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„Nutzungskonflikte“ – Berlin diskutiert die Frage nach genügend Raum zur Anpassung an den Klimawandel

© by Richard Karty

Zu behaupten, dass Berlin mit nicht genutzten versiegelten Flächen üppig und reichlich versorgt sei, wäre eine echte Untertreibung.

Wahrscheinlich hat keine andere Großstadt so viel versiegelte Flächen, die man anderweitig nutzen könnte, wie Berlin. Damit sind weder leerstehende versiegelte, aber bebaubare Grundstücke gemeint, noch Flächen mit nennenswertem Fußverkehr, oder Plätze, auf denen sich Menschen tummeln – nicht einmal die zahlreichen Parkplätze (auch wenn sie die Klimakrise verschärfen, weil sie das Autofahren fördern). Vielmehr angesprochen sind die vielen unerklärlich breiten Strecken entlang von Gebäuden und Straßenecken, auf denen nie jemand geht und steht; trostlose und für das Fußgängeraufkommen völlig überdimensionierte Bürgersteige; große Verkehrsinseln und nur mit Rasen bestandene Grünstreifen.

Stattdessen könnten diese Flächen für Bepflanzungen und kleine Beete oder idealerweise als Regengärten genutzt werden. Letztere sind eingefasste, Pflanzen-bestandene Grünflächen mit unterirdischen Schichten, durch die Regenwasser von den versiegelten Flächen der Umgebung gesammelt und versickert werden kann. So reichern Niederschläge das Grundwasser an, statt über die Abwasserkanalisation die Kläranlagen zu belasten oder Flüsse zu verschmutzen. Die Pflanzen und der Boden der Regengärten üben ihre natürliche Filterfunktion aus und sorgen dafür, dass verunreinigtes Wasser sauber in den Grundwasserkörper gelangt.

Damit reduzieren Regengärten auch die Auswirkungen von Starkregen, der oft ein Überlaufen der Kanalisation in die Oberflächengewässer verursacht. Gleichzeitig sorgen sie für eine angenehme Kühlung an heißen Tagen. Beides – sowohl Starkregen als auch langanhaltende Hitze – nehmen durch den Klimawandel zu. Oft haben Regengärten nur die Maße einer Baumscheibe (der Platz, der einem Straßenbaum zur Verfügung steht). Nicht zuletzt sind sie beträchtlich kostengünstiger als der Umbau der “grauen” Infrastruktur, wie bspw. die Schaffung von Zwischenspeicherkapazitäten für Regenwasser in der Kanalisation.

Zweifelsohne, Berlin hätte den Platz für tausende von Regengärten ohne anderweitige Nutzungen in irgendeiner Form zu beeinträchtigen. Dennoch steht die Hauptstadt in Sachen Regenwassermanagement noch ganz am Anfang.

In zahlreichen Großstädten weltweit sieht das ganz anders aus. Obwohl diese dichter bebaut sind, gehören Regengärten dort immer öfter zum Straßenbild. Selbst in den USA (die nicht gerade federführend im Umweltschutz sind) spielen Regengärten eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Schäden durch Mischwasserkanalisation, Starkregen und Klimawandel. Oft werden dabei in Städten von der Große Berlins allein für den Umbau der Mischwasserkanalisation Summen zwischen ein bis fünf Milliarden Dollar in die Hand genommen. Zudem wird der Ausbau der grünen Infrastruktur z.B. in Form von Regengärten massiv vorangetrieben.

In New York stellte man zwischen 2011 und 2019 4.000 Regengärten fertig und gab 5.000 weitere in Planung. Zudem hat New York den Bau neuer grauer Regenwasserinfrastrukturen aufgegeben und sich stattdessen der grünen Infrastruktur verschrieben. Auf den folgenden Bildern sieht man, worum es überhaupt geht. Hier sind Regengärten in New York City und Syracuse, einer mittelgroßen US-amerikanischen Stadt, zu sehen. Hier wird auch deutlich, wie wenig leerer Raum sie umgibt.

