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Mit Schwarmintelligenz zur Wärmewende

Experte Michael Viernickel skizziert Weg zur Dekarbonisierung in Berlin

© by Stig Nygaard (CC BY 2.0)

“Wir müssen schwarmintelligent agieren, wir müssen den Leuten den Stock aus den Speichen ziehen”, sagt Michael Viernickel ziemlich zum Ende seines Vortrags und der Diskussion am Dienstagabend in Räumen des Dragoner-Areals in Berlin-Kreuzberg. “Bezahlbare Quartierswärme: Neue Ideen für Friedrichshain-Kreuzberg”, so ist die Veranstaltung überschrieben, zu der Xberg-klimaneutral e.V. & Berliner Energieberater Netzwerk I b-en e.V. geladen hatten und die sowohl live als auch per Stream verfolgt werden konnte. Seit über 20 Jahren beschäftigt sich Michael Viernickel beruflich mit Geothermie, bei seinem derzeitigen Arbeitgeber eZeit Ingenieure ist er unter anderem für grundwasserbasierte Geothermie und Altlasten sowie sogenannte kalte Umweltwärmenetze zuständig. “Kalt” werden diese Wärmenetze genannt, weil sie weit unter den Temperaturen klassischer Fernwärmenetze von rund 110 Grad Celsius arbeiten.

Im Stakkato führt er durch seinen Plan, wie die Wärmeversorgung Berliner Gebäude zügig und dezentral dekarbonisiert werden könnte. Denn die vollständige Dekarbonisierung der klassischen Fernwärme hält er für wenig realistisch. “Wie soll die Grün werden?”, fragt er. Würde die Müllverbrennung ausgeweitet, würde man letztlich vor allem Plastik verbrennen, das dabei freiwerdende CO2 abgeschieden werden. “Da ist es ökonomischer und ökologischer, den Kunststoff unter Tage einzulagern, wenn er nicht recycelt werden kann.” Genauso unrealistisch sei es, erhebliche Mengen Biomasse zusätzlich zu verbrennen. “Eine andere Stütze wäre Wasserstoff – es glauben aber nicht alle daran, dass der in den Mengen verfügbar wäre”, sagt er eher vorsichtig. Große Flusswärmepumpen hätten den Nachteil, dass sie hauptsächlich in den Übergangszeiten nennenswerte Beiträge zum Wärmebedarf leisten könnten – außer, die vor allem im Sommer anfallende Wärme könne gespeichert werden. Und dann sei da noch das Problem des großen Energieverlusts des Fernwärmenetzes an sich. Von daher sei klar: “Wir müssen dezentrale Techniken fördern.”

Für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat er ermittelt, wo grundsätzlich Geothermieprojekte möglich wären. Dabei legt er den Fokus auf die oberflächennahe Geothermie mit Tiefen bis zu 50 Metern, bei denen das Grundwasser in dieser Tiefe als Wärmespeicher dient. Eine größere Tiefe ist nicht zulässig, um die Trennschicht zwischen dem Süßwasser und den tieferliegenden Salzwasser-Horizonten nicht zu perforieren und das Süßwasser zu kontaminieren. Als Aquiferspeicher wird das in der Fachsprache bezeichnet. Er wird vor allem im Sommer aufgeladen und im Winter wieder entladen. Der Strom für die Technik und ein Teil der Wärme, die in das Grundwasser zur Speicherung geleitet werden soll, kommen aus einer sogenannten PVT-Anlage, einer Kombination aus Solarthermie, also Sonnenwärmekollektoren, mit darüber liegenden Solarzellen. Weitere Wärme wird über Wärmetauscher der Luft entzogen.

Schule als Nukleus eines Nahwärmenetzes

Viernickel hat das beispielhaft am Areal der Carl-von-Ossietzky-Gemeinschaftsschule in Kreuzberg nahe dem Südstern durchgespielt. “Da sind 50 Meter Sande und Kiese. Das ist die ideale Situation, um Wärme abzuziehen. Man könnte zum Bauherren gehen und sagen: Hydrogeologisch sieht das super aus, man muss sehen, wie das mit der Altlastensanierung ist”, erläutert er. Auf dem Schulhof wäre Platz für die zwei Bohrungen, von denen später an der Oberfläche nichts mehr zu sehen sein würde. Auf den Dächern der Schulbauten wäre mehr als genug Platz für für Wärmetauscher und PVT-Technik. Viernickel geht auch nicht von Lärmproblemen aus, die durchaus bei Wärmepumpen in engen Altbauhöfen auftreten. “Dabei könnten zehn Mehrfamilienhäuser im angrenzenden Quartier mitversorgt werden”, erläutert er. Dafür wäre nicht einmal eine energetische Sanierung der Gebäude nötig.  Für den Anschluss würden ungedämmte einfache Plastikrohre reichen, was die Sache sehr einfach und preiswert machen würde.

