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Novelle der Bauordnung: Augenwischerei zulasten der Natur

Eine möglichst knappe Bauordnung beschleunigt das Bauen nicht

© by Foto: Kresspahl (CC BY-SA 4.0 Deed)

Im konkreten Verwaltungshandeln sind vor allem die Bauverantwortlichen der Berliner Bezirke von den Auswirken der genauen Ausgestaltung der Bauordnung betroffen. Denn sie bearbeiten den Löwenanteil der Bauanträge. Darum ist man gut beraten, gut zuzuhören, was dort auf Basis der praktischen Erfahrungen zu sagen ist. Der Pankower Baustadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) äußerte sich am Montagabend im Rahmen eines Fachgesprächs im Abgeordnetenhaus, das gemeinsam von den Fraktionen der Grünen und Linken ausgerichtet worden ist.

“Wenn wir schon Flächen versiegeln, bebauen, müssen wir dafür sorgen, dass das in einer Form passiert, die verantwortlich ist”, sagt Bechtler. Und am konkreten Beispiel kann er auch belegen, dass eine frühzeitige Berücksichtigung des Artenschutzes bei Bauvorhaben den Genehmigungsablauf einfacher und berechenbarer macht und somit auch das Risiko unerwarteter Kosten reduziert. Es sei eine “immense Herausforderung”, nun beim Bauvorhaben Pankower Tor für die dort lebende Population der streng geschützten Kreuzkröten eine Lösung zu finden, die dem Artenschutz gerecht wird. Jahrelang verkauften Investor Kurt Krieger und Senatsumweltverwaltung eine Umsiedlung nach Brandenburg als die Antwort auf das Problem. Letztendlich stoppte eine Klage des Naturschutzbundes Berlin diese Pläne.

“Es ist unglaublich schwer, den Artenschutz zu bewältigen, wenn man eigentlich für alle Flächen schon Planungsziele entwickelt hat”, berichtet Cornelius Bechtler zum Pankower Tor. Denn das führe „zu Störungen, zu Umwegen, zu kaum lösbaren Konflikten“ bei den Reparaturversuchen der Planung.”Eine Lehre, die ich daraus ziehe: Bei den zukünftigen Projekten müssen wir uns von Beginn an anschauen, was gibt es für landschaftliche Elemente, was gibt es für Natur, für Arten, die schon vorhanden sind, um sie von Beginn an in der Planung zu berücksichtigen”, so der Stadtrat. Deswegen wolle man im Bezirk das bei weiteren Projekten versuchen. Als Beispiel nennt er dafür das Entwicklungsprojekt Alte Schäferei mit rund 4000 Wohnungen in Französisch Buchholz.

Baupraktiker bestätigen Position der Umweltverbände

Dabei geht es zwar um Bebauungspläne und nicht um die erst im nächsten Schritt zu beantragenden Baugenehmigungen. Doch die Problemlage ist die selbe, wie Eike Richter aus der Praxis berichtet. “Wir hatten schon mehrfach die Situation, dass eine Baugenehmigung vorlag, Baumfällungen durchgeführt wurden, aber der Artenschutz erst dann aufgeploppt ist”, sagt der Landschaftsarchitekt, der auch Berlin-Brandenburger Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekt:innen ist. Im Anschluss hätten erst Artenschutzfachbeiträge eingeholt werden müssen, was zu einem langen Baustopp geführt habe. “Das war eine unerträgliche Situation für alle Beteiligten, die unglaublich viel Geld gekostet hat. Wenn wir früher in die Projekte eingebunden werden, können solche Probleme frühzeitig umschifft werden.”

Diese Berichte untermauern auch die Position der Berliner Umweltverbände NABU und BUND sowie der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) im aktuell laufenden Novellierungsverfahren der Berliner Bauordnung. Zahlreiche Baugenehmigungsverfahren verzögern sich lange, weil Artenschutz-Belange erst viel zu spät berücksichtigt worden sind. Regelmäßig kommt es zu Baustopps oder umfangreichen Umplanungen, um diese Fehler zu korrigieren. Ein hohes Kosten- und Verfahrensrisiko für Bauherren.

Die Verbände fordern die Abgeordnetenhausmitglieder auf, den aktuellen Entwurf der Bauordnung, um die Paragrafen 8a und 45a zu ergänzen. Diese waren unter der Vorgängerkoalition bereits im Entwurf der Novelle berücksichtigt. Konkreter Bestandteil des § 8a sind mehr Begrünung von Dachflächen und Grundstücken, ein besserer Schutz vor Vogelschlag an Glasflächen, die verbindliche Anbringung von Niststätten für Vögel und Fledermäuse, weniger Lichtverschmutzung und eine rechtssichere Verbotsmöglichkeit von Schottergärten. Der § 45a soll zukünftig außerdem das Erstellen eines Rückbaukonzepts verpflichtend machen, um bei Abrissen Ressourcen maximal zu schützen.

