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Die realistische Vision für den Nordosten ist die Tram

Konzept für neue 49 Kilometer Straßenbahn und 500 Meter U-Bahn für Pankow vorgelegt

© by Linksfraktion Pankow

“Denken Sie groß”, heißt es im Song von Deichkind. Das scheint zu einem der Lieblingslieder der Berliner CDU zu gehören, gerade was den U-Bahn-Ausbau betrifft. Allein für die Erschließung der geplanten Neubau-Gebiete im Bezirk Pankow hat Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) kürzlich ein sogenanntes Verkehrskonzept vorgelegt, das neben ein paar Kilometern neuer Tramstrecken geschätzt 30 Kilometer U-Bahnershcließung mit den Linien U2, U9 und einer neuen U10 vorsieht. Auf Basis aktueller Baukosten in Hamburg und München würde das bis zu 14 Milliarden Euro verschlingen und irgendwann gegen 2050 realisiert sein können. Weit nach der geplanten Fertigstellung der aktuellen Bauvorhaben. Aus dem Bundesverkehrsministerium wurde darüber hinaus noch verlautet, dass Berlin sich eine Finanzierung hauptsächlich durch den Bund abschminken kann.

Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenversammlung Pankow hat nun eine realistische Vision entwickelt, wie der bereits jetzt mit rund 420.000 Einwohnern größte und in den nächsten Jahrzehnten um bis zu 60.000 weitere Menschen wachsende Bezirk Pankow umfassend mit dem ÖPNV erschlossen werden kann: Hauptsächlich mit 49 Kilometern neuen Tramstrecken sowie der Verlängerung der U2 um eine Station bis Pankow, Kirche. Außerdem wird auch die im Planfeststellungsverfahren befindliche Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn zwischen Basdorf und Berlin-Wilhelmsruh inklusive der als unabdingbar eingeschätzten Verlängerung von dort bis zum Bahnhof Gesundbrunnen sowie die Verlängerung der S75 von Wartenberg entlang des Eisenbahn-Außenrings bis zur Bucher Straße einbezogen. Letztere wird auch vom Senat untersucht.

Die U-Bahn-Träume der Koalition bezeichnete Kristian Ronneburg bei der Vorstellung des Linke-Plans vor einigen Tagen als “Konzept aus der verkehrspolitischen Mottenkiste, um bestimmte Diskussionen möglicherweise erst einmal zu beruhigen, aber keineswegs überhaupt nur einen Zentimeter voranzukommen bei der Bewältigung der Verkehrsbedürfnisse“. Er ist Verkehrsexperte der Abgeordnetenhausfraktion. Entweder wolle die CDU mit ihren Plänen die Realisierung der neuen Stadtquartiere wie den Blankenburger Süden, die alte Gärtnerei oder die Elisabethaue in die nächsten Jahrzehnte verschieben, “oder er nimmt bewusst auch in Kauf, dass bei Fertigstellung der neuen Wohnungen keine bedarfsgerechte Erschließung für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner da sein wird”. Das würde nach Ronneburgs Worten zu einer “mittelschweren verkehrspolitischen Katastrophe” führen. Ihn erinnere das an die West-Berliner Diskussionen zum Märkischen Viertel, dessen Bewohnerinnen und Bewohner auch 60 Jahre nach Bezug der ersten Wohnungen auf den versprochenen U-Bahn-Anschluss warteten.

Um das klarzustellen: Der BUND Berlin lehnt viele der neuen Stadtquartiere in der geplanten Form ab. Unter anderem wegen der Bodenversiegelung, des Artenschutzes, den CO2-Emissionen für den Bau. Immerhin sind wir mitten in der Klimakrise und einer riesigen Biodiversitätskrise. Werden die Siedlungen aber dennoch gebaut, muss eine attraktive Erschließung durch den Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr gewährleistet sein, um den überbordenden Autoverkehr nicht noch weiter zu forcieren.

Vieles an dem Linke-Konzept ist nichts grundlegend Neues. Es fasst eine über zehnjährige Diskussion unterschiedlichster daran Beteiligter zusammen und versucht sie zu systematisieren, heißt es im Papier dazu. Darüber hinaus orientieren man sich am aktuell gültigen und unter SPD, Grünen und die Linke erarbeiteten Nahverkehrsplan Berlins. Bereits seit 2001 sei der Bezirk Pankow um 80.000 Einwohnerinnen und Einwohner gewachsen, ohne dass das Verkehrssystem groß darauf reagiert hätte. Nun sollen noch einmal 50.000 hinzukommen.

