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Das Straßenverkehrsrecht bleibt blutrünstig

Berliner Verwaltungsgericht gibt Eilantrag gegen Straßenpoller statt

© by Alexander Baxevanis (CC BY 2.0 Deed)

Das deutsche Straßenverkehrsrecht hat wieder zugeschlagen. Diesmal im Nesselweg in Berlin-Rosenthal. Die durch ein kleines Einfamilienhausgebiet führende Straße wurde regelmäßig vom Autoverkehr als Schleichweg zwischen den Hauptverkehrsachsen Friedrich-Engels-Straße und Schönhauser Straße genutzt. Nachdem die Ausweisung von Tempo 30 auf der Straße nicht den erhofften Erfolg brachte, wurde der Durchgangsverkehr im Sommer 2023 vom Bezirksamt Pankow schließlich durch Poller unterbunden.

Nun hat die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin einem Eilantrag stattgegeben, der sich unter anderem gegen die Sperrung mittels Sperrpfosten und der Einrichtung eines Kiezblocks gewandt hatte. Es bestünden “ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufstellung der Sperrpfosten und sonstiger Verkehrsschilder. Die nach der Straßenverkehrsordnung einzuhaltenden Vorgaben seien nicht erfüllt”, heißt es in der am 3. Januar 2024 veröffentlichen Pressemitteilung des Gerichts. Das Urteil ist bereits am 15. Dezember 2023 ergangen (VG 11 L 316/23). In Folge der Entscheidung muss das Bezirksamt die Sperrung aufheben und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Verkehrszeichen und -einrichtungen vorerst entfernen. Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhoben werden.

Die Pankower Verkehrs-Stadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) stellte die Situation im August 2023 folgendermaßen dar: „Der Nesselweg ist aufgrund der engen Fahrbahn nicht für die hier festgestellten sehr hohen Verkehrsmengen ausgelegt”. Fahrzeuge hätten im Begegnungsfall regelmäßig den schmalen Gehweg befahren. Dies habe zu ständigen Gefährdungen der Fußgängerinnen und Fußgänger – insbesondere der Kinder der anliegenden Kita geführt. Die Maßnahme sei auch erforderlich, um weitere Schäden am Straßenkörper zu verhindern. “Mit der Einrichtung der Durchfahrtsperre wird der eigentliche Schutzzweck, der mit der bereits eingerichteten Tempo 30-Zone erreicht werden sollte, wiederhergestellt. Hierzu zählen der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner vor Abgas- und Lärmbelastungen sowie die Sicherheit des Fuß- und Radverkehrs“, so Anders-Granitzki weiter. Damit hatte das Bezirksamt einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung vom Juni 2021 umgesetzt.

Straßensperrungen zur Reduzierung des motorisierten Kraftfahrzeugverkehrs auf Durchgangsstraßen dürften nur bei besonderen Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs angeordnet werden, erklärte das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil. Zwar könnten spezielle Verkehrsregelungen zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße getroffen werden; hier sei aber nicht ersichtlich, dass im Nesselweg Schäden bestünden, die über gewöhnliche Verschleißerscheinungen hinausgingen. Ein erhöhtes Risiko der Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen sei ebenso wenig ersichtlich. Im Nesselweg gelte bereits jetzt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde, die – bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22 Kilometern pro Stunde – weitgehend eingehalten werde.

Messungen zur Lärm- und Abgasbelastung habe das Bezirksamt nicht durchgeführt. Schließlich habe es auch im Übrigen eine erhöhte Gefahrenlage nicht dargelegt, so das Gericht weiter. Soweit das sich auf Gefahren wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens oder des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer berufe, hätte die Behörde zumindest Angaben über aktuelle Verkehrs- und/oder Unfallzahlen sowie Ordnungswidrigkeitenverfahren machen müssen. Daran fehle es hier. Im Gegenteil habe nicht nur die Polizei Berlin erhebliche Bedenken gegen die verkehrliche Anordnung gehabt, sondern auch ein Mitarbeiter des Bezirksamtes selbst bei einer Ortsbegehung im Januar 2022 keine Verkehrsgefährdungen festgestellt.

Vielleicht hätte das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung anders gewichten können, im Kern muss es sich jedoch an das halten, was Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung des Bundes eben so hergeben. Und da sind die “Flüssigkeit” und die Sicherheit des Verkehrs eigentlich die einzigen Kriterien. Sie zementieren in der Praxis den Vorrang des Autos. Oft sind nur wenn Blut fließt, also eine erhöhte Zahl an Verkehrsunfällen belegt werden kann, Einschränkungen des Autoverkehrs möglich.

Das hätte sich Ende 2023 nach langem Kampf ändern sollen. Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung hätten in einer vom Bundestag beschlossenen Novelle berücksichtigt werden sollen. Doch im Bundesrat fand die Novelle am 24. November 2023 keine Mehrheit.

