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Bündnis Klimastadt Berlin 2030 formiert

Initiativen, Umwelt- und Mieterverbände sowie Planende und Bauende wollen die Stadtentwicklung sozial und klimagerecht machen

© by Stefan Müller (CC BY 2.0)

Wir brauchen einen “Paradigmenwechsel für Architektur und Stadtentwicklung, die die planetaren Grenzen annimmt”, sagt Anna Bernegg. Deswegen hat sich das neue Bündnis “Klimastadt Berlin 2030” formiert, das sich am Dienstag mit einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt hat. 16 Berliner Initiativen, Umwelt- und Mieterverbände, dazu noch viele weitere Planende und Bauende fordern darin eine klimagerechte und soziale Stadtentwicklungspolitik für Berlin ein. Zu den Gründungsmitgliedern gehört auch der BUND Berlin. Stadtaktivistin Anna Bernegg hat Landschaftsplanung und Urban Design studiert und ist Mitbegründerin der “Berlin-Plattform”, an der das Bündnis organisatorisch angedockt ist.

Das Bündnis beanstandet die unzureichenden baupolitischen Maßnahmen der Berliner Regierung und fordert eine Gesamtstrategie für eine klimagerechte und soziale Modellstadt Berlin. In der nächsten Legislaturperiode bedarf es aus Sicht des Bündnisses eines Paradigmenwechsels, um die klima- und umweltpolitischen sowie gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern.

In drei internen Workshops sind in den letzten Monaten die sieben Themenfelder des Eckpunktepapiers von “Klimastadt Berlin 2030” formuliert worden. Es versteht sich mit der vielfältigen Expertise der Bündnispartner*innen als Angebot an die Stadtpolitik, in Dialog zu treten und den Wandel Berlins aktiv und gemeinschaftlich voranzutreiben.

Die Themenfelder im Einzelnen:

1 Klimaresilienz – Berlin muss sich auf den Klimawandel mit zunehmenden Hitze- und Extremwetterperioden einstellen. Der Flächenverbrauch muss begrenzt und das Ziel einer ausgeglichenen Versiegelungsbilanz von „Netto-Null“ so schnell wie möglich angegangen werden. Bäume sind die natürliche Klimaanlage der Stadt und bedürfen eines besseren Schutzes und einer stärkeren Berücksichtigung bei der Stadtentwicklung. Die grünen Freiflächen in den Kiezen und Quartieren müssen erhalten und ausgeweitet werden. Viele Bewohner:innen sind unterversorgt mit wohnungsnahen Grünflächen.

2 Mobilitätswende – Umweltfreundliche Fortbewegungsmittel wie ÖPNV, Fuß- und Radverkehr müssen in den Diskussionen und Förderungen priorisiert werden. In der Innenstadt werden ist eine Gesamtplanung als Grundlage für die Ausweisung verkehrsberuhigter und autofreier Bereiche sowie die Schaffung zentraler Infrastrukturen für die fußläufige Erreichbarkeit nötig. Im regionalen Kontext sollte die nachhaltige Mobilität über kommunale und Landesgrenzen hinweg integrativ geplant und koordiniert werden.

3 Bauwende – Im Bausektor gilt es, die Emission von Klimagasen bei der Herstellung und Verarbeitung von Baumaterialien sowie beim Betrieb und Unterhalt von Bauwerken auf ein Minimum zu reduzieren. Baumaßnahmen aller Art müssen – bezogen auf ihren gesamten Lebenszyklus – Klimaneutralität erreichen. Deshalb ist der Erhalt und die Anpassung des Gebäudebestands in der Regel dem Neubau vorzuziehen, ein befristetes Abrissmoratorium soll hier einen Mentalitätswechsel herbeiführen. Das Amt eine:r „Umbausenator:in“ und eine:r „Senatsumbaudirektor:in“ sollen das architektonische Leitbild der Bauwende zum Ausdruck bringen.

4 Kooperative Stadt – Um allen Menschen die Teilhabe an der Stadt Berlin zu ermöglichen bedarf es der Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Dazu zählen unter anderem Experimentierräume, Pilotprojekte und Kooperationsvereinbarungen, die Etablierung von Foren für Bürgerbeteiligung auf Kiez-, Bezirks- und Landesebene oder die zeitweise Übertragung von Verantwortungsräumen auf Kiezebene an die Zivilgesellschaft.

5 Gemeinwohl und bezahlbarer Wohnraum – Soziale Wohnungspolitik bietet bezahlbaren Wohnraum auch für Menschen mit geringem Einkommen. Dies geht nur mit dem Gemeinwohl verpflichteten Eigentümer:innen wie Genossenschaften und landeseigenen Wohnungsunternehmen. Leerstand, Instandhaltungsrückstau und die Nutzung von Wohnflächen müssen geprüft und auf Profitmaximierung ausgerichtete Transformationen gestoppt werden.

6 Kulturelle Freiräume – Die kulturelle Vielfalt Berlins liefert wichtige Impulse für die Stadtentwicklung. Um diese zu stärken bedarf es unter anderem Regelungen für die Zwischennutzung von leerstehenden Immobilien oder den Kulturvorbehalt bei öffentlichen Wohnbauvorhaben und der Entwicklung von mindestens einem Modellprojekt als kultureller Ankerpunkt je Stadtbezirk.

7 Metropolenregion Berlin-Brandenburg – Eine lebenswerte, regenerative, klima- und kreislaufgerechte Metropolenregion Berlin-Brandenburg umfasst die Themen Verkehrseinbindung, Grundstücksentwicklung und die Stärkung regionaler und biobasierter Wertschöpfungsketten.