Die Straßenbahn soll demnach sowohl die Hauptlast der Erschließung der Neuen Stadtquartiere tragen, als auch die Unterzentren  in den verschiedenen Ortsteilen untereinander und mit den beiden Hauptzentren (Breite Straße und Schönhauser Allee) verbinden. Gleichzeitig soll der systematische Mangel an leistungsfähigen tangentialen Verbindungen insbesondere im Norden des Bezirkes behoben werden. Dazu sollen drei Linien (M1, M2, 50) verlängernt, zwei Linien (M13, 50) in ihrem Streckenverkauf geändert und fünf Linien (nach BVG-Logik genannt M14, M15, 51, 52, 11) neu eingerichtet werden. Für die 49 Kilometer rechnen die Linksfraktionen mit Kosten von rund einer halben Milliarde Euro. Angesichts der Baupreisentwicklung der letzten Jahre muss man realistisch wohl eher von der doppelten bis dreifachen Summe ausgehen. Zum Vergleich ließen sich für das gleiche Geld höchstens drei bis vier Kilometer U-Bahn realisieren. Das ganze Konzept, das auch gewisse Straßen-Ausbauten vorsieht, ist auf der Seite der Linksfraktion Pankow zu finden.

Zwar wäre man auch für die Straßenbahn auf Bundesmittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz angewiesen, das bis zu 75 Prozent Förderung ermöglicht. Allerdings wäre durch die wensentlich geringeren benötigten Beträge die Chancen ungleich größer, die Förderung auch tatsächlich zu erhalten.

Außerdem ließen sich U-Bahnstrecken nicht ansatzweise auslasten. Wegen der “sehr hohen Investitionskosten” für die U-Bahn und einer “vergleichsweise geringen Wirtschaftlichkeit” ist beispielsweise laut der öffentlich verfügbaren Kurzfassung der Untersuchung zur Verkehrserschließung des Blankenburger Südens die Tram die beste Wahl. In der Spitzenstunde werden demnach nur 1000 bis 1500 Fahrgäste erwartet. Letztlich würden sogar im Berufsverkehr zwei U-Bahn-Züge pro Stunde reichen, um alle Passagiere zu befördern. Bereits in den 90er Jahren ließ der damalige CDU-Verkehrssenator Herwig Haase die FDP mit Forderungen nach großen U-Bahn-Verlängerungen im Nordosten abblitzen.

Wörtlich hieß es in der damaligen Antwort auf die parlamentarische Anfrage: “Der geplante Verdichtungsraum ım Nord-Nordosten Berlins wird entsprechend dem Verkehrskonzept für diesen Bereich durch die vorhandene S-Bahn (einschl. zusätzlıcher Bahnhöfe) sowie durch ein zu ergänzendes Straßenbahnnetz ausreichend erschlossen. Eine zusätzliche Schnellbahnverbindung in diesem Raum durch die Verlängerung der U2 über Pankow-Kirche hinaus würde zwar die ÖPNV-Erschließung verbessern, wäre aber angesıchis der hohen Investitionskosten und anderer dringlicher Maßnahmen im ÖPNV volkswirtschaftlich nicht zu vertreten.”  Ausgegraben hatte das Dokument, dem bis heute nichts hinzuzufügen ist, der Berliner Fahrgastverband IGEB.

Der Städtevergleich zeigt, dass der Linken keinerlei Straßenbahn-Größenwahn zu attestieren ist, wenn in Pankow zu den etwas unter 40 Kilometer existierenden Straßenbahnstrecken weitere 49 Kilometer hinzukämen. Dresden und Leipzig verfügen im Schienenverkehr neben S-Bahnen über umfangreiche Tramnetze, die weiter ausgebaut werden sollen, da längst noch nicht alle sinnvollen Korridore abgedeckt sind. Pro Tausend Einwohnerinnen und Einwohner sind es in beiden Städten rund 240 Meter Straßenbahnstrecke. Schon nach derzeitigem Bevölkerungsstand würde das für Pankow knapp über 100 Kilometer Tramnetz entsprechen.