“Man muss dabei natürlich über Dämmung und Fenstersanierung nachdenken, wobei man die Kirche im Dorf lassen muss. Bei zwölf Zentimetern Dämmung beginnt eine Schwelle, über der es in der Gesamtbilanz ökologisch nicht sinnvoll ist”, sagt Viernickel. Allerdings bräuchte es auch noch eine zentrale Entlüftung beispielsweise unter dem Dach. Angesaugt werden könnte die feuchte und warme Luft aus den Wohnungen über die Kaminschächte. Ist unter dem Dach kein Platz, ließe sich das auch über den Keller bewerkstelligen. Bevor die Luft nach draußen entlassen wird, würde über einen Wärmetauscher noch Energie entzogen. Frischluft könnte über einfache mechanische Ventile in den Fenstern hineinströmen. “Bei so einer Dämmung kann man es nicht mehr den Mietern überlassen, über das Öffnen oder Kippen von Fenstern die Feuchtigkeit zu regulieren”, so der Experte.

Sogar ohne Förderung preislich konkurrenzfähig

“Pro Quadratmeter Wohnfläche würde das etwa 145 Euro an Investitionen erfordern, dafür, dass man den gesamten Energiebzug bis auf den Strom für lau bekommt”, sagt Viernickel. Inklusive Kreditzinsen für die Investition und Wartung würde die Kilowattstunde Wärme 18,4 Cent kosten, rechnet er vor. 8,6 Cent würden dabei für den nötigen Strom anfallen, wenn man von einem Kilowattstundenpreis von 30 Cent ausgeht, 9,7 Cent für Kreditzinsen und -tilgung. “Damit sind wir auf dem aktuellen Niveau des Fernwärmepreises. Und das ist ohne eine mögliche Förderung gerechnet, mit der der Preis noch weiter gedrückt werden könnte”, so der Experte. Er rechnet so, dass die Anlage in 20 Jahren abgeschrieben ist, wobei er davon ausgeht, dass der Brunnen “sicher länger als 50 Jahre” hält. Dementsprechend halbierten sich nach 20 Jahren die Kosten oder man finanziere über einen längeren Zeitraum mit entsprechend geringerem Wärmepreis. Mit übersichtlichen Erweiterungen von Wärmespeicherung und -sammlung ließen sich alle vier an das Schulgelände angrenzenden Wohnblocks versorgen.

Die Projektionen von Michael Viernickel sind alles andere als Traumtänzereien. Seit Jahrzehnten realisiert er solche Projekte in Berlin, unter anderem für die Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle, die bereits viele Preise für ein erfolgreich dekarbonisiertes Quartier bekommen hat und nun den Auftrag für eine Konzepterarbeitung in ihrem gesamten Bestand an Viernickels Unternehmen erteilt hat.

Viernickel hat noch viele weitere Wärmequellen im Auge. Rechenzentren oder auch den Straßenbelag. “Asphalt heizt sich im Sommer auf bis zu 60 Grad auf, die Wärme könnte man mit einfachen Plastikrohren entziehen. Das System ist so günstig, dass man es auch einfach aufschreddern kann, wenn an der Straße etwas gemacht werden muss”, erläutert er. Man muss sich das ähnlich der Situation auf dem Titelbild vorstellen, das allerdings der winterlichen Beheizung der Straße in der isländischen Hauptstadt Reykjavik mit Geothermie-Wärme dient. Und dann seien da noch die ganzen verglasten Bürogebäude. “Das sind riesige Sonnenkollektoren. Was irgendwie fehlt ist der Speicher – was wollen wir mit 2 Megawatt im August? Wenn wir da unseren Untergrund nutzen, ist das gelöst.”

