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Die Klimakrise von unten bekämpfen

Die Geothermie soll in Berin ausgebaut werden – dabei müssen Klimaschutz und Naturschutz abgewogen werden

© by Bundesverband Geothermie

Im April will die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz entscheiden. Dann soll klar sein, an welchen drei Orten in Berlin die ersten drei Bohrungen für Tiefen-Geothermie durch die öffentliche Hand gefördert werden sollen. 13 Gebiete werden dafür bewertet, eines davon ist die Fläche des ehemaligen Flughafens Tegel. Mit Tiefen-Geothermie ist  allgemein die Nutzung von Erdwärme aus mindestens 400 Meter Tiefe gemeint, in der Regel geht es aber um Distanzen zur Erdoberfläche von mindestens einem Kilometer.

Bis in 15 Meter Tiefe bestimmen vor allem atmosphärische Faktoren die Bodentemperatur, anschließend herrschen bis etwa 50 Meter Tiefe über das Jahr konstant etwa zehn Grad. Dann beginnt der durch den Wärmestrom des Erdinnern bestimmte Temperaturbereich. Dort steigt die Temperatur im Mittel um drei Grad je 100 Meter.

“Das Potenzial allein für die Hydrothermalen ist 25 Prozent des gesamten Wärmebedarfs”, sagte Daniel Acksel, Leiter des Departments Geosysteme des Geoforschungszentrums Potsdam im Dezember 2022 bei einer Veranstaltung. Er bezog das auf die Fläche Deutschlands. “Man kann jetzt darüber diskutieren, ob in Berlin, wo der Verbrauch sehr groß ist auf einer kleinen Fläche, die 25 Prozent gerechtfertig sind. Vielleicht sind es 15 oder 20 Prozent – vielleicht aber auch mehr”, so Acksel weiter. Mit Bezug auf  Untersuchungen des Geoforschungszentrums kam eine 2021 veröffentlichte Studie des FraunhoferInstituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE zu einem erschließbaren Potenzial der Tiefen-Geothermie von 450 Megawatt oder knapp 18 Prozent des Berliner Wärmebedarfs bis 2035. Auftraggeber der Potenzialstudie klimaneutrale Wärmeversorgung Berlin 2035 waren Fridays for Future sowie das Bündnis Berlin Erneuerbar, dem auch der BUND Berlin angehört. Damals firmierte das Bündnis noch unter dem Namen Kohleausstieg Berlin. Immerhin die dreifache Leistung, die das fossil betriebene Wärmekraftwerk Ruhleben in das Berliner Fernwärmenetz einspeist.

Dabei geht es um die “tief hängenden Früchte” in ein bis zwei Kilometern Tiefe, wie Daniel Acksel vom Geoforschungszentrum es nennt. “Genau in diese Tiefe wird seit Jahrzehnten für Öl- und Gasförderung gebohrt. Die Technologie ist sicher und erprobt. Da sind wir bei 60, 70 Grad”, so Acksel weiter. Angebohrt würden dafür salzwasserführende Schichten unter Berlin, die Überbleibsel der sich einst auch hier erstreckenden Meere sind. Eine Kontaminierung des Süßwassers dadurch könne durch entsprechende Abdichtungen der Bohrungen ausgeschlossen werden, wird versichert.

München will 90 Prozent des Wärmebedarfs aus Geothermie decken

“Da gibt es technologische Herausforderungen. Die klassische Fernwärme arbeitet mit höheren Temperaturen, da brauchen sie auch noch eine Wärmepumpe. Das lässt sich aber alles machen”, erläutert Acksel. Vorgemacht werde das in München. “Das ist der Leuchtturm in Deutschland, die wollen bis 2040 100 Prozent erneuerbare Wärme, davon 90 Prozent Geothermie”, so der Geoforscher und erklärt: “In Norddeutschland ist das nie vorangekommen, weil es immer preislich konkurrieren musste mit dem Erdgas. Jetzt ist die Welt nun mal eine andere.”

Bisher ist der Berliner Untergrund auch nicht so gut untersucht worden wie in Süddeutschland, wo bereits seit 20 bis 30 Jahren gebohrt wird. Außerdem gibt es das wirtschaftliche Risiko, dass die Millionen Euro teure Bohrung ein Fehlschlag ist. Dieses wirtschaftliche Risiko wollen Einzelinvestoren selten auf sich nehmen und greifen daher im Zweifelsfall lieber auf klassische Wärmequellen zurück.

Die Berliner Klimaschutzverwaltung sieht das Potenzial der Tiefen-Geothermie wesentlich skeptischer. Es sei “aufgrund der extrem geringen Datenlage nur sehr schwer abzuschätzen”, heißt es in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage vom Juli 2022. Tiefengeothermische Erschließungskonzepte seien in Berlin außerhalb von Wasserschutzgebieten und nur auf Grundstücken mit hinreichenden Platzverhältnissen umsetzbar. Zudem müsse zwischen den einzelnen Bohrungen genug Abstand bestehen, angegeben wird eine Entfernung von rund einem Kilometer, um wechselseitige thermische Beeinflussungen auszuschließen. “Realistisch ist daher, unter optimaler Ausnutzung der bergrechtlichen Bewilligungsfelder, beschleunigter, standardisierter Genehmigungsverfahren und günstiger geologischer Situation in Berlin 15
hydrothermale Anlagen mit einer Gesamtleistung von ca. 50 MWth bis 2035 zu errichten”, so die Verwaltung.

