Überraschend war sie schon die Meldung, dass in der Senatssitzung am 28. Mai ein nervenaufreibendes, zweijähriges Tauziehen um die Zukunft des 17 Hektar großen Naturparadieses mit Denkmalqualität doch noch ein erfolgreiches Ende fand. Aufgrund der Änderung des Flächennutzungsplans können die für das Gesamtgelände strategisch entscheidenden 10 Hektar vor Bebauung bewahrt und in der Folge der B-Plan 4-66 festgesetzt werden. Damit sind auch mögliche Bauabsichten eines Spekulanten vom Tisch, der einen Teil des Gebietes entgegen allen gereiften Plänen im November 2018 erworben hatte. Derzeit verhandelt der Bezirk mit dem Käufer vor Gericht die Höhe der Entschädigungssumme.
Ein Grund zum Feiern? Für die kleine Bergwelt aus Bahnrelikten und Heimat von Kröten, Eidechsen und Insekten rund um das Westkreuz ist das definitiv ein Erfolg. Denn mit der Beschlussfassung vom vergangen Dienstag endet eine lange Phase der Unsicherheit: Nach unzähligen Gesprächen, die engagierte Bürger*innen mit Abgeordnetenhaus, Bezirksverordnetenversammlung und Naturschutzverwaltungen über das Westkreuz geführt hatten, gefolgt von Bürgerdialogen und freiraumplanerischen Gutachten, verkaufte plötzlich die Bahn-Tochter DB Netz AG einen Teil der Fläche an einen privaten Investor. Ohne diesen Teil hätte der Park nicht realisiert werden können. Damit aber nicht genug. In dieser schwierigen Situation setzte der regierende Bürgermeister Michael Müller sogar noch einen drauf: Gleich zwei Mal blockierte er die von Bausenatorin Lompscher vorgelegte Beschlussfassung zur Änderung des Flächennutzungsplans, in dem er den Punkt von der Tagesordnung nahm.
Bei all diesen Turbulenzen darf man nicht vergessen, dass das Vorhaben Westkreuzpark ursprünglich mal vorbildlich gestartet ist. Das Land und der Bezirk hatten frühzeitig den außerordentlichen Wert dieses letzten ungestalteten Fleckens Stadtgrüns für die umliegenden Quartiere erkannt. Es ist das Frischlufttor für West-Berlin. Auch macht die Lage zwischen Lietzensee- und Friedenthalpark das Westkreuzareal zu einer wichtigen Biotopvernetzung über die die Natur auch weiterhin in die Stadt kommen kann. Auch besteht in weiten Teilen Charlottenburg-Wilmersdorfs ein Defizit in der Versorgung mit Grünflächen für die Erholung. Mit der beabsichtigten Änderung des Flächennutzungsplans und dem Aufstellungsbeschluss eines grünsichernden Bebauungsplans durch das Bezirksamt waren die Weichen entsprechend gestellt. Es hätte ein gutes Beispiel dafür sein können, wie eine Charta für das Berliner Stadtgrün funktionieren kann!
Wir freuen uns zumindest über die zu guter Letzt doch noch geglückte Sicherung einer der letzten Flecken Wildnis in der Stadt. Erfreulich war auch zu sehen, mit welchem Eifer der Bezirk sein Vorkaufsrecht bei der Bahn-Tochter DB Netz AG durchsetzte und so die Entwicklung des gesamten Areals wieder in der Hand hat.
Bau- und Verkehrspolitik noch immer im Flächenfraß-Modus…
Die Rettung des Westkreuz-Geländes erscheint wie ein Licht am (Beton-)Horizont, aber Zuviel ist schon längst verloren gegangen. Warum galten die Argumente Kaltluftbildung und Grünvernetzung im städtisch verdichteten Raum, die zur Sicherung des Westkreuzes geführt haben, bisher nicht auch für andere Güterbahnhöfe und Bahnbrachen?