Tatsächlich haben sich im Bündnis Initiativen und Verbände zusammengetan, die die Stadt und ihre Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und versuchen, in einem konstruktiven Dialog Lösungen zu finden. So unter anderem der Berliner Mieterverein, das Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung aus von Nachverdichtungen betroffenen Mieter:innen, die Koalition der Freien Szene oder die Initiative Hermannplatz, die gegen die monströsen Abriss- und Umbaupläne des Signa-Konzerns für das Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz kämpfen.

“Wir wollen nicht verhindern, wir wollen intelligente Kompromisse im Interesse des Stadtklimas, der Biodiversität und der Festigung der bestehenden Nachbarschaften”, beschreibt Axel Matthies vom Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung seine Perspektive.

“Die starke Renditeorientierung der privaten Wohnungswirtschaft steht mit leistbaren Wohnungen und Klimaschutzzielen oft im Widerspruch.
Wir fordern daher eine soziale Wohnungspolitik, die Wohnraum auch für kleine Einkommen erhält und schafft. Dazu gehört, dass der Abriss von leistbaren Wohnungen verboten wird. Die Erweiterung des gemeinwohlorientierten Sektors kann durch die Umsetzung des Volksentscheides gelingen”, sagt Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins.

“Wir können nicht mehr so weiter bauen, wie bisher, als gäbe es kein Morgen. Aktuell verursacht der Bausektor ca. 40 Prozent aller CO2-Emissionen, mehr als jeder andere Sektor. Wir brauchen also eine soziale, ökologisch nachhaltige Bauwende, wir brauchen ein grundlegendes Umdenken im architektonischen Leitbild”, erklärt Elisabeth Broermann von Architects for Future Berlin.

Niloufar Tajeri von der Initiative Hermannplatz fordert, dass eine neue Stadtentwicklung “die Bedürfnisse und Praktiken aller Bewohner*innen
reflektieren” muss. “Kooperation ist mehr als Partizipation, und das “Wie” der Klimastadt wird gemeinsam entwickelt.” Der globale Zusammenhang dürfe dabei nicht vergessen werden: Der Weltklimarat belege, dass die höchsten Emissionen in städtischen Räumen gemessen werden und der Hebel für globale Veränderung in den Städten liege. “Hier entscheidet sich etwas, das weit über lokale Belange hinaus geht”, so Tajeri weiter.

“Berlin baut sich gerade seine eigene Sackgasse. Die Klimakrise wird das Leben in der Stadt heißer und trockener machen. Es ist jetzt die Aufgabe, die Städte zu öffnen, den gewachsenen Boden zu schützen, damit der Regen aufgenommen und Wasser gespeichert werden kann”, sagt Christian Hönig, Referent für Baumschutz beim BUND Berlin. “Die Bäume sind unsere wertvollsten Verbündeten, um die Stadt zu kühlen. Eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung schützt diese grüne Infrastruktur auf der ganzen Fläche”, so Hönig weiter. Letztlich sei ein erträgliches Stadtklima auch eine Frage der Umweltgerechtigkeit. Alle Bewohner*innen bräuchten ausreichend grüne Freiflächen in ihrem Umfeld.

Der Architekt und Professor für Architekturtheorie Phillip Oswalt von der “Berlin Plattform” hält es für bemerkenswert an „Klimastadt Berlin 2030“, dass in diesem Bündnis eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen mit progressiven Architekt*innen und Planenden zusammengefunden habe. “Dieser Schulterschluss ist der Aufbruch in eine neue Baukultur, die sich den Herausforderungen der Gegenwart offensiv stellt, und nicht mehr – wie in Berlin seit 1990 oft geschehen – in ein bildfixiertes Denken verfällt, das die komplexen Problemlagen mit gefälligen Bildern einer vermeintlich besseren Vergangenheit  kaschiert.”

Die tiefergehende inhaltliche Arbeit des Bündnisses beginnt erst, nachdem man sich auf die Grundlagen verständigt hat. Die gebündelte Expertise und die verschiedenen Perspektiven sollen genutzt werden, um gemeinsam gute, beispielhafte Lösungen für konkrete Knackpunkte der Stadtentwicklung zu finden, die den Belangen von Menschen, Natur und Klima gerecht werden. Hier soll ein dickes Brett gebohrt werden. Weitere Mitstreiter:innen sind hochwillkommen!

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Ein Kommentar

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  1. Liebe weitgehend anonyme Klimastadt Berlin 2030,
    so ist es doch erschreckend, was hier sehr wortreich zusammen getragen wurde. Klimagerechtes Bauen hat es in der Architektur schon lange – seit doch Jahrzehnten – gegeben. Zum Teil wurden Neubauten gem. Forderungskatalog der BauOBln hinsichtlich geforderter Einzelereignisse erfüllt. Häufig aber im Rahmen der Verantwortlichkeit wurde dieser Katalograhmen auch übererfüllt. Ein Planer hat immer verantwortlich für auch den Betreiber zu planen. Und die Stadtkultur, hinsichtlich der Klimagerechtigkeit, ist doch auch nicht neu. Selbst Sharoun hat sich da schon seine Gedanken gemacht. Und wenn jemals die Charta für das Stadtgrün – nicht nur in Berlin – verabschiedet wird, dann hat man viele Basisdaten. Und vor allem die müssen gar nicht neu erfunden werden, wenn sich einmal jemand die Mühe macht, das zu lesen und zusammen zu fassen, was schon erforscht, erlebt und erarbeitet wurde.
    Da muss man, wie hier vorgestellt, keinen so beeindruckend umfassenden Mitarbeiterzirkel zusammen bringen und organisieren. Da müssen Prioritäten gesetzt werden. 1. Bauplanung, 2. Stadtplanung, 3.Grünplanung.
    Daraus kann man dann auch eine Klimastadt entwickeln.
    VG
    Reinhardt

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