Der BUND-Bundesverband sah in seiner Positionierung von 2019 noch weniger Potenzial. “Die Tiefen-Geothermie stellt keinen wesentlichen oder unverzichtbaren Bestandteil eines künftigen Energiesystems dar. Der BUND hat diese daher auch nicht in sein Zukunftsenergiekonzept aufgenommen”, heißt es in dem Positionspapier. Das bundesweit nutzbare Potenzial wurde damals bei nur einem Prozent des Wärmebedarfs gesehen.

Der Klimaschutz erfordert einen massiven Ausbau der Geothermie

Matthias Krümmel, Fachreferent für Klimaschutzpolitik beim BUND Berlin, sieht das deutlich anders: “Sowohl die oberflächennahe Geothermie als auch die tiefe Geothermie müssen in Berlin massiv ausgebaut werden, wenn Energiewende und Klimaschutz zu messbaren Erfolgen geführt werden sollen. Als nahezu emissionsfreie Energiequelle dienen dabei entweder warmes Wasser oder Dampf und die in tieferen Erdschichten stetig zunehmende Umweltwärme selbst, die zu nutzbarer Energie umgewandelt werden. Erzeugt werden Strom, Wärme und Kälte. Optimal werden Kraftwerke bewertet, die mit Kraft-Wärme-Kopplung arbeiten und völlig unabhängig vom Wetter erneuerbaren Strom und Wärme bereitstellen.”

Um die für die Kraft-Wärme-Kopplung, also die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme, nötigen Temperaturen von etwa 120 Grad im Untergrund zu erreichen, muss in Berlin wesentlich tiefer gebohrt werden, nämlich etwa 5000 Meter. In dieser Tiefe sind auch die Reste des vor fast 300 Millionen Euro aktiven Berliner Vulkans anzutreffen, dessen Krater unter dem heutigen Pankow lag. Solch tiefe Bohrungen sind mit deutlich höheren Kosten verbunden, was das finanzielle Risiko beim Scheitern deutlich erhöht.

“Nicht erst seit der aktuellen Energiekrise, die zeigt, wie wenig souverän insbesondere die Berliner Energieversorgung dasteht, gerät die Geothermie wieder stärker in den Fokus”, sagt Klimaschutz-Experte Matthias Krümmel und fordert: “Ein ‘geht nicht’ gibt es zur Zeit eben nicht und ein Klimaziel erreichen wir eben nicht, ohne weitere erneuerbare urbane Energiequellen aufzutun. Gegenüber berechtigten  Naturschutzbelangen ist eine harte politische Abwägung zum Schutzgut Klima zu treffen.”

Im Fokus stehen bisher vor allem die ökologischen Auswirkungen der oberflächennahen Geothermie. Hier sieht die Studie des FraunhoferInstituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE sogar ein Potenzial von 500 Megawatt. Laut Daniel Acksel vom Geoforschungszentrum Potsdam eignet diese sich vor allem für die weniger dicht bebauten Gebiete außerhalb der Innenstadt.

Der Schutz der Grundwasserfauna muss gewährleistet werden

“Wichtig ist dabei, dass wir erst einmal erkunden, wo das Grundwasser in Berlin lebt und was dort lebt. Auch in Berlin gibt es weiterhin viel Unklarheit zu dieser Frage – trotz des gestarteten Monitorings. Die Bereiche mit den Lebensgemeinschaften sollten geschützt werden beziehungsweise es sollte nachweislich sichergestellt werden, dass keine Beeinträchtigungen stattfinden. Das steht bisher noch aus”, entgegnet Christian Schweer, Fachreferent des Projekts Grundwasserschutz/Grundwasserökologie des BUND Berlin. Als Risiken benennt er die Öffnung von Grundwasserleitern, den Einsatz von teilweise problematischen Baustoffen und die Veränderung der Grundwassertemperatur. Letzteres kann die Grundwasserbeschaffenheit und somit die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften auslösen, die wiederum einen Einfluss auf die Grundwasserbeschaffenheit hat.

“Je größer die Anlagen werden, je mehr das Grundwasser vorbelastet ist und je weniger wir über die Ökologie vor Ort wissen, sollte von entsprechenden Vorhaben Abstand genommen werden. Bei Vorhaben an der Oberfläche müssen auch erst Umweltverträglichkeitsprüfungen stattfinden”, fordert Christian Schweer. In Mitte, nahe des Humboldt-Forums, würden schon jetzt 16,8 Grad Celsius in 20 Meter Tiefe gemessen statt der eigentlich üblichen 8 bis 9 Grad. “Über 16 Grad Celsius kann kaum noch ein Grundwassertier überleben. 50 Prozent der Grundwasserhüpferlinge sterben nach 5 Tagen bei einer Temperatur von über 20 Grad Celsius. Grundwaserasseln, die bis zu 15 Jahre alt werden können, bereits bei 16 Grad Celsius”, erläutert Schweer die Folgen für die Grundwasserfauna.

