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Noch lange zu viele Spuren- und Nährstoffe in Spree und Havel

Ortstermin von Wassernetz Berlin und AK Wasser im Klärwerk Ruhleben

© by Nicolas Šustr/BUND Berlin

“Beim ersten angucken musste ich auch schlucken. Das sieht ja aus wie ein Unterwasser-Schneegestöber”, sagt Stephan Natz, der Sprecher der Berliner Wasserbetriebe, in einem Versammlungsraum des Klärwerks Ruhleben. Sein Unternehmen hat das Wassernetz Berlin zusammen mit dem AK Wasser des BUND Berlin zu einer Führung und Diskussion in das größte Klärwerk Berlins geladen.

Anlass ist ein kürzlich veröffentlichtes Video des Fisch-Verhaltensforscher Dr. Uwe Mischke, das Unterwasseraufnahmen an den Klarwasser-Ausläufen des Klärwerks Ruhleben vor Ort in die Spree sowie am Ende einer rund 16 Kilometer langen Pipeline am Teltwokanal in Lichterfelde dokumentiert. Sie zeigen eine trübe Brühe, in der diverse Flocken wirbeln. Neben etwa daumennagelgroßen hellen Flocken wohl biologischen Ursprungs sind auch immer wieder bunte Fetzen und Fasern zu sehen, bei denen es sich recht eindeutig um Kunststoff handelt. Auf dem Wasser sind Schaumteppiche zu sehen. Am Auslauf in den Teltowkanal hat Mischke mit einem feinen Netz auch eine Probe genommen, die unter dem Stereomikroskop Anteile von Kunststofffasern und Mikroplastik verrät.

Dr. Uwe Mischke zeigt sich vor allem von dem Gegensatz von öffentlichen Darstellungen, die glasklares gereinigtes Abwasser zeigen und seinen vor Ort festgehaltenen Eindrücken schockiert.

Doch Rolf Neumann, der Leiter des Klärwerks Ruhleben, sowie Klaus Buchholz, bei den Wasserbetrieben seit 2014 zuständig für die Entwicklung von Strategien und Konzepten für die Abwasserentsorgung, liefern während dem rund dreistündigen Vor-Ort-Termin umfangreiche Informationen und Erklärungen, um den im Video entstandenen Eindruck zu entkräften.

“Für die Gelbfärbung des Wassers sind Huminstoffe verantwortlich, die rein biogenen Ursprungs und ungefährlich sind”, erläutert Klaus Buchholz. Dabei handelt es sich um Stoffe des Humusbodens, die in der Region Berlin aufgrund der einstmals dominierenden Moor- und Sumpflandschaft natürlich bereits im Trinkwasser enthalten seien. Sie sind aufgrund ihrer komplexen Molekülstruktur sehr schwer abbaubar. Für die Schaumbildung seien verschiedene Tenside verantwortlich. “Es gehen bei der Klärung im Klärwerk immer noch Resttenside  durch, außerdem entstehen Tenside auf biologische Weise im Nachklärprozess. Das ist ungefährlich – sieht bloß schlimm aus”, erklärt Buchholz.

Bei den großen Flocken handele es sich um Schwämme, Algen und Bakterienkulturen, so Buchholz. Aus bisher nicht geklärten Gründen habe sich vor rund einem Jahrzehnt in der Pipeline zum Teltowkanal ein anderthalb bis zwei Zentimeter dicker Bewuchs gebildet. “Diese Leitung hat uns vor zehn Jahren viel Ärger bereitet. Wir mussten recht abrupt über ein Drittel Leistungsverlust feststellen und haben einen Regenwald der Mikrobiologie gefunden”, berichtet der Experte. Eine mechanische Entfernung sei nicht möglich, da sonst das Rohr aus Asbestzement Fasern freisetzen könnte. Auch sämtliche anderen Verfahren hätten sich als nicht nachhaltig erfolgreich erwiesen.