“Eigentlich haben wir weitergehende Forderungen, da das Verfahren jedoch weit fortgeschritten ist, haben wir uns auf die bereits formulierten Paragrafen beschränkt”, sagt Dirk Schäuble, Artenschutzreferent beim BUND Berlin. Der aktuelle Gesetzesvorschlag sei der schlechteste der in den letzten drei Jahren vorgelegten. „Der jetzige Entwurf zur Novellierung der Landesbauordnung ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Natur-, Umwelt- und Klimaschutz in der Stadtentwicklung in Berlin nicht berücksichtigt wird”, sagt er. Es sei “eine schwere Enttäuschung”, dass die Naturschutzverbände nicht einmal zur Anhörung im Stadtentwicklungsausschuss am vergangenen Montag eingeladen worden sind.

„Es ist ein Irrtum, dass Artenschutz am Bau aufwendig und teuer ist. Im Gegenteil: Maßnahmen wie Vogelschutzfolien an Glas oder künstliche Nisthilfen sind – frühzeitig in den Bauprozess eingebunden – günstig und einfach umsetzbar für die Bauherrschaft. Um die erheblichen Kosten einer Nachrüstung zu vermeiden und Bauvorhaben zu beschleunigen, müssen diese Rahmenbedingungen in der Landesbauordnung geregelt werden”, unterstreicht Juliana Schlaberg, Naturschutzreferentin beim NABU Berlin.

Bausenator glaubt an schlankes Gesetz

Doch Bausenator Christian Gaebler (SPD) will von solchen Überlegungen nichts wissen. Die Bauordnung sei ein “Mittel der Gefahrenabwehr”, sie solle nicht überfachtet werden mit Inhalten, die in anderen Gesetzen wie dem Naturschutzrecht bereits geregelt seien, die Baubehörden sollten nicht mit “Doppelarbeit” belastet werden. “Es ging insbesondere um Vereinfachung, Änderung zu bauaufsichtlichen Verfahren, die zu mehr Rechtssicherheit, Erleichterung und Beschleunigung führen”, sagte er am Montag im Ausschuss. “Wenn ich diese Regelungen jetzt alle noch einmal in der Bauordnung abbilden muss, dann machen wir uns, glaube ich, selbst wahnsinnig. Das durchschaut niemand mehr”, so Gaebler.

In der Diskussion um Paragraf 8a sei in der Ausschusssitzung immer wieder auf die bestehende Fachgesetzgebung zum Artenschutz verwiesen worden, sagt BUND-Vogelschutzexpertin Claudia Wegworth. “Dazu lässt sich ganz klar sagen, dass wir in der Vergangenheit nun zur Genüge die Erfahrung gemacht haben, dass ja genau diese Verfahrensweise in der Praxis heute dazu führt, dass die Durchsetzung von gesetzlich geforderten Artenschutzbelangen in der Planung immer erst dann zum Tragen kommen, wenn ein Gebäudeentwurf schon steht”, so Wegworth weiter. Der noch verbleibende Handlungsspielraum beschränke sich in diesem Stadium “auf Nachbesserungen in Form einer alternativen und zwangsläufig teureren Materialwahl”. Seit vielen Jahren kämpft sie gegen gedankenlose Gebäudegestaltung, der sehr viele Vögel zum Opfer fallen, zum Beispiel durch Vogelschlag an Glasflächen.

“Statt die Baugesetzgebung anwenderfreundlicher zu gestalten und Bauschaffenden Planungs- und Rechtssicherheit zu bieten, wird stur auf eine Verfahrensweise verwiesen, die ursächlich dafür ist, dass der Artenschutz immer wieder als Bauverzögerungsgrund ins Feld geführt wird. Wenn Bauen soll schneller und preiswerter vonstattengehen soll, muss dieses Problem gelöst werden. Und die Lösung kann nicht sein, auf den Artenschutz zu verzichten, sondern sie muss heißen, ihn von Anfang an mit einzuplanen”, so Wegworth weiter. Die von Senator Gaebler in seinem Schlusswort formulierte Auslagerung dieser Verantwortung auf die Ausbildung zukünftiger Baufachleute sei “nicht nur zynisch, sondern es fehlt uns schlicht die Zeit erstmal darauf zu warten, dass ein Nachwuchs heranwächst, der dann die Aufgaben übernimmt, die wir heute zu lösen haben”.

Ganzheitliche Lösungen müssen am Anfang des Bauprozesses stehen

“Wir müssen die vielen Belange, die an Klima- und Naturschutz hängen, an den Anfang des Bauprozesses stellen und nicht ans Ende”, forderte Theresa Keilhacker in der Ausschuss-Anhörung am Montag. Sie ist Präsidentin der Berliner Architektenkammer. Sie forderte auch, einen qualifizierten Freiflächenplan von Anfang an mit dem Hochbau mitzuplanen.

Seit Jahren fordert der Bund der Deutschen Landschaftsarchitekt:innen (BDLA), einen qualifizierten Freiflächenplan bei Bauplanungsanträgen verpflichtend zu machen. In München wird das seit einem Vierteljahrhundert praktiziert. Das geht, weil nicht nur die bayerische Landesbauordnung eine entsprechende Öffnungsklausel hat. Weil Berlin gleichzeitig Bundesland und Einheitsgemeinde ist, müsste das hier in die Bauordnung. Durch die frühzeitige Integration umwelt-, wasser- und naturschutzrechtlicher Aspekte sowie Anforderungen an Rettungswege, Erholungsmöglichkeiten, Spielplatzversorgung und ähnliches in einem Gesamtkonzept, ermöglicht er eine schnelle und ganzheitliche Prüfung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens.

“Die Einführung eines verpflichtenden qualifizierten Freiflächenplans in der Berliner Bauordnung ist ein entscheidender Schritt zur Effizienzsteigerung in der Stadtentwicklung”, betonte der Berlin-Brandenburger BDLA-Landesvorsitzende Eike Richter im Sommer.
“Durch die Zusammenführung und Abstimmung aller relevanten Aspekte wird der Prüfprozess durch diese Bündelung deutlich beschleunigt. Dies führt zu einer effizienteren Bearbeitung von Bauanträgen und schafft Planungssicherheit für alle Beteiligten”, so Richter weiter.

“Ein qualifizierter Freiflächengestaltungsplan ermöglicht es uns, alle Aspekte vom Baumschutz bis zur Regenwasserbewirtschaftung auch in bestehende Höfe und Siedlungen zu integrieren und nachhaltig die Wohn- und Lebensqualität in den Quartieren zu steigern. Aus diesem Grund hat die Architektenkammer Berlin den Qualifizierten Freiflächenplan dem Senat als wichtiges Instrument im Zuge der Anhörung zum Schneller-Bauen-Gesetz empfohlen”, erläuterte Daniel Sprenger, Landschaftsarchitekt und Vorstandsmitglied der Architektenkammer Berlin.

“Wenn das alles irgendwo anders stünde, gelten und eingehalten würde, dann wäre ja niemand auf die Idee gekommen, so etwas in die Bauordnung reinschreiben zu wollen. Zu sagen: ‘Es muss alles entschlackt werden’ führt in der Regel dazu, dass es keiner mehr macht”, merkte auch Andreas Otto, baupolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus bei der Ausschussbesprechung am Montag an.

“Bauen und Umweltschutz müssen Hand in Hand gehen”, forderte auch die aus dem Umweltausschuss zur Besprechung beigeladene SPD-Abgeordnete Linda Vierecke an. Sie ist umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. “Ich weiß nicht, wie man das am Ende regeln sollte,wenn nicht auch beim Bauen und auch in der Bauordnung. Bietet die Bauordnung nicht die Chance, Artenschutz von vornherein mitzuplanen und Kosten zu sparen?”, will Vierecke wissen.

“Welche Aufgabe ein Gesetz? Sicherlich auch einen Orientierungsrahmen zu geben zu den Fragen, die die großen gesellschaftlichen Herausforderungen sind: Klimawandel, Artensterben, eine älter werdende Gesellschaft”, entgegnet der Pankower Baustadtrat Cornelius Bechtler am Montagabend auf Forderungen nach einer möglichst schlanken Bauordnung.

Probleme werden verlagert, Verfahren verlängert

Früher sei die sogenannte Schlusspunkttheorie massgeblich für die Ausgestaltung der Bauordnung gewesen. Demnach muss die Baugenehmigungsbehörde ihre Koordinierungsfunktion so wahrzunehmen, dass sie die Baugenehmigung erst erteilen darf, wenn die Übereinstimmung des Vorhabens mit allen öffentlich-rechtlichen Anforderungen sichergestellt ist. Doch seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgericht von 1994 können die Bundesländer selber festlegen, ob eine Baugenehmigung diese Konzentrationswirkung entfaltet.

Eine Evaluation zu den Auswirkungen dieses Paradigmenwechsels sei ihm nicht bekannt, sagt Bechtler. Die Beobachtung aus seinem Amt: “Die Konflikte verlagern sich.” Es gebe nun im Nachgang Nachbarschaftsstreite und größere Auseinandersetzungen vor Gericht.

“Wenn es darum geht, dass Genehmigungen schneller erfolgen, dann müssen wir dem Fachkräftemangel gerecht werden”, sagt der Stadtrat. “Die Hälfte der Fachbereichsstellen der Bauaufsicht und der Vermessung im Land Berlin sind unbesetzt. Und das ist erst der Anfang”, berichtet er. Um besser und effizienter arbeiten zu können, sei die Frage des Personals wesentlich.

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