Ausgehend von unionsgeführten Ländern wie Bayern wurde eine Argumentationslinie aufgebaut, derzufolge die Sicherheit im Verkehr durch die Einführung weiterer Kriterien ins Hintertreffen geraten könnte. Die Abstimmung über eine auf der Gesetzesänderung basierende Novellierung der Straßenverkehrsordnung wurde nach dem Scheitern abgesetzt. Die Kommunen hätten mehr Spielraum bei der Einrichtung von Busspuren, Zebrastreifen und Fahrradwegen bekommen sollen, es hätte leichte Verbesserungen bei der Ausweisung von Tempo 30 auf Hauptstraßen sowie ein neues Verkehrszeichen für Lieferzonen geben sollen.

Die Zustimmung verweigert haben im Bundesrat acht Länder: Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Erstaunlich ist es, dass sich mit Hamburg auch ein rot-grün regiertes Land ohne CDU-Beteiligung verweigert hat. Mit Schleswig-Holstein und Berlin haben wiederum zwei CDU-geführte Länder für die Novelle gestimmt.

Bemerkenswert ist auch der Fall von Baden-Württemberg mit einer grün-schwarzen Landesregierung. Denn dessen Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hatte ein für Bundesrats-Verhältnisse flammendes Plädoyer für die Zustimmung zur Reform. Es sei “ein dringend notwendiger, ja überfälliger Reformschritt, der heute getan werden sollte und der wirklich eine lange Debatte hinter sich hat”, sagte er. “Ich bin erstaunt, dass jetzt auf den letzten Metern, nachdem wir uns im Grundsatz in der Verkehrsministerkonferenz parteiübergreifend geeinigt haben, dass es in diese Richtung gehen muss, einige entdecken, dass sie Vorbehalte haben, weil sie die Verkehrssicherheit gefährdet sehen, wenn man solche zusätzlichen Kriterien einbezieht. Ich kann das niemandem erklären. Es ist nicht nachvollziehbar”, so der Verkehrsminister weiter.

Würde wegen des Sicherheitsarguments der Bundesrat gegen die Novelle stimmen, hätte er “die Möglichkeit einer bescheidenen Reform verstolpert, verhindert, dann ist der Bundesrat eine Reformbremse in Sachen Straßenverkehrsrecht”, sagte Winfried Hermann. Was dann auch geschah, inklusive Beteiligung seines Bundeslandes.

Da half auch nicht das Werben von Daniela Kluckert (FDP), der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, als sie erklärte: “Verkehrssicherheit ist unser höchstes Gut”. Die Vision Zero, also das Ziel null verkehrstote, “entscheidet sich auf unseren Straßen”.

Trotz aller grundsätzlichen Kritik am Straßenverkehrsrecht sieht der aus dem Radentscheid hervorgegangene Verein Changing Cities im konkreten Fall die Hauptschuld beim Bezirksamt Pankow. Die Poller am Nesselweg seien eine Einzelaktion und verwaltungstechnisch unsauber umgesetzt, heißt es in einer Mitteilung.

„Es bleibt ein großes Missverständnis, dass ein Kiezblock nur aus Pollern besteht. Die Durchgangssperre ist aber nur eine von vielen Maßnahmen eines umfassenden städtebaulichen Konzepts, um sicheren Fuß- und Radverkehr zu ermöglichen und die Kieze sicherer, klimaresilienter und lebenswerter zu machen. Die drei Standards und deren rechtliche Begründung haben wir in Empfehlungen für Superblocks (ESu23) beschrieben. Frau Anders-Granitzki (CDU), die Stadträtin aus Pankow, hat diese offensichtlich vor der Anordnung nicht beachtet“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Ein Kommentar

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  1. Vielleicht sind aber auch die fetten SUVs der “neuen Anwohner” schuld die diese Situation hervorgerufen haben – die haben da alle Ihre Häuschen neu mit Privatstraßen in den letzten 5 Jahren hingebaut und da stören natürlich diese Kleinwagen die von Menschen die zu Ihrem Garten wollen.
    Vielleicht hätte man besser das Geld in die Sanierung der Friedrich-Engels-Str. gesteckt wo dieser Durchgangsverkehr mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 10km/h (!) wegen Straßenschäden begrenzt ist.
    Und ansonsten hätte auch eine Einbahnstraßenregelung vielleicht Abhilfe gebracht das Autos an aneinander vorbeikommen oder ein paar stellen mit Halteverbot belegen, das dort gut 2 Autos aneinander vorbeikommen.
    Ich glaube eh das es den neu zugezogenen Leuten in der Straße um Ihre Parkplätze in der Straße geht. Die letzten Jahrzehnte gab es aus eigener Ansicht dort keine Probleme – ich habe da keine gefährlichen Situationen gesehen.

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