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Der Berliner Nahverkehr versinkt im Chaos

Eine persönliche Erfahrung

Seit Jahrzehnten bin ich fast ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Meine Mutter hatte nie ein Auto und auch keinen Führerschein. Ich habe einen Führerschein, aber ebenfalls nie ein Auto besessen. Mein letztes Fahrrad ist mir vor über einem Jahrzehnt geklaut worden. Ich hasse es, mich um Objekte kümmern zu müssen, also auch ein Fahrrad. Es reparieren zu müssen, es nach einer langen Kneipennacht wieder nach Hause zu bringen müssen. Jahrzehnte bin ich gut mit dem öffentlichen Nahverkehr gefahren. Sei es in meiner Geburtsstadt Berlin oder in München, wo ich einige Jahre gelebt habe. Sei es auf Reisen.

Fernbahn, Regionalzüge, S- und U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse haben mich, verbunden mit mal einem kürzeren, mal einem längeren Fußweg, meist gut von A nach B gebracht. Selten auch eine Fähre oder ein Fernbus, eine Schwebe- oder Einschienenbahn, eine Seil- oder Zahnradbahn. Irgendwas ging meist immer, schlimmstenfalls auch mal ein Taxi. Grusel hatte ich selten davor.

Das ist in den letzten Monaten in Berlin anders geworden. Ich ertappe mich immer öfter bei dem Gedanken, ob ich wirklich da oder dort hin muss oder will. Eigentlich wohne ich in einer Gegend mit einer komfortablen Anbindung. Eine U-Bahnlinie in Laufweite, drei Straßenbahnlinien und eine Buslinie dazu. Zur Not sind zu Fuß auch die Stadtbahn und die Ringbahn der S-Bahn in einer Viertelstunde zu erreichen.

Seit Monaten ist die U5 eine Lotteriespiel. Erst diesen Dienstag habe ich fast 20 Minuten am U-Bahnhof gewartet. Der erste Zug kam nach rund acht Minuten. Er war so überfüllt, dass ich Abstand davon nahm, einzusteigen. Einige Minuten später kam der nächste Zug, allerdings mit verkürzter Linienführung, so dass ich meinen geplanten Umsteigepunkt damit nicht erreicht hätte. Im dritten Zug gab es sogar freie Sitzplätze – bis zum Alexanderplatz, wo jene Fahrgastmassen zustiegen, die aus dem vorherigen Zug vor dem Ziel rausmussten. Zum Glück musste ich nur in die S1 umsteigen, die auch gerade den versprochenen Zehn-Minuten-Takt auch fuhr. Hätte ich einen Regionalzug bekommen müssen, der vielleicht nur einmal pro Stunde oder nur alle zwei Stunden zum Ziel fährt, hätte ich nicht nur eine knappe halbe Stunde, sondern wesentlich später meinen Zielort erreicht. Von einem Fernzug ganz zu schweigen.

Die nahegelegene Straßenbahnlinie M10 fährt zu fast jeder Tag- und Nachtzeit vollkommen chaotisch. Mal folgen im Anderthalb-Minuten-Takt Züge aufeinander (mehr geht nicht wegen der straßenbahnfeindlichen Ampel am Frankfurter Tor), mal steht man 20 Minuten. Ähnlich chaotisch sieht es auf U1/U3 ab Warschauer Straße aus.

Noch größer können die Lücken auf der Straßenbahnlinie 21 ausfallen, die sowieso nur im 20-Minuten-Takt fährt. Aber auch auf der weitgehend im Zehn-Minuten-Takt verkehrenden Buslinie 240 kann auch mal eine Dreiviertelstunde vergehen, bis ein Bus an die Haltestelle kommt. Im Oberflächenverkehr liegt das einzig und allein daran, dass der Senat seit Jahrzehnten dabei zusieht, wie diese Verkehrsmittel im Autostau steckenbleiben und an Ampeln behindert werden.

Dass die S-Bahn ebenfalls regelmäßig Schluckauf hat und dann chaotisch oder gar nicht im entsprechenden Abschnitt verkehrt, ist auch kein Geheimnis.

Das immer weiter eskalierende Problem ist jedoch, dass im ÖPNV und SPNV inzwischen überhaupt keine Planbarkeit für die Fahrgäste mehr herrscht. Es sind nicht mehr nur die Pendlergeschichten, dass die planmäßige Fahrt um 8.32 Uhr nie pünktlich fährt oder ganz ausfällt. Die Probleme sind auch längst nicht mehr auf Verstärkerfahrten und den Berufsverkehr begrenzt. Es gibt keine Tages- oder Nachtzeit mehr, zu der man davon ausgehen kann, dass Bahnen und Busse halbwegs pünktlich verkehren. Es kann einen jederzeit treffen. Das Nahverkehrsangebot hat damit den Vorteil verloren, dass man im Gegensatz zur Autofahrt in Berlin davon ausgehen konnte, zumindest tagsüber maximal zehn oder 20 Minuten später anzukommen als geplant. Es herrscht nur noch Chaos. oder zumindest droht es. Umsteigeverbindungen sind das größtmögliche Wagnis.

Und es ist nicht so, dass es nicht absehbar gewesen wäre, dass es so weit kommt. Seit bald zwei Jahrzehnten wird auf die strukturelle Unterfinanzierung von ÖPNV und SPNV hingewiesen. Auch die Demographie des Landes war kein Geheimnis. Sowohl die Investitionen in die Infrastruktur als auch die Fahrzeuge erfolgen seit Jahren viel zu spät und viel zu zögerlich. Und auf den Nachwuchsmangel wird erst jetzt angefangen, energischer zu reagieren.

Und die Parteien? Die SPD träumt seit Jahren vor allem von irgendwelchen U-Bahn-Verlängerungen, die CDU toppt das Ganze nicht nur im Ausmaß sondern auch noch mit Magnetbahnphantasien. Die Grünen-Verkehrssenatorin Regine Günther war sowieso irgendwie ganz woanders. Von den für die BVG zuständigen Senatorinnen und Senatoren, aktuell ist es gerade Franziska Giffey (SPD), war in der Hinsicht Aufrechterhaltung der Betriebsqualität sowieso nichts Strukturelles zu vernehmen.

Wie viele andere Infrastrukturen und öffentliche Dienstleistungen sind auch Bahnen und Busse nachhaltig ruiniert. Das heißt selbt mit gutem Willen und einem weiterhin nicht zu beobachtenden Tatendrang der Politik, die strukturellen Probleme endlich anzugehen, würde es viele Jahre dauern, das vor einigen Jahren noch erreichte Zuverlässigkeitsniveau wieder zu erreichen. Stattdessen will die Berliner SPD Hunderte Millionen Euro jährlich für ihr 29-Euro-Ticket verheizen, das absehbar keinen Effekt für die Verkehrswende bringt und sozial ungerecht ist.

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