Nach und nach könnten diese ringförmigen kalten Nahwärmenetze miteinander verbunden werden. Klar sei: “Wir werden das grundstücksübergreifend machen müssen.” Nukleus dieser Netze könnte jeweils eine öffentliche Liegenschaft sein, wo mehr Wärme gesammelt und gespeichert werden kann als für deren Beheizung benötigt werden. Sogar eine Kopplung mit dem klassischen Fernwärmenetz hält Viernickel für machbar.

Das politische Signal fehlt

Die landeseigenen Stadtwerke wären der ideale Partner, um so etwas umzusetzen. “Doch die warten, bis die Senatsumweltverwaltung sagt, dass sie so ein Konzept umgesetzt sehen will”, so Viernickel. Man warte bereits seit einigen Jahren auf dieses Signal. In zwei Punkten sei das Konzept abhängig vom Willen der Hauptverwaltung. Einerseits, weil die Vernetzung durch das öffentliche Straßenland erfolgen müsse, andererseits, was den Umgang mit möglichen Altlasten im Grundwasser angeht.

Die Sorge ist, dass die Kontaminationen weiter verteilt werden. Er nennt ein Beispiel aus Tegel, wo eine große Schmutzwasserfahne auf das Wasserwerk zulaufe. Er habe vorgeschlagen, für das auf der ehemaligen Flughafenfläche geplante Schumacher-Quartier die Brunnen für den Wärmespeicher als sogenannte Sperrgalerie zu errichten. Damit wird der Wasserspiegel im verunreinigten Gebiet niedriger als in der Umgebung gehalten, was eine Verlagerung der Kontamination verhindern soll. Dabei kann das abgepumpte Wasser auch gereinigt werden. “Da gab es große Ablehnung. Jetzt herrscht große Panik weil die ersten Trinkwasserbrunnen von der Kontamination erreicht werden”, berichtet Viernickel. Nun solle das so umgesetzt werden. Im Umgang mit solchen Fragen seien die Niederlande wesentlich weiter. Doch die Ablehnung hatte auch einen Grund, denn mehr Brunnen bedeuten auch, dass noch mehr (Grund-) Wasser aus einem Gebiet entzogen wird, in dem sich trockenempfindliche und bereits vorgeschädigte Lebensräume befinden. Zumindest so lange das Grundwasser nicht wieder angereichert wird.

Sorgen um das Leben im Grundwasser

Auch Naturschützer melden Bedenken an, dass die Nutzung des Grundwassers als Wärmespeicher negative Folgen für die dortige, bisher nur wenig erforschte Fauna hat. Diese Bedenken kennt Viernickel, teil sie aber nicht: “Im Bereich zwischen 5 und 20 Grad ist das völlig harmlos für die Biozönose. Ich kann mir keinen Vorgang vorstellen, wo das schädlich sein sollte.” Zusammen mit zwei dafür spezialisierten Forschungseinrichtungen untersucht sein Büro in dem Forschungsvorhaben DemoSpeicher  jedoch genau die Mikrobiozönose im Betrieb, um die Bedenken ausräumen zu können.

Ein Gutachten des Umwelt-Bundesamts von 2015 konstatiert: “Für manche Vertreter der Grundwasserfauna sind bereits Temperaturen ≥16°C mittel- bis langfristig kritisch.” Allerdings ist die Forschungslage eher dünn. Neue Erkenntnisse soll das Projekt CHARMANT liefern, zu dem sich BUND Berlin, die Senatsverwaltung für Umwelt, das Karlsruher Institut für Technologie und weitere Partner zusammengeschlossen haben. Gemeinsam werden dabei Maßnahmen für den Grundwasserschutz in Städten am Beispiel von Berlin und Karlsruhe entwickelt.

Viernickel ist skeptisch, dass eine mögliche Rekommunalisierung von Fernwärme und Gasnetz den nötigen massiven Schub für die intelligente Dekarbonisierung der Wärmeversorgung gibt. “Die Menschen, die da arbeiten, werden das weitermachen, was sie bisher gemacht haben”, so der Experte. Beide Netze hätten bei Weitem nicht mehr den Wert, der ihnen teilweise zugeschrieben werde.

“Warum warten alle Leute, bis Herr Habeck oder sonstwer eine Ansage macht? Für viele Sachen braucht man keine kommunale Wärmeplanung. Man kann viel jetzt schon anstoßen, zumal es sowieso Jahre bis zur Realisierung dauert”, sagt Michael Viernickel.

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