Derzeit befinden sich in der Senatsmobilitätsverwaltung laut einer aktuellen Aufstellung für den Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses berlinweit zwölf Straßenbahn-Neubaustrecken mit rund 60 Kilometer Länge in Bearbeitung. Der derzeitige Stand der einzelnen Projekt ist demnach wie folgt:

  • Für die Anbindung des ÖV-Knotenpunktes Ostkreuz wird eine dritte Auslegung der Planfeststellungsunterlagen notwendig. Derzeit wird laut Vorhabenträgerin (BVG) diese Auslegung im 1. Halbjahr 2024 angestrebt. Davon abhängig ist der weitere Planungsverlauf.
    Für den 1,7 km langen Ausbau in Mahlsdorf werden derzeit die Planfeststellungsunterlagen vorbereitet. Abhängig von der Dauer des
    Planfeststellungsverfahrens wird die Inbetriebnahme in 2028 angestrebt.
  • Das Projekt Alexanderplatz – Kulturforum befindet sich aktuell in der Entwurfsplanung. Die Inbetriebnahme ist abhängig von der Dauer des anschließenden Planfeststellungsverfahrens.
  • Das 3,8 km lange Projekt Turmstraße – Jungfernheide befindet sich in der Entwurfsplanung. Abhängig von der Dauer des anschließenden Planfeststellungsverfahrens wird die Inbetriebnahme 2029 angestrebt.
  • Für das 2,9 km lange Projekt Warschauer Str. – Hermannplatz läuft die Vorplanung. 2024 soll die technische Entwurfsplanung beginnen. Abhängig von der Dauer des anschließenden Planfeststellungsverfahrens wird eine Inbetriebnahme 2030 avisiert.
  • Für das 5,1 km lange Projekt Pankow – Weißensee läuft ebenfalls die Vorplanung. 2024 soll die technische Entwurfsplanung beginnen. Abhängigkeit von der Dauer des anschließenden Planfeststellungsverfahrens wird eine Inbetriebnahme 2030 avisiert.
  • Für das 3,3 km lange Projekt Blankenburger Süden startet in 2024 die Vorplanung. Im Anschluss soll 2025 die technische Entwurfsplanung beginnen. Abhängig von der Dauer des anschließenden Planfeststellungsverfahrens wird eine Inbetriebnahme 2031 avisiert.
  • Für das ca. 6,2 Kilometer lange Projekt Johannisthal – Johannisthaler Chaussee ist die Grundlagenuntersuchung abgeschlossen. Der Senat hat die Weiterführung der Planungen kürzlich beschlossen. Derzeit wird die Ausschreibung der weiteren Planungsschritte erarbeitet. Der Beginn der Vorplanung ist für 2024 vorgesehen. In Abhängigkeit von der anschließenden Entwurfsplanung und Dauer des Planfeststellungsverfahrens wird eine Inbetriebnahme für 2031 avisiert.
  • Für die ca. 7 Kilometer lange Strecke Jungfernheide – UTR – Kurt-Schumacher-Platz ist die Grundlagenermittlung abgeschlossen. Der Senat hat die Weiterführung der Planungen beschlossen. Die Inbetriebnahme ist abhängig von der Dauer der weiteren Planungen und Dauer des Planfeststellungsverfahrens für 2031 angestrebt.
  • Die ca. 13 Kilomater lange Straßenbahnstrecke UTR/Paulsternstraße – Gartenfeld – Hakenfelde/Rathaus Spandau befindet sich in Leistungsphase 1. Die Weiterführung der Planungen setzt einen Senatsbeschluss voraus. Die Inbetriebnahme ist abhängig von der Dauer der weiteren Planungen und Dauer des Planfeststellungsverfahrens.
  • Für die Anbindung des Entwicklungsgebietes Elisabeth-Aue erfolgte eine Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchung nach neuem Verfahren (Version 2016+). Die Weiterführung der Planungen setzt einen Senatsbeschluss voraus. Die Inbetriebnahme ist abhängig von der Dauer der weiteren Planungen und Dauer des Planfeststellungsverfahrens.
  • Für das Projekt Potsdamer Platz – Schöneweide wurde die Grundlagenermittlung ausgeschrieben. Die Weiterführung der Planungen setzt nach Abschluss der Grundlagenermittlung einen Senatsbeschluss voraus. Die Inbetriebnahme ist abhängig von der Dauer der weiteren Planungen und Dauer des Planfeststellungsverfahrens.

 

Ein Kommentar

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  1. Ein ausgebautes Straßenbahn-Netz braucht schnelle Reisezeiten in die Außenstadtteile, nur dann kann es die U-Bahn-Phantasien wirklich toppen. Das wäre möglich mit einem massiven Beschleuigungsprogramm auf den Strecken und Kreuzungen. Echte Vorrangschaltungen, temporäre Straßenfreigaben und freie ÖPNV-Spuren. Die Tram braucht Priorität gleich knapp hinter dem Rettungswagen mit Blaulicht. Das kann in der Debatte nicht oft genug gesagt werden.

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