen, in den ersten Monaten im Umweltausschuss eine Sondersitzung einzuberufen, in der ermittelt wird, warum der Gewässerschutz nach WRRL bisher kaum umgesetzt wurde und wie dies geändert werden kann. Diese Sitzung hat bisher nicht stattgefunden. Selbst die entscheidenden Beratungen zur Petition sind seit 6 Monaten überfällig.
Stärkung der Verwaltung
Auch wäre es vor den Haushaltsverhandlungen essentiell gewesen, zu wissen, wie viel Geld die Senatsverwaltung benötigt, um alle Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Nur so können im Haushalt auch entsprechende Gelder eingeplant werden. Stattdessen stehen nur noch maximal 450.000 Euro pro Jahr für die WRRL-Umsetzung bereit und damit über 20 Prozent weniger als noch 2021. Entsprechend fehlt das Geld, um die noch ausstehenden Planungen für über 80 Prozent aller Berliner Gewässer zu erstellen und sie in einen guten Zustand zu bringen.
Zwar ist es grundsätzlich positiv zu bewerten, dass weitere 1,5 Millionen Euro jährlich investiert werden, um anfallendes Regenwasser lokal aufzunehmen und zu speichern (Schwammstadtkonzept), Kleingewässer zu sanieren, ein Konzept für naturverträgliche Gewässernutzungen zu erarbeiten und den Masterplan Wasser voranzubringen, welcher zukünftige Herausforderungen für den Wasserhaushalt prognostizieren und gegensteuernde Maßnahmen entwickeln will.
Diese Maßnahmen lassen allerdings offen, ob sie den Gewässerschutz tatsächlich voranbringen. Wenn zum Beispiel der Masterplan Wasser weiterhin nahezu losgelöst von der WRRL-Umsetzung vorangetrieben wird, bindet er das knappe Personal, verzögert den ohnehin schleppenden Gewässerschutz und konterkariert schlimmstenfalls die Ziele der WRRL. Ein Konflikt besteht beispielsweise darin, wenn der Masterplan Wasser den Ausbau von Stauanlagen an Flüssen forciert, die WRRL aber einen möglichst naturnahen Wasserlauf vorsieht. Darüber hinaus bleiben all diese Maßnahmen deutlich unterfinanziert. Der BUND geht davon aus, dass die Senatsverwaltung mindestens eine Milliarde Euro bräuchte, um alle Gewässer in einen guten Zustand zu bringen.
Wassergebühren auch für alle Großverbraucher
Für die Finanzierung forderte die Wassernetz-Initiative im letzten August, die Einnahmen aus den Wassergebühren (Grundwasserentnahme und Abwasserabgabe) vollständig in den Gewässerschutz zu investieren. Zudem wollen sie, dass auch für die Entnahme von Wasser aus Oberflächengewässern endlich eine Gebühr erhoben und in den Gewässerschutz gesteckt wird. Denn bisher bezahlen bspw. Kraftwerksbetreiber, die Wasser aus der Spree zum Kühlen ihrer Anlagen benutzen, nichts. Beide Vorschläge wurden bisher nicht von der Politik aufgegriffen.
Anreize zum Wassersparen schaffen
Um trockene Moore und Wälder in Berlin zu retten und damit auch die EU-Vorgaben für Natura-2000-Gebiete einzuhalten, müsste Berlin dringend im Einzugsgebiet seiner Wasserwerke Mindestgrundwasserstände einführen, die zu keinem Zeitpunkt im Jahr unterschritten werden dürfen. Parallel dazu ist es erforderlich, die Trinkwasserpreise für das Rasensprengen, die Autowäsche und die Befüllung von Swimmingpools anzuheben oder diese Arten der Nutzung einzuschränken, um so den extrem hohen Wasserverbrauch im Sommer zu senken. Bis auf Appelle einzelner Grüner Politiker*innen an die Berliner Bevölkerung, Wasser sparsam zu verwenden, ist bisher aber auch hier nichts passiert. Stattdessen sind die Grundwasserstände in diesem Jahr weiter drastisch gesunken.
Bürgerschaftliches Engagement fördern
Erfreulich ist, dass die BLN für ihre Arbeit mehr Mittel erhalten soll. Andere Möglichkeiten für die Bevölkerung, sich am Gewässerschutz aktiv zu beteiligen, werden jedoch weiterhin kaum gefördert, obwohl auch das die WRRL vorsieht.
Wir müssen weiter machen
Wie diese Beispiele zeigen, gibt es kaum Anlass zum Aufatmen für den Gewässerschutz. Die Berliner Wasserpolitik der letzten 12 Monate bleibt weit hinter den Erwartungen der Wassernetz-Initiative zurück. Wie dramatisch das ist, zeigt sich darin, dass sich der Zustand der Gewässer weiter verschlechtert hat. Das Stadtgrün und die Feuchtgebiete ächzen unter der Trockenheit, der Grundwasserspiegel ist gesunken, Spree und Havel führen noch weniger Wasser und der Anteil an geklärtem Abwasser in unseren Flüssen und Seen mitsamt umweltschädlicher Stoffe, die in den Kläranlagen wegen mangelnder Ausstattung und fehlender Vermeidungsstrategien nicht entfernt werden können, sind weiter gestiegen.
Die Wassernetz-Initiative sieht sich daher gezwungen, in diesem Jahr erneut vor das Berliner Abgeordnetenhaus zu treten. “Ich werde mich weiter für Berlins Gewässer engagieren und deshalb bin ich auch wieder dabei, wenn wir die Berliner Abgeordneten erneut mit unseren Forderungen konfrontieren. Sie müssen endlich dafür sorgen, dass der Gewässerschutz umgesetzt wird.”, so Sophie vom BUND Berlin.
Helfen Sie uns dabei!
Kommen Sie kommenden Donnerstag, den 1. September um 8:15 Uhr in die Niederkirchnerstraße 5, 10117 Berlin. Gemeinsam werden wir erneut unsere Forderungen überreichen und öffentlichkeitswirksam kundtun.
Anmeldung unter: wassernetz-initiative@bund-berlin.de
Weitere Informationen:
Gewässerschutz ist auch Klimaschutz:
Berliner Klimatag, Samstag 10. Sep. 2022, 11-19 Uhr