Für die Kunststoffpartikel im Auslauf am Teltowkanal ist nach Angaben von Klaus Buchholz nicht das Klärwerk verantwortlich. Er macht darauf aufmerksam, dass die Klarwasser-Pipeline aus Ruhleben bereits zwei Kilometer vor der Einleitung in den Kanal in einen Regenwasser-Sammelkanal mündet. Kunststoffpartikel und der Großteil des Mikroplastiks stamme daher aus dieser Quelle. Bei der Einleitung in die Spree in Ruhleben vermuten die Wasserbetriebe-Experten, dass die Partikel womöglich von angrenzenden Gewerbebetrieben hineingeweht werden oder sich bereits im Spreewasser befunden haben und durch Wasserströmungen in den Ablauf kommen. Klärwerkschef Rolf Neumann bietet Uwe Mischke an, sein feines Netz bei einem noch zu vereinbarenden Termin noch im Bereich des Werks in den Ablaufgraben zu halten, um selbst überprüfen zu können, dass die dokumentierten Partikel nicht von dort stammen.

Doch selbst wenn das alles so stimmt, kommt das gereinigte Abwasser aus Umweltsicht noch nicht rein genug aus dem Klärwerk Ruhleben. Weiterhin werden beispielsweise zu viele Nährstoffe in die Gewässer eingeleitet. Bis voraussichtlich 2028 soll eine neue Klärstufe den Betrieb aufnehmen. Für rund 220 Millionen Euro wird eine Flockungsfiltration für Phosphate errichtet. Damit soll die Konzentration von Orthophosphaten in der Spree auf weniger als ein Zehntel des Aktuellen sinken. Orthophosphate kennzeichnen den Gehalt an direkt pflanzenverfügbarem Phosphor im Wasser. Der natürliche Gehalt in der Spree läge bei etwa 0,02 Milligramm pro Liter Flusswasser, derzeit liegt er bei rund 0,5 Milligramm, mit der neuen Reinigungsstufe sollen 0,03 Milligramm erreicht werden.

Reserviert wird auch ein Baufeld für eine weitere Klärstufe zur Entfernung von Spurenstoffen, wie beispielsweise Medikamentenrückstände. Diese sind beispielsweise durch hormonartige Wirkungen nicht nur eine Gefahr für Lebewesen im Wasser sondern stellen auch ein Problem für die Trinkwasserversorgung Berlins dar. Die Niederschlagsmengen in der Region nehmen ab und absehbar wird der Zufluss der Spree nach Berlin wegen der Einstellung des Tagebaus massiv zurückgehen, weil kein Grundwasser mehr abgepumpt und in die Spree geleitet wird, um die Tagebaulöcher trocken zu halten. Damit bildet sich zunehmend ein Kreislauf zwischen geklärtem Abwasser und gefördertem Trinkwasser in der Hauptstadt aus, der bereits jetzt in Trockenzeiten zu beobachten ist.

Für die Entfernung von Spurenstoffen muss das Abwasser noch mit Ozon behandelt werden. “Exorbitant teuer” seien Bau und Betrieb dieser Technik oder auch der Flockungsfiltration von Phosphaten, heißt es von den Wasserbetrieben. Da kürzlich der Senat aus CDU und SPD eine Erhöhung der Wasserpreise vor 2026 abgelehnt hatte, ist die Finanzierung der Maßnahmen derzeit ungeklärt. “Wie hier was investiert wird in der Stadt Berlin ist ganz offen – wir sind in einer ganz angespannten Situation”, sagt Klaus Buchholz. Klärwerkschef Rolf Neumann nennt als möglichen Termin für den Abschluss der Aufrüstung aller Klärwerke “Ende der 2030er Jahre”.

Sobald die Flockungsfiltration in Ruhleben den Betrieb aufnimmt – also wohl 2028 – wird die Pipeline zum Teltowkanal stillgelegt. “Wir werden ab 2028 durch neue Reinigungsstufen eine so gute Klarwasserqualität haben, dass wir nicht mehr in den Teltowkanal einleiten”, sagt Klaus Buchholz. Derzeit wird die Pipeline nur im Sommer genutzt. Somit soll die “Badelandschaft an der Havel” umgangen werden, sagt Wasserbetriebe-Sprecher Stephan Natz. Denn bisher wird noch auf die Kraft der Sonne gesetzt, um im Klarwasser verbliebene Keime und Bakterien abzutöten. Der Fließweg von Ruhleben bis zu den zahlreichen Badestellen ist aber zu kurz für die vollständige Beseitigung. Da der Teltowkanal erst hinter dem Wannsee in die Havel mündet und in ihm nicht gebadet wird, wurde die Lösung mit der Pipeline entwickelt.