In zirkulierenden Systemen wird die über das Wasser entnommene Wärme genutzt und anschließend wird es entsprechend kalt wieder in das Erdreich zurückgespült. “Dass es sich bei zusätzlichen anthropogenen Temperaturveränderungen für die Bodenlebewesen und das belebte Grundwasser um Vorgänge handelt, die wahrscheinlich sensible Biotope und Lebensgemeinschaften in der Tiefe berühren, dürfte außer Frage stehen”, räumt Matthias Krümmel ein. “Geothermische Anlagen haben aber das Potential, die bereits durch den Klimawandel und anthropogene Nutzung der Böden und Erdschichten stark erwärmten Schichten zumindest partiell und temporär wieder herunter zu kühlen, wenn sie oberflächennah arbeiten. Die Energiewende verzeichnet wie so oft eben auch positive Auswirkungen auf Fauna und Flora”, so Krümmel weiter.

Das will Grundwasser-Experte Christian Schweer nicht einfach so gelten lassen: “Wärme zu entziehen ist auch nicht unbedingt in jedem Fall sinnvoll, weil viele Grundwassertiere ein geringes Temperaturspektrum haben, in dem sie leben können. Insofern ist es wichtig, hier Vorsicht walten zu lassen und genauso wie bei Autobahnbauten und anderen Projekten genau zu prüfen, ob wir diese Vorhaben überall wollen oder es nicht Alternativen gibt.”

“Während die ‘kleinen’ Anlagen im Sinne einer Umweltverträglichkeitsprüfung einen sogenannten ‘Geothermal response test’ zu Genehmigung durchlaufen müssen, stellen die vorgelagerten Prüf und Genehmigungsverfahren für in Berlin zu errichtende Tiefenbohrungen noch höhere Ansprüche. Die auch für andere Erzeugungsformen dringend erforderliche kommunale Wärmeplanung muss hierbei die Naturschutzkonformität mit prüfen (lassen)”, sagt Klimaschutz-Experte Krümmel.

Das Bergrecht des Bundes ist eine Ausbauhürde bei der Geothermie

“Es gibt seit November 2022 ein Bekenntnis der Bundesregierung zu 100 neuen tiefen Geothermieprojekten bis 2030, was wir sehr begrüßen”, so der Potsdamer Forscher Daniel Acksel. Berlin müsse versuchen, so viele Mittel wie möglich daraus zu sich zu lenken. Er fordert, Genehmigungsverfahren zu verschlanken und zielt auch auf ein besonderes Bundesgesetz, nämlich das Bergrecht. “Es stammt aus der Zeit der Nationalsizialisten. Und da kann man fragen, ob es noch der Stand der Zeit ist. Österreich hat das schon vor 20 Jahren gemacht, die sind mit dem gleichen Gesetz gestartet”, erläutert er. “Bei mehrjährigen Genehmigungszeiträumen laufen ihnen doch die Investoren weg.”

Er halte es für “sehr vernünftig”, was der Berliner Senat derzeit in Bezug auf die Tiefen-Geothermie unternehme, sagt Acksel. Eine Berliner Leerstelle ist aber die noch fehlende kommunale Wärmeplanung. Ohne eine umfassende Analyse des Wärmebedarfs und der jeweils zur Verfügung stehenden Wärmequellen und Verteilsysteme lässt sich der für die Dekarbonisierung nötige Umbau kaum vernünftig angehen und bleibt höchstens punktuell.

“Die Berliner Wärmeversorgung muss zügig klimaneutral werden, um unsere Klimaschutzziele einzuhalten. Rund die Hälfte der Treibhausgasemissionen in Berlin stammen aus dem Wärmesektor. Die Effekte des Klimawandels sind schon heute in Berlin spürbar und belasten unsere Umwelt immer mehr“, sagt Julia Epp, Vorsitzende des BUND Berlin. „Bisherige Forschungsprojekte zur Geothermie haben gezeigt, dass Umwelteffekte lokal begrenzt und technisch beherrschbar sind. Durch die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und die Nutzung geeigneter Frühwarnsysteme können Risiken für die Umwelt bewältigbar bleiben. Es ist wichtig, den Prozess zur Erschließung geothermischer Energie in Berlin kritisch zu begleiten, aber wir dürfen den Umweltschutz auch nicht gegen den Klimaschutz ausspielen.“

Der BUND Berlin hat mehrere Projekte initiiert, die weitere Erkenntnisse zur Wärmewende aber auch zum Grundwasser sammeln.  In dem Projekt Wärmewende wird untersucht, wie eine zügige Dekarbonisierung im Wärmesektor technisch, regulatorisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich umgesetzt werden kann. Dafür richtet der BUND eine landesweite Plattform Wärmewende ein. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Pilotvorhaben möchte der BUND Berlin die öffentliche Diskussion zum Themenfeld Geothermie und Grundwasser(ökosystem)schutz voranbringen.

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