In den Jahren von 1920-1945 hatte Berlin mehr Einwohner als heute; das aber auf einem weitaus kleineren Teil der aktuell bebauten Fläche. Seitdem werden immer wieder neue Fertighaus-Siedlungen „ins Freie entwickelt“. Ab 1945 wurde auch die Eisenbahn als urbaner Frachttransporter etappenweise und größtenteils abgeschafft – für manche der Bankrott eines Verkehrssystems. In Berlin wurden dadurch über 300 Hektar Bahnflächen „deaktiviert“, eine Fläche größer als das Tempelhofer Feld! Gegenwärtig sind davon ca. 73 % zu Bauland umgewandelt worden, obwohl wir es hier mit den ökologisch bedeutendsten Orten der Stadt zu tun haben.
Manche Insekten- und Pflanzenarten haben auf diesen Flächen ihr einziges Vorkommen in Berlin. Allein die Gleislinse des Rangierbahnhofs Schöneweide beherbergt eine Wildbienen Population, deren Vorkommen bundesweit als bemerkenswert gilt. Sehr seltene Vögel wie der Brachpieper, die Dorngrasmücke und der Steinschmätzer, die größte Zauneidechsen-Population Berlins, über 250 wildwachsende Gefäßpflanzen und zig Laufkäfer-, Schmetterlings- und Heuschreckenarten, von denen viele auf den Roten Listen stehen, verlieren durch die Bebauung unwiederbringlich ihren Lebensraum. Zielarten des Biotopverbundes wie der Feldhase, die einen hohen Mitnahmeeffekt für andere Arten haben, werden durch die Umgestaltung isoliert. Die Chance auf die Erschließung neuer Lebensräume in Johannisthal /Aldershof ist ihnen im wahrsten Sinne des Wortes „verbaut“.
Notbremse: Charta für das Berliner Stadtgrün!
Das jahrelange Tauziehen um das Westkreuz, wenn auch mit Happy End, verdeutlicht, wie schwer es in Berlin ist, Flächen- und Stadtnatur zu erhalten. Was als vorbildliches Projekt gestartet ist, endete in einer Zitterpartie, bei der dann auf einmal auch ganz andere Faktoren als die unbestritten notwendige Versorgung der Bevölkerung mit Grünflächen und Frischluft oder der Erhalt der Artenvielfalt eine Rolle spielten.
Berlin braucht daher eine verbindliche und dauerhafte Sicherung der notwendigen grünen Freiflächen in Berlin, noch bevor Begehrlichkeiten für anderweitige Nutzungen Realität werden können. Es sind schon sehr viele Flächen, deren Bedeutung für die Stadt bekannt war, verloren gegangen. Jede weitere nagt an der Substanz. Die Charta für das Berliner Stadtgrün ist ein, wenn auch später Versuch, dieses notwendige Sicherheitsnetz zu erhalten.
Damit diese Charta auch ein Erfolg für die Natur in der Stadt werden kann, braucht es auch Ihre Unterstützung: Machen Sie mit bei der Online-Beteiligung mit und laden Sie auch Ihre Freunde und Bekannten dazu ein.
Downloads:
Liste: Beispiele aufgegebener Bahnflächen in Berlin
Links:
Zur Beteiligung an der Charta für das Berliner Stadtgrün (bis 11.06.)
…zwei Wermutstropfen bleiben.Ein kleiner Teil ist noch immer in Besitz der DBag.Hier müßte das Land kaufen und nur ein Drittel 6,2 Hektar suind auf “Grün gestellt”. Zwei drittel bleiben “planfestgesetlltes Areal” entweder in der Hand des Bundeseisenbahnvermögens oder der DBag.Dazu kommt noch das Gebiet rund um den BHF Grunewald.
Besonders das Gebiet nördlich der Stadtbahn in Richtung ICC wird als reservegebiet für die neueinrichtung der Autobahn A100 betrachtet.