Doch über Klärwerke kommen noch viele weitere Stoffe in die Gewässer. Beispielsweise die Ewigkeitschemikalie PFAS. Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, kurz PFAS, sind extrem langlebig und können sich in Organismen ansammeln. Gelangen die Industriechemikalien in die Umwelt, können sie Böden, Gewässer, Pflanzen und Tiere für Jahrhunderte belasten. PFAS-Chemikalien stecken in sehr vielen Alltagsprodukten wie zum Beispiel Regenjacken, Pizzakartons, Coffee-to-go-Becher oder Shampoo. Sie sind wasser- und fettabweisend und werden deswegen auch in vielen Essenverpackungen verwendet. Massive PFAS-Belastungen in der Umwelt entstehen auch durch Löschschäume, in denen sie enthalten sind. Einige PFAS stehen im Verdacht, krebserregend zu sein, Niere und Leber zu schädigen und das Immunsystem zu schwächen. Je mehr PFAS in die Umwelt gelangen, umso stärker können sie sich im menschlichen Körper anreichern.

Ein im Januar 2023 veröffentlichtes Paper von Forschenden der Universität Aberdeen und dem Bundesamt für Materialforschung und -prüfung belegt mehr als eine Verzehnfachung mit PFAS in Zusammenhang stehenden EOF-Konzentrationen im Wasser des Teltowkanals im Bereich hinter dem Auslass des Klärwerks Waßmannsdorf. EOF steht für extrahierbares organisch gebundenes Fluor, welches sich in PFAS aber auch weiteren fluorierten Verbindungen wie in vielen Arzneimitteln befindet. Zum Zeitpunkt der Probennahme im Winter war der Auslass des Klärwerks Ruhleben in den Kanal nicht in Betrieb. Hinter dem zum Zeitpunkt der Probenentnahme in Betrieb befindlichen Auslass des Ruhlebener Klärwerks in die Spree ist ebenfalls ein deutlicher Anstieg der EOF-Werte zu erkennen.

Die EU-Chemikalienagentur ECHA beschäftigt sich derzeit mit der Prüfung weitreichender Verbote, gegen die wiederum zahlreiche Industrieverbände Sturm laufen. Mit einer Spurenstoffeliminierung im Klärwerk ließen sich die Belastungen des gereinigten Abwassers auch mit diesen Stoffen deutlich reduzieren. Bis zur vollständigen Umsetzung wird es leider noch recht lange dauern.

Im Wasser nicht nur der Spree finden sich noch weitere problematische Stoffe, wie BUND-Gewässerexperte Christian Schweer erläutert. Beispielsweise Quecksilber hauptsächlich aus der Kohleverbrennung sowie Kupfer und Zink, die vor allem aus Straßenabwässern eingetragen werden. Christian Schweer macht auch deutlich, dass letztlich nicht allein die Wasserbetriebe dafür verantwortlich gemacht werden können: “Die müssen damit umgehen, was im Klärwerk ankommt.”

Allerdings sei es wichtig, dass die Wasserbetriebe den Handlungsbedarf für die Gewässerreinhaltung klar benennen, was konkret für Hürden bei der sich hinschleppenden Umrüstung der Klärwerke und der weitgehend ausstehenden Reinigung von Straßenabwässern noch bestehen und was daher benötigt wird.  Die Politik müsse dringend handeln, damit die Vorhaben nicht durch anderen Projekte des Landes verzögert werden, Zuständigkeiten geklärt sind, die Umweltbehörde mit genügend Personal ausgestattet ist  und die entsprechende Finanzierung bereitgestellt wird, damit der Umweltabdruck der Einleitungen in die Gewässer deutlich geringer wird.

“Das Ziel des guten Zustands der Gewässer, wie es die Wasserrahmen-Richtline der EU vorschreibt, hätte eigentlich spätesten 2015 erreicht werden sollen. Das ist nicht geschehen. Nun soll das erst nach 2027 der Fall sein”, kritisiert Schweer die Verzögerungen.

 

 

 

 

 

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