Regengärten

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Auf den nächsten Bildern sind nun typische Berliner Straßenszenen zu sehen. Nicht genutzter Raum ist grün umrandet. Dieser könnte beispielsweise in Regengärten umgewandelt werden, ohne dabei den Fuß- und Fahrradverkehr zu beeinträchtigen. Dabei wurden die Markierungen noch zurückhaltend gesetzt, so dass sie mehr als genug Platz für Fuß- und Fahrradwege, Cafés, Märkte und diverse andere öffentliche Nutzungen, die sich in den meisten Fällen außerhalb des Bildes befinden, übrigließen. Eine Beeinträchtigung durch Regengärten ginge hiermit gegen null. Wer genau hinsieht, bemerkt vielleicht auf den Fotos ein paar Ausnahmen, auf denen Plätze zu sehen sind. Diese habe ich dokumentiert, weil sie extrem hässlich sind und kaum genutzt werden. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der aufgegebene Plan für ein Bürgerforum angrenzend an den Platz der Republik zwischen dem Kanzleramt und dem Paul-Löbe-Haus, über das ich einen eigenen Blogbeitrag geschrieben habe.

Potentielle Flächen für Regengärten in Berlin

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Hier sind weitere Beispiele, auf denen aber keine Markierungen eingezeichnet wurden. Die mit Gras-Monokulturen bedeckten Flächen könnten so umgewandelt werden, dass sie Regenwasserabflüsse der versiegelten Umgebung aufnehmen. Gleichzeitig könnte man sie mit Bestäuber-freundlichen, heimischen Pflanzen versehen.

Platz und noch mehr Platz...

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Dennoch gibt es Bedenken, ob die Stadt genug Platz und Geld für solche Maßnahmen hat, obwohl sie für die Anpassung an Starkregenereignisse und andere Auswirkungen des Klimawandels dringend nötig wären. Den städtischen Behörden, jahrzehntelang lahmgelegt durch die verbrannte-Erde Sparpolitik und Personalabbau, fehlen die notwendigen Mittel und ausreichend Personal. Das wiederum hat zum Beamten-Mikado geführt – nach dem Motto: wer sich zuerst bewegt, verliert.

Anlass für die Fotodokumentation ist die sehr kleine Anzahl von Regengärten in Berlin sowie einige Erfahrungen, die ich bei meinen Recherchen zu diesem Thema machen durfte. Da fällt mir beispielsweise eine Podiumsdiskussion zu grüner Infrastruktur ein, bei der ein prominenter Landschaftsarchitekt eine Frage über die Diskrepanz zwischen Berlins Mangel an grüner Regenwasserinfrastruktur und dessen Häufigkeit im Ausland herablassend abgetan hatte. Seine Antwort: „Die im Ausland sind meistens nur Hype“, während andere Zuhörer kopfschüttelnd über die Frechheit einer solchen Frage spotteten.

Oder ein Vortrag mit einer Abteilungsleiterin der Berliner Stadtverwaltung über die angebliche Rolle Berlins als Vorreiter grüner Innovation im Regenwassermanagement. Als Beispiel, welches die Gesamtheit des aktiven Berliner Regengartenprogramms aufzeigen sollte, wurde lediglich eine Anlage aus dem Jahr 1997 präsentiert. An einer anderen Stelle, an der es um ein geplantes Regenwasserprojekt ging, brach das aus Fachleuten bestehende Publikum – wie z.B. Wissenschaftler*innen,  Planer*innen und Ingenieure – wegen fehlender Plausibilität in Gelächter aus.

Oder eine Diskussion über Nutzungskonflikte in der Planung von Regengärten und ähnlichen Maßnahmen im Berliner Abgeordnetenhaus. Dabei ging es um die Konflikte, die Regengärten zwischen Akteur*innen mit unterschiedlichen Interessen und gegensätzlichen Ansprüchen in einem anscheinend „knappen“ Raum schüren können.  New York hat nur einen Bruchteil des verfügbaren Raumes Berlins; die Bevölkerungsdichte ist wesentlich höher; die Kulturen der Menschen, ihre Lebensweisen und Interessen sind unglaublich vielfältig (650 unterschiedliche Sprachen, wovon allein die städtische Gesundheitsverwaltung 190 bedienen muss). Nutzungskonflikte sollten hier eigentlich an der Tagesordnung sein. Dennoch stellen sie für die Planung von Regengärten weder wesentliche Hürden noch Verzögerungen dar. Diese Erfahrungen haben mich motiviert, ein wenig vom vorhandenen Raum in Berlin zu dokumentieren.

Für die grüne Regenwasserbewirtschaftung hat Berlin leider wenig Unterstützung aus der Politik und noch weniger Interesse und Bewusstsein seitens der Bevölkerung. Deshalb sollte es oberste Priorität haben, die verschiedenen Akteur*innen ins Boot holen. Ob es zielführend ist, eventuell auftretende Nutzungskonflikte heraufzubeschwören, bevor den jeweiligen Akteur*innen die Vorteile bewusst sind, ist fraglich. Warum nicht erst einmal die Vorteile kommunizieren? Oder, wenn es doch Probleme geben sollte, warum sich nicht mit den Menschen austauschen, die den Prozess schon einmal erfolgreich durchlaufen haben? Sicherlich kennen sich Städte, die schon fertig gestellte grüne Infrastrukturen haben, mit den Hürden und Schwierigkeiten gut aus.

Zum Thema Finanzierung – die Fülle verfügbaren Geldes für Pflanzenfilteranlagen ist augenfällig. In dem geplanten Flussbad an der Museumsinsel soll das Spreewasser des Spreekanals durch einen riesigen Pflanzen- und Sedimentfilter fließen. Hinter der Anlage können die Berliner*innen dann baden gehen, bevor das Wasser den Kanal wieder verlässt und ein Stück weiter flussabwärts zurück in die Spree fließt. Ohne dieses Projekt wäre ein Baden in der Spree unmöglich, es sei denn, man würde die Wasserqualität des gesamten Flusses verbessern. Für den gleichen Preis könnte man mithilfe von grüner und grauer Infrastruktur die Abwassereinleitungen bei allen vierzehn flussaufwärts gelegenen Einleitungspunkten auf null reduzieren. So würden massive Mengen Schadstoffe den Fluss nicht mehr erreichen. Deshalb ist sauberes Wasser eher eine Frage von Prioritäten als von Mittellosigkeit.

Zwar hat Berlin ein Programm für die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung inklusive Regengärten im Gange, aber nur für Neubauprojekte. Leider reduziert dieses Programm damit  keine Schäden. Lediglich sorgt es dafür, dass über neu versiegelte Flächen nicht noch zusätzlich anfallendes Regenwasser (was ja ohne das Neubauprojekt gar nicht angefallen wäre) in die Kanalisation eingeleitet werden muss – und das in einer Stadt, in der zwischen 2012 und 2017 alle 48 Stunden eine Fläche der Größe eines Fußballfeldes versiegelt wurde.

Weiterführende Informationen

Regengärten für Berlin – Mit bepflanzten Versickerungsflächen auf dem Weg zur Schwammstadt

Hinweisblatt: Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin (BReWa-BE)

Mitmachen

BUND Landesarbeitskreis Wasser Berlin-Brandenburg

Sie kennen auch versiegelte Flächen in Berlin, die man anderweitig nutzen könnte? Dann machen Sie bei unserer “Foto-Challange – das kann weg!” mit.

Zum Autor

Richard Karty ist aktuell Berater für die Anpassung an das Stadtklima für den BUND Berlin und Mitglied im BUND Landesarbeitskreis Wasser Berlin-Brandenburg. In New York City lehrte und forschte er am Urban Systems Lab der New School über städtische Ökosysteme und arbeitete in einer Umweltplanungs- und Ingenieurberatungsfirma. Zuvor forschte er an der Yale University zum Thema Klimakommunikation.

Kontakt: Richard Karty, Ph. D. in Yale und BUND-Expert*in für Stadtökologie, E-Mail: karty@bund-berlin.de, www.richardkarty.org

2 Kommentare

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  1. Ein wichtiges Thema. Danke für diesen Input und für die Praxisbeispiele aus New York: Die machen es einfach, ohne endlose Planung und zermürbende Bedenkenträgerei und nervige Parteiendebatte. Im 5000-Einwohner-Neubaugebiet “Neu-Lichterfelde” soll das ja konsequent umgesetzt werden … aber warum nicht zugleich in der hitzegefährdeten Thermometer-Siedlung nebenan? Diese hätte ein Entlastungspaket nötig, wenn daneben auf 39 ha. gebaut wird und die Kaltluftbahnen aus Brandenburg abgeschnürt werden. Das sollte der BUND jetzt einfordern.
    Bei uns in Lichterfelde-Ost geht es mit den Birken zuende, selbst die halten der Frühsommerwärme nicht mehr stand (Mistelbefall, Sommerastbruch und Verbräunung zeigen das an). Man könnte hier, aufgrund des geringen Parkdrucks, die zu engen Baumscheiben einfach aufweiten, die Erde auflockern, Kompost einbringen und begrünen.
    Das pdf ist über den link leider nicht